Die Allmacht des europäischen Christentums

Wo hat das Christentum Zukunft? Im „globalen Süden“, vor allem in Afrika, wachsen die Kirchengemeinden.

Von Christian Modehn.

Eine Zusammenfassung:
Diese Hinweise sind ein kurzer religionsphilosophischer und theologiegeschichtlicher Essay.
Er zeigt: Seit dem 4. Jahrhundert kooperiert die Kirche Westeuropas immer mit den politischen Herrschern auch in der Verbreitung des christlichen Glaubens; die Entwicklung der so genannten Ost-Kirchen wird hier nicht beachtet.
Die viel besprochene Verbindung Kolonialismus und Mission begann also schon in der Frühzeit der Kirche. Der Widerstand gegen die Symbiose blieb bescheiden. Wenn Mission und Kirchengründung stattfanden, dann wurde immer das europäische Christentum mit einer europäischen Theologie den Menschen in Afrika, Amerikas Asien, Ozeanien vermitteltt, wenn nicht aufgedrängt.
Im 20. Jahrhundert widersetzten sich einige kolonisierte Christen diesem System und gründeten ihre eigenen, unabhängigen Kirchen. In Afrika wurde auch eine unabhängige katholische Kirche gegründet, eine weithin unbekannte Tatsache.
Und heute? Da verfügt die katholische Kirche in Europa über so wenige Kleriker, dass aus den ehemaligen Missionsländern einige tausend Priester (Missionare ?) in Europa eingesetzt werden. So wird das klerikale System in Europa von den einst „Missionierten“ weiter erhalten, sehr gut könnten ja auch Laien die vielen priesterlosen katholischen Gemeinden in Europa leiten, aber das will der Klerus (Papst etc.) nicht.

Die Fakten:
37 Prozent aller Christen leben heute in Lateinamerika, 24 Prozent in Afrika und 13 Prozent in Asien und der Pazifik-Region. Also leben 74 Prozent aller Christen in den Ländern des globalen Südens. Am stärksten gewachsen ist der Anteil der Christen in Afrika südlich der Sahara: 1910 waren dort nur neun Prozent der Bevölkerung Anhänger des Christentums, heute sind es 63 Prozent. Und sehr viele von ihnen sind „Fundamentalisten“. Das Ergebnis christlicher Mission im Zusammenhang mit dem Kolonialismus. LINK    Siehe auch zum Katholizismus speziell: LINK

1. Kirchen und Kolonial-Imperien
Die aktuellen Kolonialismus – Debatten sollten eigentlich auch das Interesse an Geschichte und Gegenwart der christlichen Mission in Afrika, Asien, Lateinamerika und Ozeanien fördern und aus der engen Kirchen – Welt befreien. Dabei sollte die Erkenntnis weiter vertieft werden: Mission und Kirchengründungen im „globalen Süden“ geschahen in den allermeisten Fällen im Zusammenhang und in Zusammenarbeit mit den kolonisierenden europäischen Imperien.

2. Mission war Europäisierung
Die Bindung der Kirchen und ihrer Missionare an die strategisch, vor allem militärisch mächtigen weltlichen Herrscher ist typisch für die langsame, aber oft erfolgreiche „Einpflanzung“ der Kirchen im globalen Süden. Kirchlichen Widerspruch gegen die allen christlichen Wertvorstellungen entgegengesetzte Gewalt der christlichen Kolonial – Imperien gab es eher selten. Immer wieder wird als Ausnahme hochgelobt: Pater Bartolomé de la Casas in Santo Domingo und Mexiko. Tatsache aber ist: Kirchliches Leben entwickelte sich im „Globalen Süden“ meist in Abhängigkeit vom imperialen Denken und Werten bzw. Unwerten der europäischen Herrscher. So war etwa die Akzeptanz der Sklaverei auch unter Missionaren und Kirchenführern üblich, nur um sanfte, mildernde Umstände zugunsten der christlichen Sklaven wurde die Sklavenhändler gebeten. Sogar die Päpste hatten an ihrem Hof Sklaven zur Verfügung. (Fußnote 1)
Weisheitslehren, Philosophien, Poesie, Kunst usw. der „Einheimischen“, auch ihre Kenntnisse der Natur, der Umwelt und der pflanzlichen Heilmittel, wurden in europäischer Arroganz meist abgewiesen und unterdrückt. Die bescheidenen Krankenstationen im „Süden“ funktionierten nach europäischem Vorbild und die Missions-Schulen waren im Unterricht Kopien des in Europa üblichen „Einpaukens“ und Auswendiglernens. Kinder von Kolonisten wurden gegenüber einheimischen Kindern bevorzugt…Und wenn Kirchen gebaut wurden, dann immer als treue, aber schlichte Nachbildungen europäischer Gebäude. Neugotische Kirchen und „Kathedralen“ sieht man in diesen Ländern überall. Und wenn Gottesdienste gefeiert wurden, dann immer nach den liturgischen Vorschriften Europas. Die Kirchen waren ideologisiert von der europäischen Idee, als Europäer maßgeblich und besser zu sein. . Und die Kolonialherren waren den Kirchenleuten, den Missionaren, dankbar für so viel Treue zur Herrscher – Ideologie.

3. Eine bescheidene Urkirche
Ganz anders die kirchliche Mission in der Frühzeit der Kirchen bis zu Kaiser Konstantin (Kaiser von 306 – 337). Die Präsenz der christlichen Gemeinden der „Urkirche“ war keine machtvolle Strategie. An eine Zusammenarbeit mit dem römischen Staat und seinen polytheistischen Kaisern war gar nicht zu denken. Als Minderheit verstanden sich die Kirchen als „philosophische Schulen“ neben anderen philosophischen Schulen, so der Philosophiehistoriker Pierre Hadot. Die christlichen Gemeinden nahmen an Bedeutung und an Mitgliedern nur zu, weil sie von den „anderen“ Menschen und anderen „Schulen“ vor allem als Orte der Mit – Menschlichkeit, der unmittelbaren Hilfsbereitschaft und auch des Bekennermutes in Zeiten der Verfolgung wahrgenommen und oft auch geschätzt wurden. Die Christen organisierten sich als Gemeinschaft von Hauskirchen. Man traf sich im „Wohnzimmer“ am runden Tisch, sprach miteinander Wesentliches, las spirituelle Bücher, also die Bibel, speiste auch zeremoniell miteinander, erinnerte sich dabei an Jesus von Nazareth …Ein Modell, das vielleicht wieder Zukunft hat für die Kirchen Europas des Jahres 2040, wenn die letzten Kirchen verkauft wurden und nur noch einige Kathedralen bewundert werden?

4. Kirchen stärken das Imperium
Aber dann gab es den alles entscheidenden Bruch, also das Ende der Minderheiten – Kirchen. Seit Kaiser Konstantins Hinwendung zum katholischen Glauben (312) sind die Kirchen und mit ihr die Mission fest eingebunden in die Zusammenarbeit mit den Imperien, Kaisern, Königen. Sie sahen in der Kirche und im Glauben an den einen Gott eine sehr nützliche Unterstützung eigener politischer Ansprüche. Eine einzige religiöse Ideologie, Konfession sollte den Staat seine Herrscher stützen und nicht eine Vielzahl von Konfessionen…

5. Der König als Priester
Als die Missionare auf germanische Stammesfürsten trafen, sollten diese Führer zuerst zum Übertritt ins Christentum bewegt werden, und danach sollte das Volk gehorsam der Konversion des Stammesfürsten folgen. (Siehe dazu etwa die Studie von Lutz E. von Edberg, „Die Christianisierung Europas im Mittelalter“, Reclam, 1998, etwa S. 181f.)
König Chlodwig aus der Dynastie der Merowinger ließ sich etwa im Jahr 497 in Reims taufen und dann konnte die katholische Staatsreligion organisiert werden (Padberg, ebd. S. 55). Der König sah sich als „Gesalbter Gottes“, als „priesterliche Oberhoheit“ (rex et sacerdos) (ebd., S. 57). Auch die fränkischen Bischöfe waren ihm untertan und bezeugten ihre Ergebenheit in der ersten Reichssynode zu Orléans im Jahr 511: „Er, der König, sollte die Beschlüsse der Synode gutheißen oder ablehnen, die Bischöfe würden dem königlichen Urteil selbstverständlich folgen.“ (ebd. S 233).

6. Schwache Missionare und mächtige Herrscher
Damit waren die rechtlichen, vor allem die ideologisch-theologischen Grundlagen gelegt, auf denen die katholische Kirche bis in die späte Neuzeit hinein ihre Rolle gegenüber dem Staat zu finden suchte. Lutz von Padberg schreibt im Blick auf die Mission zu Zeiten der Merowinger und Karolinger: „Im Kern waren die Missionare mehr auf die Herrscher angewiesen als umgekehrt, ein Missverhältnis, dessen sich die Missionare durchaus bewusst waren, an dem sie allerdings nicht viel ändern konnten“ ( ebd. S. 208). Im Hochmittelalter versuchten dann die Päpste (Innozenz III.) den Vorrang ihrer angeblich von Gott gegebenen Übermacht auch gegenüber den weltlichen Herrschern durchzusetzen…Ein Jahrhunderte dauernder Kampf beider Mächte begann.

7. Staatskirchen
Die Abhängigkeit der Kirchen vom Imperium bestimmte weithin alle späteren imperialen Eroberungszüge außerhalb Europas, also die Kolonialherrschaft der Neuzeit. Man muss also wahrnehmen, dass aus frühen Zeiten diese Abhängigkeit der Kirchen von den „weltlichen Imperien“ stammt! Sie ist uralt und bis in die jüngste Zeit tief ideologisch- theologisch verwurzelt! Der faschistische Staatschef Franco in Spanien (+ 1975) war der letzte Repräsentant einer katholischen Staatsreligion in Europa…Und der äußerst brutale katholische Diktator Trujillo aus der Dominikanischen Republik (1961 endlich ermordet), hatte Jahre lang „seine“ ergebene Staatskirche.
Bis heute will die katholische Kirche ihre herausragende Sonderrolle selbst in den demokratischen Staaten demonstrieren und durchsetzen: Etwa, wenn pädo – sexuelle Verbrechen des Klerus gegenüber dem Staat von Bischöfen und Päpsten verschwiegen und vertuscht werden, um die eigene innerkirchlichen Gerichtsbarkeit auszuleben … außerhalb der staatlichen Gesetze. Dabei wurde und wird von den Kirchenführern das Leiden der Opfer an die zweite Stelle gerückt.… Man sieht hier, dass „historische Hinweise“ schnell zu aktuellen Entwicklungen führen.

8. Afrika wird christlich
Nach dem Ende des offiziellen Kolonialismus (auch die neoliberalen Imperien verhalten sich gegenüber den Armen im globalen Süden wie Kolonialherren)lebt in „Afrika südlich der Sahara“ eine nahezu unüberschaubar vielfältige Kirchen – Welt fast aller nur denkbaren Konfessionen mit einem stetigen zahlenmäßigen Wachstum. Vor allem Christen evangelischer Herkunft genießen die Religionsfreiheit und gründen ihre eigenen afrikanischen Kirchen, oft im Gegensatz zu den „etablierten“ europäischen Konfessionen in Afrika (Lutheraner, Anglikaner etc…) Dabei werden sie auch von Missionaren sogar aus Süd-Korea unterstützt, selbst die russisch – orthodoxe Kirche missioniert nun verstärkt in Afrika, unterstützt von Putin und seinem Getreuen Patriarchen Kyrill von Moskau. LINK

9. Afrikaner befreien sich vom Kolonialismus und gründen eigene Kirchen
Schon seit 1880 werden unabhängige evangelische Kirchen in Afrika von Afrikanern gegründet und aufgebaut. Bei der Gründung war ein antikolonialer Impuls entscheidend. „Klassisch“ nennen Beobachter etwa die etwa 20 Millionen Mitglieder zählende Kirche der „Kimbanguisten“. Seit 1970 gibt es einen förmlichen Boom von Afrikanischen Pfingstkirchen, gegründet und geleitet von Afrikanern. Eine Forschungsgruppe der Humboldt-Universität Berlin hat mitgeteilt: Zu diesen „African Initiated Churches“ „gehört etwa ein Drittel der afrikanischen Christenheit an“. Sie haben inzwischen einen „Dachverband“ mit über 270 unabhängigen Kirchen aus allen Teilen Afrikas südlich der Sahara, mit „über 60 Millionen Mitglieder“, wie die Forschergruppe um Prof. Wilhelm Gräb (+2023) mitteilt (Forschungsbereich Religiöse Gemeinschaften und nachhaltige Entwicklung). Diese postkolonialen Pfingst – Kirchen wollen afrikanische Traditionen mit ihrem Glauben verbinden, etwa die körperliche Heilung durch Gebet und Handlauflegung… Auch diese von Afrikanern gegründeten Kirchen setzen entschieden auf ein wortwörtliches Verstehen der biblischen Texte, so soll die geistliche „Wiedergeburt“ befördert werden.

