Sankt Karol Wojtyla trifft den Heiligen Johannes XXIII.

Sankt Karol Wojtyla trifft den heiligen Papst Johannes XXIII.

Von Christian Modehn

Am Sonntag, den 27. April 2014, wird Papst Johannes Paul II. in Rom heilig gesprochen. Der polnische Papst, sehr konservativ – theologischer Prägung und mit entsprechender Herrschaft über die Katholiken, wird zugleich mit Papst Johannes XXIII. (Papst von 1958 bis 1963) als himmlischer Fürsprecher weltweit, wie man sagt, “auf die Altäre erhoben”. Ein konservativer Papst und ein eher etwas aufgeschlossener, etwas jovialer, aber mutiger Papst werden also – diplomatisch klug – gleichzeitig heilig gesprochen. Auf diese Weise will Papst Franziskus den Eindruck erwecken, beide Strömungen hätten jetzt in der römischen Kirche eine Art Gleichberechtigung.

Als religionsphilosophisch und religionskritisch orientierter Studienkreis publiziert der Religionsphilosophische Salon Berlin noch einmal einen Beitrag von Christian Modehn, der im Mai 2011 im WDR gesendet wurde. Dieser Artikel hat nichts von seiner Aktualität verloren. Über die in Karol Wojtylas (Johannes Paul II.) Namen geschehenen Wunder wurde berichtet, nun also gibt es noch ein Wunder in Costa Rica. Dass Heiligsprechungen auch ohne die sonst nachzuweisenden Wunder jetzt im Fall Johannes XXIII. möglich sind, ist ein bedeutendes Ereignis: Das sonst so rigide Kirchenrecht  wird also von Papst Franziskus übergangen. Ein wegweisendes Ereignis bezogen auf die Relativität des Codex Iuris Canonici?

Die Allmacht des Papstes Franziskus, so schreibt zurecht Stéphane Le Bars in “Le Monde” vom 26. April 2014, Seite 7, Rubrik cultures et idées, zeige sich in seiner Entschlossenheit, bestimmte Personen des Jesuitenordens, wie Pierre Favre, im Schnellverfahren auch ohne den Wundernachweis heilig zu sprechen. Die Frage aber bleibt: Wenn Heilige Vorbilder sein sollen für die so genannten normalen Katholiken, wie können Päpste, also privilegierte und rund herum verwöhnte Kleriker, dann wirklich Vorbilder sein? Was hat ein vor Hunger sterbender Katholik im Südsudan von einem Vorbild Papst Johannes Paul II.?

Aber abgesehen davon: Wie kann man im Ernst heute eine Theologie  – auch im Blick auf die Ökumene – vertreten,  die davon ausgeht, bestimmte verstorbene Herrschaften könnten an Gottes Thron Fürsprache halten für bestimmte fromme Leute? Darf man fragen, ob angesichts des heutigen und aufgelärt – kritischen Bewußtseins sich der Katholizismus vatikanischer Prägung mit solchen Überzeugungen nicht ein wenig lächerlich macht? Leben wirklich so viele Katholiken noch in einem mittelalterlichen Weltbild? Werden solche Fragen, theologische Fragen, im Ernst heute überhaupt noch diskutiert? Welcher deutsche katholische Theologieprofessor spricht darüber? Welcher Protestant beschwert sich über solche Glaubenshaltungen? Ist diese offenbar millionenfache Begeisterung für bestimmte heilige Herrschaften, denn in der Mehrheit sind es Männer, Kleriker, oder eben manchmal auch Nonnen oder Jungfrauen, eine Begeisterung für Idole, für Halbgötter, Übermenschen, bei denen es – wie im Falle des heiligen Scharlatans Pater Pio – eigentlich egal ist,was sie lebten, erlebten und angeblich erduldeten? Wo sind die Grenzen zwischen Heiligenkulten und Verehrung von Fußballgrößen? Bedient die katholische Kirche das recht schlichte Bedürfnisse nach Verehrung von Halbgöttern? Wer stellt als Theologe diese Fragen?

Noch ein aktueller Hinweis vorweg: Derjenige Prälat, der die Heiligsprechung von Papst Johannes Paul II.  im Vatikan mit allem Nachdruck “betrieben” hat, äußerte sich nun auch zu den hinlänglich bekannten Tatsachen, dass dieser Papst mit dem verbrecherischen Gründer der Legionäre Christi, Pater Marcial Maciel, befreundet war. Wir haben diese Freundschaft Papst – Maciel anderweitig auf dieser website lang und breit als erste im deutschen Sprachraum überhaupt dokumentiert.  Nun sagt also der entscheidende Förderer der Heiligsprechung Johannes Paul II: (wir zitieren aus der französischen katholischen Tageszeitung LA CROIX (Paris) vom 22. 4. 2014 und hoffen auf die Sprachkenntnisse unserer Leser:

« Il n’y a aucune implication personnelle de Jean-Paul II », dans l’affaire du P. Marcial Maciel, fondateur des Légionnaires du Christ à la double vie sulfureuse, a assuré à la presse, mardi 22 avril au Vatican, Mgr Slawomir Oder, postulateur de la cause de canonisation du pape polonais, alors que certains accusent des hauts responsables sous son pontificat d’avoir couvert les agissements criminels du prêtre mexicain mort en 2008 et très bien introduit au Vatican”. Kurz übersetzt: Der entscheidende Prälat betont: “Es gibt gar keine Implikation (Einbeziehung) Johannes Paul II. in die Affäre von Pater Marcial Maciel in dessen (wir übersetzen wörtlich) schwefelhaltiges Leben” (mit diesen Worten schwefelhaltig beschreibt man also Verbrechen, die selbst Papst Benedikt XVI. schon als solche bezeichnet hat). An dieser Äußerung Msgr. Slawomir Oders fällt auf:

Ist es problematischer als Papst mit Marcial Maciel freundschaftlich über viele Jahre verbandelt gewesen zu sein oder ist es problematischer als Papst, als oberster Leiter der Kirche von dieser “schwefelhaltigen Gestalt” und seinem Treiben nichts gewusst zu haben? Schließlich lebte Maciel ja in der Nachbarschaft, er war Begleiter auf einigen Reisen des Papstes usw… Der in der Defensive argumentierende Prälat fügt hinzu, so “La CROIX: “Interrogé sur l’attitude de Jean-Paul II et de ses proches collaborateurs vis-à-vis du P. Maciel, Mgr Oder a précisé qu’une enquête avait été menée et que les documents relatifs à cette question avaient été étudiés de façon approfondie. Le résultat de cette recherche a donné une « réponse nette » sur le sujet : « Il n’y a aucune implication personnelle du pape », a-t-il assuré”, soweit La Croix. Selbst ausführliche Studien zu der Beziehung beider hätten also ergeben, es gäbe keine persönliche Verbundenheit, Betroffenheit, zwischen beiden. Soweit also zum Stand kritischer und objektiver Erforschung der Zeitgeschichte im Vatikan angesichts eines Papstes, den so viele offenbar als Heiligen ersehnen und – in Polen – brauchen.

Nach der Seligsprechung Johannes Paul II. im Mai 2011 notierten wir:

Beklemmend ist die Information, dass der Vatikan nichts dagegen unternahm, den unseligen Dikator Robert Mugabe aus Zimbabwe von der Seligsprechungszeremonie fernzuhalten. Die Erklärung des Vatikan- Sprechers P. Lombardi, der Vatikan unterhalte nun einmal diplomatische Beziehungen mit Zimbabwe, wirkt floskelhaft und allzu “diplomatisch”. Die Zeitung „Urgente 24“ berichtet, dass der blutrünstige Diktator nur wenige Meter von Benedikt XVI. entfernt der Zeremonie am 1. 5. beiwohnen konnte. (Übrigens: Er war bei der Heiligsprechung am 27.4. 2014 erneut als Ehrengast dabei, ein rüstiger greiser katholischer Diktator…) Mit dieser Ignoranz gegenüber dem leidenden Volk Zimbabwes und den kritisch engagierten Katholiken dort beweist der Vatikan einmal mehr, wie ernst es ihm ist mit dem Respekt der Menschenrechte. Aber schon Johannes Paul II., der Selige, hielt sich bei seinen zahlreichen Reisen gern im Kreise von Diktatoren Lateinamerikas auf, die Begegnung mit dem Katholiken und Dikator Pinochet in Chile ist nach wie vor im Gedächtnis.

Nun also noch einmal mein Kommentar zur Seligsprechung des polnischen Papstes vom Mai 2012:

Johannes Paul II. – ein problematischer Seliger

Noch nie verlief ein Seligsprechungsverfahren so schnell; selbst die Seligsprechung Mutter Theresas von Calcutta dauerte etwas länger. Zu einem offiziellen himmlischen Fürsprecher konnte Karol Wojtyla werden, weil die französische Nonne Marie Simon – Pierre durch den himmlischen Beistand Johannes Paul II. wunderbar von Parkinson geheilt wurde, heißt es.

Die Bedeutung des polnischen Papstes für den Zusammenbruch des Ostblocks ist unbestritten. Er hat seinen Landsleuten spirituelle Kraft und materielle Unterstützung gegeben. Er hat sich dort für die Menschenrechte eingesetzt. Das Gespräch der Kirche mit den Juden hat er voran gebracht; sein interreligiöser Dialog von Assisi (1986) wirkt bis heute.

Werden die bevorstehenden Jubel Feiern in einen Begeisterungstaumel ausarten? Denn ab jetzt können alle in den Seitenkapellen von Kirchen und Kathedralen vor dem Bild oder der Statue des neuen Seligen niederknien; sie werden angesichts dieses sakralen Rahmens eingeladen zu denken: Welch ein Vorbild! Welche eine verehrungswürdige Gestalt!

Aber schaut man kritisch auf das Wirken dieses Papstes, muss man fragen: War dieser „oberste Hirte“ jemals von einem toleranten Geist beseelt? Schon im Jahr 1979 schränkte er die Freiheit der theologischen Forschung ein und sprach Hans Küng den Titel „katholisch“ ab. Welchen Weg hat er seiner Kirche gewiesen, als er Frauen von allen Kirchenämtern „auf immer“ ausschloss? Und wie zukunftsweisend dachte er, als er in Lateinamerika Befreiungstheologen wie Leonardo Boff ausgrenzte und als Marxisten verunglimpfte. Da war er derselben Meinung wie US – Präsident Reagan, mit er gemeinsam alles “Linke” als “kommunistisch” diffamierte. Wie viele Priester, Nonnen und Laien wurden deswegen von rechtsextremen Diktatoren Lateinamerikas ermordet, weil man dies als eine Art gute Tat ansah? Wie menschenfreundlich war er doch, als er sich von den katholischen Diktatoren in Chile und in Argentinien feiern ließ. Nur in Polen durften Priester politisch tätig sein, im Rahmen der Befreiungstheologie war es “linken” Priestern verboten, als Politiker zu arbeiten. Als Freund von Recht und Gesetz ignorierte er die Opfer pädophiler Verbrechen: sein enger Freund und Berater, Pater Marcial Maciel von den Legionären Christi.  Und wie ökumenisch war Johannes Paul II., als er protestantischen Kirchen den gebührenden Titel „Kirchen“ offiziell verweigerte.

Johannes Paul II-Fans können also vor den Bildern und Statuen des neuen Seligen beten: „O himmlischer Wojtyla, hilf, dass auch wir alle die heimlichen Kunstgriffe des von Dir so geschätzten heiligen Opus Dei Gründers Jose Maria Balaguer lernen. Und vor allem: Hilf allen Afrikanern und halte sie davon ab, jemals Kondome zu verwenden. Und wir wollen wie Du, lieber Seliger, die moderne demokratische Gesellschaft als das größte Übel betrachten: nämlich, wie Du sagtest, als die Diktatur des Relativismus.“

Einige der solcherart meditierenden Katholiken werden sich dann von ihren Kniebänken erheben und vielleicht ahnen: Eine zwiespältige Person wurde da zum seligen himmlischen Vorbild ernannt. Und diese Gläubigen werden spüren: Mit dieser Seligsprechung setzt sich auch der engste theologische Berater des polnischen Papstes, Joseph Ratzinger, ein Denkmal. Denn fast alles, was Johannes Paul II. niederschrieb, war zuvor der Feder Kardinal Ratzingers geflossen. Insofern wäre es doch treffender, von einer doppelten Seligsprechung zu reden…

Soweit unser Kommentar zur Seligsprechung Johannes Paul II. aus dem Jahr 2011.

 

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