Eine Philosophie der Philosophie:
Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben
Ein „Religionsphilosophischer Salon“ am 16.1.2014.
Ein Rückblick als Vorblick
Von Christian Modehn
Das Thema unseres Salons ist: „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“. Dabei sind im Titel die Beziehungen zu einem Text Friedrich Nietzsches nicht zu übersehen: Er sprach von „Historie“ anstatt von Philosophie. Diese Nietzsche „Inspiration“ im Titel haben wir (noch) nicht weiter vertieft.
Besonders wichtig erscheinen uns dabei die Beiträge des „praktischen Philosophen“ Michael Braun, Berlin, der wieder einmal bei uns war. Seine Fragen, Ideen, Vorschläge wurden wieder als inspirierend wahrgenommen!
Einige Aspekte (eher aus der Sicht des Autors dieser Hinweise) wollen wir „festhalten“ für weiteres Nachdenken und Debatieren:
Das Thema „Vom Nutzen und Nachteil der Philosophie für das Leben“ gehört zu einer Frage nach der „Philosophie der Philosophie“. Sie wird nicht allzu oft erörtert, bestenfalls in eher populären Büchern „Was ist Philosophie?“ Es geht um ein philosophisches Begreifen des Philosophierens und der vom Philosophieren her geprägten (akademischen, universitären) Philosophie. Sie findet ihren Ausdruck in philosophischen Publikationen.
Es gab schon ein philosophisches Verstehen der Philosophiegeschichte, etwa Hegel ist da an prominenter Stelle zu nennen. Seine „Geschichte der Philosophie“ berücksichtigt das damals zugängliche „Material“. In der Auseinandersetzung mit den Schriften vergangener und lebender Philosophen entsteht dann für Hegel eine Philosophie der Philosophiegeschichte. Entscheidendes Stichwort ist dabei die Interpretationslinie: In der Geschichte des philosophischen Denkens drückt sich das zunehmend immer deutlicher verstehende Bewusstsein der Freiheit aus.
Deutlich wurde in unseren Gesprächen: Nur philosophisch lässt sich angemessen verstehen, was Philosophie ist. Wenn etwa ein Historiker von außen auf das philosophische Geschehen schaut, etwa auf die Institutionen, Publikationen, Biographien usw., sieht er die Außenseite des Philosophierens. Sobald man aber inhaltlich „einsteigt“ und kritisiert und debattiert, ist das bereits eine philosophische Leistung, und keine Sache mehr des außen betrachtenden Historikers.
Wichtig ist, sich beim Einstige in das Thema auf die vier Begriffe des Titels zu besinnen:
Philosophie sollte man in die beiden sprachlichen Elemente auflösen, um mehr zu sehen: „Philia“ meint eine freundschaftliche Haltung, vielleicht sogar eine liebende Faszination gegenüber der „Sophia,“ der Weisheit. Es geht also in der Philo-sophia um die sich selbst klar werdende, auch kritische Liebesbeziehung zur Sophia. Weisheit ist nicht mit Wissenschaft identisch, Weisheit ist umfassender auf das ganze Leben bezogen, hat einen stark praktischen Akzent, im Sinne von Lebensgestaltung und Lebensklugheit. Sophia im griechischen Philosophieren steht oft auch dem Logos nahe. Philosophie ist dann eine Liebe zum Logos, zum Sinn, zur Sprache, zum Dialog, zur Vernunft. Logos ist ein weiter Begriff, der auch ins Religiöse hineinreicht: Der Logos wird Mensch, noch schärfer im Johannes Evangelium formuliert: Er wird sinnliches (erotisches, sterbliches) Fleisch, greifbar als einzelne Person. In unserer „philosophischen Weihnachtsfeier“ am 27. 12. 2013 sprachen wir darüber.
Diese Liebe zur Weisheit, das wurde in Salon deutlich herausgestellt, ist jedem Menschen als Menschen möglich. D.h. Philosophieren ist grundsätzlich Sache aller Menschen. Auch wenn nicht jeder den Schritt (den Sprung?) wagt und vollzieht, sich auf das eigene Nach-Denken einzulassen. Vielleicht sind es Krisen und Erschütterungen, die den einzelnen ins eigene kritische grundsätzliche Nachdenken als Liebe zur (Lebens) Weisheit führen.
Zum Begriff Leben in unserem Titel: Wir sind überzeugt: Es gibt eine Gestalt des alltäglichen Daseinsvollzugs, in der in einer gewissen Selbstverständlichkeit gelebt („vor sich hin gelebt“) wird in einer scheinbar unerschütterlichen Selbstverständlichkeit, wo bestimmte Normen und Gebräuche selbstverständlich angenommen und oft auch praktisch respektiert werden. Viele Menschen haben schlicht keine Zeit, aus diesem alltäglichen Leben ohne große Erschütterungen im Denken herauszutreten.
