Nigerias geldgierige Prediger und die christliche Religion als Opium
Die Zeitschrift „Chimurenga Chronic“ aus Kapstadt bietet vieles, auch Religionskritik
Von Christian Modehn
„Chimurenga Chronic“ – den Namen werden wir uns merken müssen, wenn wir an den Kulturen Afrikas Interesse haben. Und das sollten wir, weil die meisten Europäer sicher einen enormen Nachholbedarf haben an Kenntnis und Verständnis. Afrika ist der nahe liegende Nachbar Europas; ein bis jetzt meist unbeliebter, weil unbekannter Nachbar, das muss sich ändern! Bis jetzt vertreiben wir schändlicherweise, gar nicht humanistisch und schon gar nicht christlich, diese unsere Nachbarn, siehe Mittelmeer, siehe Lampedusa usw.
„Chimurenga Chronic“ bietet monatlich ausführliche Informationen online; alle drei Monate auch als Printausgabe. Die „Chronic“ ist eine großartige Kulturzeitschrift, die seit 2010 in englischer Sprache in Kapstadt erscheint, von afrikanischen Autoren ausschließlich gestaltet. Beiträge kommen aus Kamerun, Mozambique, Benin, Nigeria usw. Ein tolles Panorama! Zur website dieser Zeitschrift klicken Sie bitte hier.
Die „Chronic“ belehrt schon beim ersten Hinblick, dass es „die“ afrikanische Kultur, „den“ afrikanischen Autor usw. selbstverständlich NICHT gibt. In Afrika gibt es, wie auch sonst und überall, alles Kulturelle nur im Plural, bezogen auf ein jeweiliges Land und eine jeweilige Kultur. Es ist der „Kulturstiftung des Bundes“ (Franckeplatz 2, 06110 Halle an der Saale) sehr zu danken, dass der Nr. 22 der (gratis zu beziehenden!) Hauszeitschrift eine deutschsprachige Ausgabe dieser „panafrikanischen Gazette“ „Chimurenga Chronic“ beigelegt ist.
Aus der Fülle der Beiträge können wir von unseren religionsphilosophischen und damit immer auch religionskritischen Interessen nur auf einen Beitrag hinweisen: Yemisi Ogbe bietet eine gründliche und kritische Reportage über die bei uns schon etwas bekannte schrille Szene der Prediger und Kirchengründer im Umfeld von Lagos,Nigeria, die alle mit einer charismatischen und pfingstlerischen Spiritualität verbunden sind. Sie erreichen vor allem Menschen des aufstrebenden Mittelstandes in ihren riesigen Kirchengebäuden, auch viele Studenten; nur etwa 15 Prozent, so Yemisi Ogbe, seien arme Leute, „die jedes Wort als bare Münze nehmen, das der Prediger von sich gibt“. Auch die anderen glauben an das Wort der feingekleideten, „diamantbesetzte Uhren tragenden“ Predigern: Sie glauben daran, wenn ihnen Wohlstand und Luxus als Gottesgeschenk verheißen wird, wenn denn die Glaubenden selbst erst mal ordentlich spenden… für den Prediger und seine Familien. „Die (theologisch kaschierte) Wohlstandsdoktrin erweist sich für die Prediger selbst als äußerst profitable Ware“, so Yemisi Ogbe.
In der „Chronic“ von April 2014, in der deutschen Ausgabe auf Seite 11, wird nur ein Ausschnitt von dem Reichtum führender Prediger in Nigeria aufgelistet. Wir erwähnen Bischof David Oyedepo, von der Kirche Living Faith World Outreach Ministry, auch Winners Chapel genannt. Dieser Herr Bischof hat ein Vermögen von 150 Millionen US Dollar „erpredigt“. Seine Kirche, The Faith Tabernacle, bietet 50.000 Frommen Betern und damit immer auch Spendern Platz. Der „Pfingst-Bischof“ besitzt eine Universität, er hat Anwesen in London und den USA, einen Verlag, eine Druckerei, vier Privatjets usw. Das Vermögen des Predigers Chris Oyakhilome wird auf 50 Millionen US Dollar geschätzt; das des Predigers Temitope Balogun Joshua auf 15 Millionen US Dollar. Er beansprucht, schwerste Krankheiten heilen zu können. Das Vermögen des Predigers und Kirchengründers Matthew Ashimolowo wird mit 10 Millionen, das Vermögen des Predigers Chris Okotie mit 10 Millionen US Dollar angegeben. Wie gesagt, das alles in einem land, in dem Menschen vor Hunger sterben. In der letztgenannten Kirche sind besonders Mitglieder der high society aus Lagos Mitglieder, auch viele Prominente aus der äußerst aktiven „Nollywood“ Filmszene. All dies ist keine Phantasie: Andere religionssoziologische Studien haben ähnliches aus Nigeria berichtet.
Diese und weitere Fakten können hübsch detailliert nachgelesen werden auf Seite 11 der deutschen Ausgabe von „Chronic“ aus Kapstadt.
Bei der Lektüre dieses Beitrags von Yemisi Ogbe mit dem Titel „Nigerias Superstar-Gottesmänner (mit dem englischen Obertitel „Gospel Christian Porn Rap“) wird deutlich, wie tief die Religionskritik hierzulande noch auf Europa fixiert ist; wie gering offenbar die reale Bedeutung der klassischen christlichen Kirchen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte usw.) in manchen Teilen Afrikas ist. Und wie offenbar in Lagos und Umgebung in deutlichster Form Religion als Aufputschmittel für Erfolgreiche und als Goldquelle für die Prediger verwendet und mißbraucht wird. Vom Gott der Bibel, das sei am Rande bemerkt, ist da nicht mehr die Rede. Diese Christen nehmen es offenbar hin, dass Nigeria „zu den religiösesten Ländern der Welt“ (auch innerhalb des Islam?) gehört,so religionssiologische Studien; gleichzeitig aber steht Nigeria an zweiter Stelle aller korrupten Staaten, so “Transparency International”. Korruption und reicher Glaube der Sehr-Reichen sind hier also in einem „vorbildlichen“ Gemisch verbunden. Und Nigeria steht an 153. Stelle (von 186 Staaten) des Human Development Index. Das reiche “Erdöl-Land” ist bettelarm, wenn man die Mehrheit der Bevölkerung betrachtet.
Wir meinen: Weniger fromme Scharlatane, weniger Religion in dem beschriebenen Sinne, mehr Aufklärung, mehr Bildung, mehr Gerechtigkeit und weniger verlogene Kirchen dieser Art würden den allermeisten bitterarmen Menschen in Nigeria sehr gut tun, all das wäre wichtiger. Wir sind gespannt, ob einmal über Religionskritik in Nigeria und anderen afrikanischen Ländern berichtet wird. Vielleicht auch in der guten Zeitschrift „Chronic“ aus Kapstadt.
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