Modern im Mittelalter: Thomas von Aquin, gestorben am 7. März 1274
Er wurde im 19. Jahrhundert der “doctor angelicus”, also der “engelgleiche” Theologe und Philosoph genannt. Der Dominikanermönch Thomas von Aquin, gestorben am 7. März 1274, geboren 1224 oder 1225 in der Nähe der Stadt Aquino. Im Mittelalter war er modern und deswegen hoch umstritten. Vieles verdankt er den philosophischen Textsammlungen des Aristoteles. Sie stellten muslimische Philosophen (etwa Ibn Ruschd bzw. Averroes) in Europa, vor allem in Andalusien, zur Verfügung. Eine kulturelle Leistung muslimischer Wissenschaftler, für die Europa höchst dankbar sein sollte. Fast das gesamte Werk des Aristoteles wurde zuerst in arabischer Sprache nach Europa gebracht! Und durch diese Aristoteles-Rezeption wurde Thomas von Aquin zu einem damals modernen Philosophen und Theologen. Denn die weltliche Wirklichkeit in ihrer ganzen Fülle und Vielfalt sollte vernünftig erforscht werden, das ist seine Grundhaltung; die bis dahin übliche neuplatonische Einstellung, die in allem Weltlichen sofort die Symbolik des Göttlichen spürte, wurde überwunden. Das Argument galt, die Vernunft, der Glaube sollte nicht total die Erkenntnis bestimmen. Und dadurch machte sich Thomas von Aquin viele Gegner. Die übliche Angst ging um, die Klarheit der Vernunft und des Argumentes vernichte den (neuplatonisch gedeuteten) Glauben. Thomas von Aquin hat Licht ins Mittelalter gebracht!
Spätestens seit dem 18. Jahrhundert setzte sich seine Lehre als DIE katholische Theologie (und vom Papst einzig erlaubte Philosophie) durch. Seine Leistungen in der Aristoteles-Rezeption und sein Bemühen, ein “System” der katholischen Lehre zu schaffen, bleiben bedeutend wie umstritten. Aus dem offenen Denken des Thomas von Aquin wurde eine starre Lehre gemacht, die sich in Handbüchern als Neothomismus präsentierte. Der Schaden, den dieses totalitäre, engstirnige Denken anrichtete, ist innerhalb der Kirche enorm, Ketzerprozesse, Abwehr der Menschenrechte durch die Päpste usw. gehören dazu…Erst vor ca. 50 Jahren war es möglich, dass sich katholische Theologen und katholische Philosophen aus dem erstarrten Denken des “Neo-Thomismus” befreiten.
Aber die Vorstellungen einer machtvoll herrschenden Kletrus-Hierarchie, ein Gedanke des Thomas, sind bis heute gültig. Auch die Vorstellung, dass das “höchste Sein” Gott selbst ist oder die Lehre, dass sich Gott “beweisen” lässt, sind immer noch lebendige Ideen des Thomas von Aquin, des Heiligen. Aber wenn heute in der katholischen Ethik die Überzeugung gilt, dass Moral aus der autonomen Vernunft begründet werden muss und nicht als unmittelbares Nachsprechen biblischer Weisungen möglich ist, dann ist das eine ferne Wirkung des Thomas von Aquin: Für ihn war – grundsätzlich – die Vernunft des Menschen nichts Verdorbenes und Böses, sondern eine der wichtigsten und schönsten Gaben des Schöpfers der Welt.
Interessant ist die Einführung in das Denken des Thomas von Aquin, die der einstige Dominikaner und spätere hervorragende katholische Lutherforscher Otto Hermann Pesch verfasst hat. Sein Buch “Thomas von Aquin. Grenze und Größe mittelalterlicher Theologie” ist im Matthias-Grünewald-Verlag in Mainz 1988 erschienen, es hat 452 Seiten.