Obwohl, philosophisch betrachtet, gerade in diesem alltäglichen Leben immer schon das Philosophieren lebendig ist und also Philosophie geschieht: Etwa in den banalen oder wichtigeren Entscheidungen wird angesichts mehrerer Möglichkeit eine Möglichkeit für das eigene Leben gewählt, etwa, weil diese eine Möglichkeit dem noch unbewussten eigenen Lebensentwurf am meisten entspricht.
D.h. auch in dem noch nicht vollständig selbst bewussten Leben des Alltags findet bereits Philosophie statt. Nur weil das so ist, kann dann überhaupt eine intensivere, kritisch fragende selbstbewusste Philosophie im eigenen Leben sich ereignen.
Vor diesem Übergang aus dem nur bewussten in ein selbstbewusstes Leben haben viele Menschen Angst. Sie weigern sich, in diese (offene) „Bewegung“ des Nachdenkens einzutreten, denn er stört, wenn nicht zerstört manche alltäglichen Gewissheiten. Etwa die Überzeugungen: „Mein Leben ist vollkommen richtig. So bin ich, so bleib ich“.
Diese Angst vor der Unsicherheit kann dann mit dem Begriff des Nachteils der Philosophie umschrieben werden. Dieser Nachteil, dieser dunkle, störende Schatten, wird nur in der Position ausgesprochen der Verklammerung an einen alltäglichen, noch nicht voll ausgebildeten selbst-bewussten Lebensentwurf. Wer einmal in die Philosophie eingetreten ist, kann in ihr keinen störenden Nachteil sehen, er wird sich mit der Ungewissheit denkerisch auseinandersetzen, mit der Frage: Warum hat jeder Mensch seine eigene Wahrheit und wie verhalten sich die vielen subjektiven Wahrheiten zu der Frage: Gibt es eine für alle jetzt lebenden Menschen gültige Wahrheit? Gibt es allen gemeinsame Überzeugungen (etwa „Gewalt und Grausamkeit soll unter keinen Umständen sein“, „dauerhafter Schmerz sollte nicht sein“, das „Hungersterben so vieler Ausgebeuteter“ sollte nicht sein usw.).
Als „Nachteil“ kann Philosophie erlebt werden, wenn sich der einzelne Denker ganz an einen bestimmten Philosophen klammert, von ihm nicht los kommt, ihn verehrt usw. Doch dies liegt dann wohl nicht an „der“ Philosophie, sondern an dem einzelnen, sich fixierenden Denker.
Auch die Vielfalt der Philosophien (es gibt ja nie „die“ Philosophie, wenn, dann nur in Diktaturen, die eine einzige Philosophie staatstragend wollen, dann aber handelt es sich um Ideologie).
Alle die vielen Philosophien haben aber doch wiederum gemeinsam, dass sie eben „Liebe zur Weisheit“ sein wollen, deswegen nennen sie sich ja „Philosophie“. Zur Philosophie der Philosophie in dem Sinne gehört also die Erkenntnis, dass es viele Philosophien „wesensmäßig“ geben muss: Denn jeder hat etwa seine eigene, subjektive Ausgangssituation im Denken. Philosophie als notwendig im Plural ist also kein Nachteil.
Damit sind wir schon beim Nutzen der Philosophie:
Philosophie ist tatsächlich nützlich im Sinne der praktischen Hilfe, sagen wir ruhig der Lebenshilfe. Philosophieren ist keine Spielerei, sie ist kein Luxus gelangweilter Seelen, keine hoch bezahlte Beschäftigung von Universitätsprofessoren, kein Hobby von Leuten, die schon mal alles probiert haben usw… Philosophie ist eminent mit dem Dasein und den Lebensfragen selbst verbunden. Und man sollte philosophische Texte immer in dieser praktischen Herkunft aus der Fraglichkeit des Daseins lesen, auch wenn sie manchmal unnötigerweise hoch kompliziert geschrieben sind, weil Philosophen offenbar nicht unbedingt gute Stilisten sein wollen/können.
Daraus wird aber nicht geschlossen: dass Philosophierende solche Menschen verachten, die den Sprung ins eigene Denken nicht (noch nicht) konsequent gewagt haben.
Philosophie nützt insofern, als sie den Menschen in einen wachen Zustand führt. Philosophie ist waches Leben, ein Leben im Licht der Vernunft, die es – ein anderes Thema – trotz aller möglichen Verbundenheiten des Denkens im Naturgeschehen gibt… Erwachen zur Philosophie als dem selbstbewussten Leben wäre eigentlich ein schöner Titel. Da ist dann Philosophie nicht mehr eine bloße formale Klärung der Exaktheit von Begriffsverwendungen, keine bloße Logik, sondern eine Lebensform. Philosophie als Lebensform, als „Schule“, das ist ein Projekt, an dem alle Interesse haben, die etwa auf der Linie von Pierre Hadot im Geiste antiker Philosophie weiter denken und weiter leben wollen. Von Hadot sind Philosophen wie Michel Foucault oder Wilhelm Schmid grundlegende inspiriert.
Copyright:
Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin