Argentinien und die Last der Vergangenheit, veröffentlicht 2007, sowie – weiter unten – ein aktueller Hinweis zum Bündnis von Diktatur und Kirchenfürsten.
Dem argentinischen Pfarrer Christian von Wernich wurde nachgewiesen, an 31 Folterungen teilgenommen zu haben, an 42 Entführungen war er beteiligt und vor allem: er ist für den Mord an 7 Gefangenen verantwortlich. Als Gefängnispfarrer und Geistlicher der Polizei hat er freiwillig den mörderischen Weisungen des Diktators Folge geleistet und dabei seinen Glauben verraten. Wird die katholische Kirche in Argentinien jetzt genötigt, ihre eigene Geschichte während der Militärdiktatur von 1976 bis 1982 kritisch aufzuarbeiten? Christian Modehn berichtet (für den NDR).Der mörderische Priester fühlt sich nach dem Urteil in der Einschätzung seiner Aktionen nicht nur missverstanden, er sei sogar unschuldig: Schließlich hätte er zusammen mit den Militärs nur das Beste „für Gott und das Vaterland“ getan. Diese Formulierung kennen die Argentinier. Auch die Bischöfe haben diese Floskeln immer dann öffentlich verwendet, wenn sie die Militärs angesichts der Verschleppungen und Folter, des Mordes und Verschwindenlassens reinwaschen wollten. Mindestens 20.000 Menschen wurden zwischen 1976 und 1982 in Argentinien umgebracht, weil sie angeblich als Linke und Revolutionäre Recht und Ordnung zerstören wollten. Dabei hatten die Militärdiktatoren sich längst über jeglichen Respekt der Menschenrechte hinweggesetzt. Aber die meisten Bischöfe und Pfarrer konnten sich mit dem Staatsterror anfreunden, weil sie glaubten, nur so könne die angeblich kurz bevorstehende Revolution verhindert und der größte Feind, der Kommunismus, besiegt werden. Auch der Priester – Mörder Christian von Wernich glaubte diesem Wahn mehr als dem Evangelium. Es gab einige katholische Laien, etliche Priester und Nonnen in Argentinien, die der Militärdoktrin widersprachen, sie wurden vielfach erschossen oder im offenen Meer ertränkt. Bischof Enrique Angelelli z.B. hat die Militärs offen kritisiert: Er wurde von den staatstragenden Mörderbanden in einer getarnten Aktion in einen tödlichen Verkehrsunfall verwickelt. Alle wussten, dass der Bischof ermordet wurde: Aber der Kardinal in der Hauptstadt Buenos Aires und andere Oberhirten schlossen sich ungeniert der offiziellen Interpretation der Militärs an. Die Geistlichen lobten sogar die herrschenden Mörder, weil sie die Kirche finanziell unterstützten und z.B. Theologiestudenten Stipendien zahlten. Die freundlichen Besuche Papst Johannes Paul II. bei lateinamerikanischen Diktatoren in Chile, Paraguay und eben auch in Argentinien förderten die Eindruck: Diese Herren sind doch eigentlich gute, papsttreue Christen! Als sich die Mütter der Verschwundenen, die inzwischen weltweit geachteten Madres de la Plaza de Mayo, in Buenos Aires zu ihren stillen, aber hartnäckigen Protestaktionen versammelten, fanden sie keinerlei Unterstützung durch die Bischöfe. Der leidenschaftliche Verteidiger der Menschenrechte, der argentinische Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivél, fand in der Hierarchie keinerlei Hilfe. Und als dann unter der jetzigen Regierung Kirchner endlich das Grauen der Gewalt mit allen juristischen Mitteln aufgeklärt werden sollte, wehrten sich die allermeisten Oberhirten dagegen. Sie verlangten schnell Versöhnung und Verzeihen, so, als könnte man die blutigen Jahre der Militärdiktatur einfach in einem frommen Entschluss hinwegwischen. Noch halten die Kirchenbüros in Argentinien ihre Archive geschlossen, das ganze Ausmaß der Kollaboration von Klerus und Militär kann nur geahnt werden. Aber der argentinische Staats-Präsident Kirchner lässt keinen Zweifel daran, dass es keine Amnestie für die Mörder geben wird. Die Verurteilung des mörderischen Pfarrers Christian von Wernich könnte der Anfang sein für eine umfassende Aufklärung. An diesem Horror der Diktatur hat die katholische Kirche ihre Mitschuld: Sie ließ Menschen verfolgen, die soziale Gerechtigkeit einklagten und unterstützte die herrschenden Kreise der Militärs, bloß weil sie die angeblich die gute alte Ordnung durchsetzten. Antikommunismus kann mörderisch sein, das ist die „argentinische Lektion“.
Der Nuntius und der Kardinal: Mit Diktatoren liiert. (Eintrag vom 5.8.2012)
Erst Ende Juli 2012 wurde bekannt, dass der argentinische Diktator Videla in einem Interview mit der Zeitung „El Sur“ schon 2010 über die Unterstützung seines brutalen Regimes durch hohe katholische Kirchenfürsten berichtet hat. Äußerst diktatoren – freundlich gesonnen waren der päpstliche Nuntius Pio Laghi und der Erzbischof von Buenos Aires Raúl Primatesta. Er hätte sogar vom „Verschwinden“ von zwei französischen Ordensfrauen in Argentinien gewusst … und geschwiegen. Nur zwei oder drei Bischöfe widersetzten sich offen dem mörderischen Regime. Selbst die eher „behutsame“ katholische Wochenzeitung „Christ in der Gegenwart“ (Herder Verlag) nennt diese jetzt definitiv offenkundigen Bündnisse zwischen Verbrechern und hohem (diplomatisch – vatikanischen) Klerus „ ein verheerendes Signal. (2012, Seite 340.) Es bleibt spannend zu erfahren, wie die Kirche Argentiniens diese Vergangenheit „aufarbeitet“ und wie der Vatikan über diese Komplizenschaft denkt.
Zwei Zitate aus einem Beitrag der FAZ vom 23.7. 2012, von Josef Oehrlein: “Videla sagte, er habe während der Militärdiktatur (1976 bis 1983) mit zahlreichen Kirchenvertretern gesprochen. Unter ihnen seien der 2009 gestorbene Apostolische Nuntius Pio Laghi, der damalige Kardinalprimas Raúl Primatesta (gestorben 2006) und andere Mitglieder der argentinischen Bischofskonferenz gewesen. Das Verschwindenlassen von Personen sei eine „bedauernswerte Angelegenheit“ gewesen, die man den Geistlichen als ein „schmerzhaftes Geschehen“ dargestellt habe…Die katholische Kirche Argentiniens war während der Diktatur gespalten. Die Mehrzahl der Mitglieder des höheren Klerus wie Primatesta und der Kardinal Juan Carlos Aramburu, damals Erzbischof von Buenos Aires, verteidigten das Vorgehen der Junta und verschlossen sich den Anliegen der Angehörigen der Opfer. Andere wie die Bischöfe Enrique Angelelli oder Carlos Ponce de León wurden selbst Opfer. Sie starben unter mysteriösen Umständen bei Autounfällen“.
Ein Hinweis des Religionsphilosophischen Salons (5.8.2012) zu dem damaligen Nuntius und späteren Kardinal Laghi (1922 – 2009): Er war in Buenos Aires Nuntius von 1974 bis 1980. Als Ronald Reagan 1980 zum 2. Mal Präsidenten der USA wurde, hatte Papst Johannes Paul II. die Idee, Laghi sofort in die USA zu schicken, um dort die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und den USA aufzubauen. Es war ein bruchloser Übergang aus dem Verbrecher – System nach Washington. Das nennt man „diplomatisch“. Laghi wurde denn auch der erste Nuntius in den USA. Später wurde er weiter vom Papst geehrt: Er war im Rahmen der päpstlichen „Kongregation für das Bildungswesen“ für die Ausbildung und Fortbildung von 400.000 Priestern weltweit zuständig. Später sollte er noch in päpstlichem Auftrag mit Präsident George W. Bush anlässlich des IRAK – Krieges „Friedensverhandlungen“ führen. Laghi wurde zudem Jahre lang als möglicher Nachfolger Joh. Paul II. genannt. Kardinal Laghi ließ es sich nicht nehmen, bei den üblichen römischen „Massenpriesterweihen“ des hoch umstrittenen Ordens der Legionäre Christi 2007 dabei zu sein. Das erwähnen die Legionäre nicht ohne Stolz.
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