Religiöse und Nicht-Religiöse lernen von einander? Ein Projekt des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons

Christen und Atheisten:
Was sie von einander lernen können
Rückblick auf eine Veranstaltung des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons und der Urania in Berlin am 21. 11. 20213.
Anlässlich des Welttages der Philosophie
Einige Hinweise
Von Christian Modehn

Eines der Projekte des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons heißt „Christen und Atheisten im Dialog“. Man könnte auch sagen: „Religiöse Menschen und Nicht-Religiöse Menschen im Dialog“. Diese Projekt geht auch nach der Veranstaltung am 23. 11. 2013 in der Urania Berlin weiter.
Es freut uns sehr, dass auf unsere Anregung hin tatsächlich etwa 70 TeilnehmerInnen mehr als 2 Stunden in der Urania dabei waren, durchaus auch etliche jüngere Menschen. Auf dem Podium diskutierten Prof. Michael Bongardt (Vizepräsident der FU) und Prof. Lutz von Werder (Initiator philos. Cafés) unter der Moderation von Dr. Ingolf Ebel, Urania.
Das beträchtliche Interesse der TeilnehmerInnen verstehen wir als Hinweis, dass die gemeinsame Suche und das gemeinsame Fragen nach dem grundlegenden Sinn, ob man es nun Gott, das Göttliche, das Weltliche, das Diesseits usw. nennt, nach wie vor sehr wichtig und lebensmäßig geradezu dringend ist. Die TeilnehmerInnen hatten verstanden, dass es die philosophische Basis des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons ist, keinerlei Besserwisserei, keine Dogmatik, keine Ausgrenzung irgendeiner Position oder gar Abwertung („Diese Menschen sind ja bloß Atheisten“) zuzulassen. In den großen Kirchen etwa ist diese Haltung der Gleichberechtigung kaum zu finden. Eher kleine liberal-theologische und freisinnige Kirchen vertreten diese Position. Für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon bedeutet diese offene Haltung, dass auch wir eigene philosophische Haltungen und Überzeugung haben, die aber selbstverständlich korrigierbar und wandelbar sind. Erkenntnis und Selbsterkenntnis kommen ja bekanntlich an kein Ende. Nur Fundamentalisten behaupten das (mit Gewalt).

Inhaltlich scheinen diese Fragen weiterer Beachtung wert, die jetzt mal thesenmäßig vorgestellt werden:
Mitten im Leben stellen sich für viele Menschen die Fragen nach dem Grundlegenden und Ganzen ihres Lebens selbst. Dieses eigene Leben, also dieses Geworfensein in diese konkrete Existenz, entspricht ja nicht meiner autonomen Wahl. Vielleicht wäre ich viel lieber in Amsterdam geboren worden… Und auch das eigene Ende, der Tod als Datum und Ort, entzieht sich mitten im Leben meiner Kenntnis und meinem Zugriff. Ich kann meinem Leben zwar ein Ende setzen, aber ob dann definitiv Schluss ist oder ob es weitere Formen des (geistigen) Seins meiner selbst gibt, ist völlig offen, im Sinne des exakten Wissens.
In der Akzeptanz meines Geworfenseins in dieses konkrete Leben und in der Annahme meines unbekannten Todes und völlig unbeweisbaren „Lebens oder Nichtlebens“ nach dem Ende, liegt die größte philosophische Herausforderung. Aber sie ist keine Spielerei, keine überflüssige Frage, kein Luxus. Sondern „immer schon“ nehmen wir bewusst, meistens aber unbewusst auf diese Frage Stellung. Naturwissenschaften haben ganz andere Themen, sie haben zu den genannten Fragen als Naturwissenschaften nichts zu sagen. Religiöse Menschen als religiöse Menschen belehren ja auch nicht Physiker in ihrer Forschung mit der Bibel oder dem Koran in der Hand. Sie sollten es jedenfalls nicht tun! Und dafür sollten sich religiöse Menschen einsetzen.

Diese religiöse Stellungnahme bezieht sich auf das vorgestellte Ganzsein meines Lebens, also auf die Momente von Geburt und Tod, damit beziehe ich mich auf zwei Wirklichkeiten, die ihrerseits im Dunkeln liegen: Warum wurde ich hier geboren, was war vorher, bin ich eine Schöpfung, nur ein „Geworfenes“ und am Ende.
Also ich kann mein eigenes Dasein als gedachte Ganzheit (zwischen Geburt und Tod) gar nicht in den Griff klärender und wissenschaftlich beweisbarer Begriffe bringen. Das heißt: Ich bin kein fassbares Ganzes, ich bin insofern mir selbst nicht und niemals völlig durchschaut.
Ich bin auch nicht als Geworfener völlig autonom. Ich bin innerhalb der Grenzen meiner eigenen unbekannten Grenzen also nur begrenzt autonom. Jeglicher Überschwang im Autonomie Stolz ist also problematisch. Das schließt ja nicht aus, alle Energie einzusetzen für die Förderung der (nun einmal begrenzten) Autonomie.

Das mir selbst wesentlich unbekannte eigene Dasein (in der oben beschriebenen Weise) führt zur religiösen oder nicht religiösen Antwort als Entscheidung: Ich kann überzeugt sein: Mein mir selbst unbekanntes Dasein ist von einem „Grund“ getragen, also ich bewege ich mich in einer allen Menschen wohlwollenden Sphäre, die ich auch im Leben als wohltuend, inspirierend, Sinn stiftend, heilsam erlebe, als göttlichen Funken, wie die Mystiker sagen. Oder ich bin überzeugt: Nein, da ist nichts weiter. Ich freue mich meines Lebens jetzt. Das ist alles. Diese natürlich respektable Haltung kann man Atheismus nennen.
Wenn es einen Dialog gibt zwischen Glaubenden und Nichtreligiösen, dann könnte nicht das besserwisserische Argument im Mittelpunkt eines ruhigen Dialogs stehen, sondern der Austausch: Wie bist du zu deiner Überzeugung gekommen? Welches orientierende Licht bietet dir deine Überzeugung? Ist diese Überzeugung eine Kraft, in der Gesellschaft mit anderen für eine gerechtere Gesellschaft zu handeln? Ist aus dieser Haltung eine Kritik möglich an den vielen neuen Göttern und Götzen, die uns von den ökonomisch und politisch Herschenden aufgedrückt werden? Es geht also im Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden um die Weitung und Klärung des Humanum. Und um die ständige Kritik und Überwindung der Götter und Götzen.

Also noch mal zusammengefasst:
Glaube wie Atheismus sind als frei gewählte Überzeugungen eben Glaubenshaltungen, die also immer Entscheidung sind. Wenn sich beide, also Glaubende und Atheisten, auf einer Ebene der Existenz begegnen, haben sie die Basis gemeinsam, das Ausgesetztsein gegenüber dem Umgreifenden.

Copyright: Christian Modehn für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon.