Glauben gegen alle Vernunft?
Anlässlich von Kierkegaards 200. Geburtstag
Von Christian Modehn
Der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ kann den 200. Geburtstag des Philosophen und Schriftstellers Sören Kierkegaard (am 5. Mai 2013) nicht einfach übersehen. Denn Kierkegaards Denken und sein sehr umfangreiches Werk sind fundamental durchdrungen von religionsphilosophischen bzw. theologischen Überlegungen. Er betrachtete sich zeit seines Lebens als Christ, stets auf der Suche nach dem wahren, dem echten, dem tiefen und radikalen Glauben. Darin fühlte er sich „als einzelner“ wahrer Christ durchaus abgehoben von der großen Masse derer, die das Christentum bloß „betrachten“, wie er sagte, und nicht bis zur letzten Konsequenz, also leidend für Christus, Jesus Christus praktisch nachfolgen. Die dänische lutherische Staatskirche erschien ihm viel zu bürgerlich und angepasst, zu „modern“ und „liberal“ könnte man sagen. Darauf wird oft hingewiesen, nicht so oft hingegen auf Kierkegaards radikales Selbstbewusstsein, sozusagen der bessere, der wahre Christ zu sein. Ob man diese Position vernünftig finden kann, ist eine offene Frage, bei allem Respekt vor dem persönlichen Glauben dieses „einzelnen“. Dieses Thema wurde unseres Erachtens in den vielen lobenden und preisenden Zeitungsbeiträgen anlässlich seines 200. Geburtstages nicht erwähnt.
Kierkegaard hatte protestantische Theologie studiert, spielte auch mit dem Gedanken, Pfarrer zu werden, er besuchte regelmäßig die lutherischen Gottesdienste, auch an Werktagen, er ging zur damals noch üblichen lutherischen Beichte, gelegentlich predigte er.
In seinem Buch „Einübung im Christentum“ hat er zahlreiche, auch längere persönliche Gebete notiert.
Angesichts der von ihm erlebten „ganz anderen“ Göttlichkeit Gottes suchte er nicht nach vernunftgesteuerten Glaubensformen; er meinte, dem göttlichen Gott kann der Mensch nur durch bedingungslose Übergabe, gegen alle vernünftigen Argumente, antworten. Totale Hingabe zähle mehr als der Gebrauch der Vernunft auch Gott gegenüber. Manche sagen, Kierkegaard habe auf diese Weise eine breite Tür geöffnet für eine Vernunftfeindlichkeit, die sich später vor allem in evangelischen Kreisen wie selbstverständlich breit machte, bis hin zur Theologie Karl Barths. Leitend war dabei für Kierkegaard sicher auch die tiefe Ablehnung der (Religions-) Philosophie Hegels.
Was aber ist das für ein Gott, so fragen Kritiker, zu denen auch der Religionsphilosophische Salon gehört, der den Menschen so miserabel erschafft, dass die Vernunft sozusagen das Letzte, das Schlimmste ist, was Gott gegenüber aktiv werden kann.
Jedenfalls gilt: Kierkegaard rühmt etwa die Gestalt Abrahams, der gegen alle väterlichen Gefühle, gegen alle ethischen Einsprüche seines Gewissens bereit ist, auf Gottes Befehl sozusagen „blind“ und ohne vernünftigen Einspruch oder Widerspruch, seinen Sohn Isaac zu töten. „Der Glaube ist ein Paradox“, sagte der dänische Philosoph, „welches einen Mord zu einer heiligen, Gott wohlgefälligen Handlung zu machen vermag“. Hoffentlich lesen diesen Satz nicht allzu viele Islamisten… Im Glauben, so scheint es, können also die ethischen Maßstäbe übersehen werden, jene grundlegenden Regeln der Vernunft (und damit des Gewissens), die alle Menschen eigentlich gemeinsam haben.
Kierkegaard fordert die unmittelbare Bindung an Jesus Christus, er spürte in ihm DIE alles entscheidende Offenbarung Gottes. Dabei hält er Jesus für einen „Menschen, der Gott sein soll“. Wir halten diese enge Sicht auf Jesus als Gott für verfehlt und unangemessen, Jesus war nicht (nur) „Gott“, er ist und bleibt in erster Linie ein Mensch. Jedenfalls ist Kierkegaard so überwältigt von diesem „Gott“ Jesus Christus, dass er wider alle Vernunft die totale Entscheidung für ihn fordert. Darin sieht Kierkegaard die Würde des Menschen, als einzelner radikal vor diese Wahl für oder gegen Jesus Christus gestellt zu sein. Darüber hinaus denkt wohl Kierkegaard daran, die gegen alle Vernunft gelebten Glaubensentscheidung als eigene menschliche Lebensform zu verstehen, sozusagen für die (größere, höhere?) Vernunft in der glaubensmäßigen Unvernunft zu plädieren.
Wir halten diese offenbar zentrale Position im Denken Kierkegaards für hoch problematisch, weil der Schritt in den Glauben dann zu einem irrationalen Geschehen wird, bestenfalls mit der Entschuldigung formuliert, das sei alles Gnadengeschenk. Einige wenige sind dann von Gott berufen und auserwählt, die vielen anderen (dummen Christen der Volkskirche) eben nicht. Solche Ideen Kierkegaards erinnern deutlich an Blaise Pascal und seine Bindung an die augustinische Gnadentheologie der Jansenisten rund um das Kloster Port Royal. Auffällig ist auch für Leute, die mit der Theologie des Erzbischofs Marcel Lefèbvre vertraut sind, also dem Gründer der traditionalistischen“ Piusbrüder, wie es da sprachliche Identitäten zwischen Kierkegaard und Lefèbvre gibt in der Beschreibung der von beiden erlebten sogen. Glaubenskrise: Kierkegaard verwendet in seinem Buch „Einübung im Christentum“ mehrfach den Begriff „enthronen“ und „Enthronung“, um zu zeigen, wie in der dänischen Kirche das Christentum, also in seiner Sicht der wahre radikale Glaube, verachtet wird. Eine der wichtigsten Bücher von Erzbischof Lefèbvre hat den Titel „Sie haben ihn entthront“ (1988), damit will er sagen: Die in seiner Sicht liberale und lasche Konzilskirche habe Jesus Christus vom Thron gestürzt, „entthont“. Beide, Kierkegaard wie Lefèbvre sehen, so wörtlich, nur in der „STRENGE“ eine Rettung des Christentums, beide fühlen sich so wörtlich „einsam“ unter diesen angeblich laschen Christen, beide wollen sich, so wörtlich „nicht beliebt“ machen. Dabei loben beide die „veraltete Sprache“ des Christentums von einst, beide glauben, dass man rational den Glauben „nicht verteidigen“ kann. (siehe zu Kierkegaard, Einübung im Christenum, DTV, 1977, S. 236 ff., zu Lefèbvre passim in seinen Publikationen).
Durch diesen Hinweis wollen wir nicht behaupten, Lefèbvre hätte Kierkegaard gelesen oder gekannt. Wichtig ist nur, auf Ähnlichkeiten hinzuweisen bei zwei Männern, die beide von ihrer religiösen „Sonderrolle“ oder „Sonderberufung“ überzeugt waren.
Irritierend ist bei Kierkegaard, dass er die heutige Kirche als die „(real) bestehende Christenheit“ mehrfach nennt, sie sei die triumphierende Kirche im Unterschied zur wahren Kirche, der streitenden und leidenden Kirche. Nur ihr fühlt sich Kierkegaard verbunden.
Unannehmbar ist auch die Meinung des dänischen Philosophen, die christliche Kunst sei Ausdruck des „neuen Heidentums“ (S. 261). Er behauptet, Christus hätte niemals gewünscht, gemalt zu werden, deswegen ist alle christliche Kunst eine Art Wahn. Kierkegaard vergisst, dass seine Beschreibungen zur Gestalt des göttlichen Christus selbst bildhaft ist.
Wir haben Mühe, selbst anlässlich des 200. Geburtstages von Sören Kierkegaard, in seinem Buch „Einübung im Christentum“ (von 1850) wirklich Inspirierendes zu finden, etwas, das in der vernünftigen Auseinandersetzung über Möglichkeiten religiösen Glaubens heute weiter helfen könnte. Aber solche Gedanken hätte Kierkegaard wohl von vornherein zurückgewiesen, ging es ihm doch, so sagte er, um die Rettung des einzelnen. Darum sein Insistieren auf dem Recht des einzelnen gegenüber allgemeinen Strukturen und allgemeinen Gesetzen. Aber sein Buch „Einübung im Christentum“ hat er ja wohl nicht nur als Zeugnis einer einsamen einzelnen Seele verstanden, er wollte etwas bewirken, im Sinne der von ihm gelobten „kämpferischen Kirche“.
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