Die „gelben Westen“ und die katholische Kirche in Frankreich

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.1.2019

Die Bewegung der „gelben (Warn-)Westen”, im Oktober 2018 entstanden, hat sich zu einer breiten Protestbewegung gegen die Regierung von Staatspräsident Emmanuel Macron entwickelt. Zu den Aktivisten der „gelben Westen“ gehören politisch sehr unterschiedliche Gruppierungen, von rechtsextrem bis linksextrem, aber auch klassisch – bürgerliche Kreise machen da mit. So richtig zu „greifen“ für Soziologen ist diese pluralistische Bewegung bisher nicht.

Bisher wurde in Deutschland nicht dokumentiert, inwiefern sich die katholische Kirche in Frankreich gegenüber dieser radikalen Protestbewegung positioniert.

1.Am 11. Dezember 2018 hat die Katholische Bischofskonferenz zum Thema ein Papier veröffentlicht. Die Bischöfe sprechen in allgemeinen Worten „von einer Krise, die eine sehr tiefe und sehr alte Krankheit offenbart. Diese Krise erzeugt ein tiefes Misstrauen gegenüber den politisch Verantwortlichen“. Die Bischöfe meinen, dass offene Gesprächskreise für alle Bürger eine Hilfe sein könnten: „Deswegen sollen in den Pfarrgemeinden Möglichkeiten des Austauschs geschaffen werden“ . Da und dort finden solche Gespräche statt, etwa in Caen, Normandie. Aber das Ansehen der katholischen Kirche in Frankreich ist nach der Freilegung so vieler sexueller Missbrauchsuntaten durch Priester so schlecht, dass die Bereitschaft nicht katholischer Kreise Gemeinderäume zu betreten, eher begrenzt ist. Viele Gerichts-Prozesse wurden gegen Bischöfe geführt wegen Verschleierung der Untaten.

Siehe: https://eglise.catholique.fr/conference-des-eveques-de-france/textes-et-declarations/468109-appel-aux-catholiques-de-france-a-nos-concitoyens/

2.Ein Bischof will sich nicht mit Worten begnügen: Der Bischof von Montauban (Département Tarn-et-Garonne), Bernard Ginoux, hat sich schon Anfang Dezember eine gelbe Weste übergezogen, „um zu zeigen: Ich bin zwar kein militanter Kämpfer, aber ich komme als Freund“). Seitdem ist er immer wieder an den Aktionen am Rond-point d Aussonne von Montauban bei den „Gelben Westen“. Am 5. Januar 2019 schrieb er: „Was ich hier sehe, sind sehr belastete Menschen, die ihr Leiden heraus schreien“. Und er ist so mutig, öffentlich einzugestehen: „Ich habe einfache, bescheidene Menschen gesehen, denen ich zuvor keine Aufmerksamkeit schenkte“. Nebenbei; Wie „abgehoben“ ein Bischof also leben kann.

Der Bischof erscheint mit seiner gelben Warnweste und einem großen Kreuz auf der Brust, damit jeder weiß: Aha, da ist der Bischof. Und der hat inmitten dieser Menschen auch ein „pastorales Anliegen“. „Ich habe bei der Demonstration Personen entdeckt, die gar nicht entchristlicht waren, sondern ein religiöses Gefühl haben. Viele von ihnen machen auch Pilgerfahrten. Diese Menschen zeigen mir ihre Medaillen der Jungfrau Maria. Meine Entscheidung ist: Wenn die Leute nicht zur Kirche gehen, muss die Kirche zu ihnen gehen“. Mit einer gelben Weste also missionieren? Wahrscheinlich. Politische Analysen wären da wohl noch einfacher und zunächst sinnvoller.

Nebenbei: Ginoux gehört zum sehr konservativen Flügel in der Bischofskonferenz, er unterstützt auch den „Marsch für das Leben“, der am 20. Januar 2019 stattfand.

3.Auch die katholischen Laien und ihre Organisationen schalten sich in die Debatte ein, in der ganzen politischen Vielfalt, die Frankreichs Kirche eben auch auszeichnet.

Einige haben einen „Appell für einen neuen sozialen Katholizismus“ Anfang Januar 2019 veröffentlicht. Die 17 Unterzeichner dieses Dokuments wollen die alte katholische Soziallehre wieder neu beleben. „Und was wir wollen, ist eine beruhigte, befriedete Gesellschaft (une société apaisée)“. Zu den Initiatoren gehört Joseph Thouvenel von der (kleinen) Christlichen Gewerkschaft CFDC. Er bekennt, bei seinen Begegnungen mit den „Gelben Westen“ im Département Val-de-Marne, „braves gens“, brave Leute, getroffen zu haben. Nette Typen also? Den Ausdruck von Macron, es handele sich um eine von Hass getriebene Masse, findet er schockierend.

Was einigen gar nicht so gut gefiel, dass in diesem Dokument die konservativen Autoren explizit von Volk und Nation sprechen: “Der Zusammenhalt des Volkes und der Nation sind bedroht“, sagen sie. Beide Begriffe, so abstrakt verwendet, werden heute in Frankreich sehr oft mit rechtsextremen Organisationen assoziiert…

Darum haben auch die eher kritischen Verantwortlichen der Caritas und der katholischen Studiengruppen „Semaines sociales“ sich von diese Text distanziert, vor allem auch, weil dort die wirklichen sozialen Probleme, die Ungleichheit in der Gesellschaft, nicht deutlich formuliert werden.

4.Deutlich ist für viele Beobachter auch, dass ultrakonservative Kreise des Katholizismus sich unter die “Gelben Westen-Bewegung“ mischen. Sie haben eine eigene Website: www.giletsjaunescatholiques.fr, da wird im Ernst behauptet: Gilets jaunes und Pro Vie, bzew. „Marche pour la vie“ seien „le meme combat“, derselbe Kampf.

Das sind auch finanziell oft starke Gruppen, die schon die Massenproteste gegen die „Ehe für alle“, also die „Homo Ehe“, organisierten. Jetzt demonstrieren sie fromm und wütend „aufs Establesment“ mit gelben Westen, zeigen Banderolen mit dem Wort des katholischen Schriftsteller Charles Peguy „Es gibt ungerechte Ordnungen, die nur noch schlimmere Unordnungen verbergen“. Das heißt: Macrons Regierung ist von Übel, meinen diese sehr konservativen Katholiken. Bei ihren Demonstrationen gegen die Homoehe wurden sie immer von der rechtsextremen Partei Front National von Marine Le Pen unterstützt. Diese frommen Katholiken wagen es, so die katholische Wochenzeitung La Vie, die Orte und Plätze der Demonstrationen zu segnen, dabei wollen sie auch „evangelisieren“. Einer der Wortführer ist Guillaume de Prémare, einst Präsident der Demos gegen die Homoehe.

Im ganzen hat man den Eindruck: Konservative Katholiken benutzen die gilets jaunes, um ihre eigenen klerikalen Ziele durchzusetzen: Das ist Forderung nach einer Ablösung der liberalen Demokratie zugunsten einer autoritären Führung unter der Rechtsextremen Madame Le Pen. Und dann diese weltweit katholischerseits soübliche totale Fixierung auf das ungeborene Leben: Diese Katholiken tun so, als seien alle sozialen Probleme letztlich durch die Abtreibungsgesetze verursacht. Einmal mehr wird deutlich, wie dieser totalen Pro Life Wahn der Katholiken weltweit alles kritische Denken bei ihnen vergiftet hat. Anstatt für eine neue Sozialpolitik zugunsten der Armen zu streiten, zeigen sie auf ihren websites breit lachende schwangere Frauen. Man könnte glauben: In konservativen Kreisen ersetzt der Glaube an das ungeborene Leben seit der ersten Sekunde der „Empfängnis“ den Glauben an einen Gott, der befreit…

5.Einen dringenden Appell hat der katholische Publizist Michel Cool publiziert: Er verlangt. Dass bald mindestens 100.000 “Gelbe Westen“ gemeinsam demonstrieren: Vor allem Christen sollten dabei sein: Um für die Demokratie und die Solidarität mit den Migranten einzutreten. Denn Frankreich so der Publizist Cool, ist in Gefahr….Vielleicht herrschen bald „italienische Verhältnisse“.

Dieser Beitrag verdankt viele Informationen der Wochenzeitung LA VIE: http://www.lavie.fr/religion/catholicisme/les-chretiens-face-aux-gilets-jaunes-16-01-2019-95741_16.php

Copyrigt: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin