“Laien gibt es nicht“

“Laien gibt es nicht“

Holland: Die katholischen Gemeinden sollen aus ihren eigenen Reihen die Vorsteher für die Eucharistie wählen

Von Christian Modehn
Mskr. abgeschlossen am 21. Nov  2007

Einmal im Jahr wählt die Gemeinde „de Duif“ („Die Taube“) an der Amsterdamer Prinsengracht ihre liturgischen Leiter für die Eucharistiefeiern. „Ich wurde mehr als zehnmal in diese Funktion gewählt“, berichtet Diana Vernooij (50), „es ist ein Ehrenamt, das ich mit anderen zusammen abwechselnd ausübe. Ich werde auf Niederländisch „Vorganger“  , also „Vorausgeherin“ bzw. „Verantwortliche“ genannt“.
Diana Vernooij ist Philosophin und Theologin, sie hat ein Meditationszentrum geleitet. Zur Zeit arbeitet sie als Managerin eines Sozialwerkes für „begleitetes Wohnen“. Nebenbei ist sie noch Redakteurin der buddhistischen Zeitschrift „Form und Leere“ und in einem feministisch – theologischen Netzwerk engagiert. Diese vielfältigen Interessen spiegeln sich auch in ihren Predigten wider: Diana Vernooij wählt manchmal auch Texte buddhistischer oder islamischer Traditionen aus und stellt sie in Beziehung zur Sonntagsperikope der Bibel.  Zum Team der acht „Vorgänger“ der Duif – Gemeinde (darunter fünf Frauen)  gehören nur so genannte „Laien“, nur zwei sind Fachtheologen. Sie sprechen den Segen über Brot und Wein, sie verteilen die Gaben an die Gemeinde. Auch für Bestattungen, Eheschließungen und Taufen sind sie verantwortlich. Dieses Amt der ehrenamtlichen liturgischen Leiter hat sich in „de Duif“ seit etwa 25 Jahren bewährt, wobei der klassische Begriff Eucharistie hier sehr selten verwendet wird: Die Gemeinde ist der Überzeugung: „Eucharistie“ sei heute noch zu stark an das alte hierarchische Kirchenbild des zölibatären „Amts-Priesters“ gebunden. Aber „de Duif“ ist keine „Ketzergemeinde“: Sie ist Mitglied im offiziellen Amsterdamer Kirchenrat und Teil der kirchlichen Basisbewegung.
Diese Gemeinde hat wohl auch die Leitung der niederländischen Ordensprovinz der Dominikaner zu weit reichenden Überlegungen inspiriert: Sie hat in einer Broschüre „Kirche und Amt, Unterwegs zu einer Kirche mit Zukunft“ Ende August 2007 veröffentlicht. Der Vorschlag der Dominikaner zielt auf grundlegenden Wandel der katholischen Kirchenordung: Die Pfarrgemeinden sollen sich die Freiheit nehmen, aus ihren eigenen Kreisen fähige Leiter der Eucharistie bzw. der „Feier von Wort und Tafel, also der Feier von Brot und Wein“, zu wählen. Die Dominikaner wissen, dass 90 Prozent aller holländischen Priester (bei einem Durchschnittsalter von siebzig Jahren) in absehbarer Zeit nicht mehr unter den Lebenden sein werden. Um dem Glauben eine Zukunft zu geben, sollen jetzt die 1.500 Gemeinden selbst ihre Amtsträger demokratisch wählen: „Laien gibt es für Katholiken nicht. Alle Glaubenden sind Priester, alle können Brot und Wein verwandeln, als ein Symbol dafür, dass wir alle unser Leben mit einander teilen müssen“, sagt Pater Jan Nieuwenhuis (Foto von mir liegt vor), einer der Autoren . „Natürlich ist eine gewisse Ausbildung und menschliche Reife erforderlich, wir wollen mit unserem Vorschlag dafür sorgen, dass in allen Gemeinden jeden Sonntag Eucharistie gefeiert werden kann. Es darf nicht bei den bischöflich propagierten Notlösungen bleiben, dass Laien das schon früher irgendwann einmal von irgendeinem Priester verwandelte Brot der Gemeinde bloß verteilen“.
Den Text hat der Dominikanerorden allen katholischen Pfarrgemeinden und den Bischöfen zu Diskussion und Inspiration zugesandt. Die Dominikaner wünschen ausdrücklich, dass die Bischöfe diese gewählten Laien öffentlich beauftragen, also „ordinieren“, so wie auch die etwa 360 PastoralassistInnen rechtmäßig der Eucharistie vorstehen sollen. „Der kleine 40 Seiten starke Text ist eine kleine Revolution“, hieß es in ersten Stellungnahmen. “Aber diese alte Kirchenordnung ist nur relativ“, betonen die Dominikaner, „es können in unserer heutigen demokratischen Kultur neue Kirchenordnungen von der Basis entstehen. Für uns ist Eucharistie dann gegeben, wenn beim Gebet Brot und Wein geteilt werden zum Gedächtnis von Jesus von Nazareth und seiner Botschaft, darin wird ER gegenwärtig“.
Der heftige Widerspruch der Bischöfe gegen diese mutige Neuinterpretation der Eucharistie ließ nicht auf sich warten: So mussten die Dominikaner einen bereits vorbereiteten Studientag zum Thema absagen. Aber sie ließen sich nicht entmutigen: Sie überließen die Initiative jetzt der progressiven „Marienburgvereinigung“ sowie drei Amsterdamer Gemeinden: Mit vereinten Kräften haben sie im November einen neuen Kongress ausgerichtet: 550 TeilnehmerInnen kamen in der Dominikus Kirche von Amsterdam zusammen. Nicht alle wollten sich den radikalen Vorschlägen anschließen. “Wir möchten doch keinen Bruch mit den Bischöfen“. Alle Teilnehmer bedauerten allerdings, dass sich kein „Oberhirte“ in der Dominikus Kirche blicken ließ, um eigene Vorstellungen zum Überleben der Gemeinden vorzutragen. „Die Bischöfe lassen uns allein bei der Suche nach neuen Ämtern in der priesterlosen Zeit“, sagten einige Teilnehmer. Der Theologe Eric Borgmann (Universität in Tilburg) vermutete hinter dem Vorschlag der Dominikaner etwas eigenmächtiges menschliches Denken und Handeln und zu wenig Achtsamkeit auf die göttliche Gnade…Aber diese Stimmen waren in der Minderheit.
Die meisten Teilnehmer waren doch beeindruckt, dass neben der Gemeinde de Duif auch die Dominikus Gemeinde und die „Studentenekklesia“ (beide Amsterdam) aus ihren eigenen Reihen die „Vorganger“ bereits seit Jahren wählen: Die Dominikus Gemeinde hat etwa 600 Mitglieder: „Ich war hier schon als Journalist Vorganger“, sagt Pieter van Hoof, „inzwischen bin ich in der psychologischen Beratung engagiert. Ich bin auch Theologe und will in der Gemeinde die Ökumene jetzt leben. Wir gehen auf den ursprünglichen biblischen Geist zurück, deswegen haben wir bei uns auch katholische und protestantische Vorganger“. Die Gemeinde beschäftigt aus eigenen Mitteln auch zwei hauptamtliche Pastoren, zwei Frauen, die als Theologinnen  die Seelsorge in der Gemeinde leiten. Der dritte Mitorganisator des Kongresses ist die „Studentenekklesia“. Sie ist im ganzen Land berühmt, weil dort der Poet und Theologe Huub Oosterhuis wirkt; dessen Lieder sind „die“ zeitgemäßen biblisch geprägten Gesänge für viele Gemeinden im ganzen Land.
Aber alle Teilnehmer wussten: Die drei Gemeinden gehören nicht mehr zur offiziellen katholischen Kirche. Sie sind zwar Mitglieder im Amsterdamer Rat der Kirchen, aber ihre gottesdienstliche Praxis und ihre Theologie lehnen die Bischöfe ab. Auch ihre Kirchengebäude gehören nicht mehr dem Bistum. Die Dominikus Gemeinde hat z.B. ihr monumentales Gotteshaus aus dem 19. Jahrhundert gekauft und prächtig restauriert. Die Studentenekklesia mietet für ihre Gottesdienste den Saal einer ehemaligen Kirche, die heute Kulturzentrum ist. Und de Duif  hat nach langen Verhandelungen ihr großes Kirchengebäude der Aktiengesellschaft „Stadterneuerung Amsterdam“ übergeben, wobei de Duif noch einige Aktienanteile besitzt.
Aber können diese drei selbständigen Gemeinden Vorbild für die anderen sein? Die Dominikaner wollen mit ihrem Vorschlag keineswegs eine Bewegung Los-von-Rom inszenieren. Darum waren die Berichte etwa aus einer „normalen“ Ortsgemeinde in Nijmegen interessant: Dort leitet der Augustiner Orden die Gemeinde  „Bos-Kapelle“: „Ich bin mit 63 Jahren der jüngste holländische Augustiner. Wenn ich nicht mehr da bin, können nur andere Gemeindemitglieder, also „Laien“, die Gemeinde fortführen“, berichtete Pater Joost  Koopmans in Amsterdam. „Auf diese nahe Zukunft bereiten wir uns jetzt schon vor, wir bilden Verantwortliche aus, wir wissen: Die Gleichheit aller Gemeindemitglieder ist entscheidend. Dabei hat aber jeder und jede seine eigenen Fähigkeiten: Der eine ist Liturge, die andere ist Seelsorgerin, ein dritter ist begabt im Bereich der Diakonie. Alle klassischen kirchlichen Ämter werden von verschiedenen Personen ausgeübt“.
Die Amsterdamer Tagung zeigt erste Wirkungen: Der Weihbischof von Utrecht will über den Vorschlag der Dominikaner im Februar 2008 diskutieren. Mehr als 70 verschiedene Ordensgemeinschaften fordern jetzt einen umfassenden Dialog über die Zukunft der Kirche. In vielen europäischen Ländern gibt es Interesse an dem niederländischen Vorschlag.
Die Zeit drängt. Die Erosion des kirchlich geprägten Glaubens setzt sich in Holland unvermindert fort. 61 Prozent der Bevölkerung sind „kirchlich nicht gebunden“. Nur noch 16 Prozent nennen sich katholisch, 14 % protestantisch. An eine „höhere Macht“ als göttliches Wesen glauben noch 24 Prozent, alle anderen glauben an „irgendetwas“, oder sie nennen sich Agnostiker und Atheisten.
Und mit jungen Mitarbeitern in den Gemeinden ist kaum zu rechnen: Unter den 550 Teilnehmern beim Amsterdamer Kongress waren 10 unter 50 Jahre alt! Können diese Kreise die Zukunft der Gemeinden sichern? Das ist wohl die drängendste Frage. Das klassische „Pfarr – Gemeinde-Modell“ ist bei vielen ohnehin überholt. Junge Menschen, auch „Kirchenferne“, interessieren sich für spirituelle und theologische Kurse in Klöstern und Bildungszentren… Aber die meisten Teilnehmer der Amsterdamer Tagung haben sich  untereinander vernetzt und wollen den Vorschlag der Dominikaner umsetzen. Sie möchten neue Strukturen selber schaffen. Die in Deutschland und Österreich bekannten Debatten zum Kirchenvolksbegehren, die Unterschriftensammlungen mit den ewig selben Forderungen, haben in Holland keine Chance. (bitte diesen und den folgenden Satz nicht kürzen, sozusagen mein „Herzensanliegen“!)  „Die holländischen Katholiken wollen NEUES ganz praktisch jetzt machen, die neue Kirche beginnt, sie ist da“, sagte Pater Jan Nieuwenhuis etwas enthusiastisch in der Amsterdamer Dominikus Kirche. Und: Immerhin sorgen die Vorschläge der Dominikaner, ob gewollt oder nicht, für eine weitere Annäherung an die protestantischen Kirchen und ihre Auffassungen vom kirchlichen Amt.