Hinweise von Christian Modehn am 18.12.2017
Meine schon früher, am 6.12.2017, veröffentlichten Hinweise zu den theologischen und religiösen Schwierigkeiten mit Weihnachten haben einiges Interesse und einige Nachfragen gefunden.
Weihnachten wird ja auch heute von vielen, aufgrund von früherer Indoktination und volkstümlicher Frömmigkeit, gefördert durch die üblichen Weihnachtslieder, als „Kommen Gottes in die Welt“ verstanden: Also etwa so: Gott greift punktuell mal in die Welt ein und sendet seinen göttlichen Sohn in der Gestalt des Kindes in der Krippe usw. Ich nenne nur zwei Beispiele:
Im Gemeindebrief (Dezember 2017) einer katholischen Gemeinde in Berlin-Schöneberg schreibt der Pfarrer, ein Dr. theol.: „An einem Punkt in Raum und Zeit trat Gott selber als Kind in unsere Welt“. Die Frage ist: War er, Gott, vorher etwa nicht da? Eine angesehene ökumenische Zeitschrift stellt Ende 2017 die merkwürdige (ich meine: falsche) Frage: „Wie kommt Gott in die Welt?“ Und ein von mir eigentlich geschätzter Theologe gibt dann darauf eine knappe Antwort: „Durch die Menschwerdung des Sohnes Gottes kommt Gott in die Welt“. Wieder dieses mysteriöse Geschehen, Gott kommt mal plötzlich in die Welt…
Ich möchte hingegen vorschlagen: Wer Weihnachten verstehen will als die Geburt des Jesus von Nazareth, muss nicht vom punktuellen Eingreifen Gottes in der Geschichte sprechen und nicht von einem datierbaren Wunder (etwa so: „unter Kaiser Augustus kommt Gott auf die Erde“). Vielmehr: Jesus von Nazareth ist deswegen ein bedeutender Mensch, weil er zur Menschheit und damit zur Welt gehört, die von Gott geschaffen ist. Das heißt: In der von Gott geschaffenen Welt und Menschheit ist Gott von Anbeginn anwesend. Darin hat der Philosoph Hegel recht und mit ihm ein breiter Strom der mystischen Philosophie wie Meister Eckart: Wenn die Welt von Gott her „stammt“, dann bleibt sie auch als Welt mit Gott eng verbunden, ist eins mit ihm. Eine völlig eigenständige Welt neben Gott wäre aber eine Art zweiter Gott. Das würde die Sache noch komplizierter machen…
Nur weil die Welt und die Menschheit mit Gott immer schon verbunden sind und mit ihm eins sind, also Gott selbst in Welt und Menschheit anwesend ist, kann es die bedeutende Gestalt Jesu von Nazareth geben, dem manche so hohe Qualitäten zusprechen, dass sie ihn „wunderbar“, „Retter“ nennen, sogar metaphorisch „göttlich“ finden. Göttlich wie gesagt in Anführungszeichen, denn Jesus von Nazareth IST nicht Gott. Seine Gestalt ist für viele so berührend, dass sie seinem Lebensentwurf folgen und in diesem Nachfolgen ihre persönliche Rettung, ihr Heil, sehen. Jesus von Nazareth ist also erlösendes Vorbild. Weihnachten ist dann nichts anderes als eine festliche Erinnerung an dieses Vorbild, dem man in der Praxis entsprechen kann und sollte. Tolle Lieder alter Art, „Vom Himmel hoch, da komm ich her“ oder „Stille Nacht“ usw. erscheinen dann bestenfalls als hübsche Unterhaltung, als kurze Flucht in angeblich heile Kinderwelten, diese Flucht mag ja verständlich sein bei der Frustration über diese Welt.
Der religiöse Zauber rund um Weihnachten hat nur Sinn, wenn er an das eine und das einzige Wunder erinnert: Dies ist die Schöpfung der Welt und der Menschen durch Gott. Und damit ist jeder und jede schon immer von Göttlichem berührt. Jesus von Nazareth erinnert nur uns nur an diese allgemeine spirituelle „Struktur“ von Welt und Menschheit. Dass es in der Welt de facto immer noch so trostlos aussieht, geht einzig zu Lasten der Menschen, die sich egoistisch verkrampfen und nicht in der Weite des Geistes leben, die etwa in der authentischen Lehre der Menschenrechte ausgesprochen wird.
Wenn man das klassische Bild von Weihnachten noch verwenden will, das da heißt „Gott wird Mensch“, dann bedeutet das in vernünftiger Sicht konkret: Gott „will“, dass wir die Menschenrechte respektieren und von egoistischer, nationalistischer Enge befreit leben. Insofern ist Weihnachten kein Fest der frömmelnden, aber eigentlich nicht mehr nachvollziehbaren Songs, sondern ein Fest der Menschenrechte und der „göttlichen“ Würde eines jeden Menschen. Das haben die Kirchen sehr sehr selten deutlich so gesagt. Und die Konsumwelt erstickt diese Erkenntnis, so dass sie beinahe verschwunden ist.
Zusammenfassend: Die Regression, das Absinken in kindliche Vorstellungen, dominiert zu Weihnachten also. Und daran sind die Kirchen selbst schuld, weil sie kein vernünftig nachvollziehbares Verstehen von Weihnachten anbieten, sondern, sorry, auf dummen Wiederholungen von seit Jahrzehnten bekannten mythologisch wirkenden Sprüchen und Liedchen verharren. Wer Weihnachten feiert, möge bitte das Denken abschalten, könnte die kirchliche Maxime heißen.
Welch ein Jammer, welch eine theologische Schande, wenn man bedenkt, wie viel Energie etwa der einst noch weltweit geschätzte katholische Theologe Karl Rahner SJ darauf verwendete um zu zeigen: Die Schöpfung, also das, was Theologen „Natur“ nennen, ist „immer schon“ von göttlicher Gnade umfangen. „Gott“ ist also auch für Rahner immer schon „in der Welt“. So auch der Titel der berühmten Rahner Festschrift. Und da zeigen sich universale Perspektiven: Gott ist immer schon lebendig in allen Menschen aller Religionen. Jesus von Nazareth offenbart „nur“ diese allgemeine und universale Struktur von Welt und Menschen. Das ist eine andere Perspektive, als diese dummen Songs „Leise reiselt der Schnee“ oder „O Tannenbaum“ uns vorgaukeln. Mit anderen Worten: Die Kirchen sind aufgrund ihrer Abwehr von vernünftiger, allgemein verständlicher Theologie schuld, dass Weihnachten total unter Niveau gefeiert wird. Das ließe sich ändern, wenn endlich Pfarrer und Prediger auf dem Niveau der Theologie predigen würden und nicht bequemer weise alte Sprüche wiederholen.
Was aber wäre gewonnen bei einer vernünftigen, geistvollen Deutung von Weihnachten? Die Menschen bräuchten nur noch an das eine und einzige (!) Wunder ihrer Existenz zu glauben, dass Gott die Welt geschaffen hat und in ihnen lebt. Dies wäre die Antwort auf die radikale philosophische Frage: „Warum ist überhaupt etwas und nicht viel mehr nichts?“
Das Ewige ist immer schon in uns und unter uns. Wir sollten der „göttlichen Bedeutung“ des Menschseins entsprechen, also die Menschenrechte realisieren. Das ist Weihnachten. Und das ist sehr politisch, man denke an die Abweisung der Flüchtlinge aus nationalistischem und egoistischem Wahn der reichen Europäer, die sich einmauern. Das ist allerdings schwieriger, als Stille Nacht zu singen.
Meditative Momente der Schönheit und Ruhe ergeben sich allerdings in der neuen Deutung von Weihnachten wie selbst. Es sind Augenblicke der Herzlichkeit, des Verstehens, des Zuhörens, des gemeinsamen Speisens in Ruhe, der Runde der Freundschaft mit Fremden und Flüchtlingen, des reifen Umgangs mit sich und anderen. Das wäre Gottesdienst. Es ist das Erlebnis von Kunst, die diesen Namen verdient und vielleicht auch das leise Summen von Liedern, die schön und ohne Banalität den Widerschein des Ewigen spürbar machen. Vielleicht ist es Schubert, Vielleicht Leonhard Cohen? Vielleicht Jazz? Jeder hat seine Musik der Stille zur Weihnacht.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin