Sprache der Musik – Sprache der Transzendenz? Ein Abend im Religionsphilosophischen Salon Berlin (am 26.9.2014)
Hinweise von Christian Modehn
Wir haben uns viel vorgenommen, in diesem Salonabend mit dem Komponisten und Saxophonisten Joachim Gies (Berlin). Seine Wort-Beiträge, seine Musik, die wir hörten, seine Präsenz waren für die meisten TeilnehmerInnen eine Öffnung hin zu der Einsicht und dem Erfahren, dass Musik eine Sprache ist mit einer eigenen weiten Ausdruckskraft. Bezeichnend dafür ist der Bericht von Joachim Gies, wie er bei seinen Reisen in Sibirien und der Mongolei mit Menschen musikalisch kommunizierte; wie er also seine Musik spielte und seine Freunde dort darauf antworteten auf musikalische Weise. Und sie verstanden einander; das Verstehen musste nicht noch in begriffliche Sprache, in Worte, übersetzt zu werden. Musikalisch miteinander sprechen: eine Perspektive, die so viele sich wünschen, die aber so wenige wohl erreichen (auch aufgrund mangelnder Kenntnis, Instrumente selbst zu spielen usw.).
So bleibt für die meisten wohl die Frage: Was bewegt sich in mir beim Hören der Musik? Was lässt mein Leben wachsen und verwandeln durch die Musik, die ich gerade höre? Oder wohl treffender gefragt, wenn das Hören intensiv ist als eine Art Mitleben mit der Musik, eine Art Eintauchen in die Musik: Was habe ich da gerade vor einigen Minuten in dieser Symphonie eigentlich gehört? Das bloße Eintauchen in die Musik und das Verweilen in ihr kann ja nicht alles sein, meine ich.
Im Anschluss daran möchte nur einige Hinweise geben und auf Themen aufmerksam machen, die uns in unserem philosophischen Salon auch bewegt haben.
Was meinen wir, wenn wir so oft und so selbstverständlich sagen: Musik ist eine Sprache? Um da weiter zu kommen, müssen wir uns selbstverständlich lösen von dem allgemeinen Vorurteil, Sprache sei immer nur begriffliche Sprache, Reden in Worten. Sprache hingegen ist die Urform des Ausdrucks des Menschen anderen Menschen gegenüber und auch sich selbst gegenüber: Insofern ist Sprache auch Zeichensprache, Sprache ist Tanz, Sprache ist Schweigen, Sprache ist Musik machen, Sprache ist Gehen, Sprache ist Sich-Bewegen usw.
„Musizieren“ ist eine Form und eine Gestalt von Sprache und Sprechen. In ihr drückt sich der Komponist aus, sagt also musikalisch, wie er sich befindet. Musik „machen“, also „komponieren“, ist ja mehr als das Wort komponieren sagt, im Sinne eines „Zusammensetzens“, componere, von Tönen in einer bestimmten Abfolge. Musik ist keine Mathematik, sie weckt keine Freude daran, sozusagen bloß die Qualität der Quinten oder Quarten zu erleben in ihrem Aufeinanderbezogensein…
Aber, und das ist meine Meinung, alle Formen von Sprache, auch jene, die sich nicht begrifflich äußern, sind „immer schon“ geistig begleitet durch die stille Anwesenheit des Begrifflichen. Wenn der Geist auch als die Fähigkeit des Begrifflichen nicht immer schon bei jeder sprachlichen Äußerung (Musizieren, Tanzen, Sich bewegen usw.) anwesend wäre in seiner Fähigkeit, etwas Erlebtes als etwas Erlebtes zu benennen, dann wüssten wir gar nicht, dass und was wir musizierend hören, dass und in welcher Form wir tanzen usw. Das heißt: Das begriffliche Moment ist in jeder Form menschlichen Sprechens, auch still und verschwiegen im Musikhören anwesend, oft unbewusst. Aber das Begriffliche kann nach dem Hören der Musik und nach dem Eintauchen in die Musik dann doch „zum Durchbruch“ kommen: Ich kann dann sagen, wie mich die Musik bewegte. Vielleicht haben sich beim Hören der Musik schon bestimmte Stimmungen eingestellt, die wir dann im Hören andeutend begrifflich fassen, bereits „eingeschlichen“, etwa: „wie traurig“, „eine Erhebung“, „eine Bewegung“, „ein Abbruch“ usw. Wer das Requiem von Mozart hört, geht verwandelt aus der Musik heraus. Und er kann dann wenigstens in einem Wort sagen, wie und warum er verwandelt aus dem Requiem von Mozart herausgeht: „Ich bin getröstet“. „Ich blicke wieder neu auf den Tode“ etc…Sonst wäre das Hören der Musik in der Weise des „l art pour l art“, also spielerisches (banales) Spiel.
Damit wird in meiner Sicht der Nachdruck darauf gelegt, dass die Sprache der Musik keine von allem sonstigen geistigen Leben losgekoppelte, sozusagen autonome und in sich ruhende (total unbegriffliche) Welt ist. Auch die Musik gehört zur Welt des Geistes und damit wenigstens elementar zur Welt der begrifflichen Sprachlichkeit. Wir wollen uns doch schließlich austauschen über das Gehörte, wobei wir nicht nur über den mathematischen Zusammenhang von Quinten und Oktaven sprechen, sondern über den geistigen Gesamteindruck eines Cellokonzertes von Haydn oder eines Klavierstücks von Satie…
Aber inwiefern kann Musik auch eine Sprache der Transzendenz sein? Da hängt alles davon ab, wie wir Transzendenz verstehen. Es ist schon wichtig, Transzendieren als den ständigen Überschritt des Geistes über alles Gegebene und Vorfindliche zu begreifen. Wir gehen ständig über unsere kleine Welt hinaus, denken weiter, denken an morgen und die fernere Zukunft, denken an den Tod, denken an das endgültige Ende oder den Übergang usw. Musik ist eine Sprache, die uns oft hilft, aus den Verklammerungen an das bloß Gegebene und Vorfindliche hinauszukommen. Musik hilft uns hinweg über die kleinlichen Fixiertheiten auf den Alltag im Jetzt, Musik treibt ins Weite, öffnet, lässt uns manchmal rasend machen im Überschreiten der Grenzen. Musik ist Sprache, in der wir eben lebensmäßig und praktisch „Transzendieren“.
Entscheidend ist jetzt in meiner Sicht: Das Transzendieren ist eine Kraft des Geistes, die etwas Wunderbares ist, die uns staunen lässt darüber, was sozusagen alles in uns steckt an schöpferischer Kraft des Übersteigens. Diese in uns anwesende Kraft IST das von uns nicht Zerstörbare, insofern Absolute, insofern Göttliche, wenn man denn davon schon an dieser Stelle der Überlegung sprechen will. Das Göttliche ist also gerade nicht in einem fernen Himmel. Das Göttliche ist IN uns als die unbesiegbare (unabwerfbare) Kraft des ständigen und ruhelosen Überschreitens. Dann erkennen wir durch die Musik: Wir SIND Überschreiten. Wir überschreiten uns selbst. Dank der Musik.
Diese Gedanken werden wir in unserem philosophischen Salon weiter besprechen.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.