Zur „Bartholomäus-Nacht“ vor 450 Jahren (am 23./24.8.1572).
Hinweise von Christian Modehn.
1.
Die Bartholomäus-Nacht in Paris als Massaker und Pogrom an der Minderheit der französischen Protestanten bleibt ein außergewöhnliches Ereignis, es ist die Nacht des Massenmordens vom 23. zum 24. August 1572. Anläßlich der Hochzeit des Protestanten Heinrich von Navarra und Margarete von Valois (der Tochter von Katharina de Medici, die damals als Königin die oberste Herrscherin war) wurde der zur Feier eingeladene Führer der Protestanten Gaspard II.(de Coligny ermordet, anschließend wurden einige hunderte Protestanten umgebracht. Dann kam es in der französischen Provinz zu weiteren Massakern mit vielen Opfern.
Der Spezialist für diese Zeiten, der Historiker Jean Delumeau, (1) nennt insgesamt acht Religionskriege gegen die Protestanten in Frankreich, der erste Krieg bereits 1562, der letzte von 1585 bis 1598. Ein „bißchen“ Religions-Frieden gab es nur zwischen 1564 und 1566 und um 1582.
Für die Massaker der Bartholomäus Nacht trägt Katharina de Medici und die Gruppe der extrem katholischen Guisen (Herzöge in Lothringen) die Verantwortung, so Jean Delumeau, (2)
Seitdem ist jegliches Vertrauen der französischen Protestanten in die Herrschaft des Königs zerstört. Sie versuchen nun, ihre eigenen Zentren im Süden auszubauen, etwa in Nimes und Montauban sowie auch in La Rochelle. Papst Gregor XIII. war über das Massaker der Bartholomäus-Nacht hoch erfreut und ließ zum Dank ein „Te Deum“- Lobgesang im Vatikan veranstalten. So pervers konfessionalistisch dachte dieser Papst, und bekanntlich nicht nur er…
2.
Das Ereignis der Bartholomäus-Nacht legt die Ausmaße des religiösen und konfessionellen Wahns frei. Die Ereignisse rund um diese Massentötungen der Minderheit der Protestanten sind also mehr als „historische Daten“. Sie sind Symbole dafür, wohin Herrscher und die ihnen ergebenen Untertanen in ihrem Fanatismus geführt werden, wenn sie meinen: Sie allein hätten die „allgemeine objektive und göttliche Wahrheit“. Die Theologie der Kirchen hat diesen irrigen Gedanken einer objektiven Wahrheit (die als „Welt-Mission“ dann verbreitet wurde) seit dem 4. Jahrhundert durchgesetzt. Die Vorstellung, dass die römisch katholische Kirche „die“ göttliche Wahrheit besitzt (vor allem in Gestalt des Papstes), ließ sich bis heute nicht überwinden. So bleibt aufgrund der „allein selig machenden Kirche“ immer eine gewisse Gefahr für den Frieden unter den Menschen, selbst wenn hinsichtlich des gelebten religiösen Wahns islamistische Gruppen heute viel heftiger und gefährlicher sind…
3.
Die Erinnerung an das Ereignis und das weite Umfeld der Bartholomäus-Nacht im Frankreich des Jahres 1572 führt also zu der Erkenntnis: Es kann, wissenschaftlich, philosophisch, erkenntnistheoretisch betrachtet, keine objektive, für alle Menschen aller Zeiten gültige religiöse/kirchliche inhaltlich bestimmte Wahrheit geben, und zwar auch um des Friedens willen unter den Menschen in Gesellschaft und Staat. Es kann nur die subjektiven religiösen Wahrheiten für den einzelnen geben, die dieser für sich lebt und auch für sich behält, ohne daraus, sogar noch in aggressiver Werbung, eine gültige Wahrheit für alle und für immer zu formen … oder gar auf die Idee zu kommen, seine individuelle religiöse Wahrheit nun auch noch politisch und ökonomisch „für alle“ durchzusetzen. Dieser Wahn lebt heute z.B. in Kreisen der Abtreibungsgegner („Pro-Life“ Militante) oder evangelikaler Fundamentalisten.
4. Die Bartholomäus-Nacht:
Die Könige Frankreichs in den Zeiten der Reformation bis zur Revolution von 1789 folgten der Überzeugung: Nur eine einzige Religion, der Katholizismus, darf ein Lebensrecht im Königreich haben. Pluralität der religiösen Meinungen, umfassende Meinungsfreiheit insgesamt, war für den totalen Herrschaftsapparat der katholischen Könige nichts als eine Bedrohung. Pluralität und Toleranz mussten ausgerottet werden. Die gelegentlichen königlichen Toleranzedikte gegenüber den Protestanten waren von kurzer Dauer. Das Toleranzedikt Edikt von Nantes brachte im Jahr 1598 eine gewisse Beruhigung im Abschlachten, in den Attentaten, Massakern, Belagerungen usw. Das Edikt von Nantes wurde durch König Ludwig XIV. wieder abgeschafft, 1685, im „Edikt von Fontainebleau“. Es war eine grausame Verfügung der Intoleranz: Nicht nur wurde der Katholizismus zur einzig zugelassenen Religion, Gottesdienste der Protestanten wurden verboten, protestantische Kirchen zerstört, die reformierten Pfarrer vertrieben. Etwa 200.000 französische Protestanten mussten das Land verlassen, sie fanden Zuflucht in der Pfalz, in Brandenburg, in Holland…
5.
Der französische Staat unter Führung des absolutistischen Ludwig XIV. ging aus den Schrecken, Vertreibungen, Verfolgungen der konfessionell bedingten Bürgerkriege nur scheinbar als Sieger hervor. Viele tausend gebildete und wohlhabende französische Protestanten, viele qualifizierte Handwerker usw. mussten das Land verlassen, nur so entgingen sie der Verfolgung oder der Zwangskonversion. Und der Katholizismus war ein staatlich, königlich, dominierter Glaube, er sollte so des Königs von Gott gegebene Allmacht demonstrieren, und diese Verhältnisse Gabe es schon seit dem 14. Jahrhundert ( 3.) „gallikanisch“ bestimmt, d.h.: Das letzte Wort in Kirchenfragen, etwa bei der Ernennung von Bischöfen, hatte nicht der Papst, sondern der französische König. Der Jurist Pierre Pithou (1539-1596, Konvertit zum Katholizismus) hat das dafür grundlegende Werk „Les Libertés de l église gallicane“ 1594 verfasst. 1682 verfestigte der französische Klerus seine kritische Haltung gegenüber dem Papst und drückte offiziell seine Unterstützung aus zugunsten des Kirchenführers, des Königs. Der König war selbstverständlich nur nach außen katholisch, die katholischen Moralgebote galten für ihn, siehe das bischöflich geduldete Mätressen-Wesen. Und in den üblichen Kriegen konnte er gewissenlos tausende seiner Landsleute in den Tod schicken.
6.
Aber die erwünschte weltanschauliche, religiöse Einheit und Einförmigkeit in Frankreich blieb eine Illusion: Militante Papst-ergebene Katholiken (die „Ultramontanen) machten der Königsherrschaft das Leben schwer. So wurde die Konversion von König Henri IV., ursprünglich Protestant, von Ultramontanen heftig bezweifelt. Sie propagierten immer wieder die Theorie des Königsmordes: Tatsächlich wurde wurde König Henri IV. 1610 von einem militanten Katholiken ermordet.
7.
Diese Politik der absoluten religiösen Einheit bzw. Einförmigkeit hatte trotz der versuchten Ausrottung des Protestantismus keinen Erfolg: Es bildeten sich Kreise der literarischen – philosophischen Libertins, also der Freidenker, und vor allem, Skeptiker melden sich zu Wort, wie sehr früh schon Michel de Montaigne. Und vor allem: Es organisierte sich innerhalb des königlich dominierten Katholizismus die strenge spirituelle Gegenbewegung des Jansenismus, der in seiner rigorosen Gnadenlehre in gewisser Weise Ideen der reformierten Theologie Calvins übernahm. Der Jansenismus ist benannt nach dem Bischof von Ypern, Cornelius Jansen, 1585-1638, er war ein Verfechter der extremen Interpretation der augustinischen Theologie.
Auch wenn Ludwig XIV. die spirituellen Zentren und Klöster des Jansenismus zerstörte und die führenden Köpfe dieser spirituellen Bewegung tötete: Die Ideen der Jansenisten (der Mathematiker und Mystiker Blaise Pascal gehörte zu ihnen) überlebten, Jansenisten waren die einflußreichsten ideologischen Widersacher des Gallikanismus („der König ist der Herr der Kirche, nicht der Papst“) und der damals als liberal („moralisch lax“) geltenden Jesuiten.
8.
Es entwickelten sich rund um die philosophischen Salons in Paris religionskritische Philosophien, die den Katholizismus insgesamt überwinden wollten, nicht nur zugunsten eines materialistischen Atheismus (Julien de la Lamettrie, 1751 in Berlin gestorben), sondern auch zugunsten einer einfachen Vernunftreligion, etwa im Denken Voltaires.
Die radikalen Kreise der Revolutionäre von 1789 förderten mit Gewalt die Entkirchlichung, den Abschied der Franzosen von der Kirche, der Haß der Katholiken auf die ultra-reichen Klöster und privilegierten Bischöfe war kaum zu bremsen, es gab die Zerstörungen von Kirchen und Klöstern, die Verfolgung von antirevolutionären Priestern. Aber die Revolution brachte endlich die Religionsfreiheit für die Protestanten und später auch für die Juden sowie die Abschaffung der Sklaverei.
9.
Mit anderen Worten. Der Wahn der französischen Könige, seit dem ersten Auftreten von Protestanten in Frankreich bedeutet: Die eine und einzige Religion, den Katholizismus, sollte gefördert und verteidigt werde. Diese Ideologie als Wahn endete – In der Sicht der Herrscher und bei dem Leiden der Menschen – mit einem Desaster: Die Pluralität der Meinungen ließ sich eben nicht definitiv ausschalten, insgeheim blieb die Pluralität der Überzeugungen erhalten.
Seit 1905 gilt das Gesetz der laicité, der Trennung von Kirchen und Staat. Der Staat ist religiös neutral, er lässt die verschiedenen Religionen leben und sich entfalten, solange sie in ihrer Praxis sich nicht gegen die Grundlagen der Menschlichkeit verhalten.
Und vor allem: Die Verfolgung Andersgläubiger brachte die Menschen dazu, letztendlich nur noch ein äußerst geringes Interesse zu haben für die Formen der christlichen Religionen. Dass sich heute (2022) noch nicht einmal die Hälfte der Franzosen als Katholiken bezeichnen, ist letztlich auch ein (fernes) Resultat dieses religiösen Wahns der Intoleranz der Königsherrschaft. Aber entscheidender ist: Die so genannte religiöse „Praxis“ der Katholiken (d.h für Religions-Soziologen die regelmäßige Teilnahme an der Sonntagsmesse) tendiert heute (2022) in vielen Gegenden (etwa Burgund, Bourges, Limoges, Gueret, Moulins, Nevers, Carcassonne usw.) gegen Null. Die französische katholische Kirche besteht zwar noch in ihren ziemlich aufgeblähten Strukturen, aber sie ist eine von der Hochschätzung her gesehen eher schwache Institution, schwach, auch finanziell ausgestattet, vor allem geistig ist sie weithin schwunglos und erstarrt, weil immer mehr die konservativen und reaktionären Bewegungen der „Neuevangelisierung“ bestimmend werden. Auch die vielen tausend „Fälle“ von sexuellem Missbrauch durch Priester in Frankreich lassen die Kirche der Kleriker immer unglaubwürdiger erscheinen.
10.
Was zeigt diese historische Erfahrung Frankreichs? Wenn eine Kirche politisch beherrscht wird, also Staatskirche ist, und wenn die Vernunft, also die Toleranz, eine untergeordnete Rolle spielen gegenüber den konfessionellen, theologischen Lehren, dann ist der Niedergang der Kirche und des kirchlich geprägten Glaubens vorgezeichnet. Die Gläubigen verzeihen es weder der Kirche noch dem Staat, wenn in der Kirche-Staat-Einheit auch Staatsbeamte den Gottesdienstbesuch kontrollieren und prüfen, welches Gemeindemitglied zur Osterbeichte gegangen ist (Siehe dazu die Studie von Jean Delumeau, „Le catholicisme entre Luther et Voltaire“, Paris 1985, S. 336 ff.).
11. Hinweise zur Frühgeschichte der französischen Protestanten:
Die ersten so genannten „Falschgläubigen“ (also Protestanten bzw. „Hugenotten“) in Frankreich konnten schon 1520 Bücher Martin Luthers in Frankreich erwerben. (5) verbreitet. Dadurch wurden zuerst Kreise erreicht, die gebildet waren, also mindestens lesen konnten, und das waren Menschen in großen Städten. Die ersten Gemeinden waren eher Hauskreise, und pro forma besuchten die ersten Reformierten noch die katholische Messe (6). Das erste protestantische Abendmahl wurde 1541in Sainte Foy gefeiert, danach 1542 in Meaux, 1545 in Pau und Tours. 1559 wurde die erste Nationalsynode in Paris organisiert und ein Bekenntnis formuliert. „Der Protestantismus war nun eine Kraft im Königreich mit Schwert – der Adel hatte sich dem Protestantismus angeschlossen – und einer strukturierten Lehre“ (7). Der Admiral und Hugenottenführer Gaspard II. de Coligny aus dem Hochadel zählte 1562 schon 2.150 reformierte Gemeinden und der Pfarrer von Provinz wusste zu der selben Zeit, dass ein Viertel der französischen Bevölkerung protestantisch geworden ist. Längst war die protestantische Bewegung über intellektuelle Kreise hinaus gewachsen.
12.
Schon 1523 wird der Augustinermönch Jean Vallière als Anhänger der Lehren Luthers, seines Ordensbruders, wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen in Paris verbrannt, er war der erste Märtyrer der Reformierten Kirche bzw. der damals Hugenotten genannten Christen. (9). In Metz wird der Laienprediger Jean Leclerc wegen Ketzerei hingerichtet. 1526 wird Jacques Pauvant in Metz als Ketzer hingerichtet, der Übersetzer Martin Luthers, Louis Berquin wird 1529 gefoltert…..
13. Ein Hinweis zum Profil des Reformators Jean Calvin (1509-1564):
Calvin ist der Inspirator der Reformierten Kirche in Frankreich, geboren in Noyon, in der nordfranzösischen Picardie, bestimmte er mit seinen Schriften und seiner Autorität von Genf aus die Entwicklung von Rom-unabhängigen Gemeinden. Bemerkenswert ist: Er war Jurist und Humanist, sein besonderes Interesse gilt der Nähe der Philosophie der Stoa zum Christentum). Der junge Calvin „glaubt, dass der Stoizismus im Verbund mit dem Humanismus eine Koalition eingehen könne mit dem Christentum gegen die Epikuräer, also gegen eine hedonistische, auf das individuelle Glück zielende Lebensdeutung“ (10.). Die Abweisung des Epikureischen blieb Grundbestand der Lehre und Moral Calvins. Er hat (katholische) Theologie studiert, ohne katholischer Kleriker zu werden. Es war die persönliche intensive Bibellektüre, die zum Bruch mit der römischen Kirche führte.. „Gut reformatorisch geschieht die Bekehrung im Akt des Lesens der Bibel“ (11).
Calvin bleibt ein umstrittener und eher auch fanatisch wirkender Reformator, hinsichtlich der Strenge seiner Lehre erscheint er as Kirchenerneuerer fremd und in gewisser Weise „überholt“. Er war es, der den Humanisten und Gegner des trinitarischen Glaubens, Michel Servet (1511 in Spanien geb.) 1553 auf den Scheiterhaufen in Genf zur Verbrennung führen ließ. Die Hinrichtung löste immerhin Diskussionen unter den reformierten in Genf aus. Vor allem durch diese Untat ist der ohnehin eher spröde wirkende Calvin niemals ein populärer Reformator geworden,. Die Charakterisierung als eines „säuerlichen Gelehrten“ hat sich durchgesetzt. Schlimmer noch empfinden viele kritische Menschen, damals wie heute, Calvins Prädestinationslehre, also die Ideologie, Gott habe im Himmel schon bestimmt, wer gerettet wird und wer nicht… Die freisinnigen Remonstranten („Arminianer“) haben sich dann 1618 von dieser strengen Lehre abgesetzt und für die Freiheit der Menschen auch Gott gegenüber plädiert.
Interessant bleibt, dass sich im Unterschied zur „Lutherischen Kirche“ heute kaum noch eine Kirche sich auf ihren „Stifter“ Calvin namentlich bezieht und „calvinistisch“ nennt. Es hat sich der neutrale Titel „Reformierte Kirche“durchgesetzt mit einem „Reformierten Weltbund“ mit Sitz in Genf. Er versammelt ca. 80 Millionen Gläubige in ca 225 verschiedenen eigenständigen reformierten Kirchen.
14.
Politisch inspirierend und aktuell sind manche Äußerungen Calvins: Etwa:
Für ihn sind Könige auch nur Menschen und als solche Sünder und deswegen auch korrupt: Calvin schreibt: „So ist es sicherer und erträglicher, wenn mehrere Herrscher das Steuerruder halten, so dass sie also einander beistehen, sich gegenseitig belehren und ermahnen. Und wenn sich einer mehr als billig erhebt, eben mehrere Aufseher und Meister da sind, um seine Willkür im Zaume zu halten“. (12)
Sätze, die den Königen in Frankreich gewiss nicht gefallen haben.
Calvin schwebt offenbar eine repräsentative Demokratie mit deutlich aristokratischen Anstrich – als der Herrschaft der Besten – vor, meint Klaas Prof. Huizing.
Quellangaben:
1:
Jean Delumeau, Histoire de la France, Larousse Paris, 1987, S 103.
2:
Ebd. S.105
3:
„Gegenreformation“ Von Ronnie Po-chia Hsia, (Prof. an der Uni New York, Fischer Taschwenbuch, 1998, S90.)
4:
Histoire de la France, S. 142
5:
Histoire de la France S. 143
6:
ebd.
7:
ebd.
8:
Ebd S. 139
9:
Klaas Huizing, Calvin, edition chrismon, 2008, S. 42
10:
ebd., S. 35
11:
ebd. S. 47.
12:
ebd.S 121, bezogen auf Calvins „Institiutio“, IV 20,8.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.