Zwischen Verstand und Gefühl – Ein Interview

Als “Gast – Interview” stellte uns Monika Herrmann dieses Interview für den Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon zur Verfügung:

Zwischen Verstand und Gefühl
Ein Interview mit dem philosophischen Praktiker Roger Künkel, Berlin.

„Philosophie ist bis ins 20. Jahrhundert hinein fast nur im universitären Bereich angesiedelt, ihre Urform war jedoch immer Praxis orientiert“, sagt Roger Künkel.
Als Philosoph und Diplom-Psychologe betreibt er in Berlin eine philosophische Praxis und begleitet dort Menschen mit unterschiedlichen Problemen. Das Interview führte Monika Herrmann, Berlin, für die Wochenzeitung „Die Kirche“, Berlin.

Herr Künkel, Philosophen wird nachgesagt, sie würden in erster Linie denken und weniger handeln. Ist das so?

Nein, das ist ein Vorurteil. Seit Anfang der 80-er Jahre bieten sie auch Beratung in eigenen Praxen an: Es geht dort um existentielle Fragen, die Menschen haben: Wie kann mein Leben gelingen? Wie können wir verstehen, wer wir sind, wohin wir gehen und woher wir kommen? Aber auch um Anleitung zum Denken, um Entscheidungssuche und Meinungsfindung. Diese praktischen Philosophen wollen eine Alternative bieten zu therapeutischen, theologischen und religiösen Angeboten. Das heißt: Philosophische Praxen sind offen für Menschen, die Fragen haben zu sich selbst oder zur Welt.

Wen beraten und begleiten sie?

Manche meiner Klienten wollen einfach ihren Lebensweg neu bestimmen. Also Fragen nach der Gestaltung der Lebenszeit spielen eine Rolle. Es kommen auch Menschen, die Probleme mit ihrem sozialen Umfeld haben. Andere leiden an Sinnkrisen oder massiven seelischen Problemen.

Sind dafür nicht Psychotherapeuten zuständig?.

Ich glaube, dass die Psychotherapeuten in erster Linie die Verletzungen der Seele als Krankheit sehen. Man kann aber psychologische, Sinn bezogene, theologische und philosophische Fragen nicht von einander trennen.
Deshalb therapiere ich auch nicht im klassischen Sinn, sondern führe mit meinen Klienten einen Dialog mit dem Ziel, dass sie lernen, Zusammenhänge zu verstehen und letztlich sich selbst verstehen. So kann ich Paaren helfen, die nicht mehr weiter wissen, oder Menschen, die Probleme im Berufsleben haben. Aber auch Familien, die in Krisen geraten sind, oder alten Menschen, die mit ihrem Ruhestand unzufrieden oder einsam sind und den Sinn des Lebens verloren haben. Philosophische Praxis ist nicht nur etwas, das mit Intellekt und Verstand zu tun hat, wie oft vermutet wird. In der Philosophie geht es auch um Emotionen. In meiner Praxis spielen sie eine große Rolle.

Das bedeutet, ihre Klienten dürfen weinen, klagen, schreien

Man darf alles. Denn die Gespräche, die ich mit meinen Klienten führe, sollen zur Klarheit des eigenen Seins führen. Dass man seine Gefühle auch verstehen lernt, ist wichtig. Ein Balanceakt zwischen Verstand und Gefühl ist das. Wenn Menschen nur mit dem Verstand reagieren, verstehen sie nicht viel von sich. Anders herum geht es auch nicht. Also eine gesunde Balance, die aber für jeden individuell verschieden ist.

Wenn es Ihnen so sehr um die Seele der Menschen geht, verstehen sie sich auch als Seelsorger?

Natürlich. Schon in der Antike, bei Platon beispielsweise, wurde die Philosophie als die Sorge um die Seele betrachtet.
Das heißt, sie ist ein primäres Anliegen der Philosophie. Seelsorge wird heute weit gehend von Religionsgemeinschaften angeboten. Das Problem ist: Menschen werden dort im Sinne der jeweiligen Träger beraten. Ich will das nicht kritisieren. Aber der Gesprächsrahmen steht fest. In der philosophischen Praxis ist das anders. Dort bestimmt der Klient, in welche Richtung er gehen möchte und zu welchen Räumen er eine Tür geöffnet haben möchte.

www.philosophische-praxis-kuenkel.de

“Mit sich selbst zu Rate gehen”: Philosophische Praxis

„Mit sich selbst zu Rate gehen“: Philosophische Praxis

Philosophie ist niemals nur eine Sache der Universitäten (oder, wie in Frankreich, der Schulen) gewesen. Aber erst in den letzten 30 – 40 Jahren lebt das Philosophieren und damit die Philosophie wieder deutlicher an der „Basis“. Diesen wichtigen Prozess begleiten und unterstützen vor allem philosophische Praktiker. Der Religionsphilosophische Salon bietet ein Interview mit Dr. Thomas Polednitschek, er ist philosophischer Praktiker in Münster. Im August 2010 hat er an der „10. Internationalen Konferenz Philosophischer Praktiker“ teilgenommen.

Welches Thema stand diesmal im Mittelpunkt?

Im Mittelpunkt der diesjährigen Konferenz im niederländischen Leusden stand das Thema “Erfahrung”. Philosophische Praktiker aus verschiedenen europäischen Ländern, aus den USA, aus Lateinamerika, Afrika und aus Korea diskutierten dieses Thema in zahlreichen angebotenen “Workshops”. Interessant z. B. der Workshop eines Praktikers aus Botswana, der junge Offiziersanwärter in der Armee “hinter” allem Gehorsam gegenüber der Befehlsgewalt mit seiner Arbeit zu autonom denkenden und selbstverantwortlich handelnden militärischen Führungskräften ausbilden will.

In welcher Weise wurden dabei unterschiedliche (internationale) Themen und Formen der “praktisch-philosophischen Arbeit” deutlich? Gibt es sozusagen “regionale Unterschiede”?

Ja, meiner Beobachtung nach gibt es diese Unterschiede durchaus, und zwar — oberflächlich betrachtet – zwischen einer mehr oder minder pragmatisch ausgerichteten anglo-amerikanischen Tradition und der kontinental-europäischen Denktradition. Für mich hat sich aber auf der Konferenz der Unterschied anders dargestellt, nämlich auf der einen Seite die Praktiker , die nur die “Denkwürdigkeit” der Praxis akzeptieren, nicht aber die praktische Relevanz der Theorie und auf der anderen Seite die Praktiker, die auf der Dialektik von Theorie und Praxis, von Denken und Erfahrung bestehen. Das ging nicht ohne Spannungen ab.

Sind Philosophische Praktiker “nur” in eigenen philosophischen Praxen tätig?

Nein, Philosophische Praktiker sind nicht nur in eigener Praxis, sondern z.B. auch mit Seminaren zu ethischen Fragestellungen im Wirtschaftsleben oder im Bildungssektor tätig. Dazu gehört z.B. in meiner Praxis die Seminarreihe” Was uns zu freien Menschen macht”. Hier werden “Schlüsselfiguren” unserer okzidentalen Denktradition auf ihr Freiheitsverständnis hin befragt. Es ist ja heute alles andere als von vornherein immer schon ausgemacht, wovon wir sprechen, wenn von der “Freiheit” die Rede ist.

Ist die Hauptaufgabe philosophischer Praxis die “Lebensberatung”?

Nein, die Hauptaufgabe Philosophischer Praxis ist nicht die Lebensberatung! Denn — entgegen einem weitverbreiteten Missverständnis – muss man sagen: Die Sache der Philosophischen Praxis ist nicht die Praxis der philosophischen Beratung, sondern die Sache der Philosophischen Praxis ist die Philosophie, zu der Philosophische Praxis mit ihrer Praxis des Philosophierens einen ganz neuen und eigenen Beitrag leistet! Philosophische Praxis hat nichts mit philosophischer Beratung zu tun, sondern mit der Praxis des Philosophierens, die es ihren Gästen oder Besuchern möglich macht, mit sich selbst zu Rate zu gehen. Die “Praxis des Philosophierens” und das dialogische Denken im Gespräch zwischen dem Praktiker und seinem Gast sind die zwei Seiten der einen Medaille.

Worin sehen Sie als philosophischer Praktiker die Bedeutung der Philosophie für die Lebensgestaltung des einzelnen?

“Geist ist das Leben, das selber in’s Leben schneide.” (Nietzsche). Die Bedeutung der Philosophie für die Lebensgestaltung des einzelnen sehe ich in einem philosophischen Denken, das “ins Leben eingreift” (Safranski). Eben ein solches Denken will die Praxis des Philosophierens in einer Philosophischen Praxis sein, denn Philosophische Praxis ist an einem Denken interessiert, das Menschen vitaler und wacher macht.

Weitere Informationen zue Philosophischen Praxis von Thomas Polednitschek:

http://www.pppolednitschek.de