Die Frage nach der Bedeutung der Wunder im christlichen Glauben ist sehr aktuell, weil die katholische Kirche nach wie vor daran festhält: Gott kann, sozusagen aus dem Himmel handelnd eingreifen und in Einzelfällen einmal die von ihm geschaffenen Naturgesetze durchbrechen, also “unnatürlich” handeln. (Sonst ist in römischer Sicht “Unnatürliches” absolut verboten, siehe die Verdammung der Homosexualität). In dieser Situation ist es interessant, sich einmal auch theologisch, warum nicht auch ein wenig unterhaltsam im Rahmen eines fiktiven Salon – Gesprächs, mit den Vorschlägen des protestantischen Theologen Rudolf Bultmann zu befassen. Im folgenden ist der Text einer RADIO Sendung von mir (im RBB) in der für Hörfunkzwecke üblichen Form zum Nachlesen abgedruckt. Dass meine Sympathien in dem Falle Bultmann gelten, brauche ich an dieser Stelle nicht zu verschweigen.
RBB, Gott und die Welt 1.5. 2011
Glauben ohne Wunder?
Ein theologischer Salon bei Rudolf Bultmann
Von Christian Modehn
1. Spr.: Erzähler Text: 175 Zeilen= 12 Min.
2. Spr.: Zitator
28 O TÖNE, zus.13 50“ (es entfallen die eingespielten 3., 24., 27. Zusp.)
3 musikal. Zusp., Mozart Klavier Sonaten, bitte die vorliegende verwenden!
1. musikal. Zuspielung, Mozart Sonate, 0 04 freistehend, dann bis Beginn der Titelsprecherin freistehend:
1. O TON, 015“, Pulsfort
Gott wirkt in der Geschichte. Und von daher wird auch damit gerechnet, dass Gott direkt in die Abläufe der Geschichte und des Menschenschicksals eingreifen kann und sich dabei über Naturgesetzmäßigkeiten hinwegsetzt.
1. musikal. Zuspielung, 0 03“ freistehend
3. O TON, Kürschner – Pelkmann, bitte aus dem 13. O TON diese Worte noch einfügen: (also die eingespielte Nr. 3 entfällt! „Für mich ist es..)
Eine Frau aus dieser Gemeinde erzählte, sie sei verstorben gewesen und sei wieder auferweckt worden durch Jesus. Und das wurde dann auch mit Begeisterung von den Gemeindemitgliedern aufgenommen.
1. musikal. Zuspielung, 0 03“ freistehend.
2. O TON , 0 17“, Kollmann
Man sollte natürlich mit dem Wunderglauben sehr vorsichtig sein, weil sehr vieles, was in der Geschichte der Menschheit für Wunder im Sinne von Durchbrechung physikalischer Gesetze betrachtet wurde, sich denn sehr schnell als etwas entpuppt hat, für das es eine vernünftige Erklärung gibt.
Titelsprecherin:
Glauben ohne Wunder?
Ein theologischer Salon bei Rudolf Bultmann
Von Christian Modehn
1.musikal. Zusp., Mozart Sonate. Bleibt noch einmal ca. 0 07“ freistehen, dann wegblenden:
1. SPR.:
Mit Mozart, seinem liebsten Komponisten, begrüßt der protestantische Theologe Rudolf Bultmann seine Gäste, nicht nur Kollegen aus der evangelischen Kirche, sondern auch Katholiken und Philosophen. Die Gesprächsrunde kann also spannend werden. Er freut sich immer, wenn Menschen von weit her kommen, um mit ihm in seiner Wohnung, oben, auf den Hügeln von Marburg, zu diskutieren. Im Oldenburgischen geboren, ist er schon als Student in die hessische Universitätsstadt gekommen. Später übernahm er hier den Lehrstuhl für Bibelwissenschaften. Der Gastgeber ist alles andere als ein „verbissener Spezialist“ oder gar ein „Kirchenfunktionär“. Vielseitig gebildet, will er modernen Menschen den christlichen Glauben erklären und nahe bringen. Dichtung und Musik spielen dabei eine große Rolle. Sie inspirieren bei der Suche nach dem wahren, dem „eigentlichen“ Leben.
1.musikal. Zusp., Mozart Sonate. Bleibt noch einmal 0 06“ freistehen.
(alle 3 Takes sind von bis 1 bis 3 nummeriert…Und die Startzeiten angegeben).
1.SPR.:
Gleich zu Beginn möchte Rudolf Bultmann an seine theologische Grundüberzeugung erinnern. Er greift zu einer Mappe seiner Vorlesungen, darin hat er notiert:
2. SPR.:
Unsere Aufgabe ist es, die vielen mythischen Bilder der Bibel zu verstehen. Sie verwirren heute, weil sie Göttliches naiv in die Welt hineinziehen, also Gott zu einem greifbaren Objekt machen, etwa bei den Naturwundern, wo Jesus als der Herr der Meere dargestellt wird. Die biblischen Wundererzählungen sollte man als Märchen und Mythen lesen und versuchen, ihren menschlich wertvollen Inhalt aber in eine neue Sprache zu übersetzen.
1. musikal. Zuspielung, noch einmal 0 03“ einblenden, dann sehr leise als Hintergrund für Text.
1. SPR.:
Rudolf Bultmann reicht Tee und Kaffee. Ein Bier mit dem obligaten Schnäpschen, was er als alter Oldenburger besonders schätzt, gebe es erst später. Der leidenschaftliche Pfeifenraucher kann es gut verstehen, wenn seine Gäste zu Zigarren und Zigaretten greifen. Bultmann kommt nun zur Sache: Er erinnert die Teilnehmer an die entscheidende Basis des Christentums, den „einen“ Mittelpunkt des Glaubens:
4. O Ton, 0 30“, Bultmann,
Der christliche Glaube redet von einer Offenbarung. Und meint damit Gottes Handeln als ein Geschehen, das dem objektivierenden Denken der Vernunft nicht sichtbar ist. Ein Geschehen, das als Offenbarung nicht Lehre mitteilt, sondern die Existenz des Menschen trifft und ihn lehrt oder besser ermächtigt, sich zu verstehen als getragen von der transzendenten Macht Gottes.
1. SPR.:
Bultmann schaut in die Runde: Vor allem um dieses eine Wunder gehe es ihm, um die Offenbarung Gottes, die Zuwendung absoluter Liebe. Sie könne den Menschen grundlegende Geborgenheit schenken. Die vielen einzelnen Wundererzählungen seien demgegenüber zweitrangig. Der Gastgeber greift zu seinen Aufzeichnungen, und deutet auf eine Stelle, die einigen Gästen schon bekannt sein dürfte:
2. SPR.:
Bildhafte Jenseitsvorstellungen müssen überwunden werden, ebenso magische Erlösungsvorstellungen. Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparate benutzen, nicht in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister – und weiterhin an die Wunderwelt des Neuen Testaments glauben.
1. SPR.:
Da meldet sich gleich der Bibelwissenschaftler Bernd Kollmann von der Universität in Siegen zu Wort:
6. O TON, 0 23“, Kollmannn
Bultmann verfolgt ein sehr wichtiges Anliegen, er möchte ja Glaubenshindernisse für den modernen Menschen beseitigen. Und die neutestamentlichen Wundergeschichten sind natürlich in ihrer Sperrigkeit auch ein Stückweit ein Glaubenshindernis. Von daher Anliegen grundsätzlich als sehr positiv zu betrachten.
1. SPR.:
Dem kann der katholische Theologe Gottfried Bachl aus Salzburg nur zustimmen:
25. O TON, 0 36“, Bachl.
Es ist ein grobes Missverständnis zu meinen, dass der Glaube als Glaube die Einladung zur Leichtgläubigkeit ist. Das ist nicht der Fall. Sondern im Sinn der biblischen Überlieferung ist dem Glauben an Gott ein sehr kritisches Moment eingestiftet, dass man Gott nicht mit irgendwelchen Dingen der Welt verwechselt, mit irgendwelchen Einfällen oder Träumen oder auch Wahnvorstellungen, die Bibel verwendet ja auch das Wort Wahn, wenn es um diese Leichtgläubigkeit geht.
1. SPR.:
Rudolf Bultmann wirft nun das entscheidende Stichwort in die Runde, den von ihm geprägten Begriff der „Entmythologisierung“ der biblischen Wunderberichte. Nach zahlreichen Debatten weiß er, wie wichtig es ist zu betonen: In den Mythen, also den bilderreichen Märchen und Erzählungen des Neuen Testaments, werden Vorschläge zur Lebensgestaltung gemacht.
5. O TON Bultmann ,
Das ist ja nun die Frage der so genannten Entmythologisierung, ob mit der Erledigung der mythologischen Vorstellungen das letzte Wort gesprochen ist oder ob in ihnen ein bleibender Sinn Ausdruck gefunden hat. Ob ihnen eine Anschauung, ja ein Wissen vom Wesen der menschlichen Existenz zugrunde liegt, das vielleicht nicht das einzig mögliche Verständnis menschlicher Existenz wäre, das aber eine Möglichkeit ist, die ihr Recht nie verlieren kann.
1. SPR.:
Die Frage nach der Bedeutung der mythischen Erzählungen und der Wunderberichte hat Bultmann in seinem umfangreichen Werk beantwortet: Die biblischen Geschichten, also die Mythen, können nur dann das Leben deuten, wenn die Menschen sich nicht unmittelbar an die Bilder klammern und nur dem Vordergründig – Mysteriösen verhaftet bleiben. Der Evangelist Markus stellt Jesus als Wundertäter vor; er berichtet, wie er eine schwerkranke Frau heilte. Pfarrerin Cornelia Machoni (sprich Makoni) aus Berlin will auf den tieferen Sinn dieser „mythischen Erzählung“ von der „blutflüssigen Frau“ hinweisen:
12. O TON, 0 35“. Machoni, Etwas später rein gehen bei:
Man kann sich vorstellen, welche Aussätzigkeit das bedeutete in jeglicher Hinsicht, also keine Teilhabe an Gesellschaft. Und diese Frau bringt trotzdem die Hoffnung auf, dass sie gesund wird. Und folgt diesem Jesus und berührt ihn. Jesus ist derjenige, der diese Frau letztlich auf diesen Weg ja gebracht hat, und zwar durch sein Menschsein. Er war ja da, er hat gewirkt, er hat gehandelt. Sie wusste davon, und daraufhin hat sie sich ja auf den Weg gemacht und ist zu ihm gegangen und ihn besucht. Und diese Frau fällt in den Staub nieder und legt ihm diese ganze Lebensgeschichte vor, und er entlässt sie mit den Worten. Dein Glaube hat dir geholfen.
1.SPR.:
Auf die innere Einstellung zur Krankheit kommt es an, davon ist die Pfarrerin überzeugt: Der Glaube kann eine Art heilsame Lebensenergie werden, die dem Leiden trotzt. Aber was sagen denn Historiker zu der Behauptung, Jesus von Nazareth sei ein Wundertäter gewesen? Die Blicke der Teilnehmer im Salon richten sich auf den Bibelwissenschaftler Bernd Kollmann:
11. O TON, 0 42, Kollmann
Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass Jesus insbesondere auf dem Gebiet der Krankenheilungen und der Dämonenaustreibungen einer der ganz charismatisch begabten Wundertäter seiner Zeit war. Das sind Wunderberichte auch in den Evangelien, die einen ganz festen historischen Kern haben. Bei den Heilungsgeschichten stehen Blindenheilungen und Gelähmtenheilungen im Mittelpunkt der Überlieferung, man hat sich die Krankheitsbilder wohl so vorzustellen, dass es sich hier um Krankheiten psychogener Natur handelt, wo ein charismatisch begabter Heiler nachweislich auch zu Erfolgen kommen kann.
1.SPR.:
Mit dieser Erklärung sind alle einverstanden: Jesus als charismatischen Wunderheiler zu verstehen, das sei noch nachvollziehbar. Aber hat er denn nicht auch so genannte Naturwunder vollbracht? Er soll doch der Herr über Meeresstürme gewesen sein…und einmal habe er sogar Wasser in Wein verwandelt.
7. O Ton, 0 52“, Kollmann
Hier wird aus der Perspektive des nachösterlichen Glaubens Jesus ganz Großes zugeschrieben. Dies sind Wundergeschichten, die keinen direkten historischen Anhalt haben, wo im Lichte des nachösterlichen Glaubens der Gemeinde Jesus solche Wunder zugeschrieben werden, auch um seine Messianität zu untermauern und zu dokumentieren. Um für ihn zu werben auch, also solche Wundergeschichten wurden ja auch von anderen Gestalten in der Umwelt des Neuen Testamentes erzählt, sowohl im Judentum als auch in der griechisch- römischen Welt. Und hier war das Christentum auch in einer Situation, wo es mit entsprechenden Jesuswundern aufwarten musste, um sozusagen im Wettkampf der Religionen konkurrenzfähig zu bleiben.
1. SPR.:
Im Laufe der Kirchengeschichte wurde also der charismatisch begabte Prophet und Heiler Jesus von Nazareth zum Gottmenschen Christus aufgewertet. Er wurde als eine Art überirdisches Wesen dargestellt, das auch die Naturgewalten beherrscht. Nur so konnte das Christentum auf dem „Markt der Religionen“ konkurrenzfähig bleiben. Diese Erkenntnis müssen die Salon-Teilnehmer erst einmal in Ruhe verarbeiten.
2. musikal. Zuspielung, bleibt 0 07“ freistehen, dann wegblenden.
1. SPR.:
Die protestantischen Gäste im Salon möchten gern Näheres über die klassische katholische Wunder – Theologie erfahren und wenden sich an Pfarrer Ernst Pulsfort aus Berlin. Seine Kirche hält schließlich daran fest, dass Wunder bis in unsere Zeit immer wieder geschehen. Diese Überzeugung könne sich auf alte biblische Traditionen berufen, meint der katholische Theologe:
8. O Ton, 0 33“, Pulsfort
Das Christentum und das Judentum auch, das sind ja beides Religionen, die damit rechnen, dass Gott die Geschicke der Welt lenkt. Also Gott wirkt in der Geschichte mit. Er hat Israel aus Ägypten geführt. Wir verstehen unsere Geschichte nicht nur als profane Geschichte, sondern auch als Heilsgeschichte. Gott wirkt in der Geschichte. Und von daher wird auch in diesen Religionen damit gerechnet, dass Gott direkt in die Abläufe der Geschichte und des Menschenschicksals eingreifen kann und sich dabei über Naturgesetzmäßigkeiten hinwegsetzt. Das ist eine Provokation.
1. SPR.:
Wohl wahr, meint der Protestant Bernd Kollmann:
9. O TON, insges. 0 44“. Kollmann
Man sollte natürlich mit dem Wunderglauben sehr vorsichtig sein, weil sehr vieles, was in der Geschichte der Menschheit für Wunder im Sinne von Durchbrechung physikalischer Gesetze betrachtet wurde, sich denn sehr schnell als etwas entpuppt hat, für das es eine vernünftige Erklärung gibt.
Aber auf der anderen Seite wird uns glaube ich, gerade auch in unserer technisierten Welt auch immer deutlicher, dass es doch viele Bereiche gibt, die wir mit naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeit nicht erfassen können, und wo wir Dinge in unserem Leben spüren, die über das, was wir vernunftmäßig begreifen können, hinausgehen. Es ist natürlich dann Ansichtssache, ob man solche Dinge für Zufall hält oder für göttliches Einwirken. (ev. hier rausgehen)
Die Frage nach der Bedeutung der mythischen Erzählungen und der Wunderberichte hat Bultmann in seinem umfangreichen Werk beantwortet: Sehr viele Menschen, auch Menschen, die kirchenfern sind, sind aber doch der festen Überzeugung, dass sie hier etwas Wunderbares erfahren haben.
1. SPR.:
Ob ein unerklärliches Ereignis als Wunder zu werten ist oder nicht, liegt also vor allem im Auge des Betrachters. Eindeutige Urteile kann es da nicht geben. Darin sind sich die Salonteilnehmer einig. Aber die Protestanten wollen dann doch wissen: Wie geht die katholische Kirche heute mit so genannten Wunderberichten um, etwa mit den Heilungsberichten im französischen Marienwallfahrtsort Lourdes? Wieder wenden sie sich an Pfarrer Ernst Pulsfort:
10. O TON, 0 23“, Pulsfort
Die Kirche schätzt die Wunder hoch, allerdings geht sie sehr vorsichtig damit um, Dinge als Wunder anzuerkennen, die als solche von den Gläubigen bezeichnet werden. Also, man sieht das ganz deutlich in Lourdes, wo also monatlich Menschen sagen, es geschehen Wunder. Und in den 150 Jahren, in denen Lourdes existiert sind 67 oder 65 Vorgänge als Wunder anerkannt worden.
1. SPR.:
Bischöfe und Päpste achten also darauf, dass sich der Wunderglaube nicht unkontrolliert ausbreitet. Dabei wissen sie sehr gut, wie sehnsüchtig viele Menschen nach Wundern verlangen. In wie vielen Orten Italiens haben nicht schon Marienstatuen wunderbare blutige Tränen geweint? Der Theologe Gottfried Hierzenberger hat allein für Europa 1.128 so genannte Marien Erscheinungen gezählt, in Amerika soll die Gottesmutter 111 mal leibhaftig zu den Menschen gesprochen haben. Der Wunderglaube ist also eine Art „Urgestein“ des Katholizismus. Aktuelle Umfragen in Italien zeigen, dass dort der wundertätige Heilige Pater Pio der beliebteste aller Heiligen ist. Aber auch in der anglikanischen Kirche Afrikas breite sich der Wunderglaube aus, meint der Publizist Frank Kürschner – Pelkmann. Er berichtet von einem Sonntags – Gottesdienst in der Kathedrale von Kampala im ostafrikanischen Staat Uganda:
13. O TON, 0 33, Kürschner Pelkmann,
Eine Frau aus dieser Gemeinde erzählte, sie sei verstorben gewesen und sei wieder auferweckt worden durch Jesus. Und das wurde dann auch mit Begeisterung von den Gemeindemitgliedern aufgenommen. Das war der Wunder der Erweckung. Und vielleicht kann man sagen, dass ein Hintergrund eben ist, dass die meisten afrikanischen Christinnen und Christen die Bibel wortwörtlich verstehen. Also, die Wunder die vor 2000 Jahren passiert sind, können auch heute in Kampala passieren.
1. SPR.:
Und was denken Sie selbst als kritischer Protestant darüber, wollen nun die Katholiken wissen:
14. O TON, 0 29, Kürschner – Pelkmann.
Ich glaube eher, dass sie wirklich schwer krank gewesen war und im Grunde ihr Leben aufgegeben hatte. Und dann wieder gesund geworden ist und dies wirklich nicht naturwissenschaftlich medizinisch erklärte, wir würden vielleicht den Kreislauf prüfen und den Blutdruck feststellen. Aber dass sie überzeugt war, dass das eben ein göttliches Eingreifen in ihr Leben war. Und ich denke schon, dass der Genesungsprozess auch ganz objektiv also durch festen Glauben gefördert werden kann.
1. SPR.:
Bei allem einfühlenden Verstehen: Frank Kürschner – Pelkmann muss eingestehen, dass ihm dieser Gottesdienst noch aus anderen Gründen befremdlich vorkam:
15. O TON, 0 33“, Kürschner – Pelkmann
Während die Wiederbelebung dieser Frau von der Gemeinde positiv aufgenommen wurde, war es zufällig der erste Gottesdienst in der anglikanischen Kirche Ugandas, wo Frauen zu Pfarrerinnen geweiht wurden. Da gab es dann einen Aufstand von Gemeindemitgliedern dagegen. Weil, nach ihrem Verständnis der Bibel, sind Pfarrer Männer. Und da merkte eben auch die Grenze, wo einerseits also die Faszination des Wunderbaren eben auch umschlagen kann in eine fast dogmatische Vorstellung von dem, was christlicher Glaube ist.
1. SPR.:
Rudolf Bultmann ist fast amüsiert über diesen Bericht. Er sieht sich in seiner Forderung nur bestätigt, die Vernunft unter den Frommen zu fördern. Er blickt in die Runde und fragt: Warum denn die katholische Kirche immer noch die Wunder so wichtig nehme, etwa, wenn Menschen selig oder heilig gesprochen werden? Die Teilnehmer denken an die Seligsprechung des polnischen Papstes Johannes Paul des Zweiten. Zuvor mussten alle Wunder geprüft werden, die nach seinem Tod unter Anrufung seines Namens geschehen sein sollen. Zum Schluß konnte der Vatikan nur ein einziges Wunder als echt anerkennen: Die französische Ordensschwester Marie Simon-Pierre wurde im Juni 2005 in Aix –en – Provence plötzlich von der Parkinson-Krankheit geheilt, als sie sich im Bittgebet an den verstorbenen Papst wandte. Ernst Pulsfort will das erklären:
17. O TON, 0 56“, Pulsfort
Wir brauchen Kriterien unabhängig der Verehrung des Volkes, um dieser Verehrung des Volkes Legitimität zu geben. Und da stellt man ganz scharfe Kriterien auf: Ohne Wunder wird keiner selig gesprochen. Also die Akzeptierung für ein Wunder ist: Es muss von einem Moment auf den anderen passieren. Also, dass das Krebsgeschwulst von einem Moment auf den anderen verschwunden ist. Und deswegen werden während der Selig – und Heiligsprechungsverfahren Zeugen gebeten, sich zu melden, die eine Gebetserhörung erfahren haben. Dann wird dieses Zeugnis kontrolliert, geprüft. Dieses Wunder muss physiologisch nachweisbar sein, im Röntgenbild, hätte ich fast gesagt. Wenn das eindeutig ist, dann kann man ernsthaft diese Seligsprechung betreiben, weil man sagt: Das Wunder ist ein Hinweis darauf zumindest, dass diese Person verehrungswürdig ist, dass sie hilfreich ist, dass sie Fürsprecher ist.
1. SPR.:
Aber so einfach sei es doch nicht, ruft der katholische Theologe Gottfried Bachl aus Salzburg in die Runde. Denn andere ebenso höchst verehrungswürdige Frauen und Männer würden eben nicht so schnell selig oder heilig gesprochen werden wie Papst Johannes Paul II.. Man denke etwa an den beliebten Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador, den Beschützer der Armen, den Freund der lateinamerikanischen Befreiungstheologen. Seit 30 Jahren gebe es Bemühungen, diesen vorbildlichen Erzbischof heilig zu sprechen, bisher ohne Erfolg. Professor Bachl fährt fort:
18. O Ton, 0 37“, Prof. Bachl
Man muss auch zu diesen Heiligsprechungen sagen, dass sie ja auch kein absoluter Vorgang sind, in der Bedeutung, dass man nun den Maßstab der Heiligkeit genau definiert hätte. Das richtet sich auch gewissermaßen auch nach dem Geschmack des jeweiligen Papstes, nach der kirchenpolitischen Richtung, in der man sich bewegt, nach den Vorlieben, die man hat. Wäre es nicht so, dann gäbe es eine ganze Reihe von Leuten, die längst hätten heilig gesprochen werden müssen und andere wieder, hätten vielleicht kaum eine Chance gehabt.
1. SPR.:
Dass nun katholische Theologen die Heiligsprechungsverfahren kritisieren, erstaunt die protestantischen Gäste im Hause Bultmann. Denn auch der Kapuziner Pater Karl Kleiner aus München distanziert sich vom naiven Wunderglauben:
19. O TON,0 40“ Pater Karl Kleiner
Es gibt Leute, auch meinetwegen fromme Leute, die immer etwas erleben wollen. Also Glauben bedeutet für die schon Schauen. Und nicht Angewiesensein auf eine Botschaft, die ich annehme. Und diese Leute wollen immer, dass sich der Himmel rührt, dass sich die Hölle rührt. Da muss sich immer etwas bewegen, irgendetwas Wunderbares tun. Das sind sehr einfache Leute. Und ohne Zeichen läuft nichts bei denen. Und ich würde sagen, das ist eine Sache, die von den Priestern der Kirche nicht gepflegt werden soll. Sondern Jesus verlangt schon, dass wir glauben, dass wir auf seine Worte setzen, dass wir ihn akzeptieren.
3. musikal. Zuspielung, bleibt ca. 0 07“ freistehen, dann wegziehen.
1.SPR.:
Rudolf Bultmann greift nun wieder zu den Manuskripten seiner Vorlesungen, darin steht mit dickem Ausrufungszeichen der Satz:
2. SPR.:
Wir müssen beim Thema Wunder unseren Blick über die Bibel hinaus weiten. Sicher, das eine und einzige Wunder bleibt, dass sich Gott offenbart und dass Jesus Christus uns Lebensorientierung bietet. Aber das verstehen wir um so eher, wenn wir auch bereit sind, Gottes Wunder in unserem menschlichen Leben zu erfahren, sozusagen auch im Alltag.
1. SPR.:
Auf diesen Satz habe ich die ganze Zeit gewartet, sagt die Augsburger Philosophin Katharina Ceming:
20. O TON, 0 49“, Ceming
Die Option Mensch an sich ist das Wunderbare. Also, er ist ja in alle Richtungen auch offen, und ich denke, dass dieser Mensch das Potential zum größten Schurkentum hat, aber eben auch genau zum größten Heiligen. Und ich denke jetzt wirklich an diese Geschichte von Viktor Frankl, der also diese entsetzliche KZ Zeit überlebt hat, und der eben gesagt hat: Genau dort hat sich auch menschliche Freiheit gezeigt. Also, dass es Menschen gegeben hat, die in der extremsten schrecklichsten Situation ihres Lebens bereit waren, trotzdem mit anderen noch etwas zu teilen. Das ist das wahrhaft Wunderbare. Und ich denke, das Wunderbare steckt in der Liebe, das ist auch nicht erklärbar, warum Menschen Dinge tun. Und das ist genau das Element des Wunderbaren, das sie jetzt niemals im Sinne einer mechanistisch, materialistischen Welterklärung erklären werden.
(Kürzungsvorschlag Anfang.Als Notlösung käme in Frage: NUR den 21. O TON zu entnehmen! CM. )
1. SPR.:
Die menschliche Freiheit ist für viele Philosophen das allerhöchste, fast etwas Göttliches, Wunderbares. Immanuel Kant sprach z.B. von dem geheimnisvollen „Faktum“ der Freiheit, das man nicht beweisen kann… Ja, es gibt das Geheimnis im Leben, ruft der Münchner Philosoph Günter Schiwy in die Runde! Es gibt das Wunderbare in der Welt. Die Schöpfung sei doch nichts Plattes, nichts Banales. Schiwy denkt dabei an sein großes Vorbild, den berühmten Naturforscher und Theologen Teilhard de Chardin; Er studierte zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Evolution der Welt in ihrem Auf und Ab und konnte dabei natürlich nicht die Katastrophen ignorieren.
21 O TON, 0 28“, Schiwy
Gegen diese Erfahrung hat er die Grunderfahrung des Menschen gesetzt: Er hat gesagt: Gäbe es nicht die Lust am Leben, gäbe es auch nicht die Erfahrung des Unlustigseins. So hat er immer dialektisch gedacht. Aber das Primäre und das Stärkere, ist für ihn letztlich diese positive Energie. Und weil es die gibt, gibt es auch für jeden Menschen die Möglichkeit, die Krisen durchzustehen.
1. SPR.:
Und dieses Potential ,,trotz aller Verzweiflung weiterzuleben“ und für das Wohl der Menschen, besonders der Leidenden, zu arbeiten, diese Kraft habe doch der Mensch nicht aus sich heraus, meint der Philosoph Günter Schiwy. Im Menschen wirke vielmehr eine göttliche Kraft, etwas Wunderbares:
22. O TON, 0 28“, Schiwy
Man muss wissen, dass wir als Geschöpfe nicht allein jetzt auf diesen Weg gesetzt sind. Sondern da ist jemand, der geht nicht nur neben uns her. Sondern der ist unser innerstes Kraftzentrum, es ist etwas, was von Innen her da ist. Und dafür gibt es nun immens viele Zeugnisse, man muss nur in sich selbst hineinhorchen. Das geht über die Kunst, das geht über die großen Forscher, das geht über die vielen Menschen, die sich für andere hinopfern. Das sind doch Energien, die haben wir doch nicht aus uns selbst.
( Kürzungsmögl. Ende).
1. SPR.:
Pfarrerin Cordula Machoni möchte diesen Gedanken aus persönlicher Erfahrung gleich ergänzen:
23. O TON, 0 40“. Machoni:
Zu der Hoffnung, dass Wunder geschehen, gehört: dass ich selbst für eins sorge. Ich kann eben nicht darauf hoffen, dass irgendwas Großes passiert. Sondern Wunder, die ich tun kann, geschehen auch im Kleinen. Der Dienst am Nächsten, also alles, was mit Diakonie zu tun hat oder mit kleinen Handlungen am Nächsten. Und was ist das für ein Wunder, dass Menschen, die hoch belastet sind, hoch engagiert sind in ihrem beruflichen Umfeld, die flexibel, mobil sind, Familie haben, mehrere Tätigkeiten und die dann noch Zeit finden bzw. ihre Zeit erübrigen, Menschen zu helfen! Finden Sie das normal, ist das alltäglich? Da denke ich, das sind schon kleine Wunder, die da passieren.
1. SPR.:
Rudolf Bultmann nickt zustimmend, er blättert in seinen Manuskripten, dort hat er notiert:
2. SPR.:
Ein Mensch, dessen Wesen und Tun von heiterer Liebe getragen ist, wird für andere Menschen zu einem Wunder. Und in solchem Sinne sind wir alle aufgerufen, nicht nur Gottes Wunder zu schauen, sondern auch daran zu wirken, Wunder zu vollbringen. Die Menschen sollten erkennen, dass das menschliche, freie und authentische Leben ein kleines Wunder ist! Wahres menschliches Leben ist kein fernes, kein „eschatologisches“ Zukunftsprojekt irgendwann im Himmel.
1.Spr.:
Dabei beruft sich Bultmann auf die biblischen Lehren des ersten Johannes Briefes; er empfiehlt den Christen, in großer Gelassenheit und Ruhe ihr Leben zu gestalten:
28. O TON, 0 23“, Bultmann
Weil er, der Glaubende, im Grunde schon den Tod hinter sich gelassen hat, und wie Johannes es ausdrückt, aus dem Tode in das Leben hinüber geschritten ist. Das echte, eigentliche Leben ist schon Gegenwart für den, der in Christus neues Geschöpf ist. Die eschatologische Vollendung ist für ihn schon angebrochen.
3. musikal. Zusp., noch einmal 006“ freistehend lassen.
1. SPR.:
Der Gastgeber schaut auf die Uhr. Jetzt sei es doch langsam Zeit, an das versprochene Bier zu denken… Als ökumenisch gesinnter Protestant, bittet Bultmann einen Katholiken um das Schlusswort. Ernst Pulsfort ist dazu gern bereit:
26. O TON, 0 34“, Pulsfort.
Das Wunder ist noch keine Garantie dafür, dass ein Mensch zum Glauben kommt. Wir finden in den Evangelien ja zahlreiche Wundergeschichten. Und diese Wundergeschichten erregen bei Betrachtern eher eine Ablehnung der Person Jesu. Also Wunder garantiert noch nicht die Annahme des Glaubens. Sondern das Wunder ist eigentlich nur verstehbar als eine Verstärkung des Glaubens oder Bestätigung des Glaubens für den, der bereits glaubt. Also der, der nicht glaubt, der nicht an Gott glaubt, der wird niemals eine Sache als Wunder anerkennen.
3. musikal. Zusp. 005“ freistehend:
1. SPR:
Post Scriptum: Rudolf Bultmann wurde 1884 geboren, er ist im Jahr 1976, drei Wochen vor seinem 92. Geburtstag, in Marburg gestorben.
3. Musik wieder hoch, darauf Absage:
Titelsprecherin: Glauben ohne Wunder? Ein theologischer Salon bei Rudolf Bultmann
Sie hörten eine Sendung von Christian Modehn
Redaktion: Anne Winter
Buchempfehlungen:
Eine umfassende historische und kulturwissenschaftliche Einführung zum Thema Wunder bietet das sehr empfehlenswerte Buch „Wunder, Poetik und Politik des Staunens im 20. Jahrhundert“. Hg. von Alexander C.T. Geppert und Till Kössler, Suhrkamp Taschenbuch, 2010, 475 Seiten.
Das Standardwerk zu Bultmann:
Konrad Hammann, Rudolf Bultmann. Eine Biographie. Mohr Siebeck Verlag, Tübingen, 2009, 582 Seiten.
Bernd Kollmann, Neutestamentliche Wundergeschichten.
Biblisch-theologische Zugänge und Impulse für die Praxis
Kohlhammer Urban Taschenbücher, 2010, 224 Seiten.
Gottfried Bachl, Der schwierige Jesus. Tyrolia Verlag, Innsbruck-Wien. 1994, 112 Seiten.
Katharina Ceming, Mystik im interkulturellen Vergleich, Bautz Verlag, Nordhausen, 2005, m133 Seiten,
Josef Imbach, Wunder. Eine existentielle Auslegung. Topos Taschenbuch, 2002. 240 Seiten.