Aufgrund zahlreicher Anfragen nach meinem Artikel in PUBLIK – FORUM (1/2012) verdeutlichen wir noch einmal, was Ökumene in Taizé, dem berühmten Wallfahrtsort von Jugendlichen aus aller Welt, aus unserer Sicht, gut dokumentiert, bedeutet. Das ist zwar kein Schwerpunkt unseres religionsphilosophischen Salons …. aber manchmal müssen wir aktuelle theologische Fragen aufgreifen:
Welche Kircheneinheit hat Taizé vor Augen?
Von Christian Modehn, im Februar 2012.
Ich beobachte als Journalist Religionen und Kirchen. Mich interessiert – in Form einer Prüfung von außen – die Frage: Welche Einheit der Kirchen, also welche konkrete und fest beschreibbare Vorstellung von Ökumene hat die Mönchs – Gemeinschaft von Taizé? Mit dieser theologisch relevanten Frage wird die Tatsache nicht berührt, dass die Mönchsgemeinschaft von Taizé für viele (jugendliche) Menschen weltweit ein inspirierender Ort geworden ist. Sicher bin ich nicht der erste, dem die Formulierungen zur Ökumene von Frère Roger Schutz oder von Bruder Alois etwas „fließend“, um nicht zu sagen: unpräzise, erscheinen. Darf man sagen: Sie wirken eher poetisch und ins Mystische gehend? Es ist auch diese fromme Glaubenssprache der Insider, die in dem Beitrag von Bruder Alois, dem gegenwärtigen Prior (vom Gründer Roger Schutz vor vielen Jahren dazu bestimmt und ernannt !) in dem Beitrag für die Internationale Theologische Zeitschrift Concilium (2011) immer wieder durchbricht. Der Titel seines theologischen Aufsatzes: „Habe die Leidenschaft für die Einheit des Leibes Christi“. Dabei ist nicht nur der Appell im Titel bemerkenswert, interessant ist die Verwendung des Bildes „Leib Christi“ für die Kirche. Es wird also nicht der (alternative) Begriff „Volk Gottes“ gebraucht, der im 2. Vatikanischen Konzil durchaus als Konkurrenzbegriff galt, sondern der eher hierarchische Vorstellungen weckende „Leib Christ“ Begriff: Da gibt es ein herrschendes Haupt und gehorsame Glieder…
Frère Roger, der Gründer von Taizé, war überzeugt, die Kirche sei „in ihrer Tiefe“ ungeteilt. (S. 130 in Concilium). „An uns ist es daher, Orte zu schaffen, an denen diese Einheit hervortreten und greifbar werden kann“, schreibt Bruder Alois, diesen Gedanken weiter entwickelnd. Dabei erinnert er an den orthodoxen französischen Theologen Olivier Clément, der – seinerseits ziemlich kryptisch – schreibt: „Es gibt nur eine einzige Kirche, verborgener Unterbau aller Kirchen…“ Also eine untergründige Einheit gibt es, und Taizé wäre dieser Ort, wo diese untergründige Einheit nach vorne tritt und offenbar wird. Aber was ist damit konkret gemeint? Handelt es sich um eine wirklich neue und bislang unbekannte Kirche, also eine aus verschiedenen Traditionen gespeiste bzw. zusammengefügte Kirche? Taizé schließt aber aus, dass diese – aus der Tiefe sozusagen hervorgeholte Einheit – tatsächlich eine grundlegende neue, eine bislang völlig unbekannte ökumenische Kirche sein sollte. Das wäre in römischer Sicht –und darauf nimmt Taizé alle Rücksicht – ein Schisma, und das darf nicht sein.
Anders hingegen und nur nebenbei erwähnt als Alternative: Der niederländische Theologe und Poet Huub Oosterhuis fördert z. B. seit 1970 in Amsterdam eine neue selbständige ökumenische Gemeinde, die Studenten – Ecclesia, die über alle bestehenden Konfessionen hinausgewachsen ist. Sie präsentiert eine neue Ökumene, natürlich, auch eine neue Kirche. So etwas kommt für Taizé nicht in Frage.
Den Mönchen von Taizé geht es um die Überwindung aller Konfessions – Spaltungen, die nur in einer und in einer einzigen Kirche Gestalt finden kann. Welche konkrete Kirche dabei für die Mönche von Taizé entscheidend geworden ist, wird weiter unten gezeigt. Diese eine und einzige Kirche – im Sinne Taizés: Sie widerspricht der ökumenischen theologischen Vorstellung von einer bleibenden und wichtigen und schönen Vielfalt der Kirchen, die sich aber untereinander respektieren und als unterschiedliche Kirchen anerkennen. Man spricht deswegen vom ökumenischen Zielbegriff der „versöhnten Verschiedenheit“. Von dieser Vorstellung einer Ökumene in bleibender Vielfalt ist in Taizé keine Rede. Es geht dort um die eine und einzige Kirche, in die sich alle anderen hinein begeben sollen.
Es gibt in Taizé einen zweites theologisches Problem: Die de facto Mitgliedschaft Frère Rogers in der katholischen Kirche seit 1972. Dabei wollte Roger Schutz, so immer wieder betont, ausdrücklich seiner protestantischen Herkunft treu blieben. Etwas poetisch formulierte er seine Doppelmitgliedschaft: Er wolle den „Glauben meiner Ursprünge mit dem Geheimnis des katholischen Glaubens versöhnen“, so in dem Buch „Eine Ahnung von Glück“, S. 82. Der Theologie Professor Peter Zimmerling (Leipzig) nennt diese Haltung treffend „eine Art Schwebezustand“ (in der Zeitschrift „Una Sancta“, 2007). Und Prof. Zimmerling meint, Roger Schutz wollte „beiden Kirchen gleichzeitig angehören“.
Aber hätten sich katholische Bischöfe im Ernst eine bi – konfessionelle Identität akzeptiert? Werden nicht sogar dem bloßen Anschein nach „bi – konfessionelle“ Christen von Rom her bestraft? Wie bewerten also katholische Bischöfe das Ereignis in der Kapelle des Bischofshauses von Autun (zu diesem Bistum „gehört“ Taizé) im Jahr 1972? Bischof Le Bourgeois hatte dort das Glaubensbekenntnis Roger Schutz entgegen genommen und ihm anschließend die (katholische) Kommunion gereicht. Auch wenn danach kein Dokument einer Konversion zum Katholizismus unterschrieben wurde, wie immer wieder betont wird, nach den Regeln katholischer Theologie ist damit Roger Schutz de facto katholisch geworden. Bischof Séguy, der Nachfolger von Bischof Le Bourgeois, der 1972 die Konversion entgegen nahm, schreibt: „Frère Roger hat dem Protestantismus nicht abgeschworen, aber er hat ausgedrückt, dass er vollständig („pleinement“) dem katholischen Glauben anhängt“. Ein außergewöhnliches Ereignis, weil Rom ja sonst immer das Entweder – Oder, die klare Entscheidung, durchsetzt. Diese Doppelmitgliedschaft Roger Schutz,` seine Bi – Konfessionalität, wurde von Rom nur akzeptiert, weil er als exklusive Ausnahme von den Päpsten seit Johannes XXIII. hoch geschätzt wurde. Darf man vermuten, weil Rom damals schon spürte, dass Frère Roger „eigentlich“ katholisch ist? Denn schon 1969 hat der „Bruderrat von Taizé“ seine Loyalität dem Papst gegenüber zum Ausdruck gebracht; schon damals bekannten die ganz überwiegend protestantischen Mönche, sie würden sich „in Gemeinschaft mit jenem Mann wissen, der das Dienstamt des Dieners der Diener Gottes (sic!) übertragen bekommen hat“ (in: Aufbruch zur Quelle, S 99). Diese Umschreibung des Titels des Papstes folgt bereits römischen Sprachregelungen. Seit 1971 gab es einen Vertreter des Priors von Taizé beim „Heiligen Stuhl“, also dem Papst, auch darauf weist Professor Peter Zimmerling hin. Papst Benedikt XVI. hat in einer Ansprache in Castel Gandolfo am 17.8. 2005 die Worte Frére Rogers übernommen und in seinem Sinne betont, dass die Mönchsgemeinschaft „ihren Weg in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater gehen möchte“. Wer geht in Gemeinschaft mit dem Heiligen Vater? Doch wohl nur jener, der selber katholisch ist. Würde ein liberaler reformierter Christ oder ein progressiver Anglikaner oder ein frommer griechisch orthodoxer Pope von sich sagen, er möchte in „Gemeinschaft mit dem heiligen Vater seinen Weg gehen“?
Nur weil de facto die Mönchsgemeinschaft katholisch geworden ist, wird erklärbar, warum Roger Schutz betont hat, dass die Mönchsgemeinschaft ein der katholischen und orthodoxen Kirche vergleichbares Eucharistieverständnis hat (Aufbruch zur Quelle, 87). Darüber hinaus gibt Roger Schutz offen zu, dass er das katholische Sakrament der Buße hoch schätzt, auch die Marien – Verehrung sei für ihn selbstverständlich, manche Marien Erscheinungen (Lourdes ?) hielt er sogar für „echt“; auch empfahl er das Gebet zu Maria. Prof. Zimmeeling spricht in dem Zusammenhang von „starker Annäherung an die katholische Theologie und Spiritualität“. Auf dieser Linie ist es verständlich, dass Roger Schutz ganz normal die katholische Kommunion aus der Hand Kardinal Ratzingers anlässlich der Totenmesse für Papst Johannes Paul II. empfangen konnte und durfte. Nur so wird verständlich, warum die Trauerfeier für Roger Schutz in Taizé von Kardinal Walter Kasper geleitet wurde, während die anderen ökumenischen Gäste eher am Rande blieben. Nur so wird verständlich, warum an jedem Sonntag der Hauptgottesdienst in Taizé als katholische Messe gefeiert wird. „Am Sonntagmorgen findet im Hauptgottesdienst eine katholische Eucharistiefeier statt, wobei in der Mitte der Versöhnungskirche vor dem Altar beide Elemente an alle (!), die wollen, ausgeteilt werden. Während in den Seitenbauten der Kirche die Eucharistie in einerlei gestalt (also nur die Hostie, CM) empfangen werden kann“, so Peter Zimmerling. Und er fährt fort: „Allerdings dominiert eindeutig die katholische Eucharistiefeier das gottesdienstliche Geschehen, wobei auffällt, dass der Empfang der beiden eucharistischen Gaben auch für Nichtkatholiken offen ist“. Nebenbei: Der katholische Priester Professor Gotthold Hasenhüttl wurde als Priester suspendiert, weil er bei einer Messe während des Ökumenischen (!) Kirchentages in Berlin im Jahr 2003 auch Protestanten die Katholische Kommunion reichte! Die in Taizé gewährte ökumenische Gastfreundschaft darf offenbar nirgendwo anders gelten. Warum wohl? Drückt Rom alle dogmatischen Augen zu? Ist Taizé ein geheimer Liebling des Vatikans, ein geduldetes Experimentierfeld, um als Kirche viele Jugendliche „zu erreichen“?
In den jüngsten Äußerungen betont Bruder Alois – etwa in der Theologischen Zeitschrift Concilium – Taizé habe das Dienstamt des Papstes anerkannt. Mit dieser Anerkennung des Dienstamtes“ handle es sich NICHT, so wird betont, um eine „Rückkehr Ökumene“, also um die Vorstellung, die nichtkatholischen Christen sollten zur römisch katholischen Kirche „zurückkehren“. Denn, so Bruder Alois, seit Johannes XXIII. und dem Zweiten Vatikanischen Konzil habe die katholische Kirche „ den wesentlichen Forderungen der Reformation nachgegeben“. (S. 131). Da wird also behauptet, die römisch – katholische Kirche heute erfülle die Forderungen der Reformation. Darauf hat Prof.. Zimmerling mehrfach hingewiesen: In der Sicht von Taizé sind die protestantischen Kirchen nur „Provisorien“. „Sie besitzen ihre Existenzberechtigung darin, Korrektiv, gelegentlich auch Ergänzung des Katholizismus, nicht jedoch eigenständige Kirche auf unbegrenzte Zeit zu sein“. Prof. Zimmerling weist darauf hin, dass diese merkwürdige Vorstellung von dem provisorischen Charakter der protestantischen Kirche schon 1965 von Roger Schutz formuliert wurde, und zwar in dem Buch „Die Dynamik des Vorläufigen“.
Die Protestanischen Kirchen als vorläufige, eines Tages verschwindende Kirchen: Korrespondiert diese Vorstellung mit der Idee, verbreitet im päpstlichen Schreiben „Dominus Jesus“, dass die protestantischen Kirchen keine Kirchen im “eigentlichen Sinne” sind, eine Behauptung, die Benedikt XVI. immer wiederholt.
Jedenfalls ist es verwunderlich zu lesen, dass Bruder Alois, der Prior von Taizé, ein katholischer Laien – Theologe, im Ernst meint, dieser Katholizismus , wie er sich heute zeigt, sei bereits ein reformierter Katholizismus, also ein solcher, der den Forderungen der Reformatoren bereits entspricht. Wie ist dann die über geordnete Stellung der Amtspriester gegenüber den Laien im heutigen Katholizismus zu beurteilen, wie der zögerliche Umgang mit dem allgemeinen Priestertum ALLER Gläubigen, wie die immer noch vorhandene Praxis des Ablasses, wie die Unterdrückung echter theologischer Pluralität, wie der Ausschluss von Frauen vom Priesteramt usw.??
Diese Einschätzung Bruder Alois`, der heutige Katholizismus sei bereits „reformiert“, ist ein theologischer Irrtum. Natürlich gibt es Unterschiede in den Reden der Päpste des 16. und des 20. Jahrhunderts. Am Primat des Papstes hat sich aber nichts geändert, übrigens auch nicht in der klerikalen Mode der Päpste und Prälaten. Das barocke Denken dominiert. Das ist nur eine Tatsachenbeschreibung.
Aber dieses Argument („Die katholische Kirche ist bereits reformiert“) braucht Bruder Alois, um die innere Verbindung mit Rom zu verklären: Schließlich will Taizé, so wörtlich (S. 131), der Kirche von Rom von innen her (!) helfen, sich weiter zu entwickeln“. Aber wer kann von innen her helfen? Jemand der innen ist, also Teil der römisch –katholischen Kirche geworden ist. Typisch für die extrem positive Einschätzung der Verhältnisse in der römischen Kirche: „Das 20. Jahrhundert hat gezeigt, wie sehr das petrinische Dienstamt in der Lage ist, sich zu verändern. (PS: Hans Küng ist mit seinem Versuch in Rom gescheitert, die Unfehlbarkeit neu zu interpretieren CM) Johannes Paul II. hat selbst die Nichtkatholiken dazu aufgerufen, bei ihm bei dieser Fortentwicklung zu helfen“.
Von Lernprozessen in Rom, angestoßen durch protestantische oder orthodoxe Theologen, war bis jetzt nichts zu hören. Im Gegenteil: Das harte Durchgreifen der Hierarchie gegenüber kritischen Theologen ist allseits seit Jahrzehnten bekannt. Die Bischofs – Synoden in Rom sind eben ausschließlich Bischofssynoden, ohne volle Partizipation des Volkes Gottes, d-h. auch der Laien usw.
Ist Taizé also de facto und entgegen vieler Behauptungen doch ein Teil der katholischen Kirche? Diese Frage wird jeder unde jede nach der Lektüre dieses Beitrags selbst beantworten. Unser Meinung nach kann bewiesen werden, dass Taizé eine katholische Gemeinschaft ist, allerdings mit Mitgliedern, die noch formell anderen Kirchen angehören; mit protestantischen oder orthodoxen Gottesdiensten am Rande. Das ist in meiner journalistischen und philosophischen Dicht überhaupt nicht schlimm. „Jeder nach seiner Fasson“. Und an der inspirierenden Begleitung suchender und fragender Jugendlicher wird nicht gezweifelt, sie können dort spirituell intensive Tage erleben. Aber sie erfahren dort selten, wohin die ökumenische Reise im Sinne Taizés hingeht. Sie führt nach Rom. Auch das muss selbstverständlich respektiert werden. Aber manch einer wäre froh, mehr Klarheit über den immer schwebenden und bloß poetischen Begriff der Ökumene von Taizé selbst zu erfahren.
Copyright: christian modehn, berlin.