Die „Märtyrer-Priester“ der Pariser Commune
Ein Hinweis von Christian Modehn
1.
Das Ansehen des französischen Klerus könnte in diesen Zeiten (2022) schlimmer nicht sein: Tausendfach wurde von staatlicher Seite sexueller Missbrauch von Kindern durch Priester dokumentiert. Sexuelle Übergriffe von hoch angesehenen Gründern „neuer geistlicher Gemeinschaften“ (etwa die Brüder Philippe, Dominikaner, oder P. Delfieux, St. Gervais) empfinden gläubige Laien als spirituelle Katastrophe. Genauso die jetzt bekannte sexuelle Belästigung von Frauen durch prominenten Theologen (Jean-Fr. Six). Oder die Absetzung von Erz-Bischöfen wegen „erotischer Beziehungen mit einer Frau“ (Aupetit, Paris) oder wegen allzu offensichtlicher reaktionärer pastoraler Praxis (Ravel, Strasbourg). Erfreulich für viele die vom Vatikan verordnete Überprüfung des reaktionären Bischofs von Toulon (Rey) … und so weiter und so weiter.
2.
Das Ansehen des Klerus sollte nun wohl etwas aufpoliert werden, als am 22. April 2023 in Paris offiziell fünf französische Priester feierlich selig gesprochen wurden, mit Zustimmung des Papstes, natürlich. Diese Priester sind offiziell als Märtyrer anerkannt, sie können also, katholischer Lehre entsprechend, als Fürsprecher an Gottes Thron um Hilfe angefleht werden. Diese Priester wurden, so heißt es, wegen ihres Glaubens erschossen, und zwar in der „Blutwoche“ der Pariser Commune im Mai 1871. Und wer waren die Täter? Es waren Laien, katholisch getaufte Laien aus Paris. Sie haben die Priester erschossen. Eine Untat, gewiss. Aber, das muss man wissen: Sie wurde begangen in einer Art Bürgerkrieg: In Zeiten der Commune wollten sehr viele Pariser Bürger ihre Stadt selbst verwalten und regieren. Aber der Klerus war außerstande, diese demokratischen Forderungen der Pariser, vor allem der Arbeiter, zu verstehen oder gar zu unterstützen. Der Klerus stand aufseiten der Herrscher, die sich nach Versailles zurückgezogen hatten, sie warteten förmlich nur auf eine Zuspitzung der verzweifelt kämpfenden Communarden. Die haben die Nerven verloren und ihre gefangenen Geiseln, die Priester, erschossen. Jetzt konnten die Herrscher (der Katholik Adolphe Thiers) so brutal wie möglich zuschlagen … in der Blutwoche, in der ca. 20.000 Communarden ermordet wurden, katholische Laien. Sie wurden von den ebenfalls sich katholisch nennenden Truppen der Herrscher hingemetzelt.
Diese Zusammenhänge muss man kennen, um die Seligsprechung der fünf erschossenen Priester angemessen zu verstehen: Unter den 20.000 erschossenen Communarden, alle katholisch getaufte Laien, waren sicher auch Menschen, die am Wohl der Armen interessiert waren, wie etwa der erschossene Priester Père Henri Planchat.
3.
Aber wie schon bei den Seligsprechungen der Priester, die im Spanischen Bürgerkrieg umgekommen waren, galt die kirchenamtliche Zuweisung von Seligkeit bzw. Heiligkeit den Anhängern der alten, der nicht-demokratischen Ordnung. Die Kirche liebt eben selige und heilige Vorbilder, die von aufständischen Republikanern und Demokraten erschossen werden. Da lässt es sich dann leichter die Mordtaten und die Gewalt der anderen, der herrschenden katholischen reaktionären Seite übersehen… In rebellischen und demokratischen Kreisen nach Seligen oder Heiligen zu suchen, lohnt sich für den Seligen-und Heiligenkult der Kirche offenbar nicht. Die rechte und rechtsextreme Presse in Frankreich hat jedenfalls über diese Seligsprechung jubiliert. Vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass das Volk sich gegen den Herrscher (Macron) erheben kann. Nur waren es eben 1870/71 linke Bürger, die den autoritären Staat überwinden wollten.
Gewalt gegen den Klerus wird heute von fundamentalistischen Muslimen ausgeübt oder von fanatischen Kirchenfeinden, die so oft schöne Kirchengebäude verwüsten…Eine Schande!
4.
Zur Vertiefung zwei Beiträge vom März 2021:
– Zur Pariser Commune im allgemeinen: LINK
– Zur Erschießung der Priester durch Communarden: LINK
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin