“Das echte Leben”. Monat der Philosophie in Holland

Was ist das „echte, das authentische Leben“?
Zum 10. Mal findet in Holland der „Monat der Philosophie“ statt.
Alle Freundinnen und Freunde der Philosophie können aufatmen: Während in Deutschland die Philosophie und das Philosophieren gesellschaftlich immer noch ein eher marginales Dasein fristen, trotz einiger „philosophischer Praxen“ und einiger philosophischer Cafés: In Holland sind die Menschen von der Philosophie begeistert. Immer mehr Verlage drucken philosophische Bücher; die sehr ansehnliche Monatszeitschrift „filosofie magazine“ erscheint nun schon im 20. Jahr und hat eine Auflage von 17.000 Exemplaren, das ist für den relativ kleinen Leserkreis der Niederlande (16 Millionen Einwohner) sehr beträchtlich. Zur „Nacht der Philosophie“ im klassischen Kulturzentrum „Felix Meritis“ in Amsterdam kamen am 8. April 800 Teilnehmer zusammen, junge und ältere Menschen, in Holland geborene „Autochthone“ wie auch viele Menschen anderer Kulturen. Gäste waren u.a. Peter Bieri, Berlin und Susan Neiman, Direktorin des Einstein – Forums Potsdam. Von abends um 8 bis bis nachts um 2 wurde diskutiert und nachgedacht; ab Mitternacht sorgten Musiker für eine Auflockerung des Denkens. Der finanzielle Rahmen für solche äußerst erfolgreichen Termine scheint gesichert zu sein: In jedem Jahr wird ein eigens geschriebener philosophischer Essay unters Volk gebracht, in diesem Jahr hat die junge Philosophin Stine Jensen ein äußerst anregendes Buch über Intimität und Freundschaft durch „facebook“ geschrieben, „Echte Vrienden“ ist der Titel des 122 Seiten umfassenden Buches, es liegt stapelweise in den Buchhandlungen und kostet nur 4, 95 Euro. Im ganzen Land finden insgesamt 200 philosophische Veranstaltungen im April statt, die Themen sind alles andere als abstrakt und verstaubt, es geht um Philosophie und popmusik, um Wahrheit und Lüge, die Auseinandersetzung mit dem Tod, Philosophie und Arbeit usw… Oft sind philosophische Cafés die Träger dieser Initiative, wie etwa die Gemeinde der protestantischen freisinnigen Kirche der Remonstranten in Haarlem, die allein vier Veranstaltungen im April anbieten. Der Philosoph Marc de Kesel diskutierte dort z.B. über die Notwendigkeit des Zweifels in jeder monotheistischen Religion. Vor 10 Jahren hat dieser Monat der Philosophie bescheiden gestartet, heute ist er aus dem kulturellen Leben in Holland nicht mehr wegzudenken. Der Erfolg verdankt sich einer kleinen, energischen Gruppe von Philosophen, die das Denken aus dem Elfenbeinturm der Universitäten befreien wollen. Sie haben Erfolg gehabt! Sie haben eine Stiftung gegründet, die ohne öffentliche Unterstützung auskommt. Den diesjährigen Preis im philosophischen Monat erhielt der Philosoph Hans Achterhuis (Universität Twente), vor allem als Anerkennung für sein neuestes Buch: „De utopie van de vrije markt“. (Die Utopie vom freien Markt).

Siehe www.filosofiemagazine.nl
www.maandvandefilosofie.nl

Die Energie indigener Kultur und Religion

Die Energie indigener Kultur und Religion: Eine bedeutende Quelle des Widerstands und der Lebensgestaltung
Alfons Vietmeier schreibt aus Mexiko
“Der andere Blick”, Ausgabe April 2011

1.
Am Sonntagnachmittag des 20. März bewegen hunderttausende ihre Arme hin zur abendlichen Sonne: Diese Menschen bewegen und schütteln Hände und Arme, sie tanzen dabei in kleinen Kreisen im Reigen. Es ist genau die Stunde des Frühlingsbeginns. Zu Füßen der großen Sonnenpyramide von Teotihuacan (etwa eine Autostunde entfernt von der Megacity Mexiko) sind es etwa 50.000 Menschen nach Schätzungen der Medien und insgesamt eine halbe Million in den verschiedenen archeologischen Zonen. “Wir füllen uns mit kosmischer Energie. Diese braucht unsere Seele: Ich selbst und wir hier und unsere Gesellschaft. Denn wir alle sind schlimm entseelt”, erzählt eine junge Frau im Interview in den Abendnachrichten. “Ich bin Biologin. Unsere Gruppe hier arbeitet in der Universität und wir wissen was los ist. Überall Gewalt, unter uns Menschen und gegen die Natur! Schaut doch mal jetzt, was in Japan passiert ist! Und vor einem Jahr bei der Erdöltiefbohrung im Golf von Mexiko… Ist das Fortschritt, wenn wir Überfluss haben, immer mehr Milliardäre …sowie schädliche Energie, Katastophen …und vor allem immer mehr Müll produzieren? Der Krebs nimmt zu und vernichtet unsere Körperzellen. Auch unsere Gesellschaft insgesamt hat Krebs. Deshalb sind wir hier. Die Weisheit unserer Vorfahren, ihre Kultur und Religion erfüllt uns mit Energie!”
Wer sind diese Hunderttausende? Es ist ein buntes Gemisch aus vielen jungen Familien und Jugendlichen die eine “Event- Atmosphäre” geniessen, viele Anhänger neuer religiöser New-Age-Bewegungen sind dabei, viele Verunsichterte aus der großstädtischen Berufswelt, die “irgendwie” spüren, dass ihr Leben immer sinnloser wird. Sie finden keine reale affektiv – solidarische Alternative in ihren Kirchen; eine wachsende Szene der “Eine andere Welt ist möglich” – Bewegungen, unter ihnen auch viele Akademiker und dann natürlich auch traditionelle indigene, also “indianische” Organisationen. Und da fast alle hier zumindest “irgendwas” an “Indio – Blut” in sich haben, ist deren Kulturerbe und ihre Utopie das Verbindende.

2.
Nach den neuesten Daten des Statistischen Bundesamtes gehören von den 112 Millionen Mexikanern etwa 15 %, d.h. über 18 Millionen Personen, zu den über 50 registrierten Indio – Volksgruppen. In Wirklichkeit ist der Prozentsatz erheblich höher, wenn kulturelle und religiöse Kriterien hinzugenommen werden. Die zahlenmäßig stärksten Volksgruppen sind beheimatet in den Bundesländern Yucatan (Maya Yucateco), Chiapas (Tzotzil, etc.), Oaxaca (Zapteken und Mixteken), Veracruz und Guerrero. In der Megacity Mexico wohnen mehr als doppelt so viele Indios wie es indianische Völker in ganz Brasilien gibt. Sie überleben und widerstehen. Ihre Zahl nimmt zu, sie haben mehr Kinder als andere. Mexiko hat also nicht nur eine reiche Indio – Vergangenheit, die in Museen zu bewundern ist, sondern eine gewichtige indigene Gegenwart. Und: Die Energie ihrer Kultur und Religion ist ganz wichtig, um die schwierigen Zeiten auszuhalten und persönliche, soziale und gesellschaftliche Zukunftsperspektiven zu vitalisieren.

3.
Worin besteht diese Energie? Die indigenen Völker in Lateinamerika haben sich über Jahrtausende, selbständig und ohne Fremdeinfluss, ihre Antworten erarbeitet auf die vitalen Grundfragen menschlicher Existenz:
Wie können wir überleben? Ökologie und Ökonomie gehen Hand in Hand, Gemeinwirtschaft gibt es ohne Privateigentum, Tauschwirtschaft ohne Gold und ohne Geld, etc.
Wie können wir zusammenleben? Es gibt ein komplexes Dienstsystem an der Gemeinschaft: Jeder ist irgendwann in jedem Dienst eingespannt; für jeden Dienst gibt es eine Feder und alle Dienste zusammen ergeben den großen Federschmuck und das Recht der Teilnahme am “Rat der Weisen”.
Wie können wir dies alles mit den kosmischen Kräften verknüpfen, die unsere Existenz ordnen? Alles, was wir sind und schaffen, ist verknüpft mit dem Ganzen und alles ist durchwoben von göttlicher Energie, die immer neu Leben schafft, erhält und erneuert.
Der Mond macht die weiblichen Dimension (Monatsregel) des Kosmos sichtbar, also alles, was mit Fruchtbarkeit, Geburt und Erhalt von neuem menschlichen Leben und dem Leben der Natur zu tun hat. Es gibt einen naturbedingten Rhythmus des Jahres und des Lebens. Es ist der Weg vom Süden (tropische Lebensfülle) in den Norden (Kälte und Tod). Deshalb gebührt der “Mutter Erde” Respekt und Pflege, denn sie erhält uns. Sie darf deshalb z.B. nicht in Privatbesitz zerstückelt oder genetisch manipuliert werden. Sie wird in einer religiösen Zeremonie um Erlaubnis gebeten, das Feld zu beackern… Das Leben von Natur und Mensch ist mittels eines Mondkalenders geordnet.
Dieser Naturrythmus wird täglich durchkreuzt von der Sonne, der männlichen Dimension des Lebens. Die Sonne geht auf (wird geboren) in Osten und geht unter (stirbt) in Westen. Die Sonne wird damit zum Ordnungssymbol für den täglichen Einsatz um ein gutes und gerechtes Miteinander. Das konkretistert sich dann im sozialen und politischen System, das das Gemeinwohl garantiert. Dies wird mittels eines Sonnenkalenders geordnet.
Beide Dynamiken durchkreuzen sich täglich und bilden das “Kreuz des Lebens”. Insofern ist die göttliche Energie immer fruchtbar in der Ergänzung zweier Kräfte: Frau und Mann, Sonne und Mond, Tag und Nacht, Leben und Tod… Es gibt nur Leben – Sinn – Zukunft im Miteinander von beiden.
Die symbolische Synthese dieser Kosmovision – Philosophie / Theologie finden wir im Quetzalcoatl – Mythos die “gefiederte Schlange”: Als Schlange lebt sie in der Erde und verkörpert Leben und Tod. Und sie bekommt Federn, d.h. Himmel und Erde integrieren sich. Transzendenz in Immanenz, und umgekehrt. Wäre das nicht dialogfähig zum Thema “Christus”?

4.
Mir geht es hier keinesfalls darum, die indigene Kultur und Religion zu idealisieren. Im realen Geschichtsverlauf hat sich eine pyramidalen Mehrklassengesellschaft herausgebildet, es gab grausame Könige, Menschenopfer und Kriege.
Aber es gab vor allem auch die Eroberung durch die Spanier: Das war ein dramatischer Schock zweier Welten, Kulturen und Religionen mit brutalen Siegern und vergewaltigten Verlierern, ein noch heute andauerndes Trauma. Der große Anthropologe und Soziologe Tzvetan Todorov hat das in seiner Studie “Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen” differenziert herausgearbeitet bezüglich der Alterität, d.h. der Schwierigkeit bis Unfähigkeit, mit anderer Kultur und Religion adäquat umzugehen. Ein wirklicher interkultureller und interreligiöser Dialog auf Augenhöhe war tragischerweise damals unmöglich und ist bis heute nicht einfach. Um von Deutschland zu sprechen: Liegt hier nicht auch heute noch ein Schlüsselproblem im Umgang mit dem Islam?
“Die offene Adern Lateinamerikas”, das berühmte, beinahe klassische Buch von Eduardo Galeano ist weiterhin gültig in seiner Grundstruktur: Der Herrschaftskontext ist fast immer auf Ausbeutung orientiert: Die offenen Adern von Natur (Bodenschätze) und Menschen (Arbeitskräfte) bluten weiter aus…
Mir ist wichtig zu unterstreichen, dass in der mexikanischen Volksseele, d.h. in ihrem “kollektiven Unbewussten” (um einen Begriff von C.G. Jung aufzugreifen), die Grundelemente indigener Kultur und Religion weiterleben, aber unerklärt und ohne entsprechendes kritisch – erneuerndes Bewusstsein. Darüber gestülpt wurden die religiösen Gebräuche spanisch – katholischen Frömmigkeit des 16. Jahrhunderts und Katechismusnormen der Gegenreformation, Beides als das neue “Über – Ich”.
So entstand die typisch mexikanische Volkfrömmigkeit. Für die Menschen, insbesondere wenn sie arm, unterdrückt und ohne Schutz leben, sind religiöse Ausdrucksformen (Zeichen und Riten) notwendig, um so Vitales wie Geburt und Tod, Krankheit und Konflikten, die Freuden einer Hochzeit oder einer gelungenen Ernte mit dem Göttlichen zu verbinden und Gnade zu erfahren. Was als heilsam erfahren wurde von der ererbten Religion (und nicht direkt verboten bzw. verteufelt wurde), das wurde beibehalten. Und was von der neuen (christlichen) Religion nicht als Widerspruch zum Traditionellen erlebt wurde, das wurde integriert. Das Ergebnis ist viel Synkretistisches. Ich möchte das kurz erläutern an den beiden Ursymbolen “Mond” und “Kreuz”:
Das göttlich Weibliche als Urenergie hat sich in der Mariengestalt, der “Señora de Guadalupe” verdichtet. Sie ist “Gott und Mutter”, die immer hilft, wenn Not ist. Sie tröstet, heilt und ermutigt. Ihr Heiligtum steht auf einem vorspanischen Wallfahrtsort der “Mutter Erde” (Tonantzin). Es gibt kaum eine Familie, kaum ein Taxi, einen Markt oder oder ein Geschäft, beinahe alle verehren ihr Bild in einer Art “Herrgottswinkel”. In dieser Mariengestalt und mit ihr humanisiert sich unser familiärer und sozialer Alltag. Sicher hat das Tröstliche viel mit Verdrängung zu tun. Hier wird deshalb die Wichtigkeit der Basisgemeinden und der befreienden Erziehung (Paolo Freire) deutlich.
Das göttlich Männliche hat sich in verschiedenen Figuren des “Gekreuzigten” verdichtet: Er ist “Gott und solidarischer Bruder”. Sein Erleiden von Gewalt ist auch unsere brutale Alltagserfahrung. Er nimmt sie in sich auf und verwandelt sie in positive Energie. In ihm und mit ihm humanisiert sich unser gesellschaftliche Alltag und wächst die österliche Kraft des immer neuen und befreienden Auferstehens inmitten von Ungerechtigkeit aller Art.
5.
Die vitalen Grundfragen menschlicher Existenz bleiben, auch wenn sie neue Ausdruckformen bekommen und neue Organisationsformen benötigen.
Im Blick auf die großen ökologischen Katastrophen: Wir Menschen müssen begreifen, dass wir nicht über die Natur herrschen, um sie beliebig auszubeuten. Wir sind Teil eines umfassenderen Ökosystems und es ist dringend not-wendig, uns mit unserer “Mutter Erde” zu versöhnen.
Im Blick auf die wachsende Gewalt im alltäglichen Miteinander, unter den gesellschaftlichen Gruppen und in den soziopolitischen Strukturen: Wir Menschen müssen (statt immer mehr haben zu wollen und dies gegen alle anderen durchboxen zu müssen) erneut begreifen, dass nur im solidarischen Miteinander unsere Gesellschaft überlebenfähig ist.
Diese Neuorientierung beinhaltet radikale wirtschaftliche Umstrukturierungen und Veränderungen der entsprechenden politischen Rahmenbedingen. Diese sind nur möglich, wenn zugleich auch ein radikaler Bewusstseinswandel und damit ein Kulturwandel in der Bevölkerungsmehrheit sich vollzieht. Die verschiedenen Lebens- und Gesellschaftsbereiche müssen insgesamt und integral neu beseelt werden. Es geht dabei nicht um den in der griechischen Philosophie gestalteten Begriff “Seele”, sondern um Energie, die Natur mit Wirtschaft, Sozialkultur mit Politik, Kunst mit Religion, etc. wieder neu in positive Beziehungen bringt. Es geht um einen holistischen Neuansatz.
Wir in Mexiko besitzen sicher dafür nicht den “Stein der Weisen”. Wir erfahren jedoch einen Umschwung: Statt arrogant aufklärerisch auf die “armen, dummen, zurückgebliebenen, abergläubisch – frommen, naiven, … Indios” herabzuschauen, wird erneut deren Reichtum einer Spiritualität entdeckt, die verschiedenen Lebensdimensionen verbindenet. Sie ist für Millionen Menschen die reale Quelle, um den harten Alltag auszuhalten. Und sie ist zudem und immer mehr eine Art Vitalisierungskraft, um den Kulturwandel voranzubringen, der die reale Not wendet.
Copyright: Alfons Vietmeier, Mexiko.

Wenn das Kreuz politisch missbraucht wird

Das „philosophische Wort“ zur Woche
Das Kreuz – nur schöne Garnitur und eine kulturelle Kulisse

Im religionsphilosophischen Salon wird über das Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofes in Straßburg vom 18. März 2011 diskutiert. Das Thema ist schwerwiegend, weil es das Zusammenleben verschiedener Religionen und Weltanschauungen in Europa betrifft. Das Gericht hatte entschieden, dass ein Kruzifix im Klassenzimmer in Italien kein Verstoß gegen die Religionsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention sei. Ein Kreuz, als eine Art passiver Gegenstand, könne, so hieß es, keine direkte, aktive religiöse Werbung darstellen.
Uns irritiert der Jubel aus politischen Kreisen zu diesem Urteil:
Das „europäische Volksgefühl“ habe gesiegt, sagte z.B. der italienische Außenminister Franco Frattini, nach dem Urteil. Frattini gehört zur Partei Berlusconis „popolo della liberta“, dieser Fusion mehrerer Parteien, zu denen auch die Neofaschisten gehören. Diese Partei Berlusconis ist unter Katholiken und bis jetzt auch im Vatikan beliebt…
Aber was ist das „europäische Volksgefühl“? Der Name klingt merkwürdig: Erinnert er nicht an die 1930 Jahre, an das „gesunde Volksgefühl“, das bekanntlich höchst ungesund und für die Juden und Sintis und Homosexuellen höchst tödlich war? Dieser Begriff Frattinis ist heute obsolet, ja unrealistisch, weil in Europa heute auch mindestens jeder Dritte konfessionslos ist oder sich von der römischen Kirche distanziert. Die Konfessionsstatistiker sprechen eine deutliche Sprache. Der Islam ist Teil Europas und das Judentum auch, das ja bekanntlich auch nicht so viel Wert legt auf Kreuzesdarstellungen.
Wir haben den Eindruck: Das Urteil aus Straßburg wird instrumentalisiert, um eine bestimmte „weiße“ und kirchlich – vatikanisch gebundene Kultur zu verteidigen. Die Kreuzes – Liebe des Berlusconi Freundes ist pure politische Taktik. Das Kreuz als Symbol des erniedrigten, leidenden Jesus von Nazareth, des Freundes aller Armen und Ausgegrenzten, wird sozusagen seines Inhaltes beraubt. Es wird zur Kulisse, es wird ein belangloses Schmuckstück, wie man es auch aus bayerschen Kneipen (und christlichen Parteibüros) kennt. In den Kneipen am Stammtisch, im Schatten des Gekreuzigten, geht es ja bekanntlich oft nicht sehr „jesuanisch“ zu, im Sinne eines Eintretens für die Geschundenen dieser Welt, etwa Obdachlose, Flüchtlinge, sogen. Randgruppen. Religiöse und spirituelle Symbole sind aufgrund ihrer All – Präsenz in der Öffentlichkeit zu Verbrauchsgegenständen geworden. Wenn in Cafés, Frisörsalons oder Buchhandlungen als „Zierde“ eine Buddha Statue steht, bedeutet das ja auch nicht: Dass all diese Menschen den Weisungen des Erleuchteten folgen (wollen). Buddha ist wie das Kreuz Massenware geworden. Wer die Kruzifixe in öffentlichen Räumen heute verteidigt, verteidigt also ein Stück Folklore, ein Stück Schnitzkunst, das keinen religiösen Inhalt vermittelt.
Diese Meinung wird weiter unterstrichen durch frühere Urteile in Italien: Das Kreuz sei Ausdruck nationaler Identität, das Kreuz habe einen quasi weltlichen Gehalt, heißt es da. Das höchste Verwaltungsgericht des Landes, der Consiglio di Stato, hatte erklärt: Das Kreuz symbolisiere zivile Werte, die typisch für Italien seien, genannt wurden: Toleranz, Grundrechtsgewähr, Abkehr von Diskriminierung usw… All das wird ja sozusagen im Schatten des Kreuzes von der Berlusconi Regierung bekanntlich in ihrer völligen Lauterkeit, Wahrhaftigkeit und moralischen Strenge im Geiste der Bergpredigt realisiert, das wissen ja inzwischen alle. Deswegen steht Berlusconi ab April vor Gericht.
Das Merkwürdige, ja Skandalöse ist, dass viele Kirchenführer mit diesem Urteil aus Straßburg höchst zufrieden sind. Sie lassen es offiziell zu, dass das Kreuz zu einem harmlosen zivilen Gegenstand weiterhin benutzt wird, als Symbol für Regierungen, die alles andere als menschenrechtsfreundlich sind, die auch nichts wissen, von der Bergpredigt Jesu, denen das Evangelium völlig egal ist, siehe Asylpolitik usw… Für Kardinal Peter Erdö, Budapest, Opus Dei Mitglied, und Präsident der europäischen Bischofskonferenzen CCEE, gehört die Präsenz religiöser Symbole an allen (!) öffentlichen Orten zur kulturellen Identität. Noch weiter geht Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des päpstlichen Rates für die Neuevangelisierung Europas! Er deutet das Straßburger Urteil als das “vielleicht schönste Geschenk zum 150. Geburtstag Italiens“. Und weiter: Die Zulassung der Kreuze in den Schulen habe das Verhältnis zwischen den Institutionen und dem Volksempfinden (!) wieder in Ordnung gebracht, sagte Fisichella in einem Interview mit der Mailänder Tageszeitung “Corriere della Sera” vom Samstag. Der päpstliche „Neuevangelisierer“ glaubt: Die Bedeutung des Richterspruchs gehe weit über Italien und Europa hinaus.
Im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon wurde weiter diskutiert, ob es denkbar wäre, wenn die Kirchen darauf dringen, das Kreuz nur noch in christlichen, kirchlichen Räumen zu zeigen. Ganz verzichten können die Kirchen wohl nicht mehr auf dieses Symbol. Die ersten Christen hatten ja bekanntlich andere Symbole, etwa den Fisch als Symbol für Christus. Und die reformierten Kirchen sind sehr sparsam mit der Verwendung des Kreuzes, die Remonstranten Kirche in Holland verwendet es fast gar nicht! Und zwar zu recht, weil das Kreuz als Symbol eben auch negativ –auch historisch – belastet ist! Kann denn das treffende Symbol für einen lebendigen Christus der Leichnam am Kreuz sein? Das Kreuz (mit Korpus) ist längst kein befreiendes Symbol mehr. Darüber kann man doch diskutieren und neue Möglichkeiten auszutesten, meinen Mitglieder des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons. Wann wird es ein Symbol geben für eine Menschheit, aus allen Religionen und Weltanschauungen, ein Symbol, in dem sich alle als Menschen wiederfinden. Klassische religiöse Symbole, auch das Kreuz, grenzen aus und schaffen oft Unfriede.
Eine weitere Frage: Wenn man sich schon Symbole in Schulen und Kneipen und Parteibüros hängen will: Da gibt es heute sicher wertvollere Symbole, in denen sich die ganze Menschheit wieder findet, denn auf das Verbindende, nicht auf das Ausgrenzende kommt es doch wohl an. Es wären Symbole, die die Sehnsucht nach einer friedlichen und gerechten Welt darstellen, etwa der Regenbogen. Darüber wäre jetzt zu reden. Warum tun das so wenige? Wovor hat man Angst?

Eine lebendige Welt weitergeben – Herausforderungen nach dem “11.9”.

Eine lebendige Welt weitergeben
Perspektiven von Herman Verbeek (Gestorben am 1. Februar 2013 in seiner Heimatstadt Groningen, dort geboren 1936). Bitte beachten Sie auch einen weiteren Beitrag zu Herman Verbeek, klicken Sie hier.

Dieser Text von Christian Modehn wurde 2011 veröffentlicht:

Verschiedene Leser unserer Website fragten, ob es Neuigkeiten über den niederländischen Dichter, Priester – Theologen und (ehem.) Politiker der Grünen Herman Verbeek  gibt.
Er ist ein Mystiker, der direkt bezogen ist auf die politischen – ökologischen Verhältnisse und Katastrophen. Über Herman Verbeek wurde früher schon in www.religionsphilosophischer-salon.de (Rubrik Denken und Glauben) berichtet. Weiter unten finden Sie ein Gedicht von Herman Verbeek in der Übersetzung von Arnold Dörr, Berlin.
Seine jüngsten Äußerungen können ein philosophisch-spiritueller Impuls sein angesichts der Katastrophe in Japan.

Herman Verbeek nennt sich selbst „ein Mönch“. Kürzlich sagte er in der ökumenischen Zeitschrift „VOLZIN“ (Utrecht):
„Der Mönch ist eine Art Metapher für den Menschen, der allein sein möchte. Dieses Allein- Sein hat eine positive Seite: Es geht um das EINS SEIN mit der Erde. Der Mönch hat sich von sich vom Himmel zur Erde gewendet. Er betet nicht länger den Himmel an, denn der ist leer. Er hat Ehrfurcht vor der Erde und lebt mit ihr. Die Erde ist das einzige, was wir haben, alles Leben geht darauf hervor und kehrt dahin zurück. Wer das leugnet und die Welt als eine lebendige Welt nicht weitergibt an die kommenden Generationen, der begehrt die Erbsünde. Der Mönch sieht den Menschen nicht länger als die “Krone der Schöpfung“, sondern eher als die gefährlichste Gattung auf dieser Erde. .. Der Mönch zeigt an, was die Menschen der Erde antun, er löst sich davon, er ist ratlos. Aber die Erde sagt: Wehr dich, steht auf. Und jemand, der jetzt sagt: Die Erde spreche nicht, der hat keine Ohren.“

„Der Mönch und die Erde“ ist auch der Titel eines neuen Lieder – Zyklus von Hermann Verbeek. Auf drei CDs sind jetzt 51 Lieder von ihm versammelt: „De monnik en de aarde“. Dieses Werk wurde am 27. Februar 2011 in der Pepergasthuiskerk in Groningen präsentiert. Auch diese Kirchgemeinde verdient viel Aufmerksamkeit: Sie ist eine freie überkonfessionelle ökumenische Basisgemeinde, (siehe: www.ovg-web.nl )

Mit dieser ökumenischen Gemeinde ist Herman Verbeek als katholischer Priester seit Jahren eng als Prediger verbunden. Sie ist eine von mehreren ökumenischen Basisgemeinden in den Niederlanden. Diese Gemeinden haben sich entschieden, ihren eigenen Weg zu gehen und nicht mehr zu hoffen, dass etwa Rom gnädigerweise – etwa nach Unterschriftensammlungen – Reformen erlaubt. Wahre Kreativität kann man in diesen Gemeinden in Holland finden (von denen in Deutschland niemand etwas wissen will)

Herman Verbeek:
Der Mönch und die Erde

Er kniete auf der Erde,
Tränen fielen auf den Boden,
er kniete sieben Mal,
worauf er täglich stand.

Jahreszeiten, Jahre und Jahrhunderte,
die der Mensch um die Erde ging.
Das Wissen ist Gewissen,
Mensch, wo bist du, Erdenbürger?

In roten, gelben, schwarzen Farben
sah er Feuer von Menschenhand,
sah Stürme über Wüsten,
sah Flutwellen über Land.

Er keuchte schweren Atems,
die Lungengeschwulst schmerzte,
er wusste, dass er ersticken würde
und kein Mensch sollte Schuld daran sein.

Er sah die Reichen lügen,
die Fortschritt predigten,
das Schneller, Höher, Weiter,
blind gesprochenes Wort, das bricht.

Er kniete auf der Erde,
bat um Vergebung, küsste sie.
Steh auf, sprach sie und wehre dich,
ratlos sah er sie an.

Übersetzung: Arnold Dörr, Berlin

“Wo war Gott in Japan am 11.März ?”

Im “Philosophischen Wort zur Woche” diesmal einige Reflexionen aus aktuellem Anlaß. Von Christian Modehn.
„Wo war Gott in Japan am 11. März 2011?“
Als Motto für diese Überlegungen wurde am 23.3. 2011 noch ein Satz des Sozialphilosophen Oskar Negt eingefügt, aus einer Rede, die er anläßlich der Verleihung des “August Bebel Preises” am 21. 3. in Berlin hielt. Oskar Negt sagte:
“Fortschritt heißt heute, sich einem verhängnisvollen Lauf in den Weg zu stellen, die Notbremse zu ziehen”.

Im religionsphilosophischen Salon wird die Frage diskutiert, in welcher Weise das Erdbeben in Japan mit dem Tsunami und der AKW Katastrophe (am 11. 3. 2011) auch ein philosophisches Thema ist. Hat die Katastrophe etwas mit der klassischen philosophischen “Theodizee” zu tun?
Wahres Philosophieren ist immer auf gegenwärtige Ereignisse bezogen. Denn das grundsätzliche Nachdenken stellt sich JETZT ein und verlangt Aufklärung, so sehr auch Philosophen gern den (abschließenden?) Überblick behalten und die „Eule der Minerva“ lieben, die in der Dämmerung aufsteigt, wenn die Ereignisse in weiterer Ferne sind (Hegel liebte dieses Bild).
Ein katastrophales Erdbeben war schon einmal Thema der Philosophie: Das große Erdbeben von Lissabon (1755) nahmen auch prominente Philosophen zum Anlass, ihre Philosophie der kritischen Aufklärung zu vertiefen und auch unters Volk zu bringen; bestes Beispiel dafür ist der Roman „Candide“ von Voltaire (1759). Darin wird mit der populären Vorstellung (von Leibniz entwickelt) abgerechnet, die Menschen „lebten in der besten aller denkbaren Welten“.
Nach dem Erdbeben von Lissabon hat die Philosophie der Aufklärung einen neuen Schwung erhalten, bis hin zur Überzeugung Kants, von Gott und seinem Verhalten zur Welt nichts wissen zu können (was für Kant nicht heißt, dass wir darüber nicht vernünftig denken (!) können). Aber Kant überließ die Verdeutlichung dieser Fragen der Welt des Glaubens (die freilich auch von gewissen Grundregeln der Vernunft strukturiert sein muss, will sie sich nicht lächerlich machen).
Das Thema bleibt: Was ist das für ein Schöpfergott, der solche Naturkatastrophen mit so vielem Leiden zulässt?
Der Philosoph Theodor W. Adorno dachte auch zeitbezogen, als er im Blick auf eine von Menschen (!) angerichtete Katastrophe, auf den Holocaust, meinte: Dieser würde eine grundlegende Transformation der Philosophie bedeuten. Seine „Negative Dialektik“ (1966) ist von dieser Stimmung geprägt.
Selbst in der Theologie wird jetzt oft der Topos „nach Auschwitz“ verwendet, etwa von J.B. Metz; eine konkrete, spürbare und deswegen schmerzhafte Umstellung der Kirchen zugunsten der Leidenden und der neuen „Holocausts“ (vom Westen zugelassenes Hungersterben z.B. in Darfur, in Ruanda usw.) hat freilich nicht stattgefunden. „Nach dem Holocaust“ blieb ein hübscher Topos für Sonntagsreden und Dissertationen.
Welche Perspektiven kann denn das Philosophieren bieten angesichts der Natur – Katastrophe und der Atom Katastrophe in Japan vom 11. März 2011?
Bleiben wir bei dem Erdbeben und dem Tsunami:
Alles Denken muss „unten“, beim Menschen, beim Selbstbewusstsein des Subjekts, ansetzen. Wir können doch nicht bei irgendwelchen Eigenschaften des himmlischen Gottes beginnen und ihn mit seiner Welt konfrontieren, das wäre obsolet.
Es ist also unsinnig, von vornherein den Topos der „gütige Gott“ ins Feld zu führen und ihn mit der Katastrophe unmittelbar zu konfrontieren: „Wo war Gott in Japan am 11. 3. 2011?“ ist also eine dumme, weil unvernünftige Frage. Sie kann nur von den einzelnen Betroffenen je für sich persönlich beantwortet werden.
Philosophisch gilt: Wer bei der Selbstreflexion des einzelnen ansetzt, muss zuerst feststellen: Das Subjekt selbst und die ihn umgebende Welt, ja die Welt im ganzen, sind endlich, sind begrenzt, sind unvollkommen. Wir leben definitiv in einer unfertigen und einer nicht restlos beherrschbaren Welt. Die von uns erkannten Naturgesetze gelten offenbar nur für einen begrenzten Rahmen, nicht aber für die Berechnung und Abwehr von Erdbeben und Tsunamis.
Den Gedanken an Gott gilt es in diesem Zusammenhang immer noch fernzuhalten.
Diese unvollkommene und endliche Welt ist die Basis für alle weiteren philosophischen Reflexionen. Diese Situation hat Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Menschen: Seine Autonomie, also Selbstbestimmung, ist begrenzt. Es wäre aber ein Fehlschluss, häufig von Frommen propagiert, nun gegen jegliches Bemühen um die begrenzte Autonomie zu verteufeln.
In den verschiedenen religiösen Texten haben Menschen vor vielen hundert Jahren ihre Träume und Visionen zur Weltschöpfung durch einen Gott oder Götter niedergeschrieben und diese Texte wurden dann von den religiösen Führern Gottes Wort genannt, diese religiösen Führer beanspruchen, diese Texte authentisch zu interpretieren. Diese Texte über den guten Gott und die böse Welt sind poetische Texte und sollten als solche behandelt werden, auch in historisch –kritischer Methode. Es wäre deshalb ein Wahnsinn, im Gefolge unmittelbar verstandener religiöser poetischer Texte das Erdbeben am 11. 3. 2011 eine Strafe Gottes zu nennen.
Grundlegend gilt: Diese frommen Texte können philosophisch kein Leitfaden sein. Einzelne Menschen mögen in diesen Texten ihre private Befriedigung und ihren privaten Trost durchaus finden. Sie sollen ihren privaten Glauben aber nicht als Welt-Auslegung für alle verkaufen.
Zu den AKW Katastrophen am 11. 3. 2011 und danach:
Es gibt allerdings die Möglichkeit, dass die Macht der kritischen Vernunft unterschätzt wird und nicht zur vollen Entfaltung gelangt. Im Falle enthusiastischer AKW Bauten spielt offenbar die kritische Vernunft keine große Rolle. Die grundsätzliche Bedrohung durch AKWS wird überspielt und verdrängt.
Konkret: Die Warnungen eines breiten Stroms kritischer Wissenschafter vor AKWS wurde nicht respektiert, ja selbst als unvernünftig zurückgewiesen von der Lobby der AKWS.
Sie woll(t)en ausschließlich ihren Profit machen. Der Gedanke des permanenten Fortschritts und des permanenten Wirtschaftsbooms dank AKWs wurde von weiten Kreisen konservativ Gesinnter unbefragt als der „allgemeine Glaube“ übernommen. Es wurde die fast religiös gefärbte Ideologie des permanenten Wachstums wie ein heiliges Dogma, wie ein Gott, verehrt. Man denke an die “Wallfahrten”, die stolze Franzosen gern zu ihen AKWS unternahmen…
Philosophie „nach Japan am 11. 3. 2011″: Sie muss also die Götter des Wachstums kritisieren.
Und die vielen Leidenden, die Opfer, die Verstrahlten? Was hat das Philosophieren denen zu sagen?
Zu sagen erst einmal gar nichts, sondern beizustehen, sofern das aus der Ferne möglich ist. Auch Philosophen können die Hinterbliebenen und Leidenden ermuntern, die eigene persönliche und private spirituelle Ressource zu beleben, die kann theistisch, atheistisch, skeptisch, buddhistisch wie auch immer sein.
Und im Umkreis der Philosophierenden müsste eine Art Selbstverpflichtung ausgesprochen werden, die Markt- und Wachstums Götter der Gegenwart anzukratzen, wenn nicht zu entthronen.
Finden sie dabei Unterstützung von seiten der Frommen? Der Kirchen? Oder sind sie selbst schon direkt oder direkt Verehrer dieses Wachstums Gottes und des Marktes und seiner Gesetze?
Ist Gott also böse, wenn man auf die Ereignisse in Japan am 11. 3. 2011 schaut? Diese Frage stellt sich philosophisch nicht. Philosophisch wissen wir so wenig von Gott, dass wir bestenfalls von einem göttlichen Geheimnis sprechen können und unsere eigene Sehnsucht nach Transzendenz und „Heil“ bzw. „grundlegender Rettung“ formulieren. Die philosophisch durchaus begründbare Form des Transzendieren kann das Dasein in guter Weise beruhigen und von Ängsten befreien, ohne dabei „Opium“ zu werden; diese Sehnsucht nach einer nicht endlichen Transzendenz muss alle konkreten Bestimmtheiten Gottes offen lassen. Sie befreit nicht vom politischem Eintreten gegen den Götzen des Wachstums in einer endlichen, unvollständigen und kaputten Welt im ganzen und zur Ausbildung tiefer Empathie mit den Leidenden … und deren Toten.
COPYRIGHT:christian modehn, religionsphilosophischer-salon-berlin.
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Einige eher zufällig gefundene Stellungnahmen zur Katastrophe in Japan 11.3. aus der religiösen Welt. Sie zeigen, wie Theologen und Gläubige eine Beziehung herstellen zwischen Gott und der Katastrophe bzw. den Supergau. Die philosophischen Leser können die Schlüssigkeit der Argumente sowie die verwendeten Begriffe selbst beurteilen.

„Gott, du hast unseren Glauben auf die Probe gestellt. Warum zeigst du dich als Todesengel?“
So Pfarrer Richard Horn, Evangelische Kirchengemeinde Alt – Schönberg, Berlin. Mitgeteilt in „Der Tagesspiegel“ vom 14. März 2011, Seite 12.
In einem Kirchenlied, so wird an derselben Stelle weiter berichtet, sang die Gemeinde: “Führ uns an atomarer Nacht vorüber, hilf der Hoffnung auf“.

Der evangelische Theologieprofessor Werner Thiede (Erlangen) schreibt unter anderem in einem konservativen katholischen Forum aus Österreich mit dem Namen kath net in der Ausgabe vom 15.3.
„Gerade am Kreuz des einen Gottessohnes ist darum auch ablesbar, dass Gott trotz und inmitten größten Leids sich als Liebe erkennen und festhalten lässt. Der Tod des von Gott Gekommenen offenbart, dass Gott dort nicht fern ist, wo gelitten wird. Und seine Auferstehung offenbart, dass Gott unterwegs ist, die Vergänglichkeit seiner Schöpfung zu besiegen. Am Ende wird sich zeigen, dass die vollendete Schöpfung in ihrer ewigen Herrlichkeit alles zuvor geschehene Leid weit mehr als aufwiegt…
Möge das Wort vom Kreuz nun im heimgesuchten Japan vermehrt Gehör finden – und auch hierzulande die nachdenklich Gewordenen neu bewegen!“

In demselben Dienst mit dem Namen kath net wird die Meinung einer Leserin verbreitet:
Lesermeinung, Deutzia, vor 7 Stunden
„Preiset den Herrn! Es ist seine Zeit jetzt. Die Japaner bekommen jetzt eine große Chance, sich zum Herrn hin zu wenden, alles andere hat versagt“. ( 15. März).

Die Botschaft von Papst Benedikt XVI.
“Die Bilder des tragischen Erdbebens und des folgenden Tsunamis in Japan haben bei uns allem tiefe Betroffenheit hervorgerufen. Ich möchte erneut meine geistliche Nähe mit der geliebten Bevölkerung dort ausdrücken, die mit Würde und Mut sich den Folgen dieses Unglücks stellt. Ich bete für die Opfer und ihre Angehörigen und für alle, die an den Folgen dieser schrecklichen Ereignisse zu leiden haben. Ich ermutige alle Hilfskräfte, die sich mit lobenswerter Schnelligkeit aufgemacht haben um dort Hilfe zu leisten. Bleiben wir im Gebet verbunden. Der Herr ist uns nahe!

„Wir stehen fassungslos vor der Katastrophe in Japan. Unsere Trauer verbindet sich mit der Trauer der Menschen in Asien. Ich kann nicht beantworten, warum Gott das zulässt. Aber ich bin mir sicher, dass Gott bei den Menschen ist – bei Opfern und Angehörigen und all jenen, die Angst vor der atomaren Katastrophe haben.“
Erzbischof Robert Zollitsch von Freiburg im Interview mit der Tageszeitung ‘Westfälische Rundschau’.

RWE Vorstand Jürgen Großmann im Interview:
Frage: Welcher Gedanke begleitet Sie in den nächsten Tagen?
Großmann: Wir alle können nur hoffen und beten, dass ein GAU verhindert werden kann (publiziert am 17. März 2011)
Vorher sagte er: „Die Gesellschaft muss (!) anerkennen, dass man in einem Industrieland nicht einfach so auf Kohle und Kernenergie verzichten kann, wenn man Wohhlstand und Versorgungssicherheit erhalten will“.
In: DIE ZEIT vom 17. März, s 23.

„Die Identität der Japaner ist die Selbstsucht. Es ist notwendig, diesen Tsunami als Chance zu nutzen, um die Japaner ein für alle mal zu davon zu reinigen. Das war eine Strafe des Himmels“.
So Shintaro Ishihara, rechtspopulistischer Gouverneurin Tokio, am Am Montag 14. März..
Zwei Tage später entschuldigte er sich für diese Äußerungen. Quelle: TAZ 16. März S. 5.

Helmut Schmidt (Alt- Bundeskanzler) in “Die Zeit” vom 17. März 2011, Seite 2:
Frage: Finden Sie den Begriff “biblische Heimsuchung” (im Zusammenhang der Katastrophe von Fukushima und Umgebung) völlig deplaziert?
Antwort: Für jemanden, der bibelgläubig ist oder aus anderen Gründen sich als Christ empfindet, ist das Wort nicht ganz abwegig. Für mich ist das ziemlich abwegig.