10. Wenn afrikanische Kirchen in die Irre geführt werden….
Einige dieser Kirchen vertreten durchaus inhuman zu nennende Überzeugungen und religiöse Praktiken, so dass ein kenianischer protestantischer Theologe, Prof. Eale Bosela Ekakhot, jetzt von „irreführenden Theologien“ in Afrika spricht: „Solche Praktiken sind etwa die Aufforderungen von afrikanischen Predigern an die Gemeinde, Gras zu essen, die ein Prophet als von Gott offenbarte Eingebung als Nahrung erklärt oder … im Namen des Glaubens Bleichmittel zum Abendmahl zu trinken, weil dies der Evangelist Markus angeblich gelehrt hat.“
Der Theologe weist auch auf die Beliebtheit des neu erfundenen „Wohlstandsevangelium“ hin als einer international verbreiteten „irreführenden Theologie“. Eine Theologie also, die in die Irre (d.h. in den Wahn) führt und deswegen selbst irre ist! Prof. Eale Bosela Ekakhot weist also auf das „Wohlstandsevangelium“ hin, das auch in Afrikas blühenden Pfingstkirchen verbreitet wird mit der Lehre: Wenn du ökonomisch erfolgreich bist und dann sehr reich wirst, dann ist dies ein Zeichen der Gnade Gottes. Reich wirst du aber nur, wenn die viel Geld dem Pastor und der Gemeinde spendest, dann kommt schon die göttliche finanzielle Belohnung eines Tages… In Nigeria kann man den Boom dieser materialistischen, geldgierigen Erfolgskirchen erleben, riesige Kirchengebäude in luxuriösen Anlagen, Wohnungen für die wohlhabenden Pastoren und so weiter.

11. Die vielen afrikanischen Kirchen
Gegen den Wahn von irreführenden Theologien/Sektierern und entsprechenden Kirchen helfen nicht nur rationale theologische Argumente auch der historisch-kritischen Exegese, sondern entscheidend sind philosophische Argumente mit der damit verbundener Geltung der Menschenrechte. Nur diese stehen als Kriterien für wahr oder falsch in den Religionen zur Verfügung, sie gelten mehr als die religiösen und konfessionellen Lehren und Meinungen, als die „irreführenden Lehren“ allemal. Das ist der entscheidende Aspekt, der oft vernachlässigt wird: Die allgemeinen universal geltenden Menschenrechte der philosophischen Vernunft stehen ÜBER allen konfessionellen Einzellehren…das wollen leider die meisten Kirchenführer etc. nicht akzeptieren.
Man muss also in aller Deutlichkeit wahrnehmen: Das afrikanische Christentum ist in postkolonialen Zeiten ziemlich unübersichtlich und sehr spontan in der Neigung, „irreführenden Lehren“ auszudenken oder luxuriöse Kirchengemeinden zu installieren inmitten von großem Elend.
Kirchliche „Konferenzen“, also Zusammenschlüsse der verschiedenen Kirchen in Afrika, wie die AACC, die Allafrikanische Kirchenkonferenz (Fußnote 3) wollen die unüberschaubare Vielfalt der sich protestantisch bzw. evangelisch bzw. pfingstlerisch nennenden Kirchen bündeln und zu einem kritischen Bewusstsein führen..
Auf der anderen Seite gibt es auch viel Einsatz von Pastoren und Nonnen an der „Basis“ zugunsten der Leidenden, jener also, die wegen der Verletzung der Menschenrechte durch die meist autoritären, diktatorischen (oft sich christlich nennenden) Regime kaum Lebenschancen haben.

12. Katholische Kirchen von Afrikanern gegründet
Auch im Katholizismus von Afrika gibt es trotz der üblichen zentralistischen Kontrolle und Überwachung durch den Vatikan (man denke an die Nuntien) beachtliche Beispiele, tatsächlich unabhängige katholische Kirchen aufzubauen.Bedeutend, aber in Europa kaum bekannt ist die Kirche „Legion Maria“, sie wurde gegründet in Kenia, ist aber auch in anderen Ländern mit insgesamt drei Millionen Mitgliedern vertreten. (PS: Der Name „Legion Maria“ darf nicht mit einer römisch-katholischen Laien-Bewegung gleichen Namens verwechselt werden!). LINK. (FUßNOTE 4).
Diese vom Papst unabhängige Kirche hat über 3 Millionen Mitglieder. Auch sie legt wert auf Erfahrungen des heiligen Geistes, auf Verbindungen mit den Ahnen, auf spirituelle Heilung, Abschaffung des Zölibates usw. Wichtig ist ihre Lehre, dass der Messias Jesus Christus ein Afrikaner ist. Ein Europäer, wie die gesamte christliche Ikonographiein Europa nahelegt, war der Mann aus Nazareth auf gar keinen Fall.
Auch der von Rom exkommunizierte Bischof Emmanuel Milingo (geb. 1930 im damaligen Nord-Rhodesien) gründete eine eigene, Rom – unabhängige afrikanische Kirche, in der Priester heiraten dürfen… Das ist typisch: Die sich von Rom befreienden Kirchen schaffen das Zölibatsgesetz für Priester ab.

Auch in Lateinamerika wurden rom-unabhängige katholische Kirchen gegründet, auch dies eine Tatsache, die in offiziellen römisch-katholischen Medien Europas fast keine Beachtung findet. Wichtig ist etwa die „Brasilianisch-katholisch-apostolische Kirche“, gegründet von dem römisch-katholischen Bischof Carlos Duarte Costa /1888-1961). Er gründete die Brasilianisch- katholische Kirche im Jahr 1945 und weihte als ursprünglich römisch-katholischer Bischof andere Priester zu Bischöfen, die sich nun – rein rechtlich gesehen gemäß der vatikanischen Rechtsprechung – in der apostolischen Sukzession befinden… Auch diese Kirche ist gegen das Zölibatsgesetz, die Messen werden seit Anbeginn auf Portugiesisch gefeiert….diese Kirche zählte im Jahr 2010 560.000 Mitglieder in 26 Bistümern. LINK

13. Afrikanische Theologie und Jesus als Schwarzer Weisheitslehrer
Trotz der genannten Versuche von afrikanischen Katholiken, rom-unabhängige katholische Kirchen zu gründen, ist der afrikanische Katholizismus doch typisch zentralistisch strukturiert und deswegen noch „überschaubar“ .
Am Beispiel des Katholizismus lässt sich das Drama andeuten, das die Mission, also die Verbreitung des nun einmal europäisch geprägten Christentums verursacht hat: Es ist die Übertragung des europäischen Glaubens und vieler in der Glaubenswelt des Judentums und der griechischen Philosophie (Paulus) formulierter Dogmen in eine kulturelle und religiöse Welt von Menschen, die von all diesen Lehren und Mythen wahrscheinlich noch nicht einmal zu träumen wagten. Die sich aber dann der europäischen Religion der eher unsympathischen Kolonisten anschlossen, auch weil die Kolonialherren die Konversion wünschten und die Missionare als Beleg für die Kraft des neuen Gottes Schulen bauten und Kliniken gründeten… Was die Neubekehrten, nach einem kurzem Unterricht des römischen Katechismus, vom europäischen Christentum dann wertvoll fanden, sei dahin gestellt. Aber: Was haben denn die brutalen europäischen, christlichen Kolonialherren vom Evangelium verstanden, wo diese doch schon seit Jahrhunderten in einer so genannten „christlichen Welt“ leben ?
Wirklich erstaunlich bleibt: Viele getaufte Sklaven aus Afrika haben vor allem die Geschichten vom Exodus aus dem Alten Testament schätzen gelernt und dann in Amerika immer noch als Sklaven in ihren „Spiritual ihren Widerstand ausgedrückt. (Quelle: James Cone, „Die Bedeutung Gottes in den schwarzen Spiritual“, Concilium , 1981, S 214ff.). Die Exodus-Geschichte des Alten Testaments hat ja dann auch für die lateinamerikanischen Befreiungstheologen eine wichtige Rolle gespielt.

14. Katholische Bischöfe gegen Homosexuelle
Es ist ein typischer Ausdruck für das unkritische, gehorsame Festhalten an der moralischen Botschaft der ersten europäischen Missionare, wenn heute katholische Bischöfe Afrikas, wie die Missionare damals, Homosexualität als eine schwere Sünde verstehen, die mit Hilfe des Staates ausgerottet werden muss. Dies gilt etwa für Uganda. Auch in der anglikanischen Kirche Afrikas ist diese sich Theologie nennende Ideologie verbreitet…Die Verteufelung von Homosexuellen hat übrigens in vielen afrikanischen Kulturen VOR der Kolonisierung/Missionierung keine Bedeutung gehabt.

15. Kritische Theologen
Gegen ideologische Verengung theologischen Denkens im globalen Süden wehrt sich eine internationale ökumenische progressive TheologInnen-Initiative mit dem Namen EATWOT: Ecumenical Association of Third World Theologians. An Beispiel dieser bemerkenswerten Initiative wird die tiefe theologische Spaltung im globalen Süden deutlich, zwischen eher fundamentalistisch – frommen Denkformen und kritischen, auch befreiungstheologisch inspirierter kritischer Forschung. LINK   

16. Ein Intermezzo
Einige europäische Missionare hatten spätestens um 1960 das richtige Gefühl, dass sie eigentlich eine fremde religiöse Welt den Afrikanern aufdrängen. Und sie erfanden gewisse Formen der „Anpassung“, die natürlich problematisch waren.
Ich erinnere an die so genannte „Missa Luba“ von Katholiken aus Belgisch-Kongo, sie sangen 1957 die allgemeinen liturgischen Gesänge der katholischen Messe, auf Latein natürlich (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei), mit Trommel-Klängen unterlegt, so dass die ungebildeten Katholiken in Europa beim Hören der Schallplatte verzückt staunten: Was singen doch diese braven ehemaligen Heiden für schöne lateinische Messgesänge mit ihren exotischen Trommeln. Und das Ganze wurde von den Herren der Kirche dann als Beispiel für die Anpassung des Katholizismus an afrikanische Kulturen verkauft. Aber diese Komposition war letztlich Ausdruck für ein Gefühl, dass der Export des römischen Kirchensystems inclusive der selbstverständlich lateinischen Sprache in der Messe für die Menschen in Afrika auch eine Art Entfremdung sein kann.
Man stelle sich vor, afrikanische Knaben mussten als Messdiener lateinische Gebete auswendig lernen, damit der Priester seine Messe korrekt „lesen“ konnte.
Inzwischen hat der Vatikan nach langem Streit mit kongolesischen Katholiken die Messe im so genannten „Zaire – Ritus“ erlaubt, in der etwa sanfte Tanzschritte in der Messe erlaubt sind, das Lateinische keine Rolle mehr spielt, aber selbstverständlich der Priester gegenüber den Laien die dominante Figur ist. Es ist eben die Messe in der vorgeschriebenen römischen Liturgie-Form, die da gefeiert wird, auch wenn die Gläubigen in den Kirchen (im europäischen Stil errichtet) hin und her laufen und … Halleluja jubeln…

17. Gibt es afrikanische Christentümer?
Etliche katholische Theologinnen des globalen Südens, auch in Afrika, versuchen seit einigen Jahren, sich von den kolonialen Prägungen der europäischen Missionare zu lösen. Ihr zentrales Programm heißt INKULTURATION, also „Einpflanzung“ des katholischen Glaubens in den unterschiedlichen Kulturen mit vollem Respekt für den Wert dieser sich immer weiter entwickelnden Kulturen. Dabei stellen sich brisante Fragen, die manche europäischen Theologen kaum auszusprechen wagen: Etwa: Wie stark müssen sich afrikanische Christen an die vielen Bücher des Alten Testaments binden? Ist die gesamte und genaue Kenntnis des Alten Testaments wirklich jedem afrikanischen oder asiatischen Christen zumutbar? Welche Bedeutung auch im Gottesdienst können Weisheitslehren und Mythen der Afrikaner oder Japaner oder Chinesen haben? Welche Bedeutung hat dann Jesus von Nazareth? Er ist Jude, das ist gar keine Frage, aber vielleicht doch auch als Mensch ein Weisheitslehrer, der über die Gesetze des damaligen Judentums hinausgewachsen ist… Warum sollte es also für Afrikaner oder Japaner und Chinesen theologisch so problematisch sein, Jesus von Nazareth als einen menschlich ungewöhnlichen Weisheitslehrer zu verstehen und zu verkünden und ihm als solchem zu folgen? Oder: Müssen römisch – katholische Priester auch in Afrika oder anderswo auf das Zölibatsgesetz verpflichtet werden, wo Anthropologen wissen, dass diese Verpflichtung nicht nur ein kultureller Wahnsinn für Afrikaner ist, sondern auch eine ziemlich totale humane Überforderung darstellt. Keine offizielle Statistik in Rom sagt übrigens, wie viele Priester in Afrika oder Lateinamerika de facto verheiratet sind usw…Die Bischöfe wissen das und dulden das, solange es sich nicht bis nach Europa herumspricht. Und der sexuelle Missbrauch durch Priester in Afrika wird auch langsam Thema in Afrika selbst und darüber hinaus. Dramatisch auch die Vergewaltigungen katholischer Nonnen in Afrika, Indien unsw.  durch dortige Priester…  LINK.    Und eine NEUE STUDIE:  LINK

18. Inkulturation
Es ist schon erstaunlich, dass der katholische Priester und Theologe Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo in der Zeitschrift CONCILIUM (2006) einen grundlegenden, weiter führenden Vorschlag zum schwierigen Thema „Inkulturation“ der katholischen Glaubenslehre und des afrikanischen Christentum macht. Der Vorschlag entspricht dem von uns unter Nr. 17 Gesagten…
Erstens:
„Die Kirchen Afrikas können keine Nachahmungen oder beglaubigte Abschriften der Kirchen Europas sein.“ (S. 435). Sondern: Sie müssen das Christentum zusammen mit ihrer Kultur ausdrücken.
Zweitens:
Dabei wird die aus Europa überlieferte Lehre, also „das angeeignete Gut, notwendig verändert“ (436).
Drittens:
Und die Afrikaner müssen sich fragen: Was ist das Wesen der Botschaft Jesu von Nazareth, die sie respektieren wollen als Inspiration für ihre Lebensgestaltung. „Es geht um den Kampf für die Lebensqualität in Afrika“ (439). Es geht also um ein praktisches, ethisches Programm zugunsten der Armen in Afrika, d.h um einen Kampf gegen die Mächte der Unterdrückung. “Es geht um einen Kampf gegen alle Hochstapler und Bestien, die in diesen Zeiten das Leben der Armen ersticken, niederdrücken, zertreten“ (ebd).
Mit anderen Worten: Für den afrikanischen Theologen Léonard Santedi Kinpuku aus der Demokratischen Republik Kongo ist auch der katholische Glaube wesentlich und entscheidend eine ethische Haltung! Die Menschenrechte werden so zum zentralen Bestandteil des christlichen Glaubens!

19. Jesus und Ägypten
Der aus Kongo-Brazzaville stammende katholische Priester und Theologe Paulin Poucouta hat einen wichtigen Aufsatz publiziert mit dem Titel „Die Erforschung des historischen Jesus in Afrika“ (CONCILIUM, 2006, s. 423 ff.). Er zeigt u.a.: Afrikanische Christen beziehen die Gestalt Jesu Christi auch auf die ägyptischen religiösen Traditionen. Das Thema wird oft als „esoterisch“ belächelt. Der Ausgangspunkt für diese Christen ist: Wie ist der im Neuen Testament erzählte Aufenthalt Jesu und seiner Familie in Ägypten zu verstehen (bei der „Flucht der heiligen Familie nach Ägypten“). Hat Jesus und seine Familie – den biblischen Mythos etwas vertiefend – in Ägypten religiös irgendetwas gelernt?
Vor allem ist die Frage entscheidend:.Ist ein afrikanischer schwarzer Christus mehr als eine künstliche Konstruktion? Wie anders denn als Afrikaner können sich afrikanische Katholiken denn Jesus als den Christus vorstellen? Damit wird Jesus mit den Kulturen Afrikas verbunden: Jesus wird dann logisch zum schwarzen Christus. Warum sollen solche Überlegungen häretisch sein? Wie haben denn die Germanen Jesus als ihren Christus gedacht? Als germanischen Fürsten. Wie haben Jesuiten ihren Jesus den gebildeten am Hof des Kaisers verständlich machen können? Jesus als den Weisheitslehrer. Die Philosophen Europas im 18. Jahrhundert waren von den Forschungen der Vorschlägen der Jesuiten zu dem Thema begeistert, etwa auch Leibniz.(Fußnote 5)

20. Spannungen im Katholizismus
Mit viel Mühe und nicht ohne Widerstand aus Europas Kirchen lösen sich Christen im globalen Süden heute aus der Last der kolonisierenden Mission von einst. Im evangelischen Bereich nehmen sich die Christen unbefangener ihre Freiheit, ohne weiteres ihre Kirchen zu gründen.
Die Sehnsucht nach einem eigenständigen Afrika-Katholizismus, der diesen Namen verdient, ist zwar lebendig, zumal sich auch Frauen, zumal Ordensfrauen, als Theologinnen qualifiziert und kritisch zu Wort melden, wie etwa die Ordensfrau Josée Ngalula aus Kinshasa, sie gehört sogar der Internationalen Theologischen Kommission de Vatikans an. LINK

Andererseits ist der katholische Zentralismus mit seiner Fixierung auf einen Wahl-Monarchen, den Papst, doch noch eine Art fortdauernder theologisch kolonialer Last, es gibt ja Vorschläge, den einen Papst durch mehrere Patriarchen zu ersetzen, einer könnte dann in Afrika leben und katholisches Leben inspirieren… Aber noch sind viele afrikanische Bischöfe sozusagen päpstlicher als der Papst, man denke etwa an den aus Guinea stammenden Kardinal Robert Sarah. Er will als Afrikaner und ehemaliger „Heide“ unbedingt an der einmal gehörten, angeblich ewigen katholischen Wahrheit der europäischen Missionare rigoros festhalten. LINK 

21. Katholische Missionare (Priester, Nonnen) aus Afrika und Indien in Europa
Die einst Missionierten senden seit einigen Jahren Missionare nach Europa: Einige tausend katholische Priester aus Afrika, Indien, den Philippinen ersetzen europäische Priester in Frankreich, Deutschland, Holland, den USA, Kanada usw: Sie sollen dort Pfarrgemeinden leiten … und sie sind dabei oft beliebter als polnische Priester, die etwa in Deutschland in den Gemeinden eingesetzt wurden.
Aber diese Priester aus dem globalen Süden verlängern das klerikale System der Katholischen Kirche Europas auf verlängern. Denn eigentlich wäre es theologisch möglich, dass Laien die vielen europäischen Gemeinden ohne Priester leiten, natürlich auch Frauen und Ordensfrauen: Kompetente MitarbeiterInnen in Führungspositionen gäbe es, theologisch hoch qualifizierte Laien – Theologinnen etwa. Aber nein, die Bischöfe und der Papst wollen diese MitarbeiterInnen nicht in Leitungsfunktionen von Gemeinden haben, der Eucharistie vorstehen dürfen sie ohnehin nicht. Deswegen werden Priester aus den einstigen Missionsgebieten eingeflogen, sie erhalten meist ohne Probleme Aufenthaltsgenehmigungen, schließlich haben wir in Deutschland ein exzellentes Verhältnis zwischen Kirche und Staat…
Und die Europäer vergessen dabei auch, dass diese Priester eigentlich in Nigeria, Uganda, Kenia, Indien, auf den Philippinen usw. auch nützlich sein könnten. So erleben wir nun eine neue Phase eines katholischen Eurozentrismus. Der europäisch – klerikal Eurozentrismus soll gerade wegen der Vorrangstellung des Klerus in der Kirche unbedingt erhalten bleiben, deswegen werden Afrikaner und Inder usw. nach Europa und in die USA als Hilfspersonal entsandt. So kommt es: Die „Dritte Welt“ soll die „Erste Welt“, also die einstigen und auf andere Weise noch gegenwärtigen Kolonialherren, religiös retten…Mindestens im katholischen Bereich…

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Fußnote 1:
Marina Caffiero, Professorin für Moderne Geschichte an der Universita di Roma Sapienza, hat die Studie «Die Sklaven des Papstes» (Original «Gli schiavi del papa») veröffentlicht im Morcelliana Verlag 2022. „Das traurigste Resultat ihrer Studie ist der Umstand, dass die Päpste bis in die 1830er- und 1840er-Jahre Sklaven beschäftigen. Das heisst also bis weit nach der Verkündigung der Freiheitsideen der Französischen Revolution, als bereits alle anderen europäischen Staaten die Sklaverei abgeschafft hatten. Erst das Ende des grossen Territorialstaats der Kirche und die Staatseinigung Italiens Mitte des 19. Jahrhunderts beendeten die Sklaverei der Stellvertreter Christi auf Erden“. (Quelle: Thomas Migge, SRF 2 am 22.9.2022.

Fussnote 2:
Misleading Theologies, irreführende Theologien, sind ein Angriff auf die Menschenwürde und ein Missbrauch religiöser Sehnsüchte. Die Allafrikanische Kirchenkonferenz geht aktiv dagegen vor, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern dieser Irrlehren werden, berichtet die Theologin und Referentin im Evangelischen Missionswerk EMW Almut Nothnagle (April 2021): „Christi Blut, für dich vergossen.“ Wir kennen diese Worte, und wir verbinden sie vielleicht mit alten Backsteinkirchen, Tradition und spirituellen Erfahrungen. Aber nun stellen Sie sich vor, dass Ihnen der Pastor nach diesen Worten eine Flasche mit Bleichmittel überreicht. Das sollen Sie nun trinken… Wie bitte? Was für uns wie purer Wahnsinn klingt, war in Limpopo, Südafrika, leider Realität. Dort erklärte ein Pastor tatsächlich, dass er Bleiche in Jesu Blut verwandeln könne, so wie Jesus Wasser in Wein verwandelte. Er schüttete dann Bleichmittel aus einer Flasche in die Münder der Menschen in seiner Gemeinde.
Leider ist dies nur eine Geschichte von mehreren aus Afrika. Dieses Phänomen wird dort „Misleading Theology“ genannt, was man mit „irreführende Theologie“ übersetzen könnte. Misleading Theology kann auch als Blasphemie und Rechtfertigung für die Ausbeutung von Menschen und für ungerechte soziale Verhältnisse bezeichnet werden. Dies wird zu einem Angriff auf die Menschenwürde. Deshalb wird sie auch von der Mehrheit der Christen als Missbrauch der religiösen Sehnsüchte der Menschen abgelehnt.
Die Allafrikanische Kirchenkonferenz (AACC) hat sich in zwei Konferenzen mit dem Erscheinungsbild einer irreführenden Theologie befasst. Dort haben sie die Schwachstellen in ihren Kirchen in Bezug auf Reichtum und Armut, Gesundheit und Heilung, Macht und Autorität, Geschlechtergerechtigkeit und unterschiedliche staatliche Regelungen aufgezeigt. Diese Schwachstellen haben das Aufkommen irreführender Theologien in Afrika gefördert. Bleichmittel zu trinken, ist nur ein extremes Beispiel. Ebenso dazu gehören laut AACC: das Wohlstandsevangelium, der Glaube, dass von bestimmten Zeichen und Gegenständen Heilkraft ausgeht, sexueller Missbrauch als eine Form von religiösem Fruchtbarkeitsritus oder Dämonenaustreibung und finanzielle Bereicherung von religiösen Führern.
All dies sind „Misleading Theologies“, und diese Theologien sind nicht auf den afrikanischen Kontinent beschränkt. Mythen und religiöse Ansichten, die die Menschenwürde verletzen, sind schon lange verbreitet. Das Wohlstandsevangelium zum Beispiel hat seinen Ursprung in den USA und ist nun auch hier in Deutschland zu finden. Man findet dieses Phänomen auch in allen Religionen, aber zunehmend in den christlichen Kirchen, wo die neu entstandenen Gruppen den Rahmen der Kirchengemeinschaft sprengen.
Aber was kann dagegen getan werden? Die AACC hat beschlossen, dass alle ökumenischen Gemeinschaften und auch die Regierungen Mechanismen einrichten müssen, um zu verhindern, dass Gläubige zu Opfern werden. Darüber hinaus müssen sich die Kirchen darauf konzentrieren, heilsame Lehren über Menschenwürde, Autorität, Gesundheit und Heilung, Reichtum und Armut sowie menschliche Sexualität zu vermitteln. (Almut Nothnagle, EMW Themenheft 2022, „Die vielen Gesichter Christi“, S. 15.)
Verirrungen gab in den Kirchen in Europa schon in der Frühzeit der Kirchen.
Die frühe Kirche hatte die Überzeugung, dass erst das blutige Martyrium die höchste christliche Tat und der beste Ausdruck für den christlichen Glauben sei. Es gab also die Tendenzen, „die uralte Religionsvorstellung von der Sühne (für die eigenen Verfehlungen, Sünden) durch Blut zu aktivieren, wie sie beispielsweise auch die Griechen und Israeliten gekannt haben“ (Prof. Arnold Angenendt ,in: „Heilige und Reliquien“, München 1997, S. 62). „Das im Martyrium vergossene Blut bezeichnet der Theologe Tertullian (gestorben 220) als Schlüssel zum Paradies. Und für den Kirchenlehrer Cyprian von Karthago (gestorben 258) ist das Martyrium die Bluttaufe,„erhabener in der Macht , preiswürdiger in der Ehre , eine Taufe, in der die Engel taufen…“ (a.a.O. 63) und so weiter … in dieser BLUT-Hymne, als Theologie getarnt, wird offenbar zur Ermunterung der Christen aufgerufen, sich in der Verfolgungszeit abschlachten zu lassen…
Ein anderes Beispiel: Die mittelalterliche Kirchenführung erlaubte es, den ADEL religiös besonders hoch zu respektieren und zu ehren. Dies tat die Kirchenführung im bewussten Gegensatz zur neutestamentlichen Lehre, etwa wenn Paulus schreibt, dass Gott nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme (mobiles) erwählt habe (1 Kor 1,26). Trotz dieser wesentlichen Gleichheit aller Christen im Neuen Testament „erweckte die mittelalterliche Kirche ganz den Eindruck einer Adelskirche, wie es auch Adelsklöster und viele Adelsheilige gab“, so der Historiker Arnold Angenendt in „Heilige und Reliquien“, a.a.O., S. 99).

Fußnote 3:
https://www.aacc-ceta.org/. All Africa Conference of Churches (AACC)
AACC is a continental ecumenical body that accounts for over 140 million Christians across the continent.
Founded in 1963, the All Africa Conference of Churches (AACC) is an ecumenical fellowship of 204 members comprising of churches, National Councils of Churches (NCCs), Theological and Lay Training Institutions and other Christian organizations in 42 African countries.

Fussnote 4:
The Legio Maria Church in an African:
Matthew Kustenbaude, Nova Religio: The Journal of Alternative and Emergent Religions, Volume 13, Issue 1, pages 11–40:
ABSTRACT: This article examines the Legio Maria Church of western
Kenya, a relatively rare example of schism from the Roman Catholic
Church in Africa. One of more than seven thousand African Initiated
Churches in existence today, it combines conservative Catholicism,
traditional religion and charismatic manifestations of the Spirit. Yet this
group is different in one important respect—it worships a black messiah,
claiming that its founder, Simeo Ondeto, was Jesus Christ reincarnated
in African skin. This article considers factors involved in the group’s
genesis as a distinct modern-day messianic movement, including: (1) the
need to defend and define itself vis-à-vis Roman Catholicism; (2) the
appropriation of apocalyptic ideas found in Christian scriptures and
their synthesis with local religious traditions; and (3) the imitation of
Jesus’ example and teaching to confront political and religious
persecution in a manner marked by openness, universalism and non-
violence. Eschewing Western theological categories for African ones,
this article draws upon internal sources and explanations of Legio
Maria’s notion of messianism and Ondeto’s role therein to illustrate
that, far from being a heretical sect, Legio may well represent a more
fully contextualized and authentically homegrown version of
Catholicism among countless other African Christian realities.

Fußnote 5:
Zwischen 1689 und 1714 führte der deutsche Philosoph und Lutheraner Gottfried Wilhelm Leibniz einen Briefwechsel mit einer Reihe von in China lebenden Jesuiten. Der Briefwechsel wurde in Latein und Französisch geführt. In den grünen Bänden der Philosophischen Bibliothek des Meiner Verlages ist dieser Briefwechsel jetzt zusammen mit einer deutschen Übersetzung erschienen. Eine Einführung von 130 Seiten informiert über die chinesischen Erfahrungen dieser Jesuitenmission, über den durch sie aufgeworfenen berühmt-berüchtigten Ritenstreit und natürlich über Leibniz’ chinesische Interessen. Leibniz setzte auf Globalisierung. Er wollte den Austausch nicht so sehr von Waren als vielmehr den von Ideen, von wissenschaftlichen Kenntnissen…
Gottfried Wilhelm Leibniz: Der Briefwechsel mit den Jesuiten in China (1689-1714), Felix Meiner Verlag Hamburg, 2006.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die Kaiser Wilhelm I. und II. und ihre Kirche in Berlin, „KWG“ genannt.

Die Evangelische Kirche in Berlin sollte auf den problematischen Titel ihres prominenten „Gotteshauses“ verzichten.

Ein Hinweis von Christian Modehn. (Ich habe schon 2016 und dann noch einmal 2020 für die Umbennung der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche plädiert. Hier nun der wahrscheinlich letzte Hinweis zu dem Thema). Siehe also auch  LINK 

Die Umbennungen von Straßen etc. in Deutschland wegen des sexuellen Missbrauchs von Priestern ist in vollen Gange. Warum dann nicht auch endlich einem Gotteshaus einen Namen geben ohne Verbindungen zu rassistischen, kolonialistischen und antirepublikaischen Herrschern? LINK

1. Die neue, große Studie von Stephan Malinowski, „Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration“, (Propyläen-Verlag Berlin 2021, 752 Seiten) führt erneut zum Thema „Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“ in Berlin. Und diese Forderung wird gleichzeitig heftig unterstützt durch die deutliche Bindung der Kaiser Wilhelm I. und II. an den Kolonialismus. Will sich die Kirche wirklich an kolonialistische Herrscher und antirepublikanische Kaiser auf Dauer binden? Das ist die Frage. Und man bedenke: Wenn die Verbrechen des Kolonialismus, des Antisemitismus und des Antirepublikanismus durch deutsche Könige/Kaiser erkannt sind, dann muss man sich die Mühe machen, auch Kirchen umzubenennen, das gilt auch für Straßen und Plätze, man denke an die 67 „Hindenburg Straßen“ in Deutschland.

2.Diese „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“, eine Mischung aus Denkmal/Ruine und erstaunlichem Gebäude (eingeweiht 1961, Architekt Egon Eiermann), wird auch kirchlicherseits „schamhaft“ und verlogen oft nur „KWG“ genannt oder, vielleicht angesichts der allgemeinen historischen Vergesslichkeit der Kirchen, nur kurz als „Gedächtniskirche“ bezeichnet. Eine Aufforderung förmlich, das kritische Gedenken zu pflegen. In diesem Hinweis bewahren wir es.

3. Die heftige Debatte über den Kolonialismus der Deutschen, seit König/Kaiser Wilhelm I. , erinnert insgesamt an die rassistisch geprägte Zeit der Herrschaft der Hohenzollern. Diese Debatte wird nicht zur Ruhe kommen, zumal angesichts der Exponate im „Humboldt-Forum“ im wieder aufgebauten Schloss in Berlin, direkt, in theologisch-politischer Eintracht, neben dem monumentalen „Berliner Dom“.

Die postkolonialen Studien werden langfristig die Mentalität der Deutschen zur Wahrheit verändern und in absehbarer Zeit auch zur Umbenennung der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche führen.

4. Aber: Noch ist es leider so, dass die zentrale Kirche in West-Berlin, am Ende des Kurfürsten-Damms, „Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche“ heißt. Die Evangelische Kirche in Berlin/Brandenburg schämt sich nicht, immer noch an diesem abstoßenden und theologisch allmählich unsinnigen Titel für ein GOTTES-Hauses festzuhalten. Sie ist sich wahrscheinlich ihrer Engstirnigkeit und Verkrampfung bewusst und nennt dieses zentrale Kirchengebäude nur noch mit drei Buchstaben KWG, und dies klingt so ähnlich wie AOK, KFZ oder BVG oder XYZ. Manchmal nennt die Kirche dieses Gotteshaus auch noch „Gedächtniskirche“, offenbar allen gewidmet, die mit dem Gedächtnis oder mit dem Gedenken starke Probleme haben…An die unselige enge Verquickung von preußischem Königtum und evangelischer Kirche kann man auch denken, ohne dass diese Kirche im Titel Kaiser Wilhelm führt.

5. Die Neutralisierung des offiziellen Titels „Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche“ zu KWG ist Ausdruck der Angst der Kirchenführung und ihrer Charlottenburger KWG-Gemeinde: Sie haben vielleicht Angst vor der bekannten Prozessfreudigkeit des Hauses Hohenzollern („man stiehlt uns unser Gotteshaus“) und Angst vor dem Protest der Springerpresse und ihrer vielen alten, aber kirchengebundenen LeserInnen in Berlin: „Wie kann die Kirchenführung nur diesen ehrwürdigen und sooo beliebten Namen aufgeben wollen?“ Wahrscheinlich hat die Kirchenführung Angst vor Kirchenaustritten wohlhabender Protestanten…

6. Tatsache ist und das belegt auch die neue Studie von Stephan Malinowski: König / Kaiser Wilhelm I. (1861-1888) war ein nationalistischer Kriegsherr, er war ein Förderer des Kolonialismus (Siehe Kongo-Konferenz 1884-85). Dadurch wurde Deutschland zum drittgrößten Kolonialreich der Welt. „Zur Sicherung der wirtschaftlichen Rentabilität der Kolonien wurde auf ein System der Zwangsarbeit zurückgegriffen. Widerstand wurde brutal unterdrückt, wovon neben dem Völkermord an den Herero und Nama auch die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes (1904-1908) in Deutsch -Ostafrika mit geschätzten 300.000 Opfern zeugt“. (Prof. Sebastian Pittl, Tübingen, in „Stimmen der zeit 2020, Seite 908f.).

7. Bei dem Titel Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche denken viele BesucherInnen, nachweislich durch spontane Umfragen, auch an Kaiser Wilhelm II. Tatsache ist ja, dass der Titel dieses Gotteshaus im Rahmen der bekannten protestantischen Verquickung mit dem Kaiserhaus zunächst Kaiser Wilhelm I. meinte…Aber welcher Tourist, welcher Berliner kennt dieses Detail, zumal Kaiser Wilhelm II. diese Kirche unbedingt bauen und einweihen wollte. Man denkt also immer auch an Kaiser Wilhelm II., dann kommt die erschütternde Erkenntnis:  Dieser Kaiser Wilhelm II. war ein Anti-Republikaner und ein Antisemit., auch das zeigt die Studie von Prof. Stephan Malinowski. Ihm geht es nicht nur um die erwiesene Kollaboration der Hohenzollern mit den Nazis, sondern um deren Antirepublikanismus. Der Ex-Kaiser Wilhelm II. ließ bekanntlich den Sekt in Strömen fließen, als er von der Ermordung des demokratischen, auf Frieden hin orientierten Politikers Matthias Erzberger erfuhr.

8. Es wird Zeit also Zeit, dass sich in Berlin eine breite Bewegung der Bürger bildet, um die Abschaffung des Namens Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche durchzusetzen. Und das wird angesichts der bestehenden Mentalitäten nicht einfach… Aber das wäre ein treffender Abschied von der für üblich gehaltenen Unkultur einer Nähe von Kirche und Staat, von Kirche und Hohenzollern, von Kirche und antirepublikanischem, antisemitischem Denken und Handeln.

Weil der Name „Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche“ ohnehin obsolet geworden ist durch die offiziell gern verwendeten Kürzel KWG oder Gedächtniskirche, ist nun die Zeit gekommen, diesem Gebäude einen treffenden, einen tatsächlich für ein kirchliches Gebäude eben spirituellen und religiösen Namen zu geben. Die Debatte über den neuen Namen dieses schönen, neu gebauten Gotteshauses sollte also beginnen. Es wäre ein Zeichen von Selbstkritik, wenn sich die Kirchenleitung für die Umbenennung einsetzt. Aber, meine Skepsis bleibt: Entsprechende frühere Beiträge zu diesem Thema wurden kirchlicherseits ignoriert. Man glaubte, es nicht nötig zu haben, überhaupt darauf zu reagieren. Diese Ignoranz ist vorbei, angesichts der nicht mehr zu stoppenden Debatten über das kolonialistische Erbe Deutschlands und der Kirchen in Deutschland.

9. Ein neuer Name für die Kirche am Breitscheidplatz in Berlin (ehem. KWG) wäre ein Akt der Befreiung, ein Eingeständnis schuldhafter Verquickung der Kirche mit einem Regime, das definitiv vorbei ist.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.