Die Würde des Menschen. Thesen im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 30.8.2019

Von Christian Modehn
Diese Thesen sind Einladungen zum Weiterdenken und Diskutieren.

1. Das ist evident: Wir sind Teil einer Welt, in der die Würde des Menschen ständig verletzt wird. Viele fühlen sich hilflos und total frustriert in dieser Welt. Dass das würdelose Leben früher auch so war, etwa in der Sklaverei, dem Kolonialismus, der totalen Unterdrückung der Frauen und Homosexuellen, ist keine Entschuldigung dafür, dass die Würdelosigkeit heute auch in der angeblich „aufgeklärten“ und so reichen westlichen Welt noch besteht. Und vor allem in vielen Ländern außerhalb Europas sowieso.

2. Um nur an gewählte, so genannte demokratische Politiker zu denken: Trump oder Bolsonaro: Politiker, die ihre eigene menschliche Würde als Politiker preisgeben. Sie sind offenbar auf diese ihre allgemein wahrgenommene Würdelosigkeit noch stolz. Weitere Politiker könnten genannt werden.

3. Wir erleben AFD Politiker nicht nur im Wahlkampf, die ohne jeden Respekt demokratische Politiker und deren Leistungen in den Dreck ziehen. Und viele AFD Fans jubeln über so viel Verhetzung.

4. Dies führt zu zwei zentralen Fragen: Was ist Menschenwürde? Und: in welcher Weise können Menschen ihre Menschenwürde verlieren? Im reflektierten Erleben der Würdelosigkeit (anderer) „blitzt“ die Idee der Würde des Menschen inhaltlich – konkret (etwas) auf. In dieser Kontrast – Erfahrung des Nicht-Vorhandenen (der Würde) zeigt sich implizit das „Anwesende“, es zeigt sich als Utopie, als Ziel, als Ideal: das Gesuchte, die Menschenwürde.

5. Was ist Menschenwürde? Da werden wir als Philosophierende uns selbstverständlich an die grundlegenden Erkenntnisse von Immanuel Kant halten. Nur kurz gesagt: Für Kant ist Menschenwürde etwas Gegebenes, allerdings nicht sinnlich Greifbares: Denn die Würde des Menschen und aller Menschen ist deren Vernunft und damit deren Freiheit. Im Vollzug der Vernunft entdeckt der Mensch in sich das moralische (universale) Gesetz: den Kategorischen Imperativ. In der Entdeckung der Vernunft durch den Menschen wird also deutlich, dass er „etwas Heiliges“ in sich hat. Etwas, das den Menschen zum „Selbstzweck“ macht. Der Mensch hat niemals einen Preis. Niemand ist austauschbar wie ein Gegenstand.
Noch einmal: Diese in mir zu entdeckte “Gegebenheit” der moralischen Selbstgesetzgebung und Freiheit macht meine Würde aus, und es ist niemals nur „meine“ Würde. Diese Würde teile ich sozusagen mit der Würde der ganzen Menschheit, und diese Menschheit lebt in allen Individuen. Wenn Individuen also im Sinne Kant würdevoll sind und Respekt verdienen, dann: Weil sie Teil der an sich würdevollen Menschheit sind.

6. Diese Erkenntnisse Kants in dieser formalen universalen Allgemeinheit sind auch inspirierend für die Autoren des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Sie hatten (obwohl vielfach Nazi-Mitläufer) die Gräuel der Nazi-Herrschaft vor Augen: Da sahen sie, und sie erlebten es ja auch auf die eine oder andere Weise: Die Menschenwürde kann sehr stark der Vernichtung ausgesetzt sein, wenn auch nicht auf Dauer definitiv ausgelöscht werden: Etwa in den KZs und in der Juden-, Sinti-Roma-Auslöschung, der Verfolgung und Ermordung der Homosexuellen und der Euthanasie Morde durch die Nazis als großem Teil des deutschen Volkes.
Tatsache ist: Die Menschenwürde als in jedem Menschen prinzipiell gegebene Struktur des Geistes kann nie total ausgelöscht werden, aber sie ist prinzipiell auch sehr bedroht, etwa auch in der „Gehirnwäsche“….

7. Das Grundgesetz sagt allgemein formuliert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Also: Diese Würde ist unantastbar für andere wie für den einzelnen Menschen selbst. Was heißt UNANTASTBAR: Der andere Mensch darf den unantastbaren anderen nicht manipulieren, nicht total instrumentalisieren (denn begrenzte und rechtlich kontrollierte Instrumentalisierung gibt es ständig: Beruflich lassen wir uns partiell z.B. notgedrungen „instrumentalisieren“…). Ausgeschlossen ist totale Instrumentalisierung, die den anderen zum Objekt macht; es darf keine Gehirnwäsche geben, keine Übergriffigkeit.

8. Kann der einzelne durch sich selbst, durch sein Tun, seine Würde korrumpieren, wenn nicht fast ausschalten? Ich meine, das passiert. Der einzelne kann zu einem würdelosen „Subjekt“ werden. Restbestände der Würde als geistige Freiheit und etwas Autonomie gibt es aber immer, man denke an die KZ Mörder, die doch noch so taten als wären sie liebevolle Väter. Aber dieser Restbestand an Würde hatte keine Wirkung der umfassenden Humanität mehr!

9. Der demokratische Rechtsstaat glaubt an Restbestände der Würde auch bei Schwerverbrechern, deswegen gibt es in einem Rechtsstaat keine Todesstrafe. Deswegen auch die Anstrengung und Hoffnung, dass eine „Resozialisierung“ im Knast möglich sein könnte.

10. Es gibt eine andere traditionsreichere Begründung der Menschenwürde in der biblischen Tradition.
Sie lehrt: Der Mensch ist ein Abbild, ein Ebenbild, Gottes selbst. „Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild“, heißt es im Buch Genesis, Kapitel 1, Vers 27. Dieser Text stammt von Autoren, die um 600 lehrten und schrieben. Man nennt diesen Text die „Priesterschrift“. Ebenbild heißt: Der Mensch ist in gewisser Weise so „heilig“ wie Gott heilig ist. Eine detaillierte Beschreibung des „Gesichtes“ Gottes ist natürlich nicht gemeint.
Diesem Text schließt sich gleich an im Buch Genesis, also dem 1. Buch Moses, die viel ältere Schöpfungslehre, die 3000 Jahre alt sein soll, die so genannte Jahwistische Schöpfungslehre. Dort ist keine Rede von der Gott – Ebenbildlichkeit. Es ist die Rede davon, dass der Mensch vom Lebensatem Gottes lebt. Beim Jahwisten wird der Mensch, der Mann zuerst, von Gott aus der Erde, vom Ackerboden, geschaffen. Und dann heißt es: „Gott blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigem Wesen“ (Genesis, 2, 7f.)
Eine interessante Perspektive: Der Mensch lebt vom Lebensatem Gottes. Mensch und Gott sind also wesentlich im Atem, im Atmen, verbunden.
Leider wurden diese Perspektiven später verdeckt durch die kirchliche theologische These: Der Mensch sei wesentlich Sünder. Auch haben die Kirchen aus dieser Lehre der so wertvollen Gott- Ebenbildlichkeit des Menschen keine politischen Konsequenzen gezogen. D.h. Sie haben die Menschenrechte nicht erfunden und nicht verteidigt.

11. Es gibt neue philosophische Debatten über die Menschenwürde. Einige Autoren halten die Menschenwürde nicht für etwas Innerliches, allen Menschen von vornherein Gegebenes. Menschenwürde sei vielmehr etwas jeweils erst zu Gestaltendes. Der Philosoph Franz Josef Wetz behauptet (in: Der Wert der Menschenwürde, Paderborn 2009, Seite 61): „Menschenwürde ist nur ein Gestaltungsauftrag, nicht jedoch ein Wesensmerkmal des Menschen“. Menschenwürde ist also nicht, wie Kant sagt, etwas allen Menschen schon Vor-Gegebenes. Sondern etwas, das nur durch Anstrengungen der Menschen überhaupt erst existiert.
Meine Meinung: Anstrengungen zur Entwicklung der Menschenwürde sind ja richtig, aber sie beziehen sich auf etwas Vorgebenes, vielleicht „Schlummerndes“, das in der Tat wachgerufen wird. Wetz meint hingegen, es gebe keine „vorgefundene Wertabsolutheit des Menschen und der unantastbaren Heiligkeit des menschlichen Lebens, dies müsse man hinter sich lassen (S. 58).
Ich halte diese Überzeugung für falsch und politisch (im Sinne der universalen Menschenrechte) für gefährlich. Der australische Philosoph Peter Singer etwa hält – allen Ernstes – in seinen Publikationen die Würde eines Menschenaffens für schützenswerter als die Würde eines schwerstbehinderten Babys. Dieses zu behaupten ist nicht nur grober Unfug, sondern politisch – ethisch desaströs.

12. Menschenwürde ist von „Ehre“ unterschieden. Ehre ist etwas Äußerliches und Veräußerlichtes. Ehrenvoll leben heißt nicht automatisch würdevoll leben. So viele “Ehrwürden” oder gar klerikale “Hochwürden” waren und sind alles andere als voller Würde. Da werden Leute im Rahmen eines bestimmten (falschen?) Wertesystems geehrt, die dies eigentlich, moralisch, gar nicht verdient hätten. Nicht jeder Geehrte ist auch würdig. Oder wird voreilig geehrt, wie etwa einige Preisträger… Andererseits leisten etwa Widerstandskämpfer gegen Diktaturen (um ihres öffentlichen Nachlebens wegen) ihren Widerstand oft explizit „aus Gründen der Ehre“. Sie meinen aber tatsächlich ihre Würde.
Die meisten Ehrendenkmäler und Heldengedenkstätten sind überflüssig, sie dienen nur der Propagierung des Krieges. Und dienen dem Wahn des Nationalismus.

13. Würde der Menschen ist etwas, das verteidigt werden MUSS! Deswegen gehört zu einer philosophischen Reflexion automatisch die Frage: Was tue ich, um die Würde der Milliarden Würdeloser und Entwürdigter Menschen zu verteidigen und schützen? Ich kann immer nur einzelne Entwürdigte schützen und verteidigen. Aber jeder und jede sollte als notwendige Konsequenz dieser Überlegungen für Würdelose und Entwürdigte eintreten, durch Informationen, Korrespondenzen, Kontakte, und auch dies: materielle Hilfe. Dieser Hinweis hat nichts mit „Moralin“ zu tun, sondern mit der Aufforderung, der eigenen Würde zu enstprechen. Die es auch zu schützen gilt.

14. Über das Buch von Gerald Hüther, Würde, 2019, habe ich schon früher einen Hinweis geschrieben.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der 1. September 1939: Katholiken und der Zweite Weltkrieg

Einige Hinweise zur Rolle der katholischen Kirche vor dem Krieg , während des Krieges und danach…
Von Christian Modehn

1.
Die Erinnerung, das Gedenken, das Forschen und Fragen anlässlich des 1.September 1939 kann sich überhaupt nicht punktuell nur auf das Datum allein beziehen. Es gilt, die lange Vorkriegsgeschichte zu beachten (wann beginnt sie?) und den Krieg selbst als Tat der Deutschen, vor allem der deutschen Nationalsozialisten und ihres verbrecherischen Führers Adolf Hitler bis zur Nachkriegszeit. Also zur restaurativen Entwicklung in der BRD unter der CDU/CSU und zur Entwicklung des „Sozialismus“ in der DDR.

2. Eine knappe Zusammenfassung zum Thema als grundlegende Orientierung:
Der Katholizismus in Europa war bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts national und nationalistisch geprägt. Es war eher normal, um nur bei dem Bild zu bleiben, dass ein katholischer Franzose einen katholischen Deutschen an der Front erschoss. Die Bindung an das beiden gemeinsame Evangelium (Bergpredigt) war nicht mehr als ein subjektiver Spruch; viel bedeutungsloser als die Bindung an die Nation. Das galt schon im 1. Weltkrieg. Eine gemeinsame pazifistische europäische katholische Haltung war undenkbar. Ist sie heute denkbar? Wo sind die anti-nationalistischen katholischen Organisationen in Deutschland, Polen, Frankreich, Irland usw.?

3.
Der Katholizismus als durch und durch autoritär gestaltetes und autoritär von meist alten Herren geführtes Kirchensystem (ohne jede Form demokratischer Mit-Bestimmung, man spricht von vatikanischer „Wahlmonarchie“) stand den autoritären faschistischen Systemen a priori nahe. Man fühlte förmlich ähnlich, was Zuverlässigkeit, Ordnung, Unterordnung, Gehorsam angeht… Dies gilt zumal, wenn die faschistischen Führer irgendwas Religiöses oder gar Pro-Katholisches von sich gaben. Und etwa den Bestand der katholischen Privatschulen zu sichern versprachen.
Der Faschismus, vor allem auch die Herrschaft Hitlers, wurde katholischerseits gegenüber dem Sozialismus und Kommunismus (auch in der Sowjetunion) als das geringere Übel behandelt. Der Faschismus, auch Hitler, so glaubten die obersten Kleriker und die ihm hörigen katholischen Massen, seien sogar ein gutes, geeignetes Mittel, den allergrößten Todfeind der Katholiken, den Kommunismus, zu besiegen. Der Kommunismus galt als Konkurrenz zum Katholizismus, als eine irdische Ersatzreligion, die die Erlösung der Menschen hier auf Erden bewirken will. Dass diese Faschisten Juden verfolgten und ermordeten, wurde letztlich billigend in Kauf genommen und vielleicht noch stillschweigend mit uralten christlich-antisemitischen Vorurteilen begründet. Es war katholischerseits offenbar nicht möglich, gleichzeitig den Faschismus wie den Bolschewismus (Stalin) zu verurteilen und zur bekämpfen. Dann hätte die Kirche demokratisch werden müssen und die Menschenrechte respektieren müssen. Aber nein, der Katholizismus blieb und bleibt autorität. Und begründet die Ablehnung einer demokratisch gestalteten katholischen Kirche sogar noch heute mit dem angeblichen Willen Gottes: Ein Gott, der für seine eigene Organisation im 20. und 21. Jahrhundert keine Demokratie will, ist schon ein komischer Gott.

4.
Ein Aspekt, aber sicher kein marginales Thema, ist Bedeutung der Päpste in dieser Zeit, ferner die Rolle, die die deutschen Bischöfe vor dem 2. Weltkrieg und im 2. Weltkrieg spielten in ihrer Beziehung zum Hitler Regime. Und dann die schwache katholische Basis, die sich etwa im „Friedensbund deutscher Katholiken“ sammelte.
Zu den genannten Themen, umfassend wie sie sind, können hier nur Hinweise gegeben werden. Sozusagen Impulse und Forschungsmöglichkeiten.

5.
Es sollte viel stärker die Bedeutung von Papst Benedikt XV. (1914-1922) beachtet werden und zwar im Blick auf seinen verbalen Pazifismus. Dieser Papst sollte hinsichtlich seines Friedensengagements viel mehr beachtet werden. Aber das blieb wirkungslos: Pater Franzismus Stratmann hat darauf hingewiesen: „Von einer begeisterten Gefolgschaft der Mehrzahl der Katholiken hinter ihrem obersten Hirten (Benedikt XV.) kann keine Rede sein“. (In: „Hermes Handlexikon: Die Friedensbewegung“. ECO Taschenbuch, 1983, S. 219).

6.
Über die Rolle Papst Pius XII. im Umgang mit den Faschisten Italiens, mit dem Hitler-Regime und der Juden-Ausrottung ist vieles geschrieben worden. Es gibt wohl einen Trend in der historischen Forschung, der das sehr zögerliche Verhalten des Papstes Pius XII. gegenüber dem Schutz der Juden aufzeigen. Ob mehr Klarheit nach der nun endlich angekündigten Öffnung der vatikanischen Archive in dieser Frage möglich wird, ist natürlich offen: Welche Dokumente sind noch vorhanden, welche können unabhängige Historiker lesen etc.? Einige interessante Aspekte bietet mein Beitrag auf dieser Website. Hier klicken.

7.
Über das Verhalten der deutschen Bischöfe 1939 und zum Hitler Regime hat jetzt der kürzlich verstorbene Theologe und Kirchenhistoriker Prof. Heinrich Missalla (Essen) einen „offenen Brief“ an die heutigen Bischöfe in Deutschland verfasst. Missalla war ein Spezialist für diese Fragen, was er schreibt in dieser Kürze, ist für die allermeisten Kirchenführer damals eine politische und moralische Katastrophe. Nur ein kleiner Auszug aus dem wichtigen Beitrag Missallas:
„Nach dem Überfall auf Polen übernahm der Bischof von Münster von Galen die offizielle Version vom Angriff der feindlichen Mächte auf das friedliebende Deutschland; unsere Soldaten erkämpften „einen Frieden der Freiheit und Gerechtigkeit für unser Volk“. Für Bischof Machens von Hildesheim wurde der Krieg „gegen das Recht des deutschen Volkes auf seine Freiheit“ geführt. Bischof Berning von Osnabrück ließ die Gläubigen „beten, daß Gott uns den Sieg verleihe“. Vier Tage nach dem Angriff auf die Sowjetunion wussten und lehrten die deutschen Bischöfe, dass die Soldaten mit ihrer Pflichterfüllung „nicht nur dem Vaterland dient(en)“, sondern sie wagten sogar zu behaupten, dass sie damit „auch dem heiligen Willen Gottes folgt(en)“. Der Bischof von Münster nannte den Krieg jetzt einen „neuen Kreuzzug“, in dem „der Soldatentod des gläubigen Christen in Wert und Würde ganz nahe dem Martertod um des Glaubens willen (steht,) der dem Blutzeugen Christi sogleich den Eintrittin die ewige Seligkeit öffnet.“ (Quelle: Heinrich Missalla_ Brief_an DBK_80 Jahre Kriegsbeginn pdf.)_

8.
Die katholische Friedensbewegung in Deutschland war in der Weimarer Republik sehr schwach: Es war der Friedensbund der deutschen Katholiken, (FDK), repräsentiert vor allem von dem Dominikanerpater Franziskus Stratmann (1883-1971). Der Friedensbund hatte 45.000 Mitglieder (Zit. in Hermes Handlexikon a.a.O, S 221). Die Tragik war, dass diese katholische Friedensorganisation fast ausschließlich an die katholische Zentrumspartei gebunden war, die ja auch einen schwachen demokratischen-republikanischen Flügel hatte (J. Wirth z.B.). Es gab auch Versuche, den FDK an die einzige pazifistische Partei, die „Christlich-Soziale Reichspartei“ (CSRP), zu binden, aber das brachte keinen Durchbruch hinsichtlich der Massenwirkung des FDK. Unter dem starken antipazifistischen Druck der CDU/CSU löste sich der „Friedensbund der deutschen Katholiken“ 1951 auf. Es folgte die katholische Organisation PAX CHRISTI, die sich zunächst als Gemeinschaft derer betrachtete, die für den Frieden betet oder individuelle freundschaftliche Verbindungen etwa zwischen Deutschen und Franzose förderte.

9.
An Pater Stratmann sollten sich Katholiken dieser Tage besonders erinnern: Er war als Theologe und Publizist hochbegabt, er wandte sich gegen die damalige theologische Ideologie, der Krieg sei eine Folge der Erbsünde und Ausdruck menschlicher Unvollkommenheit. Dagegen betonte er die vernünftige Erkenntnis: Irgendeine greifbare, friedenspolitische Bedeutung muss die Erlösung durch Jesus Christus doch wohl haben. 1933 wurde Stratmann verhaftet, er konnte über Rom in die Niederlande fliehen, wo er sich in Klöstern versteckte. Stratmann war u.a für den gewaltfreien Widerstand gegen den verbrecherischen Staat, er forderte einen starken Völkerbund (vgl. den kurzen Hinweis im genannten „Hermes Handlexikon, Die Friedensbewegung, S. 378).
Zu den Gründungsmitgliedern des FDK gehörte uch der katholische Pfarrer Max Josef Metzger, auch mit dem Internationalen Versöhnungsbund war er eng verbunden. Er verfasste eine Denkschrift zur Friedenspolitik, wurde daraufhin von Freisler, Chef des Volksgerichtshofes, als „Pestbeule“ bezeichnet, die man „ausmerzen“ muss: Am 17.4 1944 wurde er im Gefängnis in der Stadt Brandenburg enthauptet. Was mag er wohl von den anpasslerischen und „Mitläufer-Bischöfen in Deutschland gedacht haben, er, der mit gefesselten Händen ein halbes Jahr im Gefängnis noch gequält wurde….

10.
Heute ist das Thema Friedenspolitik, Abrüstung, Kritik am Waffenexport alles andere als ein Hauptthema des deutschen oder des europäischen Katholizismus. So dringend und absolut wichtig die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs durch Priester auch ist: Diese Beschäftigung und die mit den üblichen Kircheninterna (Zölibat, Aufhebung der Gemeinden zugunsten der monumentalen Groß-Pfarreien usw.) bindet die ohnehin schwächer werdende Energie des Katholizismus.
Politische Gestaltung der Gesellschaft und der Welt im ganzen im Sinne der universalen Menschenrechte ist NICHT Mittelpunkt katholischen Denkens und katholischer Arbeit. Denn diese würde zur Kritik an den sich oft noch christlich nennenden Parteien führen, zu neuen auch außerkirchlichen Bündnispartnern, würde zur Distanz gegenüber dem Staat führen … und die Einbindung der Kirche in das kapitalistische System freilegen. Aber davor haben die Bischöfe Angst. Und so ist der deutsche Katholizismus auch 80 Jahre nach Kriegsbeginn keine Avantgarde des Friedens, der Abrüstung, der Gerechtigkeit unter den Völkern. Das alles überlässt man kleinen Sonderorganisationen wie Pax Christi oder den Hilfswerken, die vor allem eins wollen: Spenden sammeln. Und so ein ruhiges Gewissen beschaffen…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

…………….
Literaturhinweise und Empfehlungen:
IN KOOPERATION MIT DEM ÖKUMENISCHEN INSTITUT FÜR FRIEDENSTHEOLOGIE:

1. DIE SEELEN RÜSTEN – Zur Kritik der staatskirchlichen Militärseelsorge.
Herausgegeben von Rainer Schmid, Thomas Nauerth, Matthias-W. Engelke und Peter Bürger. (edition pace 8.) Norderstedt 2019.
[ISBN: 9783749468041; Seitenzahl: 456; zahlreiche farbige Abbildungen; Preis 15,99 Euro].

2. Im Sold der Schlächter – Texte zur Militärseelsorge im Hitlerkrieg.
Herausgegeben von Rainer Schmid, Thomas Nauerth, Matthias-W. Engelke & Peter Bürger.
(edition pace 6). Norderstedt 2019.
[ISBN 9783748101727; Seitenzahl: 440; fünfzehn farbige Abbildungen; Preis 14,99 Euro] https://www.bod.de/buchshop/im-sold-der-schlaechter-9783748101727
(Leseprobe mit Inhaltsverzeichnis oben links abrufbar)
Mit einer Direktbestellung bei BoD fördern Sie die Friedensbibliothek der edition pace; das Werk ist auch überall vor Ort im Buchhandel bestellbar.
BUCHVORSTELLUNG IM NETZ:
https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/012393.html

Jahrzehntelang wurden die Abgründe der staatskirchlichen Kriegsbeihilfe 1939-1945 verschleiert. Die vorliegende Dokumentation erschließt Forschungsbeiträge, Quellentexte, Interviews und Kommentare zur Militärseelsorge der beiden großen Kirchen in Hitlers Vernichtungsfeldzug. Die Richtlinien (24.5.1942) fielen denkbar eindeutig aus: “Die Feldseelsorge ist eine dienstliche Einrichtung der Wehrmacht. […] Der siegreiche Ausgang des nationalsozialistischen Freiheitskampfes entscheidet die Zukunft der deutschen Volksgemeinschaft und damit jedes einzelnen Deutschen. Die Wehrmachtseelsorge hat dieser Tatsache eindeutig Rechnung zu tragen.” Durch die Vermittlung eines neuen Forschungsstandes wird deutlich, wie bereitwillig evangelische wie römisch-katholische Militärseelsorge dieser Vorgabe zur Kollaboration beim Völkermord Folge geleistet haben. Nach Kriegsende warfen auch Soldaten den Militärgeistlichen vor, sie hätten als gutbezahlte Offiziere “im Solde derer gestanden, die uns zur Schlachtbank geführt haben”.
Dieses Buch enthält Beiträge von Christian Arndt, Holger Banse, Dieter Beese, Peter Bürger, Matthias-W. Engelke, Ulrich Finckh, Ulrike Heitmüller, Hartwig Hohnsbein, Herbert Koch, Dietrich Kuessner, Antonia Leugers, Heinrich Missalla, Kristian Stemmler, Erika Richter, Dieter Riesenberger und Martin Röw.
Herausgegeben in Kooperation mit dem Ökumenischen Institut für Friedenstheologie

3. „Gewaltfrei leben“
John Dear: Gewaltfrei leben. Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler, herausgegeben von Thomas Nauerth (editionpace 7) Norderstedt 2019. ISBN 9783749451791; Seitenzahl: 192; Preis: 8,90 €.
Ohne Portozuschlag direkt bestellbar bei BoD:
https://www.bod.de/buchshop/gewaltfrei-leben-john-dear-9783749451791

Nach dem Sammelband „Ein Mensch des Friedens und der Gewaltfreiheit werden“ (2018) liegt jetzt auch der das Buch “The Nonviolent Life” des US-amerikanischen Friedenstheologen und gewaltfreiem Aktivisten John Dear unter dem Titel „Gewaltfrei leben“ dank der Übersetzerin Ingrid von Heiseler als deutschsprachige Ausgabe vor.
“Machen wir die aktive Gewaltfreiheit zu unserem Lebensstil.” Dazu rief Papst Franziskus 2017 in der Botschaft zum Weltfriedenstag auf. Vom “Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens” spricht der Ökumenische Rat der Kirchen. John Dear übersetzt diese Aufrufe und Appelle in einen dreifachen persönlichen Weg, den jeder und jede zu gehen vermag; er spricht von einer spirituellen Lebensreise, auf der drei Dinge zu lernen sind: Gewaltfreiheit im Umgang mit sich selbst; Gewaltfreiheit im Umgang mit allen Mitmenschen und Gewaltfreiheit leben, indem wir uns der globalen Basisbewegung der Gewaltfreiheit anschließen. “Um Menschen der Gewaltfreiheit zu sein, müssen wir alle drei Dimensionen gleichzeitig praktizieren, denn nur in dem Fall können wir Gewaltfreiheit authentisch ausüben“.
Mit großer Eindringlichkeit, großem Pathos und in unbeirrbarer Hoffnung wirbt Dear für diesen dreifachen Weg: “Das können wir tun. Wir können ein gewaltfreies Leben führen. Wir können Gottes Gabe des Friedens in uns, unter uns und in der Welt willkommen heißen. Wir haben mehr Macht, als wir denken. Wir alle haben die Macht des Gottes des Friedens in uns, wenn wir an diesem Glauben festhalten und ihm gemäß zu handeln wagen. Wir können den Frieden zu unserer Heimat machen und dazu beitragen, dass die Erde für alle in eine Heimat des Friedens verwandelt wird.”
Das Buch ist erwachsen aus Besinnungs- und Einkehrtagen, die John Dear als katholischer Priester und ehemaliger Jesuit, in den letzten Jahren zahlreich gegeben hat. Von daher hat es nicht den Anspruch, ein wissenschaftliches theologisches Werk zu sein. Das kommt der Lesbarkeit sehr zugute. Gleichwohl können nicht nur einfache Christenmenschen, sondern wohl auch Theologen einiges von diesem Buch lernen. Denn es ist ein tief religiöses, ein spirituelles und zugleich ein eminent politisches Buch, das mit einem Gebet eröffnet und abgeschlossen wird. Die Politik wird aber nicht auf der Ebene der Mächtigen gesucht, sondern sie wird im täglichen Einsatz für eine gerechtere und gewaltfreiere Welt, im täglichen Widerstand gegen die herrschenden Mächte gesucht und gefunden. John Dear ist überzeugt, dass wir dabei auch Gott selbst neu entdecken: „Wenn wir Gott in dieser Arbeit für den Frieden entdecken, vertiefen wir unsere spirituellen Wurzeln und finden neue Kraft, Gnade und Hoffnung, unser Leben lang für Gerechtigkeit und Abrüstung zu kämpfen.“
John Dear hat Leser und Leserinnen vor Augen, die nicht alleine lesen. Nach jedem Buchteil finden sich „Fragen als Anstoß für persönliche Überlegungen und für Gespräche in Kleingruppen“. Insofern ist dieses Buch gut geeignet auch für Gemeinden und Gemeinschaften, die sich, wie das in Deutschland heißt, „auf den Weg zu einer Kirche des gerechten Friedens“ begeben haben.
https://www.bod.de/buchshop/gewaltfrei-leben-john-dear-9783749451791

Diese Buchhinweise sind von peter bürger
kiefernstr. 33
d-40233 düsseldorf
phone 0211-678459
mail peter@friedensbilder.de
www.friedensbilder.de
www.sauerlandmundart.de

Über die Vernichtung der Menschheit: Die „Lunge der Welt“ wird am Amazonas bewusst zerstört.

Der Regenwald rund um den Amazonas brennt –
Wie kann sich die Weltgemeinschaft von Bolsonaro und seiner Lobby befreien?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wenn der Urwald rund um den Amazonas, vor allem in Brasilien, durch Brandtstiftung zerstört wird, dann wird, das ist völlig klar, die „Lunge der Menschheit“ vernichtet. Mehr als 70.000 Feuer wüten momentan (23.8.2019) vor allem in den nordostbrasilianischen Bundesstaaten, wie Acre, Mato Grosso. Auch in Paraguay, Bolivien, Peru und Nordargentinien brennt es: Wer die „Lunge der Menschheit“ zerstört, der zerstört also letztlich die Menschheit sowie die Erstbetroffenen, die dortigen indigenen Völker und ihre Natur. 900.000 Indigene aus mehr als 300 Völkern leben dort. So dass sich jetzt die Menschheit, vertreten durch die wenigen noch demokratischen Staaten und die vernünftigen, d.h. an Menschenrechten und Naturrechten orientierten Menschen, sehr heftig und sehr erfolgreich wehren müssen gegen diese Zerstörung der Überlebensgrundlage. Es geht also um Leben und Tod. Denn die Brandstiftung ist eine Art Kriegserklärung, motiviert allein aus der ökonomischen Gier des Kapitalismus und seiner Konzerne. Diese Zerstörung der Lunge der Menschheit wird mit ungeahnter Brutalität betrieben, von Präsident Bolsonaro und seinem Clan sowie seinen verblendeten Verbündeten (wie Trump) geduldet und gewünscht. „Die brasilianische Regierung ist als geistiger Brandstifter verantwortlich für die Situation“, erklärt Roberto Maldonado, Brasilien-Spezialist beim WWF Deutschland.

Das Schlimme ist: Der letztlich verantwortliche brasilianische Politiker Bolsonaro wurde zum Präsidenten gewählt, er ist also formal gesehen kein Diktator. Er wurde bekanntlich gewählt vor allem mit den Stimmen der ultrafrommen Evangelikalen, der Pfingstler und des mächtigen konservativen (antisozialistischen, „Anti-Lula“) Teils der katholischen Kirche. Werden sich diese (begüterten) Kreise von Bolsonaro abwenden? Sie könnten das, aber sie tun das aus ökonomischen Gründen nicht. Sind sie gewissenlos? Vielleicht!
Die entscheidende Frage abe ist: Wie kann die bedrohte Weltgemeinschaft einen Präsidenten und seinen Clan, definitiv „privatisieren“?
Das ist die Frage, die sich Demokraten jetzt stellen müssen.

Rechtlich gesehen ist das alles neu und es gibt meines Wissens kein Beispiel, wie letztlich verbrecherische, aber gewählte Politiker, etwa als Zerstörer der „Lunge der Menschheit“, bestraft werden können. Es wäre dringende Aufgabe der Juristen zu prüfen, wie schnell Bolsonaro vor ein internationales Tribunal gestellt werden könnte. Und wie man die Opposition in Brasilien so stärken kann, dass sie Bolsonaro und seinen Clan abwählt oder absetzt.

Das katholische Hilfswerk ADVENIAT in Essen, auf Lateinamerika seit Jahren spezialisiert, spricht in dem Zusammenhang in ungewohnter politischer Deutlichkeit. Ich zitiere aus einer Pressemeldung vom 23.8. 2019:

„Deutschland und die Europäische Union machen sich mit ihrer Unterschrift unter das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten an den verheerenden Waldbränden mitschuldig“. Das sagt der Brasilien-Referenten des Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, Klemens Paffhausen: „Die versprochenen niedrigeren Zölle auf Importe von Rindfleisch und Soja aus Südamerika führen zu mehr Abholzung und mehr Anbauflächen.“

In jedem Fall: Auf der verbrannten Erde am Amazonas wird eines Tages Soja angebaut für den Fleischkonsum, auch in Europa! Unser Fleischkonsum ist also mitschuldig an der Zerstörung der “Lunge der Menschheit”.

Im Pressebericht von ADVENIAT heißt es weiter:
„Medienberichten zufolge ermittelte die Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Pará bereits, ob es einen gezielten Plan von Großgrundbesitzern in der Stadt Novo Progresso gegeben hat. Sie sollen einen Tag des Feuers ausgerufen haben. Und just an dem von ihnen genannten Stichtag, dem 10. August, sei die Zahl der Brände in dieser Region um mehr als 700 Prozent angestiegen“, berichtet Klemens Paffhausen, Brasilien Spezialist von ADVENIAT.
Aber die Zerstörung des Urwaldes dort hat leider eine lange, oft unbeachtete Geschichte:
„Es gibt jedoch auch eine langfristige Ursache, auf die Wissenschaftler seit Jahren hinweisen. Nach ihren Angaben seien 20 Prozent des Regenwaldes im Amazonasgebiet abgeholzt, weiter 40 Prozent geschädigt. Entlang der Flüsse und Straßen fressen sich die gigantischen Sojaplantagen und Rinderweiden gnadenlos in den Regenwald. Der Verlust des wasserreichen Waldes führt seit Jahren zu immer längeren Trockenperioden. Kein Wunder, dass er nun wie Zunder lichterloh brennt. Der Wald verdorrt, die Regionen verwüsten, die Indigenen verlieren ihre Lebensgrundlage“, sagt Brasilien Experte.

Bolsonaro will von der Katastrophe ablenken, indem er Regime-Kritiker „Neokolonialisten nennt.

Selbst der oberste katholische Bischofsrat Lateinamerikas sagt klar: „Was im Amazonasgebiet passiert, ist keine lokale Angelegenheit, sondern von globaler Tragweite.“
Man kann gespannt sein, ob die katholische AMAZONAS Synode im Oktober 2019 dazu auch politisch deutlich spricht. Warum kann Rom Herrn Bolsonaro, der ja formal noch katholisch ist (trotz seiner Bindungen an die Evangelikalen) nicht exkommunizieren?

Und warum findet diese „Amazonas“ – Synode in Rom statt und nicht naheliegenderweise am Amazonas, etwa in Manaus, wenn sie doch „Amazonas Synode“ heißt? Sollen doch die Bischöfe den monströsen Waldbrand vor Augen erleben und in dieser Situation auch politisch relevante Entscheidungen treffen. Aber nein: Rom und der Vatikan sind relativ gemütlich. Von den Flugkosten der aus dem Amazonasbereich einfliegenden Bischöfe und dem CO2 Verbrauch redet man kirchlicherseits im Vatikan nicht.

Es geht vor allem auch um ein neues ökologisches Denken und Handeln auf Weltebene: Nicht mehr der gierige Mensch steht im Mittelpunkt, sondern die Natur im Ganzen, der Mensch ist NUR ein Teil der Natur, keineswegs aber der allmächtige, d.h. immer auch zerstörerische Herrscher gegenüber der Pflanzen – und Tierwelt.
Es gilt also den Herrschaftsanspruch der Menschen zu brechen. Daran können die Kirchen entschieden mitarbeiten: Sie müssen die Gläubigen zum Widerstand aufrufen und erziehen, zum Widerstand gegen die Gier der Konzerne. Und zum Widerstand gegen den Fleischkonsum.
Die Kirchen insgesamt sollten also zeigen, dass der biblisch überlieferte Herrschaftsanspruch des Menschen über die Welt und die Natur eigentlich ein Missverständnis ist.
Was kann der einzelne tun angesichts der Zerstörung der “Lunge der Welt”? Er sollte sich dauernd informieren über das, was in Brasilien passiert. Und in Gesprächen andere auf Brasilien aufmerksam machen. Er sollte sich solidarisieren mit Gruppen in Brasilien, die der Vernichtung des Regenwaldes Widerstand leisten und an einer Absetzung des Herrschers Bolsonaro arbeiten. Und, auch dies, er sollte weniger Rindfleisch essen, denn die Waldbrände am Amazonas sollen letztlich den Rindfleisch-Konsum auch in Europa fördern. Rindfleisch Essen hat also förmlich etwas mit dem Untergang der “Lunge der Menschheit” zu tun.

PS:
Die katholische Kirche in Brasilien verfügt seit langem über den ökumenischen indigenen „Missionsrat“ CIMI sowie über das Amazonasnetzwerk REPAM (Red Ecclesial PanAmazónica). Wichtig sind auch die Publikationen von Bischof Erwin Kräutler, der viele Jahre am Amazonas lebte und die Rechte der Menschen und der Natur heftig verteidigte. Es lohnt sich, die Bücher und Beiträge des ungewöhnlichen katholischen Bischofs zu lesen!

Die notwendige Kritik in Deutschland an Brasiliens Regenwald-Vernichtung fällt schwer, wenn man bedenkt: Statistisch gesehen gehört Brasilien bis jetzt nicht zu den ganz großen Umwelt-„Sündern“, sondern eben Deutschland, Europa, USA und China.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Hongkong: Christen aktiv im Widerstand!

Ein Hinweis von Christian Modehn

Christen in Hongkong sind jetzt aktiv im Widerstand: Sie wehren sich gegen die Aushöhlung des Rechtssystems in ihrer Stadt durch die Allmacht von Pekings Kommunisten. Ihre ständigen Proteste sind mit mehr als 2 Millionen Demonstranten die heftigsten und umfangreichsten, wohl genauso so bedeutend (und leider so gefährdet) wie 1989 in Peking, man denke an das Tienanmen – Massaker vom 4. Juni 1989.

Innerhalb dieses massiven Aufstandes des Volkes in Hongkong haben Christen eine wichtige Präsenz. Dieses Thema mag als eine politologisches Sonderfrage erscheinen, aber es ist genauso relevant und wichtig, wie vergleichsweise die Erinnerung an die Hilfe der Evangelischen Kirche in der DDR innerhalb der „friedlichen Revolution“ von 1989. Nur wird wohl leider angesichts der Allmacht Pekings der demokratische Aufstand in Hongkong anders enden als in der DDR.

Man muss wissen: Unter den 7 Millionen Einwohnern Hongkongs sind etwa 800.000 Christen verschiedener Konfessionen, zahlenmäßig sind die 480.000 Protestanten am stärksten (Baptisten, Lutheraner, Anglikaner, Church of Christ usw). Etwa 380.000 Einwohner bekennen sich zur römisch-katholischen Kirche, darunter auch viele Philippiner. Sie müssen, wie leider üblich für dieses arme Volk, die untersten „Dienste“ erledigen…

Die Wochenzeitung „LA VIE“ (Paris) hat am 16.8.2019 über die aktuelle Mitwirkung der Kirchenführer und Christen an den Demonstrationen in Hongkong berichtet.
Aus diesem Beitrag einige wichtige Informationen:
1.Bekanntlich haben die Demonstranten vor den offiziellen Gebäuden der Regierung „Sing Halleluja to the Lord“ gesungen, als spirituelle Stärkung und als Ausdruck ihrer friedlichen Gesinnung.
2. Ein katholischer Priester berichtet in „La Vie“, dass seine Kirche am 5.August 2019 als Adresse unter den jungen Demonstranten bekannt war: Bekannt als Zufluchtsort, um sich vor der Verfolgung durch die Polizei zu schützen. Und dieser Schutz wurde genutzt!
3. Später jedoch durfte diese Kirche, so der in „La Vie“ anonym bleibende Priester, nicht mehr als Schutzraum und Zufluchtsort für die Demonstranten dienen. Der eigentlich demokratisch gesinnte, aber auch diplomatisch agierende Weihbischof des Bistums Hongkong wollte es sich mit der Peking-hörigen Regierung seiner Stadt nicht verderben, deswegen sein Nein zum Schutzraum. Schließlich würden die katholischen Schulen, so der Weihbischof, auch von der Regierung Hongkongs mit – finanziert: Wie so oft, wiederholt sich die altbekannte katholische „Krankheit“: Eher katholische Einrichtungen schützen als bedrohten Kämpfern zugunsten der Menschenrechte helfen (man denke an die Politik des Vatikans während der Nazi-Zeit).
4. Die „Regierungschefin“ der „Sonderverwaltungszone Hongkong ist die „praktizierende“ Katholikin Carrie Lam. Sie hat ihre Ausbildung als Kind bereits in einer katholischen Nonnenschule erhalten. Als sie 2017 in diese höchste Funktion gewählt wurde und diese Funktion annahm, sprach sie davon, „nun sei ihr ein Platz im Himmel reserviert“. Ihre „Wahl“ war bekanntermaßen eine Farce: Denn nicht die Bürger Hongkongs wählten sie, sondern nur 1194 Wahlmänner eines „Wahlkomitees“, zusammengesetzt aus loyal der Führung in Peking ergebenen Leuten. Die Jesuiten-Zeitschrift AMERICA (New York) hat schon 2017 berichtet, dass unter demokratisch gesinnten Bewohnern die Frage gestellt wird: Wie kann diese führende katholische „Chefin“ Hongkongs, Frau Lam, zwei „Herren“ dienen, nämlich der allmächtigen KP Chinas UND dem Gott der Bibel und des Evangeliums als Friedensbotschaft. Katholische Demokraten in Hongkong wissen genau, dass Carrie Lam schon aufgrund ihrer hohen Funktion der kommunistischen Partei völlig ergeben sein muss. Sie hatte in ihrer Funktion sogar vor, nach Pekinger Vorbild, eine „religiöse Leitungseinheit“ zu organisieren, um alle Religionen Hongkongs sozusagen im „staatlichen Griff“ zu haben. Dieses Vorhaben ist aber nach Protesten zunächst gescheitert. Aber man sieht, dass demokratische gesinnte Katholiken wie der Weihbischof Joseph Ha Chi-shing, hin und her gerissen sind, einerseits für die globalen demokratischen Proteste zu optieren oder für den Erhalt der katholischen Schulen zu plädieren, dies ist ja vergleichsweise bloß ein bescheidenes pädagogisches und auch klerikales Projekt. Hingegen ist der 87 jährige (pensionierte) Kardinal Zen von Hongkong einer der schärfsten Anti-Kommunisten.
5. Auch innerhalb der anglikanischen Kirche Hongkongs gibt es unterschiedliche Positionen: Erzbischof Paul Kwong, berichtet „La Vie“, predigt ganz offen die „Unterwerfung“ unter die Weisungen Pekings. Das stört allerdings viele Anglikaner nicht, an den Demonstrationen teilzunehmen.
6. Am bekanntesten ist wohl der Baptisten Pastor Chu Yiu-ming, 75 Jahre alt. Er hat schon den Dissidenten vom Tiananmen – Platz geholfen, nach Hongkong zu fliehen. Im April 2019 wurde er zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Vorher hat er noch eine Art Predigt gehalten, die weite Verbreitung fand, auch „La Vie“ berichtet darüber. Er sagte u.a.: „Unsere Überzeugung basiert auf unserem Glauben. Jede menschliche Person ist nach dem Bilde Gottes geschaffen. Deswegen muss jede Person respektiert und geschützt werden. Wir streben nach der Demokratie, denn die Demokartie strebt nach Freiheit, Gleichheit und universeller Liebe…Glücklich sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, das Himmelreich gehört ihnen…“
7. Was die katholische Kirche angeht: Sehr bald muss ein neuer Erzbischof für Hongkong vom Papst ernannt werden. Wird es Michael Yeung sein, er soll der Kommunistischen Partei Pekings nahe stehen. Oder wird es der aufgeschlossene, demokratisch gesinnte Weihbischof Joseph ha Chi-shing. Viele Beobachter meinen, dass die gegenwärtige Personalpolitik des Vatikans gegenüber der katholischen Kirche in China eher den kommunistischen Herrschern gewogen ist. Dass dies vor allem Kreise behaupten, die Papst Franziskus alles andere als gewogen sind, verwundert nicht. Andererseits ist eine Kooperation Vatikan und KP Chinas auch kaum vorstellbar, es sei denn: Dass dem Vatikan das Überleben der Katholiken wichtiger ist als die Kritik am Regime in Peking.
Das zeigt einmal mehr, wie schwer es ist, ein halbwegs klares Bild zu erhalten selbst über den Zustand der Kirchen in Hongkong heute.
Seltsam finde ich es nur, wie gering das Interesse der (großen) Medien in Deutschland an dem Thema „Christen in Hongkong heute“ ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Philosophische Stadtführer: Ein Buch über Bamberg

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das hat es bisher noch nicht gegeben, auf dem wachsenden Markt der „Reiseführer“: Bücher, die speziell die Vergangenheit und Gegenwart der Philosophie in einer Stadt anschaulich beschreiben und auch speziell „philosophische Spaziergänge“ anbieten: Dabei hat es doch einen ungewöhnlichen Charme, auf den Spuren von Philosophen und philosophierenden Künstlern oder Schriftstellern durch eine Stadt zu wandeln … einiges zu lesen, unter kompetenter Begleitung zu Debattieren und ins Reflektieren zu kommen.

Für Bamberg ist vor kurzem ein „Stadtphilosophischer Lehrpfad“ erschienen: Meines Wissens in dieser Form ein Novum! Das Buch der Philosophen Andreas Reuß und Matthias Scherbaum verdient also Beachtung nicht nur bei denen, die sich für diese Stadt als „Weltkulturerbe“ interessieren, sondern auch bei allen, hoffentlich bei Verlegern, die „Philosophie und Stadt“ bzw. noch spezieller „Philosophie und Tourismus in der Stadt“ in Büchern gestalten wollen. Bekanntlich sind spezielle Reiseführer zur jüdischen Geschichte und zum jüdischen Leben sehr erfolgreich, wie auch Reiseführer „auf den Spuren von Künstlern, Literaten und Dichtern“. Nun also könnte eine neue Dimension von Reiseführern entstehen, zumal die Philosophien und damit auch etliche Philosophen heute aus der engen Welt der Universität herausgefunden haben.

Der philosophische Stadtführer zu Bamberg beschreibt viele Orte in der Stadt, die eine philosophische Vergangenheit für die Gegenwart sichtbar machen: Dabei wird nicht nur an den Aufenthalt Hegels in der Stadt erinnert und bei der Gelegenheit einiges Wesentliche über dessen philosophischen Ansatz vermittelt. Immerhin hat ja Hegel sein erstes ganz großes Werk „Die Phänomenologie des Geistes“ im Jahr 1807 in Bamberg veröffentlicht. Er arbeitete dort übrigens als Chefredakteur der „Bamberger Zeitung“, ein Job, der ihm gar nicht gefiel. Und von journalistischer Leichtigkeit und Zugänglichkeit ist seine „Phänomenologie“ jedenfalls nicht geprägt. Aber das Buch hat trotzdem bis heute „Geschichte gemacht“. Leider fehlt es offenbar an Orten und philosophischen Salons in Bamberg, wo Interessierte, auch Touristen, über die „Phänomenologie des Geistes“ oder Hegel „überhaupt“ ins Gespräch kommen könnten.
Vor Hegel hatte schon sein Studienfreund Schelling Bamberg besucht und naturphilosophische Vorlesungen gehalten, im Zusammenhang auch mit dem berühmten Arzt und vorbildlichen Klinikgründer Dr. Marcus. Auch der Philosoph Ludwig Feuerbach hat Beziehungen mit Bamberg: Er ging hier zur Schule. Schwer zu sagen, ob er sich angesichts der Überfülle von Kirchen und katholischen Traditionen damals (heute eher etwas marginaler) gerade deswegen zu einem Religionskritiker entwickelt hat.
Natürlich werden in dem Buch die großen Bamberger Kirchen auch philosophisch gewürdigt, etwa der Dom und der Domplatz oder das Karmeliterkloster mit seinem berühmten Kreuzgang. Philosophen und Theologen des Mittelalters begegnen dem Leser und Stadtbesucher etwa auf dem Michelsberg, die Autoren bieten einige Hinweise zu den „Lehren“ der jeweiligen Philosophen, diese Hinweise wirken manchmal etwas lexikalisch und „abstrakt“. Auch der Begründer des „Gregorianischen Kalenders“, der Jesuit Christophorus Clavius (1538 – 1612) ist, weil in Bamberg geboren, in dem Buch erwähnt.
Und das ist wohl gut so: Denn ein philosophischer Stadtführer, bestimmt „für viele“, muss den Begriff der Philosophie eher weit fassen und auch Forscher, Schriftsteller, Dichter und Künstler einbeziehen: Denn auch sie inspirieren zum philosophischen Reflektieren. So wird etwa E.T.A. Hoffmann in dem Buch „Stadtphilosophischer Lehrpfad Bamberg“ zwar erwähnt, für mich leider viel zu kurz. Und der „Lehrpfad“ selbst führt leider nicht zu seinem Wohnhaus, das heute ein kleines, aber feines Museum ist.

Was könnte ein philosophischer Reiseführer alles bieten, etwa über Berlin: Leibniz, Fichte, Hegel auch und Schelling, Kierkegaard, Marx, Schleiermacher, Guardini, sie alle und viele andere, etwa die Kantianer oder philosophisch gebildeten protestantischen Theologen hatten in Berlin ihre Orte, Benjamin auch in Grunewald … und all die Künstler, auch die Russen, die in Berlin (kurz) lebten, etwa der russische Philosoph Berdjajew: Was für ein prächtiges philosophisch und sicher auch unterhaltsames Buch könnte entstehen, auch ein Gedenken an den philosophierenden König Friedrich II, den „Alten Fritz“, der, tolerant wie er war, den Katholiken in Berlin die St. Hedwigskathedrale baute im Stil des römischen Pantheons. Ein solches Buch, das Philosophieren in die jeweiligen Lebensbedingungen der Stadt platzierend, und mit Adressen gegenwärtiger philosophischer Orte (Salons z.B.), könnte Menschen in die Philosophie führen. Es wäre ein Projekt, selbstverständlich mit entsprechenden Büchern über München, Frankfurt, Heidelberg, Paris, Amsterdam usw. für junge journalistisch begabte PhilosophInnen…

„Stadtphilosophischer Lehrpfad Bamberg“. Von Andreas Reuß und Matthias Scherbaum. Erich Weiss Verlag, Bamberg 2018. 168 Seiten.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

PS: Der Obertitel für die hier empfohlene Buchreihe könnte heißen: „Denk-Städte“. Diesen Titel reserviere ich mit copyright: 16.8.2019 Christian Modehn

Die freien Geister und Freigeister suchen ihre eigene Spiritualität: Über ein Buch von Lorenz Marti

Ein Buch – Hinweis von Christian Modehn

Das neue Buch von Lorenz Marti hat den Titel „Türen auf“. Natürlich sind damit auch die massiven Kirchenportale und schweren Eichentüren der Kathedralen gemeint, die, wie z.B. in Deutschland, so oft verschlossen sind. In „heiligen Tempeln“ sollte hingegen immer, bei offenen Türen, frischer Wind wehen. Davor haben aber bestimmte Herren (der Kirchen) Angst. Sie mögen den alten Staub und den leicht muffigen Geruch.
Also: „Türen auf“. Und dies ist vor allem eine Forderung an den einzelnen, sich selbst zu öffnen und Verpanzerungen abzulegen. Entscheidend für die Lektüre dieses anregenden Buches von Lorenz Marti ist der Untertitel „Spiritualität für freie Geister“. Auf Spiritualität kommt es an, nicht auf Dogmen, nicht auf religiöse Institute, „Religionen“. Sondern auf die ungebrochene und niemals zu kontrollierende Lebendigkeit des Geistes, des „spiritus“, der alle Menschen auszeichnet in allem Fragen, Forschen und religiösem Suchen. Also ist jeder und jede „irgendwie“ spirituell. Lorenz Marti legt Wert darauf, sich an „freie Geister“ zu wenden. Man möchte meinen, wohl auch an „Freigeister“, an Menschen also, die alte Verklammerungen an überlieferte Dogmen aufgegeben haben. Und zum Beispiel aus der Kirche ausgetreten sind. Die also aus der Sicherheit des „Gott-Habens“ ausbrechen mussten aufgrund eigener Lebenserfahrungen. Und die nun Ausschau halten, experimentieren, fragen, das neue Eigene suchen, das ihnen vielleicht vorübergehend eine Basis im Leben sein kann. Eine solche Spiritualität ist in Zeiten der “Kirchenaustritte” förmlich eine Notwendigkeit!

Lorenz Marti, Publizist und früher Journalist beim Schweizer Radio DRS in Bern, wendet sich also an die vielen Menschen, die in den Kirchen „spirituell heimatlos“ geworden sind. Aber doch einige Einsichten und Weisheiten des Christentums (und anderer Religionen) für sich bewahren wollen. Diese zunehmend große Gruppe der vielen tausend Menschen in Europa bezeichnet die Religionssoziologie als „Konfessionslose“, definiert sie also über einen Verlustbegriff „ – lose“. So, als hätten sie nichts mehr an Spiritualität. Dabei sind diese vielen Menschen doch gar nicht „ohne“ oder „-los“. Sie bilden oft ihre eigenen spirituelle Haltungen. Sie sind also, institutionell meist nicht mehr organisiert, freie Geister. Ob sie neue Orte des Gesprächs suchen und wollen, wäre eine Frage. Marti erwähnt als seinen Gewährsmann zu recht den Theologen Friedrich Schleiermacher: Für ihn war ja Kirche auch ein „Ort geselligen Miteinanders und des Zusammenseins“ unterschiedlicher Menschen. Solche neuen offenen Gemeinden, warum nicht als „offene Salons“ gestaltet, bräuchten vielleicht einige der „freien Geister“ zum Austausch. Warum nicht auch dies: Zum Lernen als Neues Entdecken.

Und genau sie werden von Lorenz Marti in seinem Buch zum Mitdenken und vor allem zum Weiterdenken eingeladen in insgesamt 46 kurzen Essays, die nie mehr als drei bis vier Buchseiten beanspruchen. So ist förmlich eine Art „Brevier“ für den Alltag entstanden: Ich würde fast den praktischen Rat geben: Man lese jeden Tag einen Beitrag und verwende mindestens die doppelte Zeit noch einmal zur Reflexion, wenn nicht zur Meditation. Manche Beiträge bieten grundsätzliche Reflexionen, etwa über „Gott“: „Ein unmögliches Wort“ (S. 144), andere Essays orientieren sich an Dichtern, wie Rilke, Gertrude Stein oder Mascha Kaleko.
Diese Essays sind unter neun Kapiteln zusammengefasst, die sich auf zentrale Haltungen und Werte beziehen: Aufbruch, Freiheit, Sinn, Vertrauen, Verbundenheit, Gelassenheit, Wahrheit, Offenheit, Zuversicht. Und zum Schluss noch der schöne Text „Eine Kerze anzünden“.
Was an den Essays fasziniert, ist auch die persönliche Sprache. Da spricht ein „Ich“, das selbst als freier Geist doch bewegt ist von einigen Weisheiten des Christentums, andererseits doch die Last der dogmatischen Lehren nicht mehr mit sich herumschleppen will. So plädiert der Autor in „sanfter Argumentation“, möchte man sagen, ruhig, nie arrogant, nie belehrend, für eine Unterscheidung der eigenen Geister, die in jedem Menschen auch religiös drängen und drängeln. Lorenz Marti plädiert letztlich für eine „Religion in ihrem humanistischen Gewand“. Und er weiß, was das reformierte Christentum, der Protestantismus, „eigentlich“ sein könnte, wenn er den liberalen Theologen Ulrich Barth (Halle an der Saale) zitiert: „Protestantismus heißt der Traum einer Religion für freie Geister“ (S. 50). Diese freien Geister wissen von ihren Grenzen, verzichten aber nicht aufs Hoffen: “Ein japanisches Sprichwort: Fällst du sieben Mal um, so stehe achtmal auf. Das ist Gnade… und dafür sage ich Danke“ (S. 112). Und dann wird der offene Geist als solcher deutlich formuliert: „Vielleicht hat dieses Danke eine konkrete Adresse, vielleicht aber auch nicht…“ Suche also jede Leserin, jeder Leser, ob er eine konkrete Adresse finde für sein „Danke fürs Dasein“. Es ist diese wohlwollende Offenheit, die keinen theologischen oder ideologischen Denk-„Zwang“ ausübt, dies macht die Lektüre des Buches so erfreulich … und hilfreich.
Was mir besonders gefallen hat? Vor allem dieser Satz: “Das Feuer hüten und nicht die Asche bewahren. Der Geist der Rebellion darf nicht erlöschen“ (S. 95).

Lorenz Marti, „Türen auf. Spiritualität für freie Geister“. Herder Verlag, August 2019, 192 Seiten. 18 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Die 10. Weltkonferenz der “Religionen für den Frieden” in Lindau: Sind die Götter wichtiger oder die Menschenrechte? Natürlich die Menschenrechte!

Ein Hinweis von Christian Modehn anläßlich der “10. Weltkonferenz der Religionen für den Frieden” in Lindau

1.
Einige grundsätzliche Fragen und auch Vorbehalte zur interreligiösen Groß-Konferenz in Lindau sollten öffentlich debattiert werden. So lobenswert auch die Versuche sein mögen, überhaupt unterschiedliche, zum Teil verfeindete Vertreter verschiedener Religionen zusammenzuführen. Nach allgemein verbreiteter und publizierter Überzeugung sind Religionen in ihren popularisierten Lehren de facto friedlos, unmenschlich und gewalttätig gegen andere Menschen. Dass bei der permanenten Gewalt die religiöse Dimension oft nur äußerlich als Motiv vorgeschoben wird und die eigentliche Ursache, die politische und ökonomische, verdeckt wird, ist eigentlich klar. Und dies wäre ein eigenes, wichtiges Thema für interreligiöses Groß-Konferenzen…
2.
Im idyllischen Lindau, am Bodensee, findet also vom 20. bis 23. August 2019 die „Weltversammlung von Religionen für den Frieden“ statt. Dies ist die 10. Weltversammlung der 1970 gegründeten internationalen Vereinigung „religions for peace“. Bemerkenswert ist schon der Titel: Es gibt also, logisch und historisch eindeutig, auch „religions against peace“, Religionen gegen den Frieden. Das wäre wohl der treffende Titel für „Religionen in der Weltgeschichte“. Insofern ist die neue Akzentsetzung „Religionen FÜR den Frieden“ eher selten und als Fernziel, als reale Utopie, dringend geboten. Die Frage ist: Wie können jemals alle Religionen im Miteinander zu Friedensreligionen werden? Was muss sich in der inneren dogmatischen Verfasstheit einer jeden Religion erst ändern, damit diese zu einer Friedensreligion wird, die diesen Namen immer und allgemein verdient. Und diesen friedlichen Charakter nicht nur bei Weltkonferenzen öffentlich propagiert.
3.
Diesmal werden in Lindau 900 religiöse „Autoritäten“, wie es offiziell heißt, aus über 100 Ländern teilnehmen sowie auch 100 Vertreter nationaler Regierungen und NGOs. Das ganze teure Unternehmen wird sehr stark finanziert von deutschen Steuergeldern. Über die Flugkosten der aus allen Ecken der Erde anreisenden „religiösen Autoritäten“ aus Islam, Kirchen, Judentum, Buddhismus, Bahaii, Hinduismus und so weiter wird in den Publikationen der Vereinigung (bis jetzt) kein Wort verloren. Ebenso, dass die religiösen Autoritäten bei dieser Viel-Fliegerei viel CO2 ausstoßen lassen, wird nicht erwähnt. Genauso wenig die Frage, ob man viele Dialoge und Interviews nicht auch über Video- Life – Interviews hätte führen können. Das wäre doch ein ökologisches Novum für eine Weltkonferenz! Und religiös und ethisch ein gewisses Vorbild, angesichts des ständigen Bedürfnisses, Prominente zu Mammut-Konferenzen zusammenzuführen. Bei denen dann so oft allgemeine blasse „Abschlussdeklarationen“ mitgeteilt werden, die drei Wochen später in den Papierkörben der Redaktionen landen. Man denke an die vielen, selbst von „Spitzenpolitikern“ eigentlich wirkungslos genannten „Gipfel der 8 oder 10 Supermächte“ usw. Man denke auch an die in Rom immer wieder veranstalteten Bischofssynoden, die im Resultat auch nur eine Papierflut erzeugen. Welcher Bürger welchen Staates erinnert sich an die Ergebnisse und Schlussdokumente der vergangenen neun „Weltkonferenzen für den Frieden“. Ich, auch als Journalist, der über Religionen arbeitet, erinnere mich in dem Zusammenhang an … nichts.
4.
Natürlich müssen die Religionen alles tun, damit sie sich zu Religionen des Friedens und zu Religionen der Friedensstiftung entwickeln. Sie müssen also das werden, was sie begrifflich vorgeben zu sein. Aber welcher Friede wurde wo, in welchem Land, durch die letzten vergangenen Weltkonferenzen dauerhaft erreicht? Da wären genaue und überprüfbare Aussagen interessant. Oder wurde durch die Weltkonferenzen nur Schlimmstes verhindert? Auch das wäre nachzuweisen.
5.
Ich vermute, die Bilanz dazu fällt schwach aus. Woran kann das liegen?
Es sind ja oberste und etablierte Führungspersonen verschiedener Religionen, die sich ein paar Tage bei diesen Weltkonferenzen in heilige Texte vertiefen und mühevoll in allen Texten eine gemeinsame humane, friedliche Grundhaltung herausdestillieren. Es sind natürlich eher liberale Denker und religiöse Führer, die sich da treffen, nicht die sehr vielen „Hardliner“ und Fundamentalisten, mit denen ein Dialog doch mal dringend nötig wäre. Solche Treffen milde gesinnter religiöser Friedensfreunde wurden schon seit Jahrzehnten auch anderweitig veranstaltet, man denke an die „Assisi-Treffen“, inszeniert von Papst Johannes Paul II.
Die üblichen und erwartbaren Konferenz-Erkenntnisse und Ergebnisse hingegen gehen dann wie erwartbar dahin, dass z.B. der Gott des Christentums und der Gott des Islams doch sehr ähnlich sein sollen. Oder dass Jesus und Buddha doch so vieles Gemeinsames haben. Dazu liegen bereits geschätzte 100 Studien und Bücher in allen großen Sprachen dieser Welt bereits vor. Aber solche Gemeinsamkeits-Bezeugungen bringen gar nichts, weil sie subjektlos formuliert sind: Das heißt: Es sind ja nicht die „Religionen“ als solche, also als feste Institutionen, die da zum Frieden bewegt werden sollen. Sondern es geht doch immer um Menschen, also geschichtliche Subjekte, die über die engen Grenzen ihrer dogmatischen Prägung springen sollen und eben dem Frieden den absoluten Vorrang geben noch vor ihrem konkreten konfessionellen Bekenntnis.
6.
Die Autoritäten, also alle diese Hochwürden und Heiligkeiten, die da nun in Lindau zusammen kommen, müssen sich fragen lassen: Welche faktische Macht haben sie, den möglicherweise in Lindau formulierten Friedensgedanken in ihren eigenen Religionen definitiv durchzusetzen? Oder bleibt es, wie es in der Broschüre zum Kongress heißt, bei einem „hoffen wir“? Lohnt sich für diese vage Erwartung, dieses „hoffen wir“, dieser Aufwand? Diese Unkosten? Diese CO2 Vergeudung?
7.
In der Lindauer Konferenz, so ist zu lesen, soll Nigeria in einem Focus stehen: Aber können nigerianische Christen und vor allem ihre so vielen so unterschiedlichen Kirchenführer etwa dafür sorgen, dass etwa diese pfingstlerischen Großunternehmen, Kirchen genannt, sich weiter ausbreiten und den interessierten Leuten das Geld aus der Tasche ziehen? Die starke Sehnsucht nach einem pfingstlerischen Tralala gerade unter den Armen und dem sich bedroht fühlenden Mittelstand hat doch ökonomische Gründe: Lagos ist ein widerwärtiger Moloch und der nigerianische Staat zerfällt – aus politischen und vor allem ökonomischen Gründen: Dann ist die Flucht in die bekannten abgezäunten Imperien der Pfingstkirchen-Millionärs-Pastoren wie eine Flucht ins Paradies. Sogar ein evangelikales Magazin in Wetzlar berichtet darüber: Diese Kirchen seien förmlich kleine autonome und autoritäre Staaten in einem zerfallenden Staat.
Was wird man also zu diesem zerfallenden Nigeria im hübschen Lindau sagen? Warum macht man dann eigentlich nicht gleich diese Konferenz in Lagos? Da würden den Würdeträgern aus aller Welt die Augen und die Nasen aufgehen angesichts von Schmutz und Gestank, falls sie denn ihr Tagungshotel verließen.
8.
Die Konferenz denkt meines Erachtens zu wenig kritisch-politisch. Wie könnte denn sonst die Vertreterin der „Rainforest-Initiative“ in Peru sagen, das Abholzen der Wälder etwa im Amazonasbereich sei, so wörtlich, „eine Tragödie“. Nein, dies ist keine schicksalshafte Tragödie, die unabwendbar ist im Sinne der griechischen Tragödien: Nein, das Abholzen dort zugunsten der Reichen und ihres Rindfleischkonsums ist ein Verbrechen, begangen von korrupten Politikern und Ökonomen weltweit, die bestraft werden müssten.
9.
Meine Meinung ist: Nur wenn alle diese vielen und verschiedenen und in sich selbst verschiedenen, also pluralen, Religionen etwas Größeres über sich selbst erkennen, könnten religiöse Institutionen noch für den Frieden praktisch sorgen: Dieses Größere über allen faktischen Religionen ist natürlich NICHT irgendein wieder konfessionell geprägter Gott. Aus den engen konfessionellen und religiösen Zusammenhängen kann niemals der Weltfriede entstehen, die Religionen sind viel zu dogmatisch fixiert. Nein: Das überragend Größere für alle vielen konkreten Religionen sind die Menschenrechte. Es ist die universale Menschenwürde, letztlich also die allen Menschen gemeinsame Vernunft, die über allen Religionen steht und die für den Frieden sorgen könnte. Wer es theologisch will: Diese Vernunft ist eine Gabe Gottes! Und man lese in diesen Weltkonferenzen wieder einmal lernbereit Lessings „Nathan der Weise“. Nur wenn alle Religionen und damit ihre „Führer“ anerkennen: Das Größere für uns, auch das Kriterium unseres Tuns, ist die Vernunft, d.h. die Menschenrechte, nur dann können wirkliche Schritte zum Frieden geschehen. Und über den allgemeinen Drang de Religionen zu missionieren, wäre kritisch nachzudenken. Genauso wie über die Verbote in muslimischen Staaten, die Religion zu wechseln, also etwa Christ oder Atheist zu werden. Wird man über diese Fragen in Lindau debattieren? Anklagen wird man diese muslimischen Staaten, die keine Religionsfreiheit dulden, nur dann: Wenn man auch diese Religionen dort dazu verpflichten könnte, die universalen Menschenrechte faktisch zu respektieren. Der religiöse Dialog ist heute eine Dialog über Menschenrechte. Sonst ist er nichts als ein hübscher Meinungsaustausch…
10.
Die Religionen in ihrer inneren, theologischen Vielfalt, sind meist IN sich selbst unfriedlich schon gegen die „Häretiker“ in den eigenen Reihen. Sie sind in ihrer eigenen Verfassung selbst kriegerisch, verletzend. Man denke etwa an den Ausschluss der Frauen von den Ämtern in der römischen Kirche. Das stiftet Unfrieden unter den Katholiken, vor allem den Frauen. Man denke an den Ausschluss von Homosexuellen aus den Ämtern der PfarrerInnen in mehreren Kirchen. Man denke an die Verfolgung von Homosexuellen im katholischen Polen mit der PIS Partei. In vielen sich muslimisch nennenden Staaten werden Homosexuelle immer noch verfolgt und getötet. Und in wie vielen sich irgendwie christlich nennenden afrikanischen Staaten werden Homosexuelle verfolgt? Wie könnten europäische Staaten und westliche Kirchen auf diese afrikanischen “christlichen” Länder Druck ausüben, damit die Menschenrechte dort respektiert werden? Das wäre doch kein Kolonialismus! Denn auch die Homosexuellen-feindlichen Kirchen in Afrika und ihre Führer (Kardinal Sarah, Guinea, jetzt Vatikan, etwa) üben Druck auf die Kirchen insgesamt aus (auf die Anglikaner, Katholiken, Lutheraner usw.) Das ist sozusagen eine Art Kolonialismus der einst Kolonisierten und Missionierten! Das wäre ein Thema für Lindau. Oder man denke an die Missachtung der Mystik in herrschenden islamischen Kreisen, man denke an die Tatsache, dass viele orthodoxe Kirchen in Europa ideologische Stützen der jeweiligen Herrscher (Putin) sind usw. .
11.
Man denke daran, dass die Religionen in dieser kapitalistischen Welt selbst schon vom Geist des Kapitalismus erfasst und durchdrungen sind. Dieser Ungeist prägt die Mentalitäten der religiösen Hierarchie, es ist die Lust am Geld, am äußeren Erfolg, an Stärke und hierarchischer Macht.
12.
Die Weltreligionen sollten also, um friedenspolitisch wirksam zu sein, Menschenrechts-Konferenzen gestalten und sich zu kritischen politischen Analysen durchringen. Sie sollten neue Bündnispartner unter den NGos suchen: Und die religiösen Menschen belehren: Ihr könnt alle selbstredend religiös in eurer Konfession sein. Aber das Wichtigste ist, dass ihr wahrhaft Menschen werdet, dass ihr als Menschen die Menschenrechte pflegt und in euren Gottesdiensten nicht nur die uralten so genannten heiligen Texte lest und tausendmal wieder nachbuchstabiert. Sondern eben die Menschenrechtserklärungen in der Predigt verständlich macht, um sie in der Praxis zu leben. Und eine Friedenspolitik im Sinne der universal geltenden Menschenrechte mitgestaltet, mit der Bereitschaft zu politischen Debatten um der vielen leidenden Menschen willen.
13.
Das heißt: Die Zeiten der nur religiösen Weltkonferenzen sind vorbei. Sie sind wahrscheinlich eine Art teures Hobby der ohnehin begüterten und verwöhnten, milde gesinnten religiösen Führer und Vielflieger. Das meiste, was da in Lindau zu hören sein wird, ist theologisch und religionswissenschaftlich längst erforscht, das meiste ist gesagt. Jetzt sind andere Themen dran, Menschenrechtsthemen aus religiöser Verantwortung, wenn man so will. Und andere Konferenzen mit dem Thema: „Die Welt-Religionen relativieren ihren eigenen dogmatischen Glauben und unterstellen sich gemeinsam der Geltung der Menschenrechte“. Das wäre das Thema für heute und morgen.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin