Für eine demokratische, republikanische Kirche: Erinnerungen an Abbé Grégoire, gestorben am 28.Mai 1831.

Datum: 28. Mai 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Dienstag, 28. Mai 2019 - um 0:00 Uhr am Dienstag, 28. Mai 2019
Gedenktag

Ein Hinweis von Christian Modehn

Er war ein führender Kopf der Französischen Revolution und ein Gestalter ihrer humanistischen Ziele: Der katholische Priester Abbé Grégoire. Sein vollständiger Name ist: Henri Jean-Baptiste Grégoire. Er war der berühmte „Priester-Bürger“, „citoyen par excellence“, schreibt der Historiker Bernard Plongeron (Concilium, 1989, Heft 1, Seite 31, französische Ausgabe).
Abbé Grégoire ist eine Ausnahme – Gestalt in dem damaligen antirepublikanischen, antidemokratischen und reaktionären Katholizismus, repräsentiert im Vatikan. Er hat dafür gesorgt, dass sich mindestens für ein paar Jahre die Ideen des katholischen Glaubens mit den richtigen Ideen der Französischen Revolution versöhnen konnten. Er ist die entscheidende Gestalt unter den Abgeordneten des revolutionären Parlaments, der die rechtliche Gleichberechtigung der Juden durchsetzte sowie auch die Abschaffung der Sklaverei. Die Bevölkerung der Republik Haiti, die erste unabhängige Republik in den damaligen südmaerikanischen Kolonien, hat ihn hoch verehrt! Und bei seinem Tod 1831 mehrere Tage eine Staatstrauer begangen.
Er hat für die Eingliederung des katholischen Klerus in die Verfassung der Republik gestimmt (Constitution civile du Clergé): „Alle Bischöfe und Pfarrer müssen von nun an von den Bürgern gewählt werden“. Der Papst wird lediglich von der Wahl benachrichtigt. Alle Priester müssen auf die Verfassung der Republik schören. Seit der Zeit ist der französische Klerus der Revolutionsepoche gespalten, republikanisch oder nicht, also königstreu und dem Papst ergeben.
Geboren wurde Grégoire am 4. Dezember 1750 in Vého bei Luneville in Lothringen, einer Region, in der sich unterschiedliche philosophische und aufklärerische Bewegungen versammelten. Er war zuerst Pfarrer und Theologe, bevor er als Abgeordneter ins Pariser Parlament kam.
Seine geistigen Impulse bezog er vor allem aus dem Studium der alten, der ursprünglichen Kirche („ecclesia antiquior“). Er verfasste zahlreiche politische und theologische Studien, 427 Titel von ihm sind bis jetzt zusammengetragen und tausende von Briefen: Ein Intellektueller und ein Verteidiger der Menschenrechte, und das alles ab 1789, zu einer Zeit, als die Päpste die Menschenrechte und die Freiheit verfluchten. Abbé Grégoire ließ sich nicht unterkriegen. Dabei hatte er gar nichts gegen die Dogmen der Kirche, er wollte nur menschliche Verhältnisse in Staat und Kirche. Er fand es normal, dass man katholische Bischöfe wählte: Er wurde etwa zum Bischof von Blois gewählt. Er setzte es durch, dass Französisch die Sprache in katholischen Messen wurde; er organisierte Synoden als Orte des freien katholischen Disputs. Er setzte sich für eine Versöhnung der römischen mit der orthodoxen Kirche ein.
Natürlich, möchte man sagen, wurde dies alles vom Vatikan verboten, untersagt, zerschlagen. Die zerstörerische Kraft alles Lebendigen war im Vatikan immer schon sehr groß. Aber Abbé Grégorie ließ sich nicht in die Verzweiflung treiben, er kämpfte für die Menschenrechte, für die Befreiung der “Schwarzen“. Michelet sagte von ihm: „Abbé Grégoire hat zwei Gottheiten gehabt, Christus und die Demokratie. Beide vermischten sich seiner Meinung nach zu einer einzigen Überzeugung, denn beide haben dasselbe Ideal, die Gleichheit und die Brpderlichkeit“ (Histoire et dictionnaire de la Révolution Francaise, Robert Laffont, 1987, Seit 860)
1950, zum 200. Gedenken an die Geburt dieses freien, republikanischen Priesters, Bischofs und Politikers war es ausgerechnet der vietnamesische Politiker Ho-chi-Minh, der seiner gedachte: als einem „Apostel der Freiheit der Völker“.
Am 28. Mai 1831 ist Abbé Grégoire in Paris verstorben. An seiner Bestattung auf dem Friedhof Montparnasse, Paris, nahmen 20.000 Studenten und Arbeiter teil, berichtet Bernard Plongeron (ebd., S. 43).
1989 im Rahmen der Feiern „200 Jahre Französische Revolution“ erhielt dieser republikanische, demokratische Priester endlich ein Ehrengrab im berühmten Pariser Panthéon. Die französischen Bischöfe, immer noch im Zorn auf ihren großen republikanisch-katholischen Vorgänger, nahmen selbstverständlich NICHT an den Feiern im Panthéon teil, so klein kariert sind diese Herren nun einmal. Lediglich der progressive Außenseiter unter den Bischöfen, Jacques Gaillot, Bischof von Evreux, nahm an den von Staatspräsident Mitterrand geleiteten Zeremonien im Panthéon teil.
Es wird Zeit, dass sich einige Leute an Abbé Grégoire erinnern. Leider sind seine Werke in deutscher Sprache nicht verfügbar. Ich finde diesen Mangel in gewisser Weise typisch: Wie viele hundert Bücher wurden in frommen Verlagen über Schwester Theresia vom Kinde Jesu in Lisieux oder über den angeblichen Mystiker, den Pfarrer von Ars publiziert?
Und eben nicht über einen revolutionären, republikanischen Priester und Bischof, einen Kämpfer für die Menschenrechte!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Die Religion ist der tiefste ruhige Meeresgrund…“ Wittgenstein lesen … und auch meditieren

Datum: 26. April 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Freitag, 26. April 2019 - um 0:00 Uhr am Freitag, 26. April 2019
Gedenktag

Ein Hinweis zu Wittgensteins Geburtstag am 26. April (1889)

Die Werke Ludwig Wittgensteins muss man nicht empfehlen, sie sind „Pflicht“ und Last und Freude und Inspiration.
Anlässlich seines Geburtstages am 26. April (der 29. April 1951 ist sein Todestag) plädiere ich für eine Lektüre einiger „Vermischter Bemerkungen“, die in Band 8 der Werkausgabe „Über Gewissheit“ bei Suhrkamp ab Seite 445 publiziert sind.
Diese meist knappen „Bemerkungen“ stammen aus dem Nachlass; sehr viele „Bemerkungen“ wurden 1945 nach Abschluss des ersten Teils der Schrift „Philosophische Untersuchungen“ notiert. Dieses Buch ist wohl der Hintergrund für viele „Bemerkungen“.

Das Zitat im Titel (von 1946) heißt vollständig:
„Die Religion ist sozusagen der tiefste ruhige Meeresgrund, der ruhig bleibt, wie hoch auch die Wellen oben gehen“. (S. 525)...
Kurz davor hat Wittgenstein notiert:
„Das Christentum sagt unter anderem, glaube ich, dass alle guten Lehren nichts nützen. Man müsse das Leben (Vom Verfasser kursiv, CM) ändern (oder die Richtung des Lebens). (ebd.)

Wer die "Vermischten Bemerkungen" liest, wird bemerken: Für Wittgenstein ist religiöser Glaube (im Christentum) ein „leidenschaftliches Sich-Entscheiden“ (S. 540, von 1947). Glauben ist für ihn vor allem Praxis, als Sprung in eine bestimmte Lebensform. Aber jede ethisch wertvolle Lebensform ist wohl nur in einem Sprung erreichbar, meint er. Darin wird der Einfluss Kierkegaards spürbar. Glaube hat für Wittgenstein zentral mit der Bewegtheit des Herzens zu tun. Wissenschaften können (seine) Lebensprobleme nicht lösen! Davon war Wittgenstein, der Skepiker, überzeugt.
Es ist also eine große Begrenzung, nur den Wittgenstein des „Tractatus“ zu lesen!

Ich empfehle auch die Darstellung des Religionsphilosophen Wittgenstein von Friedo Ricken, ín: “Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie“, Kohlhammer Verlag, 2003, S.29 bis 57.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Karfreitag und Ostern verstehen

Startdatum: 19. April 2019
Enddatum: 22. April 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Freitag, 19. April 2019 - um 0:00 Uhr am Montag, 22. April 2019
Gedenktag

Wer an Karfreitag und Ostern denkt, muss nicht aufs Denken verzichten.
Die Auferstehung Jesu offenbart: Alle Menschen haben Anteil an dem Ewigen, das Gott ist: Jesus überwindet den Tod, weil auch er ein viel geliebter Sohn, ein Geschöpf Gottes ist. Und er offenbart: Jeder Mensch hat als "Geschöpf Gottes" daran Anteil. Dies ist kein metaphysischer Trost. Sondern eine Aufforderung, die unendliche Würde des Menschen, jedes Menschen, politisch zu verwirklichen, in der Geltung der universalen Menschenrechte. Die alten dogmatischen Lehren vom "Sühnetod" werden also entschieden zurückgewiesen, also der unsinnige Gedanke, der immer noch vorherrscht: Gott(Vater) hätte ein Wohlgefallen daran, dass sein Sohn (Jesus) grausam am Kreuz umgebracht wird, weil durch sein Blut die Welt erlöst wird. Was soll das nur? Selbst wenn es Paulus sagt, muss es ja noch nicht richtig sein für ein heutiges Verstehen der Bibel.
In meinem Beitrag wird ein Impuls gesetzt. Der Glaube an die Auferstehung ist etwas "Einfaches", Nachvollziehbares...
Das einzige, so möchte ich sagen, worauf es ankommt, ist in dem Zusammenhang: Davon überzeugt sein, dass diese Welt irgendwie eine "göttliche Schöpfung"(inklusive Evolution!) ist! Dieses eine ist der zentrale Glaube der Christen.

Der russische Philosoph Nikolaj Berdjajew, gestorben am 23. März 1948

Datum: 23. März 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Samstag, 23. März 2019 - um 0:00 Uhr am Samstag, 23. März 2019
Gedenktag

Es ist sicher nicht unzutreffend: Gebildete West-Europäer wissen zu wenig über russische Philosophen, die sich nach dem Sieg der Bolschewisten in Russland ins westliche Exil begegen haben bzw. begeben mussten. Nikolaj Berdjajew verdient Aufmerksamkeit, weil er eben nicht wie viele russische Exilanten zu reraktionären Positionen neigte, also pauschal jeden Gedanken an die Notwendigkeit einer Revolution ablehnte. Am 23. März 1948 ist Berdjajew in Paris gestorben.

Thomas Bernhard als Kirchenkritiker: Anlässlich seines 30. Todestages am 12.2.2019

Datum: 12. Februar 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Dienstag, 12. Februar 2019 - um 0:00 Uhr am Dienstag, 12. Februar 2019
Gedenktag

Am 12.2.1989 ist der große Schriftsteller Thomas Bernhard in Gmunden, Österreich, gestorben, geboren wurde er am 9.2.1931. An ihn kann man in vielfacher Hinsicht erinnern. Auch die Auseinandersetzung mit der Religion, speziell mit der katholischen Kirche in Österreich, ist für ihn ein zentrales Thema. Und dies ist nicht Vergangenheit, wenn man an den sexuellen Mißbrauch von Kindern durch zahlreiche Priester denkt. Entsprechende Informationen "Bernhard und die Kirche" finden Sie hier.

Thomas Bernard scheibt in seinem Roman: „Auslöschung“:

Wir sind katholisch erzogen worden, hat geheißen, wir sind von Grund auf zerstört worden, Gambetti. Der Katholizismus ist der große Angsteinjager, der große Charaktervernichter des Kindes...Die katholische Kirche hat den zerstörten Menschen auf dem Gewissen, den chaotisierten, den letzten Endes durch und durch unglücklichen, das ist die Wahrheit...Die katholische Kirche duldet nur den katholischen Menschen, keinen anderen... Sie macht aus Menschen stumpfsinnige Kreaturen, die das selbständige Denken vergessen... Die Katholiken lassen die katholische Kirche für sich denken und dadurch auch für sich handeln, weil es ihnen bequemer ist, weil es ihnen anders nicht möglich ist“. (Auslöschung, Suhrkamp Verlag, 1. Aufl., 1986, S. 141 f.).

Das ist für Bernard der Skandal: Die Kirche macht aus Menschen nur noch „Gläubige“, ideologisch indoktrinierte Wesen, denen die Ganzheit des Lebendigen abhanden kommt. „Gläubige sind keine freien Geister“; für Bernhard besteht das Ziel des Lebens, wenn man das überhaupt bei ihm so sagen darf, „ein freier Geist“ zu werden.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

suhrkamp

Am 2. März vor 80 Jahren wurde Eugenio Pacelli zum Papst (Pius XII.) gewählt.

Datum: 2. März 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Samstag, 2. März 2019 - um 0:00 Uhr am Samstag, 2. März 2019
Gedenktag

Am 2. März 2019 sind es 80 Jahre her, dass Kardinal Eugenio Pacelli zum Papst gewählt wurde. Er nannte sich Pius XII. Es ist klar, dass anlässlich dieses halbwegs „runden Gedenktages“ wieder viele offiziell – katholische apologetische Statements vom Vatikan aus verbreitet werden, Statements und Bücher, die seit 1945 schon dem Motto folgen: „Pius XII. hat es doch so gut gemeint“. Und wieder ist zu erwarten, dass das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth (1963) verantwortlich gemacht wird für diese in vatikanischer Sicht böse Einstellung einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber einem Papst, der schon seit 1965 „selig gesprochen“ werden soll. Aber es klappt nicht so recht, diese heilig mäßige Vorbildlichkeit Pius XII. wirklich zu erweisen. Pius XII. wollte einzig und allein die Kirche retten. Der Faschismus war ihm ein kleineres Übel gegenüber dem Sozialismus und Kommunismus.

Erinnerung an die spanische Philosophin Maria Zambrano

Datum: 6. Februar 2019
Uhrzeit: um 0:00 Uhr am Mittwoch, 6. Februar 2019 - um 0:00 Uhr am Mittwoch, 6. Februar 2019
Gedenktag

Spanische Philosophen und Philosophinnen sind in Deutschland einem "breiteren", interessierten Publikum leider fast unbekannt, zumal jene, die eigenständige Wege im Denken suchten, also abseits der Universitäts-Philosophien mit ihren ziemlich rigiden Themen der "Philosophie für Philosophen".  Am 6. Februar 1991 ist die große spanische Philosophin Maria Zambrano gestorben, geboren wurde sie am 22.4. 1904.

Maria Zambrano wurde doppelt marginalisiert: „Einfach“ schon deswegen, weil sie als Frau eine bedeutende Philosophin war. Und: Weil sie einen anderen Stil, eine andere Gestalt der Philosophie lebte und in einem umfassenden Werk publizierte: Ein lebendiges Philosophieren in Verbindung von Literatur, Kunst, Mystik. Sie wehrte sich gegen die herrschende „schulphilosophische Kultur“ (S. 273 in Fornet-Betancourt).

Einer ihrer entscheidenden Lehrer war José Ortega y Gasset (1883-1955). „Mit dem Sieg der Faschisten in Spanien musste Maria Zambrano emigrieren“(S.277), sie ist ständig unterwegs, lebt in Mexiko, Kuba, Puero Ricos, Schweiz, Frankreich...

Philosophisch wehrt sie sich gegen die Engführungen einer rationalistischen Moderne. Sie plädiert für eine „poetische Vernunft“ (S. 289), ein Thema, das nach wie vor aktuell ist.

Diese poetische Vernunft stellt sich den Abgründen des Daseins, die ein rationalistisches Denken eher überspielt. Diese Gedanken entwickelt Zambrano in ihrem Buch „Der Mensch und das Göttliche“, auf Deutsch leider nicht mehr erreichbar.

Empfehlenswert ist die Einführung in ihr Denken (und zu ihrem sehr bewegten Leben) von Raúl Fornet-Betancourt, in seinem Buch "Modelle befreiender Theorie in der europäischen Philosophiegeschichte", IKO Verlag, Frankfurt Main - London, 2002, dort Seite 269 bis 304.