Die Würde des Menschen: Im Gehirn angelegt, aber etwas Absolutes im Menschen.

Das Buch „WÜRDE“ von Gerald Hüther
1.
Gerald Hüther, einer der bekanntesten Hirnforscher in Deutchland, argumentiert in seinem Buch über die „Würde“ des Menschen vor allem als Biologe. Zum Thema hat er einen praktischen Vorschlag, begründet in der Erkenntnis des Naturwissenschaftlers: Jeder Mensch kann seine absolut geltende menschliche Würde durch praktische, auch leibliche Erfahrungen, seit der frühen Kindheit, aufbauen und pflegen. Schon Kleinkinder machen Kontrast-Erfahrungen, erleben also Momente, in denen sie spüren: Diese Situation im Umgang mit anderen Menschen sollte es für mich nicht geben. Es gibt also etwas in unserem Gehirn, „das von ganz allein aktiv wird, wenn etwas geschieht, das nicht so ist, wie es sein sollte… Dies ist für Kleinkinder nur eine Empfindung, noch kein Wissen, sondern ein ungutes Gefühl“ (S. 113). Diese Wahrnehmungen werden zum Gehirn geleitet; und dann als Widerspruch zum Menschlichen schon vom Kind gespürt.
2.
Die Menschen-Würde kann im ganzen Leben wieder „aufgeweckt“ werden, wenn sie durch negative Erfahrungen verdeckt wurde. Wenn hingegen ein Mensch positive Erfahrungen in einer Umgebung erlebt, die Geborgenheit und Verbundenheit mit anderen lebendig erfahrbar macht, kann der einzelne seine Autonomie und Gestaltungsfähigkeit, also seine Würde, (wieder)erlangen. Diese Erfahrungen werden „im Gehirn verankert“ (S. 87). Es sind die je neu gestaltbaren „Verschaltungen im Gehirn“, die Würde erlebbar machen. „Jeder Mensch ist in der Lage, ein Gespür für das zu entwickeln, was seine Würde ausmacht. Diese Fähigkeit ist bereits im kindlichen Gehirn angelegt“ (S. 133). Wenn die ersten Erfahrungen mit anderen Menschen negativ sind, also keinen Sinn wecken für die eigene Würde, so kann es doch möglich sein, „dieses tief im Hirn verankerte Empfinden (für die eigene unantastbare Würde, CM) durch spätere, günstigere Beziehungserfahrungen wiederzuerwecken“. Mit anderen Worten: Würde ist selbst noch den lange Zeit würdelos (wie Objekte) behandelten Menschen vermittelbar. Wer seine eigene Menschenwürde kennt und schätzt oder diese Menschenwürde wieder gefunden hat, der hat einen „inneren Kompass“ zur Lebensgestaltung, betont Gerald Hüther. Dass Menschenwürde immer auch mit Rechten (und Pflichten) in Gesellschaft und Staat verbunden ist, wird meines Erachtens zu wenig in dem Buch erörtert. Wie können Menschen in dem reichen Europa heute von ihrer eigenen Menschenwürde noch überzeugt sein, wenn ihre Politik, ihre Ökonomie, zur Würdelosigkeit sehr vieler arm gemachter Menschen in Afrika führt?
3.
Ich finde die letztlich knappen Ausführungen des Biologen Hüther auch philosophisch sehr relevant: Denn so wird die philosophische Erkenntnis etwa zum Gewissen, zum Kategorischen Imperativ oder zur transzendental-notwendigen Bindung an das Gute biologisch „verortet“. Ohne dass dabei naturwissenschaftlich gesagt wird: Diese Bindung an das Gute oder diese Bindung an das Gespür der eigenen Würde, seien „nichts als“ ein materielles und deswegen manipulierbares und sogar auch auslöschbares Nerven-Geschehen. Bekanntlich ist es doch so: Wenn es einen materiellen, leiblichen „Ort“ gibt für die mit dem Menschsein schon immer mitgebrachten neuronalen Verschaltungen, dann sagt diese Herkunft nichts aus über die geistige Qualität des Erlebten, etwa der Würde. Man muss grundsätzlich „Genesis und Geltung“ unterscheiden, wie der Philosoph Vittorio Hösle betont: Mit anderen Worten: Was im Materiellen generiert wird, kann doch eine universale geistige Geltung haben. Gerald Hüther spricht vom „Ende des genetischen Determinismus“ (S. 167).
4.
Diese Erkenntnis Hüthers scheint mir besonders wichtig zu sein: Bei einem Menschen ist keine Haltung definitiv, für immer (negativ), festgelegt: Eine gerechtere, bessere Welt der würdevoll lebenden Menschen ist also möglich und als Ziel auch zu gestalten. Naturwissenschaftlich gesagt: Durch neue, das Bewusstsein der eigenen Würde stärkende Erfahrungen können die alten, negativ stimmenden neuronalen Verknüpfungen „im Gehirn ÜBERFORMT werden“, wie Hüther schreibt (vgl. S. 172).
Dabei deutet der Autor durchaus auch politische Konsequenzen an, wenn er etwa an die friedliche Revolution in Deutschland und an die politische Entwicklung danach erinnert: Die Menschen in Ostdeutschland, „müssen spüren, dass sie in der freiheitlich-demokratischen Ordnung auch von ihren Mitbürgern gesehen, wertgeschätzt und ernst genommen werden. Dass sie nicht weiter zu Objekten gemacht werden. Dass ihnen andere Menschen, auch Politiker, Meinungsmacher, Lehrer usw. so begegnen, dass das Empfinden, die Vorstellung und das Bewusstsein ihrer eigenen Würde gestärkt wird“ (S. 172).
Dabei ist Gerald Hüther realistisch: Dass sich unsere Welt tatsächlich zu einer Welt der in Würde lebenden Menschen entwickelt, ist alles andere als sicher oder gar bloß wahrscheinlich. „Es ist allerhöchste Zeit aufzuwachen“ (S. 160), betont er, und „öffentlich auszusprechen, was man (politisch, ökologisch) nicht länger hinzunehmen bereit ist. Und dafür zu sorgen, dass die Würde von Menschen nicht länger mit Füßen getreten, verletzt und untergraben wird“ (ebd.).
5.
Gerald Hüther äußert sich in dem Buch auch zur Pädagogik und möglichen Reformen der Erziehung. Und er zeigt auch Aspekte seiner Philosophie: Denn für ihn wird in der Verteidigung der Würde des Menschen deutlich: „Es gibt etwas Überzeitliches, Zeitloses, etwas Göttliches, das man nicht vernichten kann“(S. 58). Dieses unterstörbar Göttliche im Menschen ist die Menschen-Würde. Die Gültigkeit dieser Idee kann kein Mensch vernichten, selbst wenn Menschenwürde so selten erfahrbare Realität ist.
6.
Der Philosoph Franz Josef Wetz hat in seinem Aufsatz “Illusion Menschenwürde” (in “Der Wert der Menschenwürde”, Paderborn 2009, S. 45ff) darauf Wert gelegt, die Menschenwürde gerade NICHT “religiös-metaphysisch” zu begründen: Einmal, weil diese Begründung zur pluralistischen und säkularen Gesellschaft nicht passe und dann auch wegen des “zunehmend naturwissenschaftlichen Weltbildes” (S. 61). Dass gerade Naturwissenschaftler wie Gerald Hüther offenbar das Gegenteil behaupten, zeigt nur, dass es eben “die” Naturwissenschaft nicht gibt. Und auch “die” “säkulare” Gesellschaft, von der Wetz spricht, wird von etlichen Philosophen und Religionssoziologen zurecht als “postsäkulare” Gesellschaft wahrgenommen.
Aber schwerer wiegt meines Erachtens, dass Franz Josef Wetz die Auffassung von menschlicher Würde lediglich und nur als “reinen Gestaltungsauftrag” (S. 54) definieren will “ohne weltanschauliche Hintergrundannahmen”. Dabei wird überspielt: Dass die Annahmen von Wetz auch weltanschaulich geprägt sind, sie sind alles andere als “neutral” (S.61). Aber noch entscheidender ist: Wer die Geltung der menschlichen Würde, also die Würde eines jeden Menschen, aus dem Bereich der absoluten Unantastbarkeit (Grundgesetz!) heraushebt und sie lediglich als eher subjektiven “Gestaltungsauftrag” sieht, gefährdet diese unantastbare Würde. Denn Gestaltungsaufträge können je nach politischer und ökonomischer Konjunktur mal so und mal anders gedeutet und praktiziert werden. Die Menschenwürde ist aber nichts, was der gestalterischen Freiheit und Willkür bestimmter einzelner (Herrscher) überlassen werden darf. Sie ist eben unantastbar. Wetz redet Klartext: (Seite 58): Wenn er die Menschenwürde nur als Gestaltungsauftrag sieht, dann “wird die metaphysisch begründete Vorstellung von der vorgefundenen Wertabsolutheit des Menschen und der unantastbaren Heiligkeit seines Lebens hinter sich gelassen”. Man lese das Grundgesetz, das ist anderer Meinung, Gott sei Dank möchte man fast sagen.
Und: Wer würde denn leugnen, dass mit der Annahme der unendlichen Würde eines jeden Menschen, gültig bereits VOR jeder Anerkennung durch Staat und Gesellschaft, die praktische “Gestaltung” dieser Würde ausgeschlossen wäre? Die unendliche Würde eines jeden Menschen erfordert gerade die von Wetz geforderte “Gestaltung”. Aber diese Gestaltung gestaltet etwas unantastbar Heiliges eines jeden Menschen. Da darf nicht herum modelliert werden, je nach Laune der Herrschenden oder eines sich zurecht naturalistisch nennenden Philosophen wie Franz Josef Wetz. Dass er Mitglied der Giordano-Bruno-Stiftung ist, soll nur, ohne jede Polemik, der Vollständigkeit halber am Rande bemerkt werden. Franz Josef Wetz hat auch interessante Bücher geschrieben, wie etwa über Schelling…

Gerald Hüther: Würde. Was uns stark macht – als Einzelne und als Gesellschaft. Pantheon Verlag, 2019. Taschenbuch. 189 Seiten, 14 EURO.

Nietzsche neu lesen: Er öffnet Denkräume, zersetzt kulturelle Üblichkeiten

Nietzsche neu lesen

Ein Hinweis von Christian Modehn, veröffentlicht am 3.8.2019

1.
Mit einem erneuerten Verstehen Nietzsche lesen: Das fordert der Philosoph Andreas Urs Sommer (Uni Freiburg i. Br.) in seinem Essay in der Zeitschrift „Information Philosophie“, Ausgabe Dezember 2018. Sommer ist Leiter der „Forschungsstelle Nietzsche-Kommentare“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
Weil Nietzsche vor allem von vielen philosophisch Interessierten oft und viel zitiert sowie mit Schlagwörtern, wenn nicht Klischees, fixiert wird, lohnt es sich, diesen Beitrag von Andreas Urs Sommer besonders zu beachten.
2.
Seine Überlegungen sind bezogen auf seine umfangreichen Studien des „Nietzsche Kommentars“, die selbstverständlich auch die vielen Texte aus dem Nachlass berücksichtigen. Der Beitrag setzt sich mit zwei gegensätzlichen Interpretationslinien der Philosophie Nietzsches auseinander: Die beliebte „inhaltliche“ Position, die in Nietzsches Schriften feste Überzeugungen entdeckt. Und diese dann auch auf aktuelle Fragen bezieht, etwa „Tod Gottes“, „Nihilismus“, „Übermensch“. Und dann die eher „textische“ Lektüre, wie Sommer sagt, die Nietzsche nur als Verfasser von literarischen Texten versteht: Die dann von diesen Sprach-Forschern in allen philologischen Nuancen ausgeleuchtet werden.
Der Essay von Andreas Urs Sommer hat den provozierenden Titel „Was von Nietzsche bleibt“. Das ist ein Titel, der auf Abschließendes, Definitives hinweisen könnte. Tatsächlich aber will Sommer eher einen „Denkraum“ eröffnen…
3.
Der Artikel ist für LeserInnen Nietzsches wichtig, weil zentrale Differenzierungen genannt werden. So etwa Nietzsches Umgang mit Kant (S.10, in dem genannten Heft). Nietzsche habe, so Sommer, Kants Werke selbst nicht gelesen. „Nietzsches Kant ist ein Monstrum, von Nietzsche erdacht oder erschrieben als Gegner, an dem man sich messen kann, um sich in ein ablehnendes Verhältnis zu setzen…Nietzsche will einen Waffengefährten oder einen Gegner haben“. Eine Erkenntnis übrigens, die etwa schon der Philosoph Vittorio Hösle im Nietzsche Kapitel seines Buches „Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie“ (2013) mitgeteilt hatte (S. 185, auch S.190: „Nietzsche war als Philosoph nie ausgebildet“).
Wer hingegen die ganze große Fülle des Nachlasses berücksichtigen muss, wie Sommer, der wird bei Nietzsche dem stetigen mühevollen Ringen um den treffenden Ausdruck begegnen. Z.B.: „Die vom historischen Subjekt Nietzsche (dann) für publikationswürdig erachteten Aussagen über den =Willen zur Macht= stehen unter Vorbehalt. Sie haben die Gestalt eines Denkexperiments“ (S.12.) Dadurch gelangt man zu einem neuen Verstehen dessen, was Philosophie für Nietzsche bedeutet. “So hat man“, betont Sommer, “in den philosophischen Texten Nietzsches ein Philosophieren in der Hand, als permanentes Fort – und Überschreiben einmal erreichter Standpunkte, nicht als ein festes Gefüge von Gedanken, Überzeugungen, sondern Philosophieren als Prozess, als Bewegung“(S. 13). Philosophieren zeigt sich in Nietzsches Texten als etwas ungewöhnlich anderes, „es unterscheidet sich“, so Sommer, „fundamental von Philosophie im landläufigen Sinne“ (S. 14). Philosophieren widerspricht den festen Fügungen und letzten Überzeugungen, denkt Nietzsche.
4.
Was also bleibt von Nietzsche? Nichts Festes. Schon gar kein Lehrsystem. Sondern Denken als Prozess, als ständiges Aufheben und Überschreiben fester Überzeugungen (Propositionen). Große dogmatische, handlich griffige Lehrgewissheiten sind also aus Nietzsches Schriften nicht zu erzeugen und auch nicht mehr festzuhalten, so Sommer. Es sind bei ihm Denkbewegungen zu finden, bei denen der Leser Unterstützung finden kann in den umfangreichen Kommentaren, die nun von der Forschungsstelle herausgegeben werden. Dadurch wird deutlich: Selbst bei einer Vielzahl möglicher Interpretationen von Nietzsches Texten sind doch nicht alle Deutungen vertretbar. „Nietzsches Philosophie öffnet Denkräume. Es entsteht Weite. Abschließendes gibt es bei Nietzsche nicht. Diese Haltung im Denken hat etwas gegenüber der fixierenden Tradition durchaus „Zersetzendes“, betont Sommer. „Diese Zersetzungskraft rückt den Selbstverständlichkeiten abendländischer Moral – und Weltanschauungskonsense auf den Pelz. Auch das bleibt von Nietzsches Philosophie“ (S. 15).
Wie das zu bewerten ist, bleibt eine offene Frage: Das Tote, d.h. das Unmenschliche einer Kultur, kann ja gern „zersetzt“ werden: Aber wenn es dann doch – gegen Nietzsche – bleibend Gutes und Wahres gibt, warum sollte das nicht erhalten bleiben, etwa die Menschenrechte, die so oft missbraucht, aber trotzdem universal geltend für alle Menschen unersetzlich sind…
Für uns am wichtigsten: Nietzsche fördert bei seinen Lesern den eigenen Denkweg zu suchen, die eigene Praxis zu finden. Die fraglich bleibt und nur in der Bewegtheit des Lebendigen selbst das Bleibende sieht.
5.
Freilich: Bestimmte Grund – Überzeugungen“ zur Philosophie Nietzsches haben sich öffentlich durchgesetzt, haben sich als Sprüche in den Köpfen festgesetzt. So etwa die Diagnose, die er im Text „Zarathustra“ verbreitet: „Wir haben Gott getötet“. Dieser Satz gibt nach wie vor zu denken: Kann der Mensch Gott töten, wenn ja: welchen Gott, wer ist „wir“? Über Nietzsches Text „Der Antichrist“ wäre eigens sprechen (erschienen 1895). Darin „verkündet“ Nietzsche doch wohl eine neue, eine explizit antichristliche Moral? Manche Leser haben diesen Eindruck, wenn man das von Nietzsche Geschriebene ernst nimmt. Und auch dies: Die Polemik Nietzsches gegen, so wörtlich, „die Schwachen und Missratenen“, ist nicht nur antichristlich. Sie ist antihuman. Oder muss man auch bei dem Thema das nur „Vorläufige“, wenn nicht „Spielerische“ des Gesagten bedenken?
6.
Man wird also Nietzsche, dann mit den ausführlichen kritischen Kommentaren ausgestattet, sehr vorsichtig, immer mit einem Abstand kritisch lesen müssen und ihn schon gar nicht zu einem „Meisterdenker“ aufwerten, selbst wenn viele seiner Aphorismen anregend sind, zum kritischen Weiterdenken führen. Das gilt sicher schon heute, auch wenn diese großen Kommentare noch nicht vorliegen.

Siehe auch: „Forschungsstelle Nietzsche Kommentar“. 2020 soll z.B. ein Kommentar zum „Zarathustra“ erscheinen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Katholische Akademien: Orte des freien Austauschs oder nur noch Hüter von Evangelium und katholischer Tradition?

Über die Krise einer etablierten Institution: Wird sie die Freiheit hochschätzen lernen?
Ein Hinweis von Christian Modehn

1.
Katholische Akademien gehören, wie der Name sagt, zu einem besonderen „Segment“ der Gesellschaft, sie ziehen schon im Titel gewissermaßen enge Grenzen. Unvorstellbar, welche Lebendigkeit eine katholisch inspirierte, (katholisch im Sinne von „für alle“) Akademie hätte, wenn sie sich etwa „Forum für Sinnfragen“ oder „Agora der Religionen“ nennen und dies auch praktisch einlösen würde. Diese neuen Titel für einen neuen, einen reformierten Geist würden darüber hinaus dem Stand gegenwärtiger theologischer, philosophischer und religionswissenschaftlicher Erkenntnisse entsprechen und sicher auch eine andere Clientele interessieren. Wer hingegen „Innerkirchliches“ erfahren will oder die offizielle Sicht der Bibelinterpretation kennen möchte, kann in den Gemeinden informiert werden.
2.
Eine historisch-kritische Analyse des Titels „Katholische Akademie“ wäre reizvoll, er wurde schon einige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in Zeiten des „Wiederaufbaus“, erfunden. Reizvoll auch, wenn man ihn mit dem Begriff der Akademie im Sinne Platons und der späteren Rezeption in der Renaissance konfrontieren würde.
3.
Nun findet in der nur für Abonnenten der Wochenzeitung „Die Zeit“ zugänglichen Wochenzeitung „Christ und Welt“ eine Diskussion statt über die Frage: Welche Rolle spielen eigentlich die 23 in Deutschland vertretenen, im Titel, wie gesagt, auf Identität und Kirchlichkeit abhebenden „Katholischen Akademien“? Sind sie in der Krise, sind sie vielleicht doch kreativ und provokativ? So wird zu recht, von Patrick Schwartz, dem geschäftsführenden Redakteur der ZEIT, in einem Beitrag gefragt.
4.
Diese Debatte ist kein marginales Sonderthema. Sondern es bewegt doch viele, die sich mit dem geistigen Leben und der Kommunikation von Menschen unterschiedlicher Lebenswelten in der Großstadt, etwa in Hamburg oder Berlin, befassen. Und dringend Orte des vorbehaltlosen, offenen intellektuellen Austauschs, des Dialogs, wichtig finden. Dass nicht nur ich diese großen (katholischen) Akademien mit den fast immer üblichen Frontal-Vorträgen vor einem Publikum von 50 bis 100 Personen für überholt halte, hinsichtlich des Lernerfolges oder wichtiger noch der Kommunikation aller, ist ein anderes Thema. Es wäre wohl sinnvoller, die Teilnehmer lesen zwei Seiten eines Statements vorher zuhause und treten dann ins Gespräch mit dem „Spezialisten“. Aber nein: Da setzen sich hingegen mehrheitlich ältere Herrschaften in einen großen Saal und lauschen eine gute Stunde dem manchmal nicht leicht nachvollziehbaren Vortrag und dürfen dann zum Schluss einige Fragen an den Referenten stellen: Das ist Erwachsenenbildung auf dem Stand von 1960. Und dies in der üblichen hierarchischen Sitzordnung: Die zu Belehrenden schauen nach vorn auf den Herrn, die Dame, den Lehrer. Warum nicht ein egalitäre Kreis-Runde? Erst bei einem Glase Wein „danach“ lernt man sich etwas kennen und spricht miteinander. Dieses Miteinander war ja eine Grundidee der Akademie Platons.
5.
Ich meine: Viele kleine philosophisch – theologische Salons über die Stadt verstreut, wären für die Kommunikation in den so oft zu recht beschriebenen „anonymen“ Lebensverhältnissen der Großstadt hilfreicher und wichtiger. Diese vielen Gespächs-Salons, selbstverständlich außerhalb der Kirchengemeinden organisiert, könnten in Kunstgalerien, Bibliotheken, Cafés ein Zuhause finden und ein weites, auch junges Publikum interessieren.
6.
Aber die Kirche setzt nun immer noch auf repräsentative Macht, die sich in großen Gebäuden äußert, die dann im Unterhalt so teuer werden, dass man die Räume permanent an wohlhabende Kreise aus Politik und Wirtschaft vermieten muss. Es gibt tatsächlich im deutschsprachigen Raum 26 Katholische Akademien, von den jeweils eine in Italien, Österreich und der Schweiz sich befindet.

Ich sehe in den Beiträgen von „Christ und Welt“ zum Thema Katholische Akademien keine exakten Informationen: Wie viele Teilnehmer hat etwa pro Jahr hat die Katholische Akademie in Berlin oder Hamburg? Was lässt sich über den Altersdurchschnitt der TeilnehmerInnen sagen? Wie viele „junge Leute“, zwischen 25 und 40, nehmen an den Veranstaltungen teil? Macht man entsprechende Umfragen unter den TeilnehmerInnen? Und vor allem: Wie hoch ist der Etat einer katholischen Akademie, etwa in Berlin. Wie viel Geld kommt vom Staat? Darüber gibt die jährliche Finanzstatistik des Erzbistums Berlin explizit keine Auskunft, was der Pressereferent des Erzbistums bestätigt und auf Nachfrage darauf verweist, diese Akademie sei ein „e.V“. Wer finanziert also diese katholische Akademie? Und wie hoch ist der Jahresetat? Und vor allem: Ist die Differenz zwischen finanziellem „Input“ und auf Teilnehmer bezogenem Output ökonomisch und moralisch vertretbar?
7.
In der Ausgabe von „Christ und Welt“ vom 25.Juli 2019 stellen die Direktoren der Katholischen Akademien in Hamburg und Berlin ihre theologischen Grundlagen, ihr Konzept, vor. Während Stephan Loos, der Hamburger Akademie Direktor, voller Elan und Mut für die offenen „Spielräume“ eintritt, die diese Akademie lebt bis hin zum „kritischen Dialog“ auch über Themen, die für die Kirchenführung unbequem sein könnten: Er nennt das Beispiel der Homosexuellen in der katholischen Kirche, er spricht explizit von einer „Schmerzgrenze“, meint wohl auch die Abweisung etwa von Segnungen homosexueller Paare/Ehepaare. Tiere, Handys und Autos werden bekanntlich katholischerseits feierlich von Priestern öffentlich gesegnet. Das bringt mehr Freude im populären kleinbürgerlichen Milieu als die Segnung von “Homo-Ehen”. Es ist für einen Protestanten ein erfreuliches Signal, wenn Stephan Loos der „Freiheit den Vorrang“ gibt in seiner Arbeit.
8.
Ganz anders empfinde ich als – vom Studium her – katholischer Theologe und Journalist die Ausführungen des Berliner Akademiedirektors Joachim Hake. Er hat nach dem Übergang seiner Gattin Susanna Schmidt ins CDU geleitete Bildungsministerium (Schavan-Connection) sozusagen in familiärer Fortsetzung im Jahr 2007 die Leitung der Berliner Akademie übernommen. Aber diese „Kontinuität“ ist ein anderes schon früher diskutiertes Thema.
Mein Gesamteindruck des Beitrags von Joachim Hake Beitrag in „Christ und Welt“ ist: Katholische Akademien sind für ihn „keine Kanzeln für Vordenker“, haben also nicht den Ehrgeiz, Neues, Kritisches, Provokatives zu sagen. Freiheit zuerst, wie sein aufgeschlossener Hamburger Kollege sagt, ist bei Hake also nicht so zentral. Hingegen bei ihm immer wieder der Hinweis auf das Katholische, „die Kirche“ (also die Amtskirche), die Tradition. Das Wort Ökumene habe ich in seinem Beitrag nicht gelesen, auch zum interreligiösen Dialog keine Hinweise, geschweige denn von einem Hinweis auf Veranstaltungen mit und für die „Unkirchlichen“, die bekanntlich in Berlin 60 % der Bevölkerung darstellen.
Hake spricht kryptisch von Ambiguitätstoleranz, also wohl von der Überzeugung, dass so eindeutig klar die Lehren der Kirche und ihrer Tradition doch nicht sind. Er will also „Ambilvalenzen und Widersprüche“ bloß aushalten. Bloß welche Widersprüche genau? Etwa dass das Zölibatsgesetz existiert, aber dass sich so wenige daran halten können und wollen? Mit anderen Worten: Hake will sich nicht positionieren. Er will das Image (gibt es noch ein gutes?) der Amtskirche pflegen. Diese vorgebliche Neutralität dient aber letzlich immer dem Erhalt der bestehenden Herrschaftsstrukturen, das gilt allgemein, aber auch für die Kirche.
9.
Man sehe sich deswegen einmal das Programm der Katholischen Akademie in Berlin an. Das kontrastreich andere, bessere Programm in Hamburg oder im „Haus am Dom“ in Franfurt am Main, sollte man selbst im Internet aufrufen.

Ich will nur erinnern: Im Berliner Programm für den Rest des Jahres 2019 stehen Kirchenführungen in Berlin und Leipzig zahlenmäßig im Mittelpunkt. Ich frage mich als gebürtiger Berliner, der einst, noch als Katholik, alle diese doch eher schlichten Kirchengebäude besucht hat: Was ist denn an diesen Kirchenbauten aus dem Ende des 19. Jahrhunderts oder Beginn des 20. Jahrhunderts so bemerkenswert, etwa an der eher an einen Kitschpalast erinnernden St. Ludwigskirche. Interessanterweise findet in der katholischen Akademie allen Ernstes eine Tagung statt über den “Kirchbau im faschistischen Italien”. Ob Innenminister Minister Salvini, der von vielen, sicher richtig, als Faschist eingeschätzt wird, dabei sein wird, ist wohl noch unklar. Dann aber bitte auch gleich auf europäischer Ebene fortfahren und etwa die Kirchenbauten des faschistischen Generalissimo Franco, auch sein von ihm und für ihnbestimmtes Kirchen-Mausoleum, studieren. Also, im Ernst, Architektur des Faschismus in den kommenden Monaten in der katholischen Akademie Berlin. Nichts aber auch gar nichts ist bis heute (27.7.2019) zur Ökologie angekündigt… Kann ja noch kommen, wenn sich die Katholische Akademie mit den jungen Leuten in Berlin und Brandenburg von „Fridays for future“ solidarisiert und diese in ihre Räume einlädt. Davon habe ich kürzlich geträumt: Alte Katholken treffen sehr lebendige, besorgte Jugendliche! War aber ein Traum.

Auch über die St. Hedwigskathedrale in Berlin wurde 2019 diskutiert, aber nicht über den leider gescheiterten Widerstand gegen diesen sinnlosen und umstrittenen Umbau, der 60 Millionen Euro, auch von Steuermitteln, verschlingen wird. Nein, die Tagung handelte von der Gestalt der Kathedrale im 19. Jahrhundert.Wie aktuell.
Man könnte das alles lang und breit belegen: Über die großen drängenden Themen der Menschen in Berlin wird nicht oder kaum gesprochen: Über das Wohnen und Mieten; über den zunehmenden Rechtradikalismus oder über die weithin gescheiterte und etwas gelungene Integration der Flüchtlinge in Berlin, nichts über das aktuelle Europa, das zusieht, wie aufgrund eigener Politik, von C- Parteien auch betrieben, Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Ich finde es bezeichnend, dass die katholische Akademie Berlin im Umfeld der Wahlen zum Europa Parlament nicht etwa eine Tagung über die aktuellen Bemühungen der Kirchen in Brüssel machte oder wichtiger noch über die rechtsradikale ultra-katholische Position der PIS Regierung in Polen oder über das Schweigen der Bischöfe Ungarns zur rassistischen Politik des Herrn Orban… Nein, nichts davon: Man macht in Berlin, als würde man auf dem Monte Cassino leben, zur Europa-Wahl eine Tagung über den Schutzpatron Europas, den Heiligen Benedikt und seinen Orden. Nebenbei: Über Afrika, Lateinamerika und Asien, selbst über die dortigen Kirchen dort, finden fast gar keine Veranstaltungen stattt.
Diese katholische Akademie in der (tatsächlichen) WELTSTADT Berlin igelt sich förmlich ein, mit der Pflege des altvertrauten Milieus. Man macht also brav Tagungen über Fontane oder Thomas Mann, bedenkt die Aktualität ungarischer Melancholie-Forschung oder die Ewigkeit im Alltag, sowie die Höllenfurcht im Islam. So tatsächlich die Themen der Katholischen Akademie in Berlin in den letzten Monaten. Traditionalistischer, also bewusstes Ignorieren dessen, was den Menschen auf den Fingern oder in der Seele brennt, kann man sich das kaum denken. Ich warte förmlich, dies als sanfte Ironie, auf eine Tagung über den heiligen Papst Pius X. oder die Aktualität der Seherkinder von Fatima.
Eigentlich hätte selbst diese zahlenmäßig kleine, immer aber ängstliche und theologisch ohnehin phantasielose katholische Kirche in Berlin etwas Besseres verdient als diese Akademie, um der Stadt, der Menschen willen. Warum macht man nicht eine gemeinsame christliche Akademie? Warum noch dieser Konfessionalismus?
Dieser enge Geist ist erstickend. Auch deswegen treten Jahr für Jahr Katholiken in Berlin aus dieser letztlich traditionalistischen Kirche aus.
10.
Eine katholische Akademie, die nicht Partei ergreift für die aktuellen Fragen der Menschen in Berlin und darüber hinaus, wird zum Hort des Esoterischen. Sie ist letztlich belanglos. Und überlebt langfristig nur, wenn sie ihre Räumlichkeit „fremd vermietet“. So können wenigstens die guten Gehälter der Angestellten bezahlt werden…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Wenn die Rechtspopulisten zornig werden…

Ein neues Buch der Soziologin Cornelia Koppetsch über „Rechtspopulismus im globalen Zeitalter“

Ein Hinweis von Christian Modehn

Den Rechtspopulismus neu verstehen: Das ist das Ziel der umfangreichen Studie der Soziologin Cornelia Koppetsch (Prof. an der TU Darmstadt), ihr Buch aus dem Transcript Verlag ist am 19. Mai 2019 erschienen und hat seitdem viel Aufmerksamkeit in der Presse gefunden.
1.
Das Buch erfordert von den LeserInnen, die nicht professionelle Soziologen oder Politologen sind, eine große Lektüre Anstrengung, weil etwa allein die (langen) Sätze voller Substantive sozusagen „wimmeln“, was bekanntlich jegliche Lesefreude, die einem guten Stil voller Verben verpflichtet ist, sehr erschwert.
2.
Zudem ist das Buch vor dem Mord an dem Regierungspräsidenten Walter Lübcke (Kassel) am 2.Juni 2019 geschrieben worden: Dieser Mord stellt bekanntlich eine nun ganz offensichtliche „Qualität“ der Aktionen sehr rechtslastiger Kreise dar: Mord und Totschlag, sowie Brandattacken, von sehr rechtslastigen Kreisen gelten ab sofort nicht mehr „nur“ den Flüchtlingen und ihren Unterbringungen, von „Heimen“ sollte man angesichts dieser Unterbringen besser nicht reden. Die üblichen verbalen Attacken und Beleidigungen, dieses Schmähen der Demokratie und der Menschenrechte, wird nun offenbar praktisch, d.h. mörderisch. Diese Attacken gelten gezielt demokratischen, den Menschenrechten verpflichteten Politikern. Von bloßem „Rechtspopulismus“, wie der Buchtitel suggeriert, nur zu sprechen, erscheint mir schon deswegen als gar nicht treffend und auch etwas zu wohlwollend für diese Kreise.
3.
Es ist wohl einzig angemessen, auch angesichts der AFD Führer etwa in Thüringen oder Brandenburg, von Rechtsextremismus im Zusammenhang der AFD zu sprechen. Wie dies andere Forscher und kompetente Journalisten, etwa im WDR tun, und nun ihrerseits mit dem Leben bedroht werden. „Der AFD geht es letztlich um einen Bruch mit zentralen Werten des Grundgesetzes“, schreibt nicht etwa Cornelia Koopetsch, sondern Wissenschaftler wie Christoph Butterwegge, Gudrun Hentges und andere in dem Buch „Rechtspopulisten im Parlament“ sehr richtig.
4.
Von der AFD als einer Gestalt des bloßen Rechtspopulismus zu sprechen, erscheint mir also als überholt, und sogar falsch selbst wenn die Autorin zwischen den radikalen Führern der AFD (Höcke und Co.) und den Mitgliedern bzw. Wählern unterscheidet. Diese Mitglieder und Wähler der AFD hält Cornelia Koppetsch letztlich für konservative Irregeleitete: Wenn diese Kreise aber nur diese Merkmale haben, also noch kritisch reflektieren können, dürfte man konsequenterweise erwarten, dass sie die AFD als Partei Mitglieder verlassen oder diese Partei nicht mehr wählen: Beides tun diese Kreise aber nicht, und zwar wider besseren Wissens über die permanent verbale und oft schon faktische Gewalt einiger Leute aus dem AFD Umfeld. Das wichtige Buch von Andreas Speit, (Hg.) „Das Netzwerk der Identitären“ ist im Oktober 2018 erschienen, es wird von Koppetsch nicht erwähnt. Aber es zeigt: „Die AFD steckt mit den Identitären unter einer Decke“.
5.
Mich freut, wenn die Autorin ganz am Ende ihrer Studie „die Rechtsparteien“ (von Extremisten ist wieder keine Rede) ein so wörtlich „hochwirksames Gift“ nennt, das diese “Rechtsparteien“ „in den Gesellschaftskörper schleusen“ (Seite 258). Sie schreibt anschließend die für mich kryptische, aber irgendwie auch gefährliche Prognose: “Wenn die Zeichen nicht trügen, dann stehen uns konfliktreiche Zeiten bevor. Das muss nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht sein“ (ebd.) Die konfliktreichen Zeiten sind doch längst da, mindestens seit 4 Jahren. Was soll denn an den konfliktreichen Zeiten „keine schlechte“!, also eine gute Nachricht sein, wenn man die Unbelehrbarkeit der AFD Führer bedenkt und die faktische tötende Gewaltbereitschaft. Ich habe den Eindruck, die Professorin Cornelia Koppetsch unterschätzt deutlich die AFD.
6.
Freilich: Die Darstellung dieses „Gifts“, also die AFD, hat schon dadurch ihre erhebliche und sehr bedauerliche Grenze, dass in dem Buch fast ausschließlich nur von der AFD die Rede ist. Als hätten wir nicht in unserer unmittelbaren west-europäischen Nachbarschaft nicht längst hochgiftige, also nicht nur „rechtspopulistische“, sondern eben rechtsextreme Parteien in ihren Aktionen vor Augen: So ist von der von so vielen Beobachtern rechtsextrem genannte FPÖ in dem Buch soweit ich sehe keine Rede. Dieser Mangel ist besonders gravierend, weil die FPÖ seit Jahrzehnten mit widerlichen Hasstiraden die Reste demokratischer Kultur in Österreich zerstört. Die Partei von Marine Le Pen in Frankreich wird ganz kurz im Zusammenhang der „Nouvelle Droite“ erwähnt, von den rechtspopulistischen Parteien in den Niederlanden oder Belgien ist keine Rede, obwohl die AFD sichtbar seit Jahren mit den Parteiführern dieser europäischen so genannten rechtspopulistischen Parteien auch gemeinsam auftritt. Auch von der Beziehung dieser Parteien, auch der AFD, mit PUTIN ist in dem Buch keine Rede.
Nebenbei: Ich empfehle nicht nur der Autorin, sondern allen Lesern dieses Textes die kritische Studie über die FPÖ, die ja bekanntlich heftig verbandelt ist mit der ÖVP( mit Sebastian Kurz und Co). Siehe das Buch von Robert Misik. https://religionsphilosophischer-salon.de/11616_niedergang-der-demokratie-heute-ueber-oesterreich-und-europa_aktuelle-buchhinweise/philosophische-buecher
7.
Was ich an dem Buch von Cornelia Koppetsch noch problematischer finde: Die Autorin schreibt in ihrer „Danksagung“ auf Seite 259: Sie bedanke sich „bei meinen Bekannten aus der AFD, die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben“. Wenn die Autorin also erläuternde „Bekannte“ in der AFD hat, von Freunden ist ja nicht die Rede, warum werden diese nicht ein einziges mal zitiert: Haben die Bekannten der Autoren Angst, genannt zu werden? Dann hätte die Autorin doch wenigstens aus der einschlägigen AFD Presse und den Stellungnahmen der AFD Führer wichtige Zitate bringen und diskutieren können. Man wird aber keinen einzigen O TON aus AFD Kreisen in dem soziologischen (!) Buch über die AFD finden, sondern nur Zitate aus (z.T. älteren) Studien ÜBER die AFD. Das finde ich, gelinde gesagt, für eine soziologische Studie ( „Feldforschung“ ?) etwas seltsam. So wird kein Wort gesagt über das Parteiprogamm der AFD, das bei Lektüre jeglichen Anschein zerstört, als wäre die Partei sozialpolitisch ganz aufseiten der Armen und Ausgegrenzten.
8.
Trotz dieser Kritik an dem Buch lohnt sich die für gebildete Kreise mühsame Lektüre des Buches doch ein bißchen: Es geht ja um eine Erläuterung des „Zorns“, der sich in den AFD Kreisen Ausdruck verschafft. Dabei folgt Koppetsch den Zorn – Analysen von Peter Sloterdijk. Der Kern ihrer Aussage: Vielfältige Kreise der Gesellschaft, nicht nur Menschen aus dem „Prekariat“, sondern auch vor allem konservativ bürgerliche Männer, sind böse und zornig: Weil sie angesichts der Globalisierung nicht nur die dadurch bedingten Umbrüche nicht mehr verstehen. Sondern weil sie sich beruflich, finanziell und existentiell degradiert sehen. Sie fühlen sich förmlich aus der altvertrauten Bahn ihres üblichen Lebens geworfen. Und sie geben für diesen Verlust an innerer wie äußerer vertrauter Heimat den Fremden, den Flüchtlingen, vor allem die Schuld. Und indirekt auch den Politikern, die sie für die „abgehobenen Eliten“ halten und manchmal noch kosmopolitisch und humanistisch denken, wie die Kanzlerin in den ersten Tagen, als 2015 viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen. .
Diese Zusammenhänge werden von Cornelia Koppetsch sehr ausführlich dargestellt. Zusammenfassend glaubt sie sogar feststellen zu müssen, dass die AFD Wähler „auch nachvollziehbare Gründe für die Zurückweisung liberaler Gesellschaftsbilder, emanzipatorischer Politikmodell und linksliberaler Eliten haben“ (257). Diese rechtspopulistischen Kreise, die ja, wie gesagt, in dem Buch nie rechtsextreme Kreise genannt werden, haben also für Frau Koppetsch subjektiv gute Gründe, antiliberal zu sein. Also damit wohl auch gegen die vom Liberalismus nun einmal formulierten Menschenrechte zu stimmen: Weil diese Rechtspopulisten schlicht und einfach meinen, summarisch gesagt, diese liberalen Kreise seien arrogant, herrschsüchtig, verlogen, kosmopolitisch und empfinden damit anti-heimatlich. Sie werden von den Rechtspopulisten förmlich zu „Volksfeinden“ erklärt.
Der feine Unterschied ist doch der: Diese liberalen oder sozialdemokratischen oder grünen Kreise halten jedenfalls noch sehr viel von den Menschenrechten, auch wenn sie wissen, dass sie den Forderungen der Menschenrechten sehr selten persönlichen ganz entsprechen. Aber sie halten die Menschenrechte immerhin noch hoch und fordern sie von den Politikern. Die AFD Leute setzen sich meines Wissens hingegen nicht subjektiv und auch nicht objektiv in der Politik für die Geltung der universalen für alle Menschen geltenden Menschenrechte ein. Denn: „Wir sind das Volk“, also alles bestimmend. Deswegen: Germany first, USA first: Menschenrechte, wenn überhaupt, ganz zuletzt. Das sind die Unterschiede, die leider Frau Koppetsch bei ihrem Verständnis, ich sage ja nicht versteckte Sympathie für die AFD nicht sieht und auch nicht sagt. Mit der Elite der, Gott sei Dank, noch herrschenden Demokraten sind die Menschenrechte noch einklagbar. Und es gibt noch Menschen bei Greenpeace oder Ärzte ohne Grenzen oder an der lebendigen Basis der Kirchen, die diese Menschenrechte faktisch leben. Mit der AFD Clique ginge das ganz und gar nicht. Schade, dass das Frau Koppetsch nicht sagt.
9.
Mit scheint, dass Cornelia Koppetsch durchgängig die These variiert: Schuld am Aufkommen des Rechtspopulismus sind die liberalen, demokratischen Kreise: Sie grenzen aus, sie ignorieren die alten Werte, sie sind egoistisch. Man lese die immer wieder kehrende Beschreibung, dass sich die Liberalen als Wohlhabende abschotten von den ärmeren Leuten; dass die Liberalen den Kapitalismus faktisch bejahen, selbst wenn sie ihn theoretisch ablehnen. Und vor allem auch dies ist eine wichtige These der Autorin: Sie sind verlogen, weil sie selbst ausländerfeindliche oder flüchtlingsfeindliche Ressentiments haben. Diese aber verstecken und nicht öffentlich zugeben.
10.
Aber immerhin sind die von Frau Koppetsch kritisierten liberal-wohlhabenden Kreise, zu denen sie ja als Professorin selbst gehört, immer noch zur Selbstkritik in der Lage. Sie sind lernbereit. Und auch dies: Sie sind bekanntlich, gerade aus Kirchenkreisen, sehr hilfsbereit. Auch für die Flüchtlinge. Mit ist nicht bekannt, dass auch nur im entferntesten irgendein AFDler aktiv positive Flüchtlingshilfe leistet. Falls ja, bitte melden!
11.
Religionen und Kirchen werden in dem Zusammenhang von der Autorin äußerst marginal erwähnt, sie sind für sie eher eine vergangene Gestalt gesellschaftlicher Präsenz, lediglich die Evangelikalen werden kurz gewürdigt. Bezeichnenderweise ist soweit ich sehe das wichtigste und zitierte Buch über Religionen für die Autorin das Buch von Martin Riesebrodt von 1990.
12.
Was mich am meisten erstaunt, mit welcher Naivität positiv gestimmt die Autorin mit dem Begriff des „Nationalen“ und der „Nation“ umgeht. Sie schreibt: „Die Identifikation mit der Nation war eine progressive, keine regressive Kraft“ (186, ähnlich auch 252). Die Identifikation mit einer Nation war und ist die Hauptursache für Kriege und Aggressionen: Man muss kei Fachhistoriker sein, um dies zu wissen. Erstaunlich, dass eine Soziologin sich zu solcher Verteidigung der Nation hinreißen lassen kann. Vielleicht hat sie etwas zu viel mit ihren Bekannten von der AFD verständnisvoll geplaudert…
13.
Schlimm finde ich auch die eher nebenbei geäußerte Meinung zur Holocaust-Erinnerung: Cornelia Koppetsch schreibt: „Als wenig hilfreich erweist sich auch eine Holocaust-Erinnerung, die in leeren Ritualen und monumentalen Denkmälern und auf das Singuläre (kursiv von Koppetsch) der Gräueltaten von Auschwitz und Treblinka gerichtet ist, während dem bis heute wirksamen kolonialen Rassismus sowie tief verwurzelten islamophoben Einstellungen weitaus weniger Beachtung geschenkt wird“ ( 252 f.). Dass Islamophobie zu wenig kritisiert wird genauso wie die koloniale Rassismus, ist wohl klar. Aber muss man deswegen die Holocaust-Erinnerung herunterspielen und falsch beschreiben, indem die Autorin von „leeren Ritualen“ und monumentalen Denkmälern spricht: Welche monumentalen Denkmäler meint sie eigentlich? Was ist „leer“ an humanen Ritualen, wenn Menschen voller Trauer auf dem Gelände ehemaliger KZs mit den wenigen noch Überlebenden ins Gespräch kommen und gemeinsam laut ein „Nie wieder“ sagen oder schreien?
Angesichts des zunehmenden aggressiven Antisemitismus in Deutschland und Europa (die AFD tut nur so, als wäre sie pro-jüdisch, um dann nur um so mehr anti-islamisch zu sein), sind diese Sätze von Cornelia Koppetsch nicht nur überflüssig, sondern falsch. Hat sie die Äußerungen von Herrn Gauland über die Nazi-Terror-Herrschaft mit der systematischen Ermordung von 6 Millionen Juden vergessen? Als dieser AFD Führer im Juni 2018 (!), also noch zur Zeit der Arbeit an dem Buchmanuskript, sagte: „Die NS Zeit ist nur ein Vogelschiss in der deutschen Geschichte“.
14.
Auch wenn einige Aussagen, sowie einige gut nachvollziehbare grundlegende Darstellungen etwa über Norbert Elias (206 f.) interessant sind: Abgesehen von der zweifellos zu bedenkenden und manchmal bedenklich arroganten Haltung der Liberalen und der Demokraten sehe ich in dem so ausführlichen Buch keinen bedeutenden Erkenntnisgewinn. Die politische Geschichte in Deutschland (und bei den europäische Nachbarn) ist im Zusammenhang des so genannten Rechtspopulismus und der AFD über die Erkenntnisse dieses Buches längst hinausgegangen, siehe die tiefe historische Zäsur durch den Mord an Walter Lübcke. Dieser Bruch in der Demokratie begann wahrscheinlich schon, als die NSU Morde geschahen und die deutsche Justiz Jahre lang geschlafen hat in der Verfolgung dieser Verbrecher.
15.
Das von Koppetsch angedeutete GIFT des Rechtspopulismus wird bereits heute mehrfach „eingesetzt“. Und zwar tödlich. Und die nun ja auch bereits zum Teil rechtslastige Polizei ist überfordert, angeblich. Und die Richter urteilen im Falle von rechtsextremer Gewalt meist sehr milde.
Das ist unsere Situation. Und da zeigt sich meines Erachtens genauso wichtige ZORN der Demokraten. Sie wollen in ihrem Zorn aber im Unterschied zur AFD eine bessere Demokratie. Und die Geltung der für alle Menschen geltenden Menschenrechte!

Cornelia Koppetsch, Die gesellschaft des Zorns. Rechtspopulismus im globalen Zeitalter. 283 Seiten, Transcript Verlag im Mai 2019, Taschenbuch 19,99 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Über die Menschenwürde: Ein philosophischer Salon

In unserem religionsphilosophischen Salon wollen wir uns am Freitag, den 30. August 2019, um 19 Uhr mit einem der zentralen Themen des menschlichen Zusammenlebens befassen: der absoluten und unantastbaren Würde aller Menschen.
Bekanntlich ist im Grundgesetze der Bundesrepublik Deutschland von der Menschenwürde an erster Stelle, im Artikel 1, die Rede. Die Menschenwürde aller Menschen ist heute faktisch leider eher noch ein Ideal, wenn nicht eine Utopie, ein Traum. Aber die Menschenwürde sie ist absolut unverzichtbar, wenn diese Welt den Anspruch haben will, eine menschliche Welt zu sein.
Jeder und jede kann in unserem Salon berichten, wie er/sie Menschenwürde erlebt, auch als persönliche Verletzung der Menschenwürde, und wie gerade in den Kontrast-Erfahrungen der Wunsch stark wird, Menschenwürde als Realität auch politisch zu gestalten. Dass dabei auch philosophische und religionsphilosophische Aspekte zur Sprache kommen, ist selbstverständlich.

Die Veranstaltung findet in der Kunstgalerie Fantom statt, Hektorstr. 9, Berlin Wilmersdorf. Beginn um 19 Uhr. Wer teilnehmen will, sollte sich bitte anmelden: christian.modehn@berlin.de , denn die Anzahl der Plätze ist begrenzt. Herzliche Einladung!

Polen: Katholische Kirche mitschuldig an Gewalttaten gegenüber Homosexuellen

Ein Hinweis: Zur Gewalt in Polen und zum CSD (in Berlin am 27.7.2019)
Von Christian Modehn

In der polnischen Stadt Bialystok (in der Woiwodschaft Podlachien) wurden Demonstranten der dortigen Gay-Pride am 20.7.2019 heftig angegriffen, z.T. schwer verletzt und insgesamt von Rechtsradikalen beschimpft. KatholikInnen beteten inmitten diese Mobs der Gewalt ganz öffentlich den Rosenkranz, um die Sünde, nicht die der rechtsradikalen Gewalttäter, sondern die der Demonstranten einzudämmen…

Wichtig ist die zwiespältige Rolle (Psychiater würden wohl eher sagen Schizophrenie) der katholischen Kirche angesichts dieser Gewalttaten:

Der Sprecher der polnischen Bischofskonferenz, Pawel Rytel-Andrianik,.verurteilt zwar die Gewalt gegen die TeilnehmerInnen der gay-Pride-Demonstration, die ja eine genehmigte Demonstration war.

Aber dem offiziellen Spruch der Distanzierung von der Gewalt sagt der Kirchenvertreter: „Zugleich muss man das volle Evangelium verkünden und nicht aufhören, Todsünde als solche zu benennen“.

Homosexuelle sind öffentliche Todsünder

Das heißt: In der Sicht der Bischöfe sind Homosexuelle und Transgender, so wörtlich, Todsünder. Sie sind also Menschen, in Polen in den allermeisten Fällen noch getaufte Katholiken, die sich aber nun, so das Urteil, außerhalb der Kirche befinden. Sie sind also Ausgestoßene. Man darf sie öffentlich in Polen als „Todsünder“ „benennen“. Kinder sollte man ohnehin von diesen „Todsündern“ fernhalten. Und ihnen bloß keine Wohnung vermieten!
Früher hat die Kirche – nebenbei gesagt – Todsünder, etwa Ketzer und Häretiker, aber auch „Sodomiten“, zum Tode verurteilt und z.B. verbrennen lassen. Heute werden Todsünder höflicherweise nur noch öffentlich kirchlicherseits benannt und somit den privaten Attacken freigegeben… Und an diesen Attacken, dieser Respektlosigkeit gegenüber den Menschenrechten, beteiligen sich die katholischen Medien in Polen mit großer Leidenschaft. Man denke an den antisemitischen und homophoben Medienimperium mit dem Hetzsender „Radio Maryja“ des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk. Der darf seit Jahren unbeirrt hetzen. Eine Absetzung durch den angeblich allmächtigen Papst ist oft verlangt, aber nie erreicht worden. Antisemiten und Homophobe sollen halt einen großen Platz haben in der römischen Kirche, darf man daraus schließen.

Die Qualifizierung der Homosexuellen als Todsünder ist skandalös. Nicht nur, weil der dringend gebotene Begriff und die Idee der Menschenrechte im Statement des Bischofssprechers nicht vorkommt. Sondern diese Gay-Pride-Demonstranten werden in kirchlichen Kategorien beschrieben: „Die Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen sind unsere Brüder und Schwestern, für die Christus sein Leben gab und die er zur Erlösung führen will”. Wenn sie aber, wie es der Offizielle katholische Katechismus von 1993 vorschreibt, auf ihre Sexualität verzichten, können sie „wieder unsere Brüder und Schwestern“ werden…Diese Kirche erlaubt es sich, allen Ernstes im 21. Jahrhundert bestimmten Menschen die nun einmal auch sexuell geprägte Liebe zu verbieten. Das nennt man eine Wahnvorstellung.

Der Mob aber, der die Gay-Pride-Demo in Bialystik attackierte, ist also von den katholischen Medien, der PIS Partei und den Moralgesetzen der Kirche aufgestachelt worden. Der Mob ist ein „Resultat“ kirchlicher und rechtsextremer Indoktrinierung.

Katholische Ideologie in Polen erzeugt homophobe Gewalt

Das heißt: Die Kirche im ganzen ist mitschuldig an den Attacken in Bialystok. Und die Verteufelung der Homosexuellen wird durch die enge Liaison von PIS Partei und Katholizismus noch weitergehen, wenn denn im Herbst der Sexualkunde Unterricht aus den Schulen Polens verbannt werden soll. Denn: Homo Lobbys hätten sich in den Sexualunterricht eingeschlichen, wird allen Ernstes offiziell staatlich verbreitet. „Die Gender-Debatte gefährde die polnische Identität, heisst es dazu von polnischen Kanzeln. Das alles werde zur Dechristianisierung Polens führen“, berichtet die NZZ am 7.4.2019.

Warum ist die Haltung der Bischöfe Polens gegenüber den Homosexuellen im allgemeinen schizophren? Weil diese Herren mit aller Gewalt die Erkenntnis unterdrückt haben, dass viele hundert Priester in Polen homosexuell sind; dass sogar der polnische Nuntius Wesolowski in der Dominikanischen Republik wegen Homosexualität und Pädophilie aus dem Verkehr gezogen werden musste; dass etwa Erzbischof Juliusz Paetz, ehem. Erzbischof von Posen, ein bekannter Homosexueller ist. Zu weiteren Informationen über den Zustand der Verlogenheit in der polnischen Kirche, klicken Sie hier.
Die Republik Polen, Mitglied der EU, von der Kirche als der „Hauptlieferantin“ der Ideologie angestachelt, entfernt sich immer mehr von der europäischen Menschenrechts-Ordnung.

Die CSD in Berlin am 27.7.2019
Katholische Kirche in Berlin offiziell homo-ignorant

Da fällt auf: Unter allen öffentlich bekannten größeren gesellschaftlichen Gruppierungen nehmen drei nicht an der CSD Parade teil: Die AFD, die großen Moschee-Verbände und, wie zu erwarten, die katholische Kirche bzw. das katholische Erzbistum Berlin. Wenn die CSD Parade am Nollendorfplatz ganz nahe an der katholischen Kirche St. Matthias vorbeigeht, wird diese große Kirche inmitten des Berliner „gay village“ selbstverständlich wie immer geschlossen sein. Selbst wenn die Kirche offen wäre, würde wohl kein Homosexueller nach all der Hetze weltweit dort noch Hilfe und Unterstützung erwarten, geschweige denn spirituelle Begleitung, die Homosexuelle und Transgender verstehen könnten.

Autos werden gesegnet, homosexuell Liebende nicht

Stattdessen wird in katholischen Kirchen nach wie die Segnung von Autos und Motorrädern, von Handys und von Haustieren mit Begeisterung praktiziert. Dieser Fetischismus, dieser Wunderglaube, ist katholischerseits selbstverständlich. Homosexuelle Ehepaare sind vom offiziellen Segen in einer katholischen Kirche ausgeschlossen. Die Haltung von Papst Franziskus zur Homosexualität ist bekanntlich widersprüchlich und alles andere als liberal… So koppelt sich die katholische Kirche (auch in Deutschland) von der gegenwärtigen Kultur ab. Die katholische Homophobie in Afrika zählt mehr als das Menschenrecht in Europa. Dies ist keine „kolonialistische“ Aussage! Sondern eine Zustandsbeschreibung.
In Deutschland jedenfalls wird die katholische Kirche immer mehr, theologisch gesehen, zur „Sekte“, d.h. klein, selbstbezogen, ängstlich, bieder und kleinbürgerlich, aber noch stark an finanziellen Mitteln, d.h. 6,43 Milliarden Euro (sic) Kirchensteuereinnahmen etwa im Jahr 2017.

Zwei Beiträge auf dieser website zeigen, dass der § 175 in der katholischen Kirche noch immer besteht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Kirchen verlieren ständig mehr Mitglieder … und was man dagegen tun könnte…

Warum sich die Kirchen reformieren sollten, falls sie nicht im kulturellen Abseits landen wollen
Ein Hinweis von Christian Modehn

426.000 Kirchenmitglieder in Deutschland sind im Jahr 2018 aus beiden großen Konfessionen, der evangelischen bzw. katholischen Kirche, ausgetreten. Das heißt: 44,1 Prozent der Bevölkerung in Deutschland nennen sich jetzt noch Christen als Kirchensteuerzahler. 1998 waren es 54,3%. Zur Prognose: Im Jahr 2035 werden es nach zuverlässiger Schätzung noch 34,8% sein.

Bedford-Strohm, evangelisch:

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford – Strohm, so berichtet der „Tagesspiegel“ am 20.7.2019, kommentiert die aktuelle Statistik: “Jeder Austritt schmerzt. Er setze auf eine bessere Vermittlung der christlichen Botschaft“. Bedford-Strohm setzt also wie üblich auf ein besseres Wie, also auf ein besseres Sagen und Verkünden der alten Botschaft; von einem besseren Was, also von einem reformierten und entstaubten Inhalt der Botschaft, ist nicht die Rede. Diese überlieferte Kirchenlehre und Kirchenmoral soll also weiterhin erhalten bleiben.

Stefan Hesse,katholisch:

Eher unpräzise sagt im „Tagesspiegel“ vom 20.7.2019 der katholische Erzbischof Stefan Hesse (Hamburg): „Wir werden über die Zukunft von Priesteramt, Lebensweisen, den Umgang mit Macht und nicht zuletzt über Sexualität reden. Hinzu kommt die Rolle der Frauen“. Also Strukturfragen und Kirchengebote (etwa Zölibat) sollen besprochen werden, offenbar auch darüber, wie Frauen ein bisschen mehr Gleichberechtigung in der katholischen Kirche erleben können. Aber auch für den Erzbischof gilt: Inhaltliche Veränderungen, also eben durchaus Reduzierungen der nicht anders als bombastisch zu nennenden Kirchenlehre und Kirchenmoral (der offizielle Katholische Katechismus von 1993 umfasst mehr als 800 Buchseiten) kommen offenbar nicht in Frage.

Auswege

Zwei, bisher fast gar nicht diskutierte, Möglichkeiten könnten sich bieten, wenn man tatsächlich an einem lebendigen und kreativen Bestehen der Kirchen interessiert ist. Denn das langsame Verschwinden der Kirchengemeinden ist ja rein soziologisch oder religionswissenschaftlich gesehen ein spiritueller Verlust; weil die Geschichten rund um Jesus von Nazareth nicht mehr so oft erzählt und gefeiert werden; weil die Kenntnis der nun einmal auch christlich geprägten Kultur zurückgeht; weil prinzipiell der humane Zusammenhalt einer Gemeinde mit ihren ja manchmal auch ansprechenden Räumen und in ihrer prinzipiellen Offenheit für alle Menschen dann langsam verschwindet.

Ein liberal-theologischer Vorschlag

Um die stetige Verabschiedung so vieler Christen aus den Kirchen zu begrenzen oder gar zu beenden, könnte sich darum erstens eine Art liberal-theologisches Konzept anbieten: Die Kirche zeigt unmissverständlich, dass diejenigen, die einfach nur die Kirchensteuern nicht zahlen wollen, dennoch gern in der Kirche und Gemeinde bleiben können und als Mitglieder nach wie vor willkommen sind. Wer die Kirchensteuern gern zahlt, wird deswegen auf die „anderen“ nicht herablassend blicken. Weiter ist klar, dass alle, die meinen viele Zweifel an den Inhalten des christlichen Glaubens haben, eben gerade als Zweifler, als Skeptiker, ja selbst als Atheisten in den christlichen Gemeinden willkommen sind. Man könnte ausdrücklich zudem immer wieder betonen, dass es doch theologisch ganz selbstverständlich ist, dass jeder Mensch sich seinen eigenen, seinen persönlichen und privaten Glauben im Laufe seines Lebens eben auch unterschiedlich und je neu zusammenstellt. Dass dabei „Elemente“ des christlichen Glaubens mit „Elementen“ etwa buddhistischer Meditationspraxis verbunden werden oder andere „Mischformen“ religiöser oder philosophischer Traditionen verbunden werden, sollte in den Kirchen ausdrücklich willkommen geheißen werden. So wie alle in den Kirchen willkommen sind, die sich ganz auf die praktische Solidarität, etwa mit Flüchtlingen oder Obdachlosen spezialisieren und auch nur an diesen Aktivitäten der Gemeinde teilnehmen. Alle diese religiösen und individuellen „Mischformen“ existieren ja bereits in den Gemeinden, mindestens in einigen evangelischen Gemeinden. Diese „Mischformen“ sollten nicht nur ausdrücklich als wertvoll, als bereichernd für die Kirche und deswegen als unverzichtbar auch von offizieller Seite dargestellt werden: Jeder und jede ist willkommen in einer christlichen Gemeinde, jeder und jede kann und soll sein „Eigenes“ einbringen, in einem Klima selbstverständlicher Pluralität und damit auch Toleranz. Kirche ist Vielfalt, große Vielfalt. Sie könnte der Gesellschaft geradezu ein Model der versöhnten Verschiedenheiten sein….
Die Möglichkeiten, grundsätzlich, einer je eigenen Spiritualität sind ja grenzenlos: Sie reicht von einem Modell feministisch-katholischer Praxis oder schwul/lesbisch katholischer Praxis bis zur intensiven Beschäftigung mit spirituellen Dimensionen der modernen Kunst oder der gemeinsamen Feier von Christen mit Muslims oder mit Juden oder mit Atheisten usw. Nur muss diese umfassende Offenheit ausdrücklich gewollt sein. Und es müssen Gemeindeverantwortliche, also auch Pfarrerinnen und Pfarrer, tatsächlich auch intellektuell und menschlich in der Lage sein, diese Offenheit zu pflegen. Aber daran kann die „liberal-theologische“ Erneuerung scheitern. Und weil vielleicht scheitert bzw. niemand es ernsthaft noch versucht, werden wohl die Gemeinden immer kleiner, immer enger, immer klerikaler, ja immer mehr „wie Sekten“ am Rande der Gesellschaft.

Die vielen uralten Dogmen entrümpeln: Ein Befreiungsprozeß

Zweitens ist es wohl so, dass viele, die aus der Kirche austreten, nicht nur über die vielen sexuellen Misstaten der Priester entsetzt sind, sondern vor allem auch: Weil sie nicht die Kirchenlehre und Kirchenmoral verstehen. Und dann sinnvoller weise sagen: Wie soll ich mein Leben orientieren, das bedeutet ja „Glauben“, wenn ich die Inhalte meiner Lebensorientierung (Glauben) nicht verstehe. Wenn uns nicht nur die Sprache des Glaubens, sondern die Inhalte des Glaubens nichts bedeuten.

Mir scheint: Es muss die schwierige und provozierende Frage gestellt werden: Von welchen uralten Ballast der Kirchenlehre und Kirchenmoral und Kirchengesetze sollen die Kirchen sich endlich befreien? Sie schleppen die dogmatische Last mit sich herum und kommen dabei ständig in Schleudern! Wann also beginnt die große „Entrümpelung“, Befreiung, von uralter Kirchenlehren, Kirchenmoral und Kirchengesetzen? Es kann doch nicht sein, dass etwa die katholische Kirche verlangt, dass man sich an eine unübersichtliche, zudem uralte Lehren und Dogmen bindet und diese z.T. wortwörtlich (etwa im Nicäno-Konstantinopolischen-Glaubensbekenntnis) ständig in den Messen nachspricht. Dabei weiß jeder: Was die Gläubigen nachsprechen, verstehen sie nicht: „Gezeugt, nicht geschaffen“, „der heilige Geist geht vom Vater und vom Sohne aus“, „geboren aus der Jungfrau Maria“ usw. Auf Dauer Mysteriöses und Mythisches nachzusprechen, nachzuplappern, ohne intellektuelles Verständnis und seelisches Berührtsein, wird zurecht unerträglich. Eine Gemeinschaft der „Mythen-Freunde“ oder „Wundergläubigen“, Kirche genannt, verlässt man gern. Natürlich, in der Oper werden Mythen beschworen, aber da weiß jeder: Das ist Theater, darin steckt kein Anspruch zur Lebensgestaltung (Glauben). Wer kann im Ernst noch die umfangreiche immer noch geltende Erbsündenlehre des Augustinus akzptieren? „Die Erbsünde wird im Moment der Zeugung der Kinder übertragen“? Wer kann noch verstehen, dass Gott seinen Sohn Jesus auf Erden brutal leiden lässt, damit er im Leiden die Welt erlöst? Wer kann noch verstehen, dass diese Welt erlöst ist, wenn ja, in welcher genauen Hinsicht? Wer kann sich einen Reim daraus machen, dass Jesus von Nazareth wahrer Gott und wahrer Mensch war? Hatte Jesus als Mensch selbstverständlich Sexualität, hatte er sie auch als Gott-Mensch auf Erden? Wer kann noch verstehen, dass einige angeblich zölibatär lebende Priester die ausschließliche Vollmacht haben, Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi zu verwandeln? Nur durch diese auszeichnende Macht des „Wandelns“ erklärt sich die Kirche die Notwendigkeit des Klerus…Oft bleibt es bei diesem Wandeln und die wirklich entscheidende Wandlung, also die Reform und Reformation, bleibt aus.

Die ersten bescheidenen katholischen Enrümpelungen von Glaubens-Lehren

Dabei hat doch die katholische Kirche einige bescheidene Entrümplungen ihrer Lehre längst vorgenommen: Es ist Katholiken seit etlichen Jahren gestattet, die Leiche einzuäschern. Die leibhaftige Auferstehung des einzelnen muss dann neu erklärt werden. Papst Benedikt XVI. sonst ultra streng in dogmatischen Fragen, verlangt nicht mehr zu glauben, dass ungetauft verstorbene Babys in eine Art Vorhölle kommen. Der uralte Glaube an den Limbus puerum ist also nicht mehr verpflichtend.Wer allerdings den Limbus noch mag, kann weiterhin an ihn glauben. Und Papst Franziskus hat zwar noch nicht das bloße Kirchengesetz (kein Dogma!) des Pflichtzölibates aufgehoben. Er hat aber freundlicherweise die noch im gültigen Katechismus erlaubte Todesstrafe aus dem Bereich der Glaubensinhalte gestrichen. Das heißt: Die Entrümpelung hat ganz, ganz zaghaft und ängstlich begonnen. Nun könnte diese befreiende Entrümpelung um der Menschen willen, die noch Mitglieder der großen Kirchen sein wollen, weiter gehen.
Das wird aber nicht geschehen: Weil besonders die katholische Kirche das einmal formulierte Dogma wie eine ewige Weisheit hochschätzt und nicht anrührt: Es ist die tief sitzende Angst vor dem Wandel, der Reformation, ja letztlich der geistigen Lebendigkeit, die als Angst diese Kirche versteinern und erkalten lässt. Es ist doch bezeichnend, dass so oft in den Kirchen das Ewige (Gott, Göttliches) als das Unwandelbare beschworen und laut gesprochen wird: „Wie es war im Anfang, so auch jetzt und allezeit, und in Ewigkeit. Amen!“ Also bloß kein Werden, keine Kreativität, nichts Neues. Es ist der unwandelbare Gott des Aristoteles, der da verehrt wird. Nicht aber ein Gott, bzw. etwas Göttliches, das lebt, das wächst, das Neues will.

Göttliches will Lebendiges, keinen Stillstand

Die ewige Botschaft des Christentums wird nicht durch die ewige und streng kontrollierte Wiederholung von Formeln und Floskeln vom 3. bis zum 20.Jahrhundert „gerettet“, sondern in neuen inhaltlichen Aussagen in einfacher Gestalt. „Wer Ewigkeit zum Programm macht und Zeitlosigkeit plant, behält nur eine archivalische Gegenwart in schaler Erhabenheit“, schreibt der Kulturhistoriker und Philosoph George Steiner treffend (Grammatik der Schöpfung“, S. 255).

Erst wenn sich die Kirchen von dem starren aristotelischen Gottesbegriff und der hierarchischen (Un)Ordnung trennen, werden die Kirchen wieder zu Orten, wo sich kritische, lebendige Menschen wohl fühlen …. und dann gern dazu gehören.

Der heilige Sisyphus

Aber das ist ein Traum. Der als Traum aber noch einmal formuliert werden musste. Denn bekanntlich ist der wohl aktuellste Heilige der Theologen der heilige Sisyphus, im Sinne von Albert Camus.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin