Pater Pio : Ein heiliger Scharlatan?

Pater Pio – nun auch bald ein “Kirchenlehrer” und weitere Ungeheuerlichkeiten zu einem “heiligen Scharlatan”. Von Christian Modehn.

Zusätzlich zu den älteren Beiträgen wurde am 10. September 2013 diese Neuigkeit zu Pater Pio publiziert:
Kapuziner wollen Pater Pio zum Kirchenlehrer machen:

Der Kapuzinerorden in Italien will den Volksheiligen Pater Pio (1887-1968) zum Kirchenlehrer erheben lassen. Die süditalienische Ordensprovinz «Sant’Angelo e Padre Pio» in der Heimat des Heiligen habe eine Kommission aus fünf Ordensmännern und zwei Laien eingerichtet, die die Möglichkeiten dieses Vorhabens prüfen solle, berichtete die italienische Zeitung «La Gazzetta del Mezzogiorno»
Es sei kein leichter Weg, zitierte die Zeitung den Provinzoberen Francesco Colacelli. Nur 34 Heilige der katholischen Kirche sind vom Papst der Titel eines Kirchenlehrers zuerkannt worden. Voraussetzung ist ein herausragender theologischer oder spiritueller Beitrag zur katholischen Lehre.
Kritische Zeugen berichten hingegen, dass Pater Pio kaum predigen konnte, geschweige denn, dass er in schriftlichen Äußerungen Wesentliches vom christlichen Glauben vermitteln konnte. Insofern kann man das Ansinnen der Kapuziner schlicht nur waghalsig, wenn nicht „verrückt“ nennen. Aber solche Vorschläge bringen Pater Pio einmal mehr in die Presse. Auszuschließen ist es freilich nicht, dass sich die römische Kirche diesen Kirchenlehrer auch noch antut.
Pater Pio ist sicher der populärste Heilige Italiens. Johannes Paul II. sprach den Ordensmann 1999 selig und 2002 heilig. Zur öffentlichen Aufbahrung seines Leichnams pilgerten von April 2008 bis September 2009 insgesamt 8,6 Millionen Menschen in das süditalienische San Giovanni Rotondo. Seit Juni ist er in einem gläsernen Sarg dauerhaft in der Wallfahrtskirche zu sehen.

Vorweg eine Neuigkeit zum Kult um Pater Pio: Anfang Juni 2013 wurde berichtet: Der Leichnam des süditalienischen heiligen Pater Pio von Pietrelcina (1887-1968, im Jahr 2002 von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen!) werde nun in einem Glassarg zur Verehrung durch die Gläubigen öffentlich dargeboten. Einen feierlichen Gottesdienst in der Wallfahrtskirche von San Giovanni Rotondo in Apulien (dort lebte Pater Pio) feiere Kurienkardinal Angelo Amato als Auftakt zur Ausstellung der Leiche des “populärsten” Heiligen Italiens. Offenbar braucht das Wallfahrtswesen in San Giovanni Rotondo doch auch einen neuen Schwung, d.h.: offenbar wird viel Geld gebraucht von den Pilgern. Denn Geldquellen zu erschließen ist der Haupt – Grund für den seit fast 2 Jahrtausenden gepflegten Reliquienkult der römischen Kirche. Kardinal Amato, offenbar theologisch nicht ganz ungebildet, ließ sich in seiner Predigt während der Festmesse doch zu den Worten hinreißen: “Pater Pio will, dass wir ihm auf das Gesicht schauen, und auch er kann uns in die Augen sehen”. In weltlicheren Zusammenhängen nennt man dies vernunftwidrigen Esoterismus, den die römische Kirche eigentlich ablehnt; aber sie pflegt die Unvernunft selbst, etwa wenn es denn (finanziell) geboten ist. Für die Ökumene ist dieser Kult um den allgemein für eher debil und eher süchtig gehaltenen Pater Pio natürlich ein Schlag, aber solches wird kaum noch registriert…

Es folgt nun die Abschrift der Ra­dio­sen­dung:;
Moderation:
Er ist einer der beliebtesten Heiligen in ganz Europa: Pater Pio, Kapuzinermönch aus Süditalien, hatte von 1918  bis zu seinem Tod im Jahr 1968 die blutenden Wundmale Christi an Brust, Füßen und Händen. Von diesen Stigmata lassen sich fromme Seelen bis heute erschüttern. Und voller Hingabe spenden sie dem Kloster in San Giovanni Rotondo  so viel Geld, dass Hotels und Krankenhäuser errichtet und katholische Radio- und Fernsehstationen dort aufgebaut wurden. Eine riesige moderne Wallfahrtskirche hat Stararchitekt Renzo Piano geschaffen. Der Stigmatisierte hat ein Riesenunternehmen hinterlassen, sagen kritische Geister; und sie fragen weiter: Sind denn die Wundmahle Pater Pios überhaupt echt? Christian Modehn berichtet

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1. O TON: Pater Pio betet Ave Maria, ca. 0 08“ freistehend seine Stimme, dann herunterziehen.

SPRECHER:
Pater Pio betete gern den Rosenkranz. Und stundenlang konnte er im Beichtstuhl reumütige Sünder ermahnen. Nur predigen und schreiben war nie seine Stärke. Als „schlichtes Gemüt“ wurde er schon als junger Mönch bezeichnet: Aber darüber sehen  die 5 Millionen Pilger gern hinweg, die jährlich nach San Giovanni Rotondo in Apulien pilgern. 40 Jahre nach dem Tod des Heiligen lassen sich die Wallfahrtsmananger etwas Neues einfallen: Sie zeigen Pater Pios Leiche in einem Glassarg der Öffentlichkeit. Der Historiker Professor Sergio Luzzatto hat den Pater Pio Kult untersucht:

2. O TON: 0 24“.
Übersetzer
Das katholische System und die Kirche haben ein Interesse daran, die Pilgerfahrten neu zu beleben durch die Ausstellung des Leichnams. Die Kirche will zeigen, dass der Körper ziemlich unversehrt ist, auch wenn man ihn ganz ordentlich herausgeputzt hat. So zeigt man einen Heiligen, der die Gesetze der Biologie verachtet.

SPRECHER:
Nur der Kopf ist verwest, vor allem die einst blutigen  Hände erscheinen jetzt makellos, keine Spur von den Wundmalen Christi. Aber waren diese Stigmata  zu Lebzeiten echt? Professor Luzzatto wollte es genauer wissen, er hatte Zugang zu den vatikanischen Archiven und entdeckte dort merkwürdige Apothekenrechnungen: Der Pater habe sich größere Mengen  Karbolsäure bringen lassen, erzählt Luzzatto. Damit sei es ihm möglich gewesen, entsprechende Wunden zu erzeugen. Gleichzeitig nahm er das Nervengift Veratrin, ein Schmerzmittel. Professor Luzzatto entdeckte auch Stellungnahmen von Theologen und selbst von Papst Johannes dem Dreiundzwanzigsten, nach denen Pater Pio der Scharlatanerie verdächtigt werde. Professor Luzzatto hat diese Erkenntnisse in einem umfangreichen Buch dokumentiert:

3.O TON, 0 16“.
Übersetzer:
Die Verdachtsmomente sind ja nicht von mir. Sie stammen von der Kirche. Die Kirche selbst hat lange Zeit gedacht, die Stigmata seien nicht echt und auch bei seinen Wundern glaubte man, sie seien eher zweifelhafter Natur.

SPRECHER:
Diese Einwände hat Papst Johannes Paul II. mit Bestimmtheit beiseite geschoben, er hat den umstrittenen Pater im Jahr 2002 heilig gesprochen, weil die gläubigen Massen ihn nun einmal so liebten, hieß es:

4. O Ton, insges. 0 30“.  Freistehend 0 08“, Massen jubeln, verwenden, wenn VIVAT zu hören ist, ab 017“

SPRECHER:
Tausendfach werden heute Videos verbreitet, die den greisen Pater Pio müde winkend am Kloster-Fenster zeigen: Die jubelnde Menge ist auch heute noch sicher, durch die Hilfe des Kapuziners wunderbare Hilfe und Heilung zu empfangen

5. O TON, 0 17“
Übersetzer
Es gibt neue Umfragen unter praktizierenden Katholiken Italiens: Demnach beten sie häufiger zu Pater Pio als zur Jungfrau Maria oder zu Christus. Ein Priester mit den Stigmata gilt eben als die wahre Verkörperung Christi.

SPRECHER:
Professor Luzzatto hat in seinem Buch auch die Beziehungen des Wundertäters zum Regime von Benito Mussolini untersucht:

6. O TON, 0 28“.
Übersetzer
Es gab ein herzliches Einverständnis zwischen diesem Priester und dem faschistischen Regime. Der Faschismus versuchte, sich die italienische Folklore zunutze zu machen und auch die volkstümlichen religiösen Kulte. Pater Pio selbst stand den Faschisten nahe. Und die Faschisten ihrerseits waren Pater Pio sehr ergeben.

SPRECHER:
Auf solche Erkenntnisse haben katholische Kreise Italiens in altbekannter Weise reagiert: Sie haben Luzzatto, den Überbringer der unangenehmen Botschaft kritisiert und attackiert und ihn – bezeichnenderweise – als „bösen Juden“ verdächtigt. Der Pater Pio Kult, der auch einiges an Gewinn abwirft, darf offenbar nicht gestört werden. So verbreitet seine Radiostation auch noch das müde Beten des sterbenden Helden:

7. O TON, insges., 0 40“, Pater Pio betet Vater Unser, freistehend ca. 0 07“

Sprecher:
Pater Pios Frömmigkeit war nicht nur naiv und schlicht, sie war durchsetzt von Ängsten vor dem Teufel. Immer wieder warnte der Stigmatisierte vor diabolischen Mächten, auch darauf weist  Professor Luzzatto nachdrücklich hin:

8. O TON, 0 15“.
Übersetzer:
Der Teufel hat auf diesem Weg zur Heiligkeit eine wichtige Rolle gespielt, man denke an die große Versuchung. Und wenn man über Pater Pio forscht, dann muss man auch diese Beziehung zum Teufel zum Schwerpunkt machen.
(frei übersetzt: „kann man sich „nur“ mit dessen Beziehung zum Teufel befassen.“ )

Sprecher:
Am 23. September, soll in allen katholischen Kirchen nicht nur in Italien der Heilige Pater Pio gefeiert. Die Gläubigen können sich im Gebet an ihn wenden und um Hilfe und mit diesen Worten um Beistand bitten. „Heiliger Pater Pio, bitte für uns!“

Bücher von Prof. Luzzatto:
„Padre Pio. Miracoli e politica nell` Italia del Novecento“.
Edit.: Einaudi, 419 Seiten.   Eine englische Übersetzung ist in Vorbereitung.

Auf Deutsch hingegen liegt von Sergio Luzzatto das wichtige Buch vor über den Diktator MUSSOLINI:
„Il Duce. Das Leben nach dem Tod“., Eichborn Verlag 2007.