Papst Pius der Zwölfte: Der Diplomat, dem das Wohl der Kirche wichtiger war als die Rettung der Juden

Über die Studien von Prof. Hubert Wolf im Geheimarchiv des Vatikans und einen Film der ARD, am 18.5.2020
Ein Hinweis von Christian Modehn
(In dem Zusammenhang können auch meine Hinweise zu Rolf Hochhuths “Stellvertreter” und ein etwas längerer Hinweis vom Februar 2019 zu Papst Pius XII. von Interesse sein.)

1.
Warum sollen „wir“ (d.h. eine etwas größere Öffentlichkeit) uns heute mit Papst Pius XII. befassen, zumal mit dessen Verhalten in der Zeit des Holocaust?
Weil diese Frage, über alle theologischen und historischen Dispute hinaus, von allgemeinem Interesse ist: Wem gilt in der Kirche(nführung) das vorrangige Interesse? Man könnte auch sagen: Wem gilt vorrangig kirchliche und päpstliche „Nächstenliebe“, als dem obersten Gebot derer, die sich Christen nennen. Gilt dieses vorrangige Interesse den Menschen egal, welcher Konfession, konkret: Den bedrohten Menschen, den Ausgegrenzten, Verachteten, den Arm – Gemachten, den Juden als den ständigen Opfern des Antisemitismus?
Ist also mit anderen Worten der praktische Respekt der Menschenrechte oberstes Kriterium kirchlichen und päpstlichen Handelns? Oder gilt das vorrangige kirchliche und päpstliche Interesse zuerst und vor allem dem Wohl der eigenen Kirche? Was ja immer auf das (auch finanzielle) Wohl der Institution Kirche hinausläuft: Also auf den Erhalt der Bischofsverwaltungen, der Kirchenbauten, der katholischen Schulen, der Priesterseminare, der Klöster etc.

Vor allem deswegen ist es wichtig, dass die „breite Öffentlichkeit“ erfährt, welchen Schwerpunkt Papst Pius XII. in den Zeiten des Faschismus, des Holocaust und danach, also nach 1945, setzte.
Die Erkenntnisse der Historiker sind schon jetzt für katholisch „Gebundene“ sehr ernüchternd, selbst wenn noch über Jahre hinweg viele Details über das Verhalten Pius XII. während des Holocaust und danach durch die jetzt möglichen Forschungen deutlich werden.

Meine These: Alle Forschungen der nächsten Jahre in den nun – endlich – geöffneten (absolut offenen ?) Geheimarchiven des Vatikans werden nur noch weitere Details ausleuchten, nicht aber die Grunderkenntnis erschüttern: Papst Pius XII. (und mit ihm weite Teile der Hierarchie) schwieg öffentlich zum Holocaust. Er war als Papst de facto nicht der umfassende Freund der bedrohten Menschen, nicht der öffentlich sich klar äußernde Feind des Faschismus und der Nazis, sondern er war der ängstliche Diplomat. Er war nicht zuerst der Stellvertreter des humanen, des menschlichen Jesus von Nazareth. Und das ist die Katastrophe dieser Kirche. Diese Katastrophe ist wohl kaum wieder gut zu machen. Das klerikale System hat gesiegt.
Nur ein Beispiel für die klerikale karnevalesk wirkende Präsentationen des Papst im Petersdom: Getragen auf einer Sedia Gestotoria, umgeben von Palmwedeln, die aus den Zeiten Kaiser Augustus oder gar der Pharaonen stammen könnten. Dieser Pius XII. war wie erstarrt in einem archaischen, aber schon morbide wirkenden System. Er sollte förmlich als göttliche Gestalt etabliert werden. Von dem armen Jesus von Nazareth war absolut nichts mehr zu spüren. Er war vergessen zugunsten des „Christus Triumphans“. Aber das ist ein anderes Thema.

Kann man bei dieser Mentalität und diesen äußeren pompösen Auftritten ein offenes, humanes Handeln zugunsten der Bedrohten und in die KZs Geschleppten erwarten? Kann man in Renaissance Palästen den vergasten Juden beistehen? Ich meine sicher nicht. Der Vatikan war dieser uralt wirkende Hofstaat (bis Benedikt XVI.), der das humane und kritische Denken erstickte.

2.
Schlimmer noch, und das Thema verdient eigentlich die gleiche kritische Aufmerksamkeit: Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg half der Vatikan (vor allem der in Rom lebende österreichische Bischof Alois Hudal, seit den dreißiger Jahren ein Nazifreund) den „Tätern“ (Verbrechern) im Faschismus zur Flucht via Rom/Vatikan nach Lateinamerika. Und der Papst war so dreist, nach 1945 mit verbrecherischen faschistischen Regimen Konkordate abzuschließen, mit Regimen, die sich nach außen hin als ultra -katholisch ausgaben. Man denke nur an die Konkordate des Vatikans mit dem Verbrecher und Massenmörder, dem Diktators Trujillo, Allein-Eigentümer der Dominikanischen Republik (Konkordat 1954) oder an das Konkordat mit dem spanischen Staatschef Franco, auch er ein Massenmörder, Konkordat mit ihm im Jahr 1953. Diese Tatsachen, diese Konkordate mit faschistischen, aber katholischen Regimen sind als solche schon Belege genug: Dass Papst Pius XII. nichts aus dem Holocaust und dem mörderischen Regime des Faschismus, Nationalsozialismus, gelernt hat. Das heißt: Der Respekt für die universalen Menschenrechte waren diesem Papst mindestens auch nach 1945 zweirangig. Selbst wenn er in frommen Worten manchmal davon sprach. Aber er förderte diese katholischen Gewaltregime, weil sie vor allem eins waren: Antikommunistisch. Alles andere war den Kirchenleuten damals egal (bis hin zum polnischen Papst).

3.
Kurz gesagt: Sich mit Papst Pius XII. befassen, heißt: Sich einmal mehr mit dem Niedergang der jesuanischen Ideen in der Kirche zu befassen. Erst das 2. Vatikanische Konzil, einberufen von Papst Johannes XXIII., änderte etwas an diesen Niedergang. Ob er überwunden ist angesichts reaktionärer Kräfte im Vatikan heute (Kardinal Müller, Kardinal Sarah, Benedikt XVI. usw.) ist die Frage.

4.
Nur ein paar Tage haben der Kirchenhistoriker, der katholische Priester Prof. Hubert Wolf (Uni-Münster) und sein Team in dem nun geöffneten Vatikan-Geheim-Archiv über Papst Pius XII. (1939-1958) arbeiten können. Die Corona Krise hat ihre Studien unterbrochen. Wann die Arbeiten an den vielen tausend Dokumenten wieder beginnen, ist wegen „Corona“ unklar.
Aber immerhin: Ein paar Tage hat Prof. Hubert Wolf Zugang gehabt zu einigen bislang unbekannten Dokumenten über das Verhältnis Pius XII. zu den Juden bzw. zum Holocaust.
Diese ersten, „wenigen“ Erkenntnisse sind bemerkenswert. Etwa: Prof. Wolf hat Dokumente gefunden, die den Papst erreichten von der Auslöschung des Warschauer Gettos, Pius XII. hat das Schreiben am 27.9.1942 gelesen. Dieser Text wurde vom Vatikan in der Publikation einiger ausgewählter Dokumente unterdrückt. „Stattdessen behauptete der Vatikan Jahrzehnte lang, es werde der Öffentlichkeit nichts verheimlicht“, heißt es in dem Pressetext zu dem Film, an dem Hubert Wolf als Interview-Partner zur Verfügung stand. Das war also die Methode der offiziellen Reinwaschung des Vatikans. Eigentlich keine Sensation für kritische Beobachter.

5.
Einige zentrale weitere Erkenntnisse werden in dem Dokumentarfilm „Die Geheimnisse der Akten“ (ARD 18.5.2020, Ein Film von Lucio Mollica und Luigi Maria Perotti) vorgestellt. Und diese Erkenntnisse bestätigen den Gesamteindruck, den Wissenschaftler und kritische Publizisten zu dem Thema schon längere Zeit hatten: Pius XII. sah im Kommunismus/Bolschewismus die ungleich größere Gefahr für die Menschheit und vor allem für die Kirche als den Faschismus und Nationalsozialismus. Warum? Der Kommunismus war für ihn – sichtbar in der Sowjetunion – kirchenfeindlicher als der Faschismus/Nationalsozialismus. Mit dem Hitler Regime wollte der Vatikan sogar ein Konkordat abschließen. Das tat er auch, schon 1933, unter Federführung des Kardinalstaatssekretärs Eugenio Pacelli (der spätere Papst Pius XII.) Er glaubte, dieses faschistische Regime könne freundlich sein zur katholischen Kirche. Hitler war getaufter Katholik, er ist nie aus der Kirche ausgetreten. Er hat immer Kirchensteuer bezahlt. Als absoluter „Führer“ bewunderte die hierarchische Struktur der römischen Kirche mit dem „summum pontificem“, dem obersten Pontifex, dem „unfehlbaren“ Papst, an der obersten Spitze.
Auf das Wohlergehen der katholischen Kirche kam es also dem Papst absolut und entschieden an. „Katholiken und katholische Kirche zuerst“ könnte man – einen heutigen Slogan variierend – die grundlegende Haltung Pius XII. nennen.
Diesem Projekt galt alles diplomatische Taktieren des diplomatisch sehr versierten Papstes. Die Rettung der Juden war dann automatisch zweitrangig. Man denke daran, dass in der offiziellen Theologie und etwa in den Karfreitagsgottesdiensten die Juden als treulose Gesellen und als Mörder Jesu Christi dargestellt wurden, als „Gottesmörder“.

6.
Die jüdische Philosophin Edith Stein, später Karmeliternonne und als „getaufte Jüdin“ ins KZ verbracht, hatte schon Anfang April 1933 Papst Pius XI. geschrieben und ihn dringend aufgefordert, für die Rettung der bedrohten Juden öffentlich mit der Bedeutung seines Amtes einzutreten. Diesen Brief hat Pius XI. gelesen. Aber er hat ihn nicht beantwortet. Edith Stein starb im KZ Auschwitz. Sie wurde 1998 heilig gesprochen. Die deutschen Bischöfe verfassten aus diesem Anlass ein „Hirtenwort“ am 11. Oktober 1998, darin wird der genannte Brief Edith Steins an Papst Pius XI. nicht einmal erwähnt! Hingegen wird ihre Konversion vom Judentum zum Katholizismus in höchsten Tönen gelobt.
Ein Wort der Entschuldigung des Vatikans für den nachlässigen Umgang mit dem Brief Edith Steins an Pius XI. ist mir nicht bekannt.

7.
Pius XII. wurde im Jahr 1942 mit wichtigen Texten und Dokumenten konfrontiert, von hochrangigen Politikern, wie Staatspräsident Franklin D. Roosevelt, von der jüdischen Organisation „Jewish Agency for Palestine“ und auch von katholischen Bischöfen. Sie alle dokumentierten die mörderischen Aktionen der Nazis gegenüber den europäischen Juden. Auch der katholische Erzbischof von Lemberg beschrieb dem Papst die Gräueltaten der Nazis.
Der Papst war also informiert über das wahre Ausmaß der Massenmorde durch die Nazis. Aber er reagierte nicht. Lediglich unbemerkt von der Öffentlichkeit war er bereit, etwa 4.000 jüdische Mitbürger Roms (von etwa 40.000) vor der Deportation zu schützen, sie fanden Zuflucht in römischen Klöstern. Aber diese Zuflucht organisierte nicht er, sondern ganz großartig der – in Deutschland bsi jetzt nahezu unbekannte – Kapuzinerpater aus Frankreich, Frère Marie –Benoit, der in Rom damals lebte. Er, dieser mutige und menschliche Kapuziner, wurde von Juden später ganz offiziell „frère des juifs“ genannt. Es wäre bei dem Amt eines Stellvertreters Jesu von Nazareth, bekanntlich eines Juden, ganz hübsch gewesen, wenn man von Papst Pius XII: später hätte auch sagen können: Er war ein Bruder der Juden.

8.
Der enge Berater und Vertraute des Papstes, Msg. Angelo Dell Acqua besaß die Unverschämtheit, dem Papst einzureden: Jüdischen ,Zeugnissen (zum Holokaust) solle man nicht ohne weiteres trauen. Und der Papst solle gegenüber Hitler diplomatisch klug bleiben, also schweigen. Bis zum 2. Vatikanischen Konzil hatte DellAqua „als angesehener Vatikan-Beamter“ höchste Funktionen im Vatikan ausgeübt.

9.
In seiner Weihnachtsansprache 1942 beklagt Pius XII. das Leiden so vieler Menschen. Die Juden erwähnt er explizit nicht.

10.
Pius XII. hat viele Briefe von Juden erhalten, die ihn persönlich um seine Hilfe baten. Hubert Wolf betont, einigen habe er wohl geholfen. Dies ist in dem Film eine allgemeine Aussage, wollen wir hoffen, sie kann nach den bevorstehenden langen Forschungen konkret werden. Interessant und weithin unbekannt ist: Auch die heute so hoch geschätzte jüdische Dichterin Elsa Lasker Schüler hatte im Frühjahr 1940 Papst Pius XII. einen sehr herzlichen, vertrauensvollen Brief geschrieben. Die Zeitschrift Orientierung der Schweizer Jesuiten berichtete darüber im Jahr 1987 und die Autorin Beatrice Eichmann-Leutenegger behauptete, dieser Brief habe Pius XII. nicht erreicht. Dieses Schreiben Else Lasker Schülers vom Frühjahr 1940 an Pius XII. ist bewegend, absolut lesenwert! Das Vertrauen, das Else Lasker Schüler in den Papst setzte, ist beschämend: Welch ein sympathisches Verhältnis einer Jüdin in großer Not zu einem hohen „Stellvertreter“ des Juden Jesus von Nazareth…(http://www.orientierung.ch/pdf/1987/JG%2051_HEFT%2018_DATUM%2019870930.PDF, dort Seite 199!)

11.
Es ist keine Frage: Die Historiker (Kirchenhistoriker der katholisch-theologischen Fakultät in Münster) werden weiter forschen, sicher etliche Jahre noch.
Sie werden wohl neue Details zum Verhältnis Pius XII. zu den Juden finden, und das ist wichtig.
Aber, diese Frage sei erlaubt: Werden wahrscheinlich wohl „nur“ Details erkannt werden? Oder glaubt man an eine tiefe Sinnesänderung des Papstes, irgendwann, sagen wir im Jahre 1940 oder 1941? Wären dies dann öffentliche Reden oder Predigten, so wären diese längst bekannt. Denn schon Papst Paul VI, hatte ja – zwecke Reinwaschung Pius XII., alles Interesse, einige ausgewählte, eher „positive“ Dokumente über Pius XII. herauszugeben.

Die Grundtendenz im Denken und Handeln Pius XII. gegenüber den Juden ist meines Erachtens trotz aller weiterzuführenden Forschung klar: Pius XII. hat mit der Macht und Kraft seiner Worte und seiner Institution den Juden nicht geholfen. Er ist ein Papst, der zu den Juden öffentlich schwieg. Ein von Ängsten beherrschter Diplomat, dem das Wohl der eigenen Kirche über alles ging! Dem also die Menschenrechte zweitrangig waren!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Anhang:
1.
Über den Nazifreund und Helfer höchster Nazi-Verbrecher nach 1945, Bischof Alois Hudal im Vatikan, gibt es eine umfassende Studie:
Johannes Sachslehner: Hitlers Mann im Vatikan. Bischof Alois Hudal. Ein dunkles Kapitel in der Geschichte der Kirche. Molden Verlag 2019.

2.
Der im Text erwähnte Brief Brief Edith Steins an Papst Pius XI.:

„Heiliger Vater ,
als ein Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit elf Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt.
Seit Wochen sehen wir in Deutschland Taten geschehen, die jeder Gerechtigkeit und Menschlichkeit – von Nächstenliebe gar nicht zu reden – Hohn sprechen. Jahre hindurch haben die nationalsozialistischen Führer den Judenhaß gepredigt. Nachdem sie jetzt die Regierungsgewalt in ihre Hände gebracht und ihre Anhängerschar – darunter nachweislich verbrecherische Elemente – bewaffnet hatten, ist diese Saat des Hasses aufgegangen. Daß Ausschreitungen vorgekommen sind, wurde noch vor kurzem von der Regierung zugegeben. In welchem Umfang, davon können wir uns kein Bild machen, weil die öffentliche Meinung geknebelt ist. Aber nach dem zu urteilen, was mir durch persönliche Beziehungen bekannt geworden ist, handelt es sich keineswegs um vereinzelte Ausnahmefälle. Unter dem Druck der Auslandsstimmen ist die Regierung zu „milderen“ Methoden übergegangen. Sie hat die Parole ausgegeben, es solle „keinem Juden ein Haar gekrümmt werden“. Aber sie treibt durch ihre Boykotterklärung – dadurch, daß sie den Menschen wirtschaftliche Existenz, bürgerliche Ehre und ihr Vaterland nimmt – viele zur Verzweiflung: es sind mir in der letzten Woche durch private Nachrichten 5 Fälle von Selbstmord infolge dieser Anfeindungen bekannt geworden. Ich bin überzeugt, daß es sich um eine allgemeine Erscheinung handelt, die noch viele Opfer fordern wird. Man mag bedauern, daß die Unglücklichen nicht mehr inneren Halt haben, um ihr Schicksal zu tragen. Aber die Verantwortung fällt doch zum großen Teil auf die, die sie so weit brachten. Und sie fällt auch auf die, die dazu schweigen.
Alles, was geschehen ist und noch täglich geschieht, geht von einer Regierung aus, die sich „christlich“ nennt. Seit Wochen warten und hoffen nicht nur die Juden, sondern Tausende treuer Katholiken in Deutschland – und ich denke, in der ganzen Welt – darauf, daß die Kirche Christi ihre Stimme erhebe, um diesem Mißbrauch des Namens Christi Einhalt zu tun. Ist nicht diese Vergötzung der Rasse und der Staatsgewalt, die täglich durch Rundfunk den Massen eingehämmert wird, eine offene Häresie? Ist nicht der Vernichtungskampf gegen das jüdische Blut eine Schmähung der allerheiligsten Menschheit unseres Erlösers, der allerseligsten Jungfrau und der Apostel? Steht nicht dies alles im äußersten Gegensatz zum Verhalten unseres Herrn und Heilands, der noch am Kreuz für seine Verfolger betete? Und ist es nicht ein schwarzer Flecken in der Chronik dieses Heiligen Jahres, das ein Jahr des Friedens und der Versöhnung werden sollte?
Wir alle, die wir treue Kinder der Kirche sind und die Verhältnisse in Deutschland mit offenen Augen betrachten, fürchten das Schlimmste für das Ansehen der Kirche, wenn das Schweigen noch länger anhält. Wir sind auch der Überzeugung, daß dieses Schweigen nicht imstande sein wird, auf die Dauer den Frieden mit der gegenwärtigen deutschen Regierung zu erkaufen. Der Kampf gegen den Katholizismus wird vorläufig noch in der Stille und in weniger brutalen Formen geführt wie gegen das Judentum, aber nicht weniger systematisch. Es wird nicht mehr lange dauern, dann wird in Deutschland kein Katholik mehr ein Amt haben, wenn er sich nicht dem neuen Kurs bedingungslos verschreibt.
Zu Füßen Eurer Heiligkeit,
um den Apostolischen Segen bittend
Dr. Editha Stein
Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik
Münster/W.
Collegium Marianum
Stimmen der Zeit (2003) 147-150, https://www.herder.de/stz/wiedergelesen/der-brief-an-papst-pius-xi/

Rolf Hochhuth gestorben, “Der Stellvertreter” ist sein bleibendes Verdienst!

Ein Hinweis von Christian Modehn

Ich empfehle auch meinen ausführlicheren Essay zum selben Thema, publiziert am 2.2.2019. LINK
1.
Hier geht es nicht um eine globale Würdigung des Autors Rolf Hochhuth. Hier geht es nur darum, noch einmal deutlich seine entscheidende historische Leistung anzuerkennen: Sein Theaterstück „Der Stellvertreter“: Die Uraufführung fand am 20.Februar 1963 im Berliner „Theater am Kurfürsten- Damm“ statt (damals das Haus der „Freien Volksbühne“ Erwin Piscators). Hochhuths Stück, gleichermaßen bewegend und politisch provozierend, fand weltweite Beachtung. Seit der Zeit ist sozusagen der Schein des Heiligmäßigen an Papst Pacelli, Pius XII., definitiv beseitigt, selbst wenn immer noch einige Katholiken von vorgestern für die Heiligsprechung dieses Papstes eintreten. Sebastian Hafner schrieb im STERN am 7.4.1963 sehr treffend: „Die Geschichte wird Pius XII. kennen als den Papst, der schwieg“. Er schwieg zur systematischen Ausrottung der Juden, selbst wenn er einigen Juden in Rom das Leben rettete. In seinen allgemein gehaltenen, diplomatisch abwägenden Ansprachen in Kriegszeiten war von Holocaust und Vernichtung der Juden keine Rede. .
2.
Der SPIEGEL veröffentlichte am 25.12.1963 eine Liste der „meistverkauften Neuerscheinungen“. Da befand sich unter „Belletristik“ an erster Stelle, erwartungsgemäß, „Der Stellvertreter“. In der Rubrik „Sachbücher“ , bezeichnenderweise möchte ich sagen, der damals auch heftig diskutierte Essay von Carl Amery „Die Kapitulation. Oder deutscher Katholizismus heute“. Tatsächlich hatten weiteste Kreise des Katholizismus auch vor Hochhuths Theaterstück „Der Stellvertreter“ kapituliert. Sie hatten geistig kapituliert und alle Energien auf die Apologetik gelenkt und dabei die Chance vertan, einen neuen kritischen Blick auf Papst Pius XII. zu wagen. Die allermeisten Katholiken haben sich polemisch verschanzt und wollten wie üblich, das gute und heilige Image der Kirche schützen. Nun sind seit einigen Wochen die Archive des Vatikans, bezogen auf diese Jahre, endlich zugänglich geworden. Der Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf (Münster) hatte Gelegenheit, mit seinem Team einen ersten Blick ins Archiv zu tun. Er musste gleich am ersten Forschungstag feststellen, dass in bisherigen offiziellen katholischen Publikationen einige Dokumente unterschlagen wurden. In der vatikanischen Publikation „Actes et Documents” ist, so Wolf, ein entscheidendes Dokument über den Holocaust nicht enthalten: “In dem wird belegt, dass der Heilige Stuhl die Informationen einer jüdischen Organisation über die Ermordung einer halben Million Juden innerhalb eines halben Jahrs in der Ukraine durch eigene Quellen – nämlich Äußerungen des damaligen katholischen Erzbischofs Andrej Szeptyzkyj in der Ukraine – bestätigen kann.”
3.
Was auch immer noch an Details über das Verhältnis Pius XII. zu den Juden und zur Auslöschung der Juden, zum Faschismus in Italien und Deutschland, zum Kommunismus bzw. Bolschewismus entdeckt werden mag: Wird sich etwas Grundlegendes ändern an dem schon jetzt klaren Faktum, das nicht zu leugnen ist: Dass Pius XII. tatsächlich zu allererst das Überleben seiner Kirche retten wollte und nicht das Überleben von Juden. Dass er also kirchliches Wohl über menschliches Wohl stellte. Sebastian Hafner hat recht, wenn er in dem genannten Artikel fragt: “Darf ein Papst nur Politiker sein?“ Also nur diplomatisch prüfen, was der eigenen, der katholischen Sache dient? Und Hafner schreibt die wahren und deswegen wohl immer bedenkenswerten Sätze, die auch über alle aktuellen Archiv-Arbeiten im Vatikan hinaus gültig bleiben: „Der Papst kann nicht jeden retten. Aber es war seine Aufgabe zu verhindern, dass die Christenheit im wörtlichen Sinne zum Teufel ging: Dass mitten in seinem Abendland von Christen Satanswerk größten Ausmaßes getan wurde, mit dem nicht nur Deutschland, sondern die ganze Christenheit für immer befleckt bleiben wird“ (Dieser Beitrag ist noch nachzulesen in dem von Fritz J. Raddatz herausgegebenen Buch „Summa Iniuria. Durfte der Papst schweigen?“, RORORO, 1963. Das Buch ist antiquarisch noch zu haben!) Und vergessen wir nicht, was der kluge und universal gebildete Historiker Friedrich Heer (Wien) in dem genannten Buch schreibt, „dass dieser Papst kein Freund der Demokratie war, wie Heinrich Brüning (Reichskanzler, Zentrumspolitiker) bekennt“. Und Heer erinnert daran, „dass nicht wenige hohe Mitarbeiter der Kurie … in Hitlers Krieg gegen Russland eine mögliche Befreiung vom Kommunismus sahen“ (S.118). Der Kommunismus als der allergrößte Feind noch vor dem Faschismus: An diesen Denkzwang hat sich die Kirchenführung immer gehalten, man denke an die Verfolgung und Ermordung von Befreiungstheologen, die den Anschein weckten, „Kommunisten“ zu sein. Diese Verfolgung leistete der Vatikan in enger Absprache mit der US Administration… Insofern hat sich also seit Pius XII. nichts geändert.
4.
Am 13. Mai 2020 ist Rolf Hochhuth im Alter von 89 Jahren gestorben. Ein großer Autor, dem viele dankbar sind … für seinen Einsatz zugunsten der Aufklärung, also zugunsten der „lumière“ wie man in Frankreich Aufklärung nennt, also fürs Licht und die Wahrheit.
Aber die Kirche als Institution hat nicht viel gelernt seit der Zeit: Der Erhalt und das auch materielle Wohlergehen der Institution, beherrscht vom Klerus, ist und bleibt ihr wichtiger als der Einsatz für die bedrohten Menschen. Caritas und Diakonie sind bloß „Abteilungen“ der Kirche. Aber sie sind nicht “die” Kirche, machen nicht ihr Wesen aus, das Wesen einer von Jesus von Nazareth inspirierten Bewegung, als eine die Menschen liebende (Caritas) und dienende (diakonische) Kirche.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Pius XII. und sein diplomatisches Schweigen

Einige Hinweise von Christian Modehn am 2.2.2019

Am 2. März 2019 sind es 80 Jahre her, dass Kardinal Eugenio Pacelli zum Papst gewählt wurde. Er nannte sich Pius XII. Es ist klar, dass anlässlich dieses halbwegs „runden Gedenktages“ wieder viele offiziell – katholische apologetische Statements vom Vatikan aus verbreitet werden, Statements und Bücher, die seit 1945 schon dem Motto folgen: „Pius XII. hat es doch so gut gemeint“. Und wieder ist zu erwarten, dass das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth (1963) verantwortlich gemacht wird für diese in vatikanischer Sicht böse Einstellung einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber einem Papst, der schon seit 1965 „selig gesprochen“ werden soll. Aber es klappt nicht so recht, diese heilig mäßige Vorbildlichkeit Pius XII. wirklich zu erweisen.

1.Warum ist es wichtig, erneut kritisch an Papst Pius XII. (Papst von 1939 – 1958) zu erinnern? Weil die „Seligsprechung“ dieses Papstes immer noch betrieben wird, er könnte also als „himmlischer Helfer“ und allgemeines Vorbild bald mit offiziellem Segen verehrt werden. Dieser Seligsprechungsprozess wurde bereits 1965 (!) eröffnet. Offenbar tun sich die forschenden Prälaten doch etwas schwer mit der heilig mäßigen Vorbildhaftigkeit des Papstes Pacelli (Pius XII.) Es findet sich halt niemand, der durch die Anrufung des Pacelli Papstes wunderbar gesund wurde, dieses Wunder ist ja eine übliche Voraussetzung für eine Seligsprechung…

2.Warum ist das Thema Pius XII. und die Juden gerade heute so wichtig? Weil am Beispiel Pius XII. deutlich wird, wie eine extreme Fixierung auf das Wohl der Kirche eine humane Katastrophe nicht verhindern kann. Und diese Fixierung auf das Wohl und das Ansehen der „Amtskirche“ ist bis heute oberstes Dogma des Klerus.

3.Die zentrale Frage ist: Wie hat sich Pius XII. in seinem Tun und nicht bloß in seinen diplomatisch moderaten, manche sagen verklausulierten Reden und Botschaften gegenüber den Nazis und den Faschisten, auch in Italien, Kroatien, Spanien etc., de facto verhalten?

4.Nach wie vor muss man wohl sein persönliches Engagement (nicht das mutige Engagement einiger Priester in Rom!) zugunsten der verfolgten Juden, selbst in Rom) tatsächlich als sehr schwach einschätzen. Dies ist wohl allgemeiner Konsens und Erkenntnisstand bei allen, die nicht den apologetischen Schriften aus Vatikan-abhängigen Kreisen folgen. Die Herren im Vatikan wissen wohl genau, warum die „Geheimarchive“ des Vatikans zu Pius XII. für die Zeit nach 1939 immer noch nicht zugänglich sind. Schon 2011 wurde die Zusage verbreitet, dieses Geheimarchiv werde 2015 zugänglich. Ist es aber auch 2019 nicht! So haben spekulative Überlegungen der Apologeten immer noch ihre Blütezeit, wenn sie lang und breit etwa der mit vernünftigen Gründen gar nicht zu klärenden Frage nachgehen: „Was wäre denn passiert, wenn Pius XII. tatsächlich den Judenmord öffentlich und lautstark verurteilt hätte?“ Die Antwort der Apologeten heißt: (dabei missachten sie als Papst-Fans total die herausragende politisch-diplomatische Bedeutung des Papstes): Papst Pius XII. hätte die Verfolgung und Ausrottung der Juden durch seinen öffentlichen Protest noch schlimmer gemacht. 2017 hat sogar noch Papst Franziskus in einem Interview für die Zeitung „La Vanguardia“ (Barcelona) Pius XII. diese allgemeinen Reinwaschungen Pius XII. verbreitet. Franziskus wiederholte: Papst Pius XII, selbst (und nicht etwa einige mutige Priester) hätte Juden in Rom persönlich gerettet; das mag am Beispiel von Castel Gandolfo so sein. Nur waren dies anerkennenswerte caritative Taten zugunsten einzelner Personen. Diese Hilfe erschütterte nicht das mörderisches System der Nazis und Faschisten. Papst Franziskus sagte also: „Escondió a muchos en los conventos de Roma y de otras ciudades italianas, y también en la residencia estival de Castel Gandolfo. Allí, en la habitación del Papa, en su propia cama, nacieron 42 nenes, hijos de los judíos y otros perseguidos allí refugiados. No quiero decir que Pío XII no haya cometido errores -yo mismo cometo muchos-, pero su papel hay que leerlo según el contexto de la época“ („Er hat viele (Juden) in den Klöstern von Rom und in anderen italienischen Städten versteckt, und auch in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo. Dort, in der Wohnung des Papstes, in seinem eigenen Zimmer, kamen 42 Kinder zur Welt, Kinder von Juden und Kinder von anderswo Verfolgten. Ich will nicht sagen, dass Pius XII. keine Irrtümer begangen hat – ich selbst begehe auch viele – aber seine Rolle muss verstanden werden im Kontext der damaligen Epoche“) (http://www.alfayomega.es/25413/entrevista-del-papa-en-la-vanguardia-para-mi-la-gran-revolucion-es-ir-a-las-raices)

5.Diese Behauptung, Pius XII. habe persönlich Juden versteckt, wird seit Jahren mit guten Gründen angezweifelt, sie ist klerikale Propaganda. Der Holocaustüberlebende und Publizist Noah Kliger in: NTV 18.1.2010: „Es müssten nur ein “paar kleine Fragen” beantwortet werden: “Wie viele Juden hat Pius XII gerettet? Hat er sie im Vatikan oder in seinem Sommerpalast versteckt? Was waren ihre Namen? Warum hat kein einziger Überlebender jemals darüber berichtet und auch keiner von deren Angehörigen? Warum geht der Papst nicht auf solche nebensächlichen Fragen ein? Dem Papst Pius XII nahe stehende Personen hätten sich niemals zu dessen vermeintlichen Rettungsaktionen geäußert“.

6.Was macht das Thema „Pius XII. und die Juden“ heute wieder „besonders“ aktuell? Es ging Papst Pius XII. entscheidend darum, zuerst und absolut vor allem darum, das Wohl der Kirche als Institution und das Wohl der Katholiken zu schützen. „Church first“, würde man heute sagen! Nicht etwa „Humanity and human Rights first“ war sein praktisches Leitprinzip. Diese Erkenntnis kann sich auf viele Historiker, wie etwa Saul Friedländer, berufen. Über dessen Buch „Pius XII. und das Dritte Reich. Eine Dokumentation. Mit einem aktuellen Nachwort“, 2011, schreibt der katholische Theologe und Historiker Klaus Kühlwein vom Bildungswerk der Erzdiözese Freiburg i.Br. in der wissenschaftlichen Website https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-16575: „In seinem langen Nachwort geht der Autor Saul Friedländer der Frage nach, welche Erklärungen es gibt für die ausgesprochen politische Passivität Pius XII. gegenüber NS-Deutschland und dem Holocaust. Im Wesentlichen sieht Friedländer dafür drei Gründe. Erstens: Pius verteidigte nur die Interessen der Kirche und blieb daher strikt neutral. Zweitens: Pius wollte die Ausbreitung des Kommunismus in Ost- und Mitteleuropa verhindern und drittens: Pius war antisemitisch eingestellt. Alle drei Gründe sind nicht neu – man denke nur an Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ (1963) –, aber sie sind nach wie vor hoch brisant. Das gilt ganz besonders für den Vorwurf des Antisemitismus“.

7.Genau diese Fixierung, einen guten Eindruck von der katholischen Kirche zu erhalten, sie als klerikale Organisation unbedingt in der überlieferten Gestalt zu erhalten, ist bis heute für die Kirchenführer gültig: Diese Theologie wird seit etlichen Jahren deutlich und in Zukunft noch mehr sichtbar in den bischöflichen (und päpstlichen Aktionen) der Verschleierung des sexuellen Missbrauchs durch Priester an Kindern und Jugendlichen. Nicht diese Priester wurden von der Hierarchie bestraft und den (weltlichen) Gerichten übergeben, sondern die Opfer wurden ignoriert und nicht respektiert. Das Schweigen und Verschweigen war auch hier (wie bei Pius XII.) die allgemeine klerikale Haltung.

8.Es ist wohl diese katholische Ursünde, immer zuerst an das äußere Wohl und die Privilegien der Kirche zu denken, die auch Pius XII. wie selbstverständlich lebte. Er war ja „eigentlich“ der so genannte Stellvertreter des Propheten Jesus, der die Humanität über alle religiösen Gesetze stellte. Aber bezeichnenderweise nennt sich ein Papst immer „Stellvertreter Christi“, also Stellvertreter des zu einem Gottmenschen Christus „ummodelierten“ Jesus von Nazareth, der Papst nennt sich nicht „Stellvertreter des Propheten Jesus von Nazareth“. Würde er sich auf Jesus bezogen nennen, wäre er der Menschlichkeit zuerst verpflichtet, eben auch dem Schutz und der öffentlichen Verteidigung der Juden. Aber wir haben es hier mit dem glanzvollen Christus zu tun, in dessen Glanz sich der Klerus „auferbaut“.

9.Im Juli 1933 schloss der Vatikan mit Hitler das (bis heute in der Bundesrepublik geltende) Reichskonkordat. Die Kirchenführer waren froh, dass ihnen Hitler katholischen Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in den Schulen erlaubte; die Existenz der katholischen Vereine sicherte; die Erhebung der Kirchensteuer versprach (von denen ein Teil zum Vatikan fließt). Also „church first“ als volles Programm! Aber die Kirchenführer verpflichteten sich, an Sonntagen und gebotenen Feiertagen „im Anschluss an den Hauptgottesdienst […] für das Wohlergehen des Deutschen Reiches und Volkes“ zu beten (Artikel 30)… Dieses Gebet entfällt heute…

10.Im Kommunismus sah Pius XII. das schlimmste Übel der Weltgeschichte. Wobei noch zu überprüfen wäre, wie stark auch Pius XII. der allgemein verbreiteten bürgerlichen/christlichen Ideologie folgten, „der Marxismus und der Kommunismus seien wesentlich jüdisch geprägt“… Diese absolute und pauschale und dann auch undifferenzierte Ablehnung alles Sozialistischen und Kommunistischen bestimmt das Denken der katholischen Kirchenführung bis heute: Kommunisten wurden von Pius XII. exkommuniziert. Hitler wurde als Katholik nie exkommuniziert, auch keine katholischen Nazis wie Himmler oder Goebbels. Die korrupte, aber hierarchie-hörige Democrazia Cristiana wurde dann in Italien die ewig regierende Klerus Partei.

11.Mit der Abwehr des Kommunismus war ein diplomatisches Jonglieren des Papstes zugunsten Hitlers und damit zuungunsten der Juden verbunden. „Namentlich Nuntius Pacelli wünschte während der Weimarer Republik ein Zusammengehen der katholischen Zentrumspartei mit den deutschnationalen Verfassungsfeinden. Koalitionen von Katholiken mit der Sozialdemokratie waren ihm ein Gräuel“. (Peter Bürger: https://www.heise.de/tp/features/Pius-XII-Ein-Fall-fuer-die-Propaganda-perfidei-3388258.html)

12.Demgegenüber war der Faschismus und das Hitler-Regime für Pius XII. eher nur ein geringeres, „vorübergehendes Übel. Vielleicht hätte – in der Sicht Pius XII. – Hitler dem Todfeind Kommunismus gar Einhalt gebieten können? Dass der Papst bei dieser seiner eher milden Haltung gegenüber den Nazis es hinnahm, dass Millionen Juden durch das Hitler Regime ermordet wurden, deutete er selbst wohl als schlimmen, subjektiv sicher bedauerlichen Nebeneffekt seiner Kirchen-Politik. Weil sich Faschisten gern religiös und sogar katholisch zeigten, fiel das päpstliche Urteil den Faschisten gegenüber immer milde aus. Pius XII. glaubte, in Kooperation mit den Faschisten die Kirche als Institution retten zu können.

Man bedenke nur, wie Pacelli auf das großartige Attentat von Georg Elser inszeniert im Bürgerbräu zu München am 8. November 1938 : „So müssen wir der Vorsehung (!) Gottes dankbar sein, dass der Führer glücklich gerettet wurde“. In diesem Sinne hat auch Kardinal Pacelli von Rom aus durch den Apostolischen Nuntius in Berlin Hitler seine persönlichen Glückwünsche für seine Errettung übermitteln lassen“. (Zit. auf S. 219 in „Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen“. Heidelberg 1980, in dem Beitrag von Hermann Greive. Er bezieht sich auf das Zitat im Buch Gerhart Binder, Irrtum und Widerstand , dort S. 373)

Ein tiefsitzender Antisemitismus bestimmte schon Kardinal Pacelli:

„Es gab in Rom sozusagen ein antisemitisches, katholisches Zentralorgan, die Zeitschrift „Civiltà Cattolica“ unter Leitung der Jesuiten. Diese Zeitschrift wurde von Kardinalstaatssekretär Pacelli ab 1930 redaktionell streng geführt. Was dort gedruckt wurde, bedurfte seiner Zustimmung – nach genauer Lektüre versteht sich. Geradezu gespenstisch mutet etwa ein Beitrag in der Herbstausgabe 1938 an, der die Rassengesetze in Italien kommentierte. In ihm werden die Juden als „fremde Nation“ unter den Nationen bezeichnet.Weiter heißt es: Die Juden wären ein „geschworener Feind“ hinsichtlich des Wohlergehens des christlichen Volkes und gegen das jüdische Volk seien strenge Maßnahmen erforderlich, um es „unschädlich zu machen“. Die Moral des jüdischen Talmud widerspreche „den elementarsten Prinzipien der natürlichen Ethik“. Und in einem Grundsatzartikel („Die jüdische Frage und die Civiltà Cattolica“) warnte Pater Rosa SJ vor den subversiven Umtrieben der Juden, welche die Grundlagen von Gesellschaft und Kirche untergraben würden. In den letzten Jahrzehnten habe sich schon auf vielen Gebieten schmerzvoll gezeigt, wie unheilvoll der verschwörerische Pakt zwischen Juden und Freimaurern im Untergrund wühle und die kulturellen Werte des christlichen Abendlandes zerstöre. Was ist bloß in Kardinalstaatssekretär Pacelli gefahren, dass er solche Äußerungen als halboffizielle Stellungnahme des Vatikans absegnete? Für die üblen Ausfälle gegen Juden und das Judentum in den zahlreichen Artikeln der Civiltà Cattolica entschuldigte sich übrigens der leitende Redakteur De Rosa SJ öffentlich im Rahmen der Feierlichkeiten zum hundertfünfzigjährigen Bestehen der Zeitschrift im Jahre 2000“. (Klaus Kühlwein)

13.Pius XII. war ein Papst, der vieles über die Ermordung der Juden wusste, aber öffentlich und laut und deutlich vernehmbar nicht protestierte, sondern schwieg.

Am 26. Juli 1942 veröffentlichte Kardinal de Jong, Niederlande, einen Hirtenbrief, in dem die niederländischen Bischöfe in aller Deutlichkeit den Mord an den Juden durch die Nazis kritisierten. „Erzbischof de Jong unterrichtete Pius XII. über die Verbrechen an den Juden in den Niederlanden und versuchte, den Papst zu bewegen, die Judenvernichtung öffentlich und offen (nicht nur implizit) zu verurteilen“. (Quelle : wikipedia Kardinal de Jong, mit Hinweis auf eine Studie. Theo Salemink: Die zwei Gesichter des katholischen Antisemitismus in den Niederlanden. Zürich, 2000).

Weder der Papst noch der Nuntius in Holland haben diesen Aufschrei der niederländischen Bischöfe öffentlich unterstützt. Heute wird von Vatikan-Apologeten behauptet: “Dieser Hirtenbrief habe die Verfolgung von Juden in Holland nur verstärkt“. ABER, wenn das denn so eindeutig stimmt: Diese Verfolgung wäre nicht passiert, wenn Pius XII. öffentlich die niederländischen Bischöfe unterstützt hätte? Mit dieser Ausrede des Vatikans “ließe sich am Ende jede Unterlassung rechtfertigen, weil niemand mit Sicherheit vorhersagen kann, welche Folgen ein Wort oder eine Tat zeitigen werden”(Georg Denzler, Widerstand oder Anpassung?, Piper Verlag 1984, S. 69).

Am 16. Juli 1943 wurde dem Papst ein Dokument vorgelegt über die KZs Auschwitz und Treblinka. Eine öffentliche Verurteilung wurde nach der Lektüre vom Vatikan nicht ausgesprochen, der Grund sei gewesen, berichtet der Journalist und Historiker Nino lo Bello, „der Vatikan habe den Wahrheitsgehalt dieser Berichte nicht identifizieren können“. (S. 31, in: Kreuzfeuer, München, 1991). Was für eine Lüge des Vatikans: Kaum eine Institution in Europa war besser über die Verbrechen Hitlers informiert als der Vatikan.

Im Oktober 1943 wurde, so wird immer wieder dokumentiert, „unterhalb der Fenster des Papstes“ die Deportation von über 1000 Juden aus Rom vollzogen.

WER organisierte die katholische Hilfe für verfolgte Juden in Rom? Es waren „einfache“ Priester und „normale katholische Laien“, nicht aber die Herren Kleriker im Vatikan, obwohl nach 1945 von deren Seite alles getan wurde, Pius XII. als den so heilig mäßigen aktiven Judenretter in Rom darzustellen. Dabei hat der deutsche Jesuit Pater Robert Leiber aktiv mitgetan. Er bezeichnete säkulare, jüdische Hilfsorganisationen tatsächlich als päpstliche Hilfsorganisationen, wie Delasem oder Opera di San Raffele, er machte sie zu päpstlichen Initiativen zum Schutz der Juden, was objektiv nicht stimmt (Nino Lo Bello, S. 37). Protestbriefe gegen diesen in der Jesuitenzeitschrift „Civilita Cattolica“ verbreiteten Unsinn durch jüdische Gemeinden wurden selbstverständlich nicht abgedruckt…

14.Es wäre an der Zeit, dass sich Jesuiten heute öffentlich und kritisch mit diesem Jesuitenpater Leiber auseinandersetzen, der zudem in der Debatte um das Theaterstück „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth durch polemische und falsche Äußerungen auffiel. Pater Leiber erhielt – wer ahnt es nicht unter den Bedingungen der alten Bundesrepublik – 1960 den Großen Verdienstorden der Bundesrepublik; 1962 auch noch den Bayerischen Verdienstorden.

15.Aktiver Helfer und Beschützer der Juden in Rom war etwa der Kapuziner Pater Maria Benedetto, mit bürgerlichem Namen Pierre Péteul, er galt in Rom, vor allem bei den Juden, nur als der „Judenpriester“. Er hat gesehen, dass vom Vatikan keine Hilfe geleistet wurde, hat dann in seinem Kloster in der Via Sicilia/Via Veneto einen „Festen Stützpunkt der Hilfe“ eingerichtet. 1955 ehren ihn italienische Juden offiziell und öffentlich: “Seine Rettungsaktionen waren ohne Beispiel…“, sagten sie. Der Vatikan bzw. der Papst wurden in der Berichterstattung etwa als „weitere Vorbilder“ schon gar nicht erwähnt. „Die italienischen Juden, praktisch bis zum letzten Mann und der letzten Frau Überlebende des Holocaust, waren und sind fast einhellig der Auffassung, dass sich der Vatikan unmoralisch verhalten hat, als der Krieg zu Ende war und das Lob (der Judenretter zu sein) verteilt wurde. Der Vatikan ließ Pater Benedetto keinerlei Anerkennung zuteil werden, und er starb (1990 in Angers, Frankreich), er war der Welt ein Unbekannter, den Juden ein Held“ (ebd. , S 31). Und es ist, nebenbei, ein Schande, dass viele ultrafromme Katholiken lieber den Kapuziner (und Mussolini Freund) Pater Pio, sogar noch heilig gesprochen, verehren: Er war ein Scharlatan mit seinen selbst gemachten Wundmalen Christi an den Händen. Heute aber kennen die Italiener nicht einmal den Namen des großen Padre Benedetto, des „Priesters der Juden“…Warum wird er nicht heilig gesprochen? Schon möglich, dass eines Tages der Vatikan so unverschämt ist und Padre Benedetto, den Judenpriester, zusammen mit Papst Pius XII. heilig spricht? Zuzutrauen wäre es den Herren im Vatikan schon…

16.Die Sympathien von Pius XII. galten faschistischen Regimen in Kroatien usw.

In dem neu gebildeten Staat Kroatien (von 1941 -1944) herrschten katholische rechtsextreme Fanatiker, sie waren in der Ustascha-Bewegung präsent. Viele tausend orthodoxe Serben, auch Juden, wurden von katholischen Faschisten umgebracht, auch in Konzentrationslagern. Etliche katholische Priester unterstützten heftigst die USTASCHA-Organisation. Branko Bokun (Jugoslawisches Rotes Kreuz) versuchte, persönlich im Vatikan die Kirchenführer, auch den Papst, zu erreichen, um sie auffordern: Sie sollten das Morden der katholischen Faschisten in dem katholischen Land Kroatien verbieten. Das aber geschah nicht. Bokun wurde noch nicht einmal zu Msgr. Montini (dem späteren Paul VI.) vorgelassen. Der Papst ließ die katholisch – faschistischen Mörderbanden gewähren. „Nach dem Ende des Krieges zeigte niemand besonderes Interesse für diese furchtbaren Ereignisse, auch der Vatikan erwähnte das Chaos in Kroatien mit keinem Wort…“( Nino Lo Bello, Der Vatikan und die Juden, S. 27, in: „Kreuzfeuer“, München 1991).

Auch das Pétain-Regime in Frankreich, diese Kollaboration mit den Nazis, wurde von Pius XII. gestützt! Das Vichy-Regime von Pétain, “das Pius XII. dadurch anerkannt hatte, dass er seinen Nuntius (Valerio Valeri) bis zum Ende (1944) nicht zurückzog“ (W.D.Halls, Französische Christen und die deutsche Besatzung, in Kollaboration in Frankreich, 1991 Fischer –Verlag, S 108).

17.Der Antisemitismus von Papst Pius XII. saß tief, wie sollte es anders sein, so dachten doch auch die meisten Kleriker.

„Am 24. Dezember 1942, als im Vatikan kein Zweifel mehr an der laufenden Ermordung der europäischen Juden bestehen konnte, klagte Pius XII. in seiner Ansprache vor Kardinälen und Bischöfen über Jerusalems “Weg der Schuld bis zum Gottesmord”. Noch am 29. Juni 1943 predigte der über die Shoa gut unterrichtete Papst dann in seiner Enzyklika “Mystici corporis“, das jüdische Gesetz sei todbringend [sic!] geworden und Israels einstiges Gnadenvlies müsse nunmehr trocken bleiben. (Peter Bürger a.a.O. Sehr lesenswert ist das Buch von Peter Bürger, Pro Judais, bes. S. 26-31, http://friedensbilder.de/projudaeis/buerger-pro-judaeis2009.pdf

18.Viele Juden in Rom waren nach Ende des Krieges gar nicht einverstanden, dass einzelne Juden Papst Pius XII. als den großen Judenretter feierten. Zu den Kreisen gehörte auch der später sehr populäre Rabbiner Pinchas Lapide (siehe seine Lobeshymnen auf Pius XