Anläßlich der Untaten eines Massenmörders in Norwegen hat der Religionsphilosophische-Salon unmittelbar einen Diskussionsbeitrag publiziert. Heute bieten wir einige weitere kritische Gedanken zu dem Thema:
“Die Kirchen müssen sich offiziell von allen Kreuzzugs – Ideologien lösen und sich öffentlich von ihnen abkehren”
Der Mittelalter Historiker, Prof. Gerd Althoff, Münster, hat sich in einem Beitrag für die „Berliner Zeitung“ (1.August 2011, S. 27) mit dem Weltbild des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik auseinandergesetzt. Prof. Althoff weist darauf hin, dass Breivik durchaus mit dem Gedankengut der Templer vertraut gewesen sein kann, „dass er irgendwelche Vorstellungen von der Ideologie der Kreuzfahrer hatte“, schreibt Althoff. Wenn das so ist, dann gab es nach wie vor christlich inspirierte militante Impulse, die zum Massenmord geführt haben. Mit anderen Worten: Dann gibt es noch – auf welche diffuse Weise auch immer – Inspirationen zur tötenden Gewalt, die aus dem Christentum selbst stammen.
Die heute übliche Unterstellung, einzig „der Islam“ sei gewalttätig, ist also falsch. Prof. Althoff fragt: „Haben wir im Westen genügend Sorgfalt aufgewendet, das Kapitel unserer Vergangenheit, das von religiös legitimierter Gewalt handelt, als das zu bezeichnen, was es war: ein Irrweg, der die wesentlichen Gebote des Christentums missachtete? Es ist aus heutiger Sicht ein Skandal, wenn man liest, dass die Päpste den Kreuzfahrern die Erlaubnis gaben, Ungläubige zu töten. Papst Urban II. (1088 – 1099) hatte in seinen Predigten den Rachepsalm 79 in den Mittelpunkt gestellt“.
„Die Verantwortung der Päpste für die legitimierenden Grundlagen der Gewaltanwendung ist nie herausgearbeitet worden…Für das Töten im Dienste und im Auftrag der Kirche stellten die Päpste Belohnung in Aussicht, die die Aufnahme in den Himmel ermöglichten“. Nebenbei: Ähnelt diese Ideologie nicht stark einer bestimmten fundamentalistischen Ideologie heute in sogen. muslimischen Kreisen?
Prof. Althoff bemerkt, es habe in der Forschung wie auch in der Lehre der Kirche daran gefehlt, die erschreckenden Seiten kirchlich legitimierter Gewaltanwendung kritisch zu bearbeiten. „Hat sich die römisch – katholische Kirche wie die westliche Traditionskritik im allgemeinen intensiv darum gekümmert, dieses problematische Erbe zu analysieren und dann abzulehnen? Oder hat man nicht vielmehr durch Untätigkeit Raum gelassen für eine Legitimierung und Heiligung von Gewalt, in der Gott angeblich auf einer Seite stand?“
Selbst wenn heute das konkrete Wissen über Kreuzfahrer und die Segnung der Gewalt durch die Kirche nicht ausgeprägt ist: Die Ahnung, dass es religiös/ christlich legitimierte tötende Gewalt geben kann, ist schlimm genug. Die gewalttätige Subkultur in Europa zehrt offenbar von diesen Legitimierungen der Gewalt, wenn sie etwa zum „Kampf der Kulturen“ aufruft.
Im Blick auf künftige interreligiöse Begegnungen in München oder in Assisi im Herbst 2011 wäre es angebracht, nicht bloß fromme Worte aus diplomatischer Höflichkeit auszutauschen oder gar bloß versunken gemeinsam zu schweigen, wie es der Papst für Assisi vorschlägt. Dringend geboten wäre das päpstliche Bekenntnis: „Wir lehnen alle irgendwie christlich motivierte Gewalt ab! Wir betonen: Auch der Katholizismus ist ab sofort einzig der Gewaltfreiheit verpflichtet. Wir bedauern zutiefst die Verirrungen, die im Mittelalter Päpste begangen, als sie Gewalttäter segneten“.
Damit würde sich der Katholizismus entschieden auf die Seite der Menschenrechte stellen und damit ausdrücken: Menschenrechte, also Demokratie und Respekt, gelten immer und überall; sie sind grundlegend wichtiger als religiöse Gebote aus einzelnen kirchlichen Traditionen.