Die Elenden werden übersehen – sie sind ökonomisch irrelevant
Beobachtungen zu „Sandy“ und anderen Ungeheuerlichkeiten
Von Christian Modehn
Wann beginnt Rassismus, fragen wir uns im Religionsphilosophischen Salon. Zeigt sich in der internationalen Aufmerksamkeit auf Naturkatastrophen eine Vorliebe für wichtige Menschen in wichtigen Nationen gegenüber wertlosen Menschen in ökonomisch wertlosen und deswegen völlig uninteressanten Ländern? Ist diese „Vorliebe“ tendenziell rassistisch?
Wer die Berichterstattung der großen Medien anlässlich des Hurrikans Sandy beobachtet hat, kommt wahrscheinlich zu der Erkenntnis: Ja, die Sandy – Opfer in den USA sind wichtiger und interessanter als die Sandy Opfer etwa in Kuba oder Haiti. Die Upper East Side von Manhattan steht uns näher als die Barackensiedlung oder die Zeltstadt „Cité Soleil“ in Port – au – Prince, Haiti. Menschlichkeit bemisst sich eindeutig nach ökonomischen Kriterien. In Manhattan leben eben wichtige, in Port au Prince höchst unwichtige Menschen. Nur ein Beispiel: Erst am 6. 11. 2012, nachdem Sandy aus den USA längst als Sturm verschwunden war und Tage zuvor voller Details seitenlang über die Katastrophe in den USA berichtet wurde, also erst am 6. 11. 2012 berichtete etwa „Der Tagesspiegel“ ausführlicher über Haiti mit dem Titel: „Land ohne Hoffnung“. Zuvor wurden nur äußere, sozusagen metereologische Fakten publiziert. Haiti ist also „ohne Hoffnung“. Um es paradox zu formulieren: Die immer noch spürbaren Verwüstungen des Erdbebens (Januar 2010) wurden jetzt noch einmal durch Sandy weiter verwüstet. Denn von Aufbau nach der Katastrophe von 2010 kann wohl nur sehr bedingt die Rede sein. Erwähnt wurde im „Tagesspiegel“ nebenbei, dass in der Großstadt Santiago de Cuba mehr als 200.000 Unterkünfte zerstört worden seien. Berichtet wurde auch, dass die angeblich „böse“ Regierung unter Hugo Chavez in Venezuela die erste war, die 240 Tonnen Hilfsgüter nach Haiti schickte….
In Haiti werden nach dem Hurrikan noch einmal hunderte Menschen krepieren, zumal die Hauptverbindungsstraße in die Dominikanische Republik (von dort wurden viele Hilfsgüter angeliefert) offenbar völlig zerstört ist.
Man verstehe uns nicht falsch: Wir haben gar nichts gegen eine umfassende Berichterstattung über die USA. Wir meinen nur, dass wir aufmerksam sein sollten, wo uns durch die Medien suggeriert wird: Es gibt wichtige und unwichtige Opfer. Dass in Haiti, dem vergessenen Land mit den vergessenen Menschen, das blanke Elend herrscht, weiß allmählich jeder. Und fast alle haben sich damit abgefunden. Darf man das „indirekt zugelassenen Völkermord“ nennen? Dass für Haiti, der ehemaligen französischen Kolonie, „Rettungsschirme“ aufgespannt werden – etwa von der Europäischen Gemeinschaft – ist bisher nicht zu uns gedrungen. Vielleicht gibt es in Haiti noch nicht einmal funktionsfähige Banken, denen Frau Merkel zu Hilfe kommen könnte.
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