Der hier vorliegende Text ist nur für die private Lektüre bestimmt. Er hat die Form, wie sie für Hörfunkproduktionen üblich ist.
HR Camino am 23. März 2014
Glauben ist einfach
Eine arme Kirche braucht keine mächtige Lehre
Von Christian Modehn
1. SPR.:
Schon drei Tage nach seiner Wahl zum Papst will der argentinische Jesuit Jorge Mario Bergoglio den Journalisten erläutern, aus welchen Motiven er sich gerade für den Namen Franziskus entschieden hat.
1. TON, Papst Franziskus, Vortrag vor Journalisten.
(1. SPR.:)
Der Papst rühmt Franziskus von Assisi als Kirchenreformer im Mittelalter, er spricht von dem armen Ordensgründer, dem Mann des Friedens und leidenschaftlichen Freund von Gottes guter Schöpfung. Und dann folgen die Worte, mit denen Papst Franziskus sein Herzensanliegen beschreibt.
1. O TON, 0 05“ Papst auf Italienisch, unmittelbar danach:
3. SPR.:
Ach, wie sehr möchte ich eine arme Kirche für die Armen.
1. O TON: Beifall ca. 0 04“ freistehend.
2. SPR.:
Eine arme Kirche für die Armen: Diese Worte, inmitten der Pracht vatikanischer Paläste formuliert, wirken wie eine Provokation: Möchte Papst Franziskus die Kirche radikal verändern? Will er Kardinäle und Bischöfe, ja die gesamte Kirche auf einen bescheidenen Lebensstil verpflichten? Im November 2013 äußert er sich in seinem apostolischen Schreiben „Freude am Evangelium“ ausführlicher zu diesen Fragen, ein Hinweis ist dabei von besonderer Bedeutung:
3. SPR.:
Im Herzen Gottes gibt es einen so bevorzugten Platz für die Armen, dass Er selbst arm wurde. Der ganze Weg unserer Erlösung ist von den Armen geprägt.
1. SPR.:
Der Papst erinnert dabei an die Geburt Jesu in einer Krippe, an sein bescheidenes Leben als Handwerker in Nazareth, er nennt die „Bergpredigt“, in der Jesus die Armen selig preist. Aus diesem Profil Jesu ergeben sich für Papst Franziskus Konsequenzen für heute:
3. SPR.:
Die Armen haben uns vieles zu lehren. Sie kennen dank ihrer eigenen Leiden den leidenden Christus. Wir sind aufgerufen, Christus in den Armen zu entdecken und die geheimnisvolle Weisheit anzunehmen, die Gott uns durch sie mitteilen will.
1. Musikal. Zuspielung, ca. 0 10“ freistehend, beginnend nach 0 05“.
2. SPR.:
Der Papst aus Argentinien versucht im Vatikan bescheiden zu leben. Er wohnt nicht, wie bei seinen Vorgängern üblich, in einem Renaissance-Palast, sondern im Apartment eines modernen Gästehauses. Zum armen Lebensstil gehört aber auch, so meint er, die Pflege eines elementaren Glaubens; eine dringende Aufgabe, wenn sich viele Menschen heute als religiöse Analphabeten betrachten und die schlichtesten Kenntnisse vom Christentum fehlen. Was der Papst unter dem einfachen Glauben versteht, beschreibt er in drei knappen Sätzen:
3. SPR.:
Jesus Christus liebt dich. Er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, Und jetzt ist er lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien.
1.SPR.:
Der einfache Glaube bedarf keiner barocken Fülle; spekulative Systeme mit feinsinnigen Prinzipien bleiben Sache der Spezialisten. Heute gilt es, den Sinn für die Unterscheidung von wesentlich und nebensächlich zu wecken, auch in Glaubensfragen! Daran erinnert der Papst in seinem apostolischen Schreiben, wenn er von der „Hierarchie, der Rangordnung der Glaubenswahrheiten“ spricht. Der Papst weiß, dass sich das Zweite Vatikanische Konzil dafür eingesetzt hat und dabei vor allem den Vorschläge von Karl Rahner folgte, einem weltweit geschätzten Mitbruder des Papstes im Jesuitenorden. 1984 ist Karl Rahner im Alter von 80 Jahren verstorben. Er legte allen Nachdruck auf den einen, entscheidenden Mittelpunkt des Glaubens:
2. O TON RAHNER: 0 57“.
Weil wir alle Religionsunterricht gehabt haben, kann es vielleicht so aussehen, als ob das Christentum, gerade das katholisch- kirchliche Christentum eine ungeheure Menge von Dingen sagt, einen indoktriniert und zu glauben befiehlt. In Wirklichkeit sagt das Christentum das Selbstverständlichste, das gleichzeitig unbegreiflich ist: In deinem Leben ist immer schweigend, umfassend bergend, liebend das namenlose Geheimnis am Werk, ein Christentum, das eigentlich sehr einfach ist.
2. SPR.:
Wenn Karl Rahner auf das namenlose Geheimnis hinweist, denkt er an den schöpferischen Grund allen Lebens. Dabei hat er jenen Gott vor Augen, den Jesus von Nazareth bezeugte, als er Gott den liebenden Vater nannte. In dieser Gottesbeziehung, so meint Rahner, können die Gläubigen das Wichtigste finden, den Sinn ihres Lebens, die Fülle des Daseins.
1. SPR.:
Christen, die sich um das einfache Wesen des Glaubens bemühen, wissen genau, welcher Kontrast sich dann auftut zum offiziellen „Katechismus der katholischen Kirche“, er umfasst 816 Seiten mit insgesamt 2.885 Paragraphen. Der Erwachsenenkatechismus der Deutschen Bischofskonferenz hat nur 462 Seiten. Dafür aber ist das offizielle kirchliche Rechtsbuch, der „Codex Juris Canonici“, wieder so dickleibig wie der römische Katechismus. Angesichts dieser voluminösen Bücher entsteht der Eindruck, der Glaube sei etwas für Spezialisten und Menschen, die ausdauernd viel lesen und auf alle Fragen eine definitive Antwort erhalten wollen. Und gerade diese Haltung ist von einem einfachen Glauben weit entfernt, meint auch Papst Franziskus mit vielen anderen Theologen.
1. MUSIKAL. ZUSP. 0 08“ freistehend. Dieselbe Sequenz wie in 1. Musik.
2. SPR.:
Das Projekt, auf neue Art einen einfachen, insofern armen Glauben zu formulieren, weckt viel Interesse. Etwa bei Pater Heiner Wilmer; er ist in Bonn als Provinzial für seinen Orden, die „Herz Jesu-Priester“, verantwortlich, eine internationale, theologisch aufgeschlossene Gemeinschaft.
3. O TON, Pater Wilmer, 0 27“.
Ich bin fest davon überzeugt, dass der Glaube der Zukunft nur ein armer Glaube sein kann in einer armen Kirche. Und arm verstehe ich hier als Selbstbescheidung, als Konzentration auf das Wesentliche, und ich verstehe darunter ein Zurückdrängen von Nebensächlichkeiten. Auch nebensächlichen Schauplätzen, auf die wir uns immer zu sehr getummelt haben.
1. SPR.:
So können nebensächliche Lehren und wenig inspirierende Traditionen „zurückdrängt“ werden, wie Pater Wilmer sagt: Diese eher radikal anmutenden Vorstellungen sind der katholischen Kirche gar nicht fremd. Im 20. Jahrhundert hat sie sich nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil von vielen Traditionen befreit. Zum Beispiel war es bis 1960 in der katholischen Kirche streng verboten, die Messe in der Landessprache zu feiern. Durch die Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils wurden aber die Priestern verpflichtet, die lateinische Sprache nur noch in Ausnahmefällen in der Messe zu gebrauchen. Einst gab es eine lange Liste der verbotenen Bücher, den Index. Seit 50 Jahren ist diese Einschränkung geistiger Freiheit aufgehoben und Katholiken können guten Gewissens verbotene Autoren wie Descartes und Kant, Heinrich Heine und Alexandre Dumas lesen. Erst seit etwa 50 Jahren ist die Feuerbestattung erlaubt. Zuvor wurde heftig gegen die Kremierung polemisiert. Schließlich hat Papst Benedikt XVI. sogar die alte Lehre aufgegeben, ungetaufte Säuglinge kämen nicht in den Himmel, sondern eine Art Vorhölle. Diese Hölle der unschuldigen Babys, der sogenannte Limbus, wurde abgeschafft.
2. SPR.:
Eine Glaubenslehre, die sich auf das Wesentliche besinnt, kann gerade für skeptische und zweifelnde Menschen einladend sein. Auch deswegen fühlt sich Pater Heiner Wilmer ermuntert, in knappen Sätzen das Wesen des Glaubens zu umschreiben:
4. O TON, Pater Wilmer.
Also Glaube ist Vertrauen. Und der Gegenbegriff von Glaube ist nicht Unglaube, sondern Angst. Der gläubige Mensch ist jemand, der ein tiefes Vertrauen hat ins Leben, das Geheimnis seines eigenen Lebens.
1. SPR.:
Diese Vorstellung ist alles andere als ein frommer Wunsch, Christen leben aus der tiefen Erfahrung der Verbundenheit mit Gott. Das war zum Beispiel für den brasilianischen Theologen Paulo Evaristo Arns maßgeblich; er hat daraus seine Lebensenergie gewonnen, als in den neunzehnhundertsiebziger Jahren die Militärs folternd und mordend jegliche demokratische Opposition ausschalteten. Als Mitglied im Franziskaner Orden leitete er viele Jahre auch das Erzbistum Sao Paulo, vorrangig kümmere er sich um die Opfer staatlicher Gewalt. Paulo Evaristo Arns hat auch als Kardinal bei vielen Gelegenheiten betont, was ihm der einfache Glaube bedeutet.
5. O TON, Kardinal Arns 0 35“.
Menschenrechte sind der Kern des Evangeliums. Also sie kommen aus dem Herzen des Evangeliums heraus. Gott ist Mensch geworden, um den Menschen zu retten, also dass er Mensch werde, dass er Mensch bleiben kann, dass er wirklich alle seine Möglichkeiten als Mensch verwirklichen kann für die anderen. Und wenn er das nicht kann, dann ist Christus umsonst auf die Welt gekommen und Gott hat den Menschen umsonst geschaffen.
2. SPR.:
Dieser Weisung folgt heute der Jesuitenpater Frido Pflüger. Er hat viele Jahre in Uganda und Kenia gearbeitet. Im Rahmen des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes hat er dort für ein menschenwürdiges Leben ausgehungerter, sterbenskranker Flüchtlinge aus den benachbarten Krisengebieten gekämpft. Inzwischen leitet Pater Pflüger den Jesuitenflüchtlingsdienst in Berlin. Inmitten eines aufreibenden politischen Engagements hat er das Grundlegende, das Wesentliche des christlichen Glaubens vor Augen:
6. O TON, P. Pflüger. 0 51“.
Das erste Wesentliche ist für mich in meinem eigenen Leben, dass ich diese Grundüberzeugung habe, dass mein Leben sinnvoll ist, dass mein Leben getragen oder gegründet ist auf einen Ursprung, der hält. Und das ist das Wesentlichste am christlichen Glauben, dass ich davon auch Sicherheit für mein eigenes Leben verspüre. Das heißt, das ist die Basis dafür, dass ich auch ausgreifen kann, dass ich was tun kann, dass ich einfach keine Angst haben muss um mein Leben. Egal, was ich mache. Ich sag es mal einfach so: Ich kann mein Leben auch in die Pfanne hauen für andere. Ich mach mir auch nicht viel Gedanken über das Spätere. Ich hab einfach so große Zuversicht, dass mein Leben nicht scheitern wird, dass mir das eine große Lebensgewissheit ist und Sicherheit für jetzt gibt. Was mir diese Sicherheit dann gibt, ist mein Glaube an die Auferstehung, ja.
1. SPR.:
Wer andere Menschen, vor allem Leidende und Ausgegrenzte, so wichtig nimmt wie sich selbst, wird auch spirituell verändert und erlebt dabei eine Art spiritueller Überraschung: Es gelingen ihm eigene, persönliche Worte beim Beten:
7. O TON, Frido Pflüger, 0 44“.
Auf der einen Seite kommt natürlich durch die Erfahrung von Leid und Not, auch Tod, andere Dimension ins Gebet. Weil das einfach Anliegen meines Gebets wird, Ja. Dass ich die Menschen, die ich kenne und die in diesen Situationen leben, dass ich die automatisch einfach in mein Gebetsleben einschließe. Also, wie man so schön sagt, dass ich für sie bete. Das heißt: Dass sie in meinem Herzen sind, in meinem Herzen mit Gott ja. Und auf der anderen Seite gibt das Gebet natürlich trotzdem dann auch für mich Bestärkung, meinen Weg weiterzugehen. Und den Sinn für mein Leben zu bestärken, dass ich diese Dinge tun kann. Denn manchmal ist man auch einfach müde, und da brauche ich diese Kraft, dass ich mein Herz öffne für die Leute, ja.
1. MUSIK, ca. 0 08“ freistehend.
2. SPR.:
Manchmal wird das Sprechen vom einfachen Glaube poetisch und mystisch. Denn es gilt, ein besonderes Erlebnis zu Wort zu bringen: Menschen können das göttliche Geheimnis berühren und die Gegenwart des Unendlichen und Ewigen erfahren. Mystiker unterschiedlicher Traditionen haben vom göttlichen Seelenfunken gesprochen. Wenn christliche Theologen heute vom einfachen Glauben sprechen, können sie auf diese Einsicht der Mystiker kaum noch verzichten. Darin zeigt sich bereits eine ökumenische Übereinstimmung. Der protestantische Theologe Wilhelm Gräb von der Berliner Humboldt Universität betont:
8. O TON, Wilhelm Gräb: 0 31“.
Das Wesen des christlichen Glaubens ist, dass das Christentum die Menschwerdung Gottes behauptet, in dem Sinne, dass wir die Entgrenzung dieser Aussage verstehen: Nicht nur in dem einen Individuum des Jesus von Nazareth ist Gott Mensch geworden. Er wird es in jedem Menschen. Jedem Menschen wohnt eine göttliche Dimension inne, dass jeder Mensch in sich selbst unendlich wichtig ist, das ist das Wesen des Christlichen.
1. SPR.:
In alltäglichen Erfahrungen erleben Menschen diese göttliche Dimension, in der Liebe, der Solidarität, der Hingabe, der Treue. Diese Erfahrungen haben einen göttlichen Kern, meint Karl Rahner, deswegen sind sie die lebendige Mitte eines einfachen Glaubens.
9. O TON, Rahner 0 37“
Alle subtile Theologie, alles Dogma, alles Kirchenrecht, alle Institution, alles Amt und alle seine Vollmacht; alle heiligen Liturgie und alle mutige Mission, haben nur das einzige Ziel: Glaube und Hoffnung und Liebe zu Gott und dem Menschen. Alle anderen Pläne und Taten der Kirche aber würden absurd und pervers, wollten sie sich dieser Aufgabe entziehen und allein sich selbst suchen.
2. SPR.:
Und Karl Rahner hat sich dieser Aufgabe nicht entzogen. Er hat gezeigt, wie es tatsächlich möglich ist, in wenigen Worten Glaube, Liebe, Hoffnung für die Menschen wachzurufen. Er sprach dabei von den „Kurzformeln des Glaubens“. Für den Theologen Heiner Wilmer sind diese Vorschläge Karl Rahners bis heute inspirierend:
10. O TON, Pater Heiner Wilmer, 1 28“
Er meinte damit, kurze prägnante und zeitgemäß formulierte Texte, die den christlichen Glauben in kurzer, konzentrierter Weise auf den Punkt bringen. Und er hat einmal gesagt: Wichtig ist, dass wir das Nebensächliche und die Nebenthemen zur Seite schieben und uns auf die Hauptthemen konzentrieren. Und dann hat er gesagt: Was die Kurzformeln betrifft, so wäre es wichtig, dass eine Kurzformel unterschiedlich sein kann. Also: Für einen 16 Jährigen lautet eine Kurzformel des Glaubens vielleicht doch anders als für die 80 jährige Frau, die ein reiches Leben hinter sich hat. Oder eine Kurzformel des Glaubens lautet für jemanden, der in tiefer Not ist, anders, als für jemanden, dem es gerade in seiner jetzigen Lebensphase besser geht.
Es kann nicht sein, dass wir nur noch in der Lage sind, in abstrakten philosophisch-theologischen Begriffen den Kern des Glaubens auszudrücken. Das ist unmöglich, sondern wir müssen neue Wörter finden, wir brauchen eine neue Sprache, die so ist, dass sie der Mensch, der heute lebt, es versteht.
1. Musikal. Zusp., maximal 0 08“ freistehend.
1. SPR.:
Der einfache Glaube entdeckt die geschwisterliche Gemeinschaft; der Austausch wird wichtig, der Respekt vor der Gleichberechtigung aller Gläubigen: Für den Münchner Theologen Otto Hermann Pesch ergeben sich daraus klare Konsequenzen:
11. O TON, Otto Hermann Pesch, 0 45“.
Egal, wie man das Wort Hierarchie versteht: Herrschaft kann und darf es nicht bedeuten. Wenn es das tut, ist es Missverständnis und Missbrauch. Dass die Fakten oft anders sind, wird in diesem Sinne also dann als Defekt bezeichnet werden müssen, als ein Missbrauch, der geändert werden muss. Wenn sich eins im Vergleich zur Zeit vor dem Konzil bleibend im Bewusstsein der katholischen Gläubigen festgesetzt hat, dann ist es das Bewusstsein: Wir sind die Kirche. Und nicht wie früher: Wir haben an ihr Teil, während die Kirche die Hierarchie eben ist. Wir sind die Kirche!
2. SPR.:
Wenn aber alle Katholiken gleichberechtigt sind in der Kirche, sollte das auch Konsequenzen haben für den praktischen Alltag der Gemeinden, meint Pater Heiner Willmer. Kirchengebäude sollten nicht vorschnell aufgegeben und kleine Gemeinden nicht um jeden Preis mit anderen vereint werden. Pater Wilmer:
12. O TON Pater Wilmer, 0 42“.
Was wir bräuchten, wäre eine viel größere Ermutigung der Menschen: Hört zu: Ihr könnt auch Gottesdienst feiern, ihr könnt Liturgie gestalten ohne eine Priester, ohne eine Pater, ohne eine Mönch. Auch sonntags. Und es findet immer am Sonntag, und auch in der Woche, eine Liturgie statt, immer, in jeder Kirche, die Kirchen bleiben auf. Die Messe ist ja nur eine Form, aber es gibt viele Formen, die gestaltet und gefeiert werden von Laien, von Männern, von Frauen, Kindern, Jugendlichen.
1. SPR.:
Diese Vision einer geschwisterlichen Kirche hat einige französische Katholiken inspiriert, in einer gänzlich neuen Form einen Katechismus zu veröffentlichen, kein abstraktes Lehrbuch, das von A bis Z alle nur erdenklichen Themen abhandelt. Sondern ein Buch, das zum Gespräch einlädt. Ein Team um Bischof Jacques Gaillot hat schon vor 20 Jahren einen „Katechismus der Freiheit“ herausgegeben. Gaillot kümmert sich als Bischof von Partenia besonders um Menschen am Rande der Kirche und der Gesellschaft.
13. O TON, Gaillot, 0 26“.
3. SPR.:
Wir haben uns gesagt, es sei doch wichtig einen Katechismus zu gestalten, der nicht dem üblichen Schema von Fragen und Antworten folgt. Sondern der Wert legt auf den Austausch. Wir haben also eine kleine Arbeitsgruppe gebildet aus Männern und Frauen und wir sagen den Lesern: Wir laden euch ein, mit uns gemeinsam zu suchen und nachzudenken. Wir geben nicht eine definitive Antwort. Wir wollen einen Blick auf die Zukunft öffnen.
2. SPR.:
Dieser Katechismus lebt vom Suchen der Menschen nach neuen Lebensformen. Viele Katholiken fragen sich: Was ist gilt, wenn ich mich um eine zeitgemäße, dem Evangelium entsprechende Ethik bemühe? In jedem Fall wünschen diese Menschen, dass die Sexualmoral den einzelnen in seiner Lebensgeschichte respektiert. Bischof Gaillot nennt ein Beispiel:
14. O TON Gaillot, französisch: 0 28″
3. SPR.:
Wir müssen Frauen und Männer akzeptieren und verstehen, die homosexuell sind. Unter meinen Freunden und auch in meiner Familie sind Homosexuelle. Wir müssen diese Menschen in ihrem Recht anerkennen. Mitleid allein zählt nicht. Es geht um die Gleichheit vor dem Recht! Darum erörtern wir auch die Zivilehe der Homosexuellen. Warum soll es das nicht geben? Eine demokratische Gesellschaft, die auf der Gleichheit vor dem Gesetz beruht, sollte das respektieren.
1. SPR.:
Ein Beispiel, wie ein einfacher Glaube mit schwierigen Themen der Sexualmoral umgehen kann. Aber, bei allem Respekt, meint Pater Wilmer, wir dürfen in der christlichen Moral nicht die anderen Schwerpunkte vergessen:
15. O TON, Pater Wilmer, 0 41“.
Wir haben leider in der Katholischen Kirche die Sexualmoral viel zu sehr in den Vordergrund gerückt und die anderen großmoralischen Themen, die Hauptthemen, sind ins Abseits gerückt, wie zum Beispiel die Frage nach der Gerechtigkeit unter den Völkern, nach einer fairen Verteilung der Güter, wie die Frage: Wo stehen wir auf und proben den Aufstand gegen einen Staat, der in überdimensionaler Weise von den Erträgen der Rüstungsindustrie lebt. Das wären wichtige Fragen der Moral, die in den Mittelpunkt gehören.
2. SPR.:
Ein armer, ein bescheidener und deswegen einfacher Glaube ist in ethischen Fragen alles andere als ärmlich oder dürftig. Er vermag ethische Weisungen nicht als Einschränkungen oder gar als Hindernisse für menschliches Glück darstellen, sondern als Einladung, zu wachsen und seelisch zu reifen.
16. O TON, Pater Wilmer, 0 28“
Wenn du dich um andere kümmerst, wirst du selbst groß. Wenn du auf andere zugehst, wächst du innerlich. Wenn du deinen eigenen Horizont sprengst und die Welt offen siehst, und auch auf Unbekanntes mutig zugehst, wirst du selbst in ungeahnter Weise wachsen und zu einer erstaunlichen Größe gelangen, die dich selbst verblüfft.
1. SPR.:
Eine arme Kirche fördert die persönliche Freiheit. Und damit bezieht sie sich auf die ersten christlichen Jahrhunderte. Da nahmen sich die unterschiedlichen Gemeinden die Freiheit, das Wesen des Christentums sehr unterschiedlich auszudrücken. Eine arme Theologie ist ja nichts Monotones, sagten sie, Theologie verbreitet keine Langeweile, sondern liebt die Vielfalt. Von dieser Pluralität sind wir weit entfernt, meint der katholische Theologe Michael Bongardt von der Freien Universität Berlin:
17. O TON, Bongardt, 0 42“.
Die ersten Tradition der Kirche in den frühen Konzilien in der Formulierung des Glaubensbekenntnisses war eigentlich davon geprägt, dass man sich gerade nicht auf eine bestimmte Sichtweise festlegte. Es gab auch damals schon konkurrierende theologische Vorstellungen und in aller Regel hat die frühe Kirche sich nicht mit einer dieser Vorstellungen identifiziert und alle anderen für falsch gehalten. Sondern einen Rahmen gesetzt. Und gesagt: Innerhalb des Rahmens, den wir setzen, gibt es ganz viele Möglichkeiten, die in der Kirche erlaubt und erwünscht sind.
2 .SPR.
Nach grundsätzlicher Offenheit in wesentlichen Glaubensfragen sehnen sich heute Katholiken weltweit. Indische Katholiken z. B. lernen ihren Glauben mit Gespräch mit anderen Religionen deutlicher zu sehen. Wenn Gottes Wesen Liebe ist, dann sollte, so meinen sie, auch das Verhältnis zu den Hindus von einer großen Weite des Wohlwollens bestimmt sein. Daran erinnert der Jesuitenpater Sebastian Painadath , er leitet in Südindien einen Ashram, ein Haus der Begegnung von Christen und Hindus:
18. O TON Pater Painadath., 0 35″:
Liebe heißt, dass ich den anderen mit seiner Andersartigkeit annehme und bejahe und seine Freiheit respektiere, auch im religiösen Bereich. Ich darf nicht einen Muslim als potentiellen Christen betrachten, damit respektiere ich ihn überhaupt nicht. Der Muslim ist Muslim, Hindu ist Hindu. Und ich bin überzeugt, dass die Vielfalt der Religionen zum Heilsplan Gottes gehört. Wir dürfen nicht meinen, dass Gott es will, dass am Ende alle Menschen römisch katholisch werden oder so.
1. SPR.:
Glauben ist einfach, er ist bescheiden und arm, weil er das Wesentliche liebt: Papst Franziskus hat vieles angestoßen, als er gleich zu Beginn seines Pontifikates von der armen Kirche für die Armen sprach. In einem viel beachteten Interview mit den Redakteuren der Jesuitenzeitschriften Europas sagte er in aller Deutlichkeit:
2. SPR.:
Es gibt zweitrangige kirchliche Normen und Vorschriften, die früher einmal effizient waren, die aber jetzt ihren Wert und ihre Bedeutung verloren haben. Die Sicht der Kirche als Monolith, der ohne jeden Abstrich verteidigt werden muss, ist ein Irrtum.
1.SPR.:
Wer den Katholizismus heute beobachtet, ist erfreut über die neue Freiheit der Debatte, die Papst Franziskus zulässt. Aber man ist auch besorgt, über die Zukunft des Reformprojektes des Papstes. Darauf weist der katholische Theologe Professor Michael Bongardt von der Freien Universität Berlin hin:
19. O TON, Bongardt, 0 52“.
Gelingt es ihm auch über die persönliche Ebene hinaus, auch in den Strukturen der Kirche etwas so zu ändern, dass von diesem Stil, der bisher ein persönlicher Stil ist, auch etwas in der Kirche als Institution ankommt. Er hat da einiges in Gang gesetzt, aber am Ziel ist er da noch lange nicht. Und man wird auch sagen dürfen: Angesichts seines Alters und des Alters der Institution Kirche und ihrer eingefahrenen Gewohnheiten wird dieser Papst das Ziel auch nicht vollständig erreichen können. Es bleibt zu hoffen, dass er eine Bewegung in Gang setzt, die auch über seine konkrete Lebens- und Amtszeit hinaus etwas bewirkt.
2. Musik, als freistehend kurz und als Hintergrund für den Abspann.
…………….
Der deutsche Text des apostolischen Schreibens „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus ist im St. Benno Verlag Leipzig erschienen.
Die Musik wurde entnommen der CD:
„Musik für Horn und Orgel“, Manfred Dippmann und Reinhard Seeliger. An der Sonnenorgel der Pfarrkirche St. Peter und Paul in Görlitz. Sie spielen das Stück Nr. 6 „Andante“ auf der CD, von Camille Saint-Saens. LC 5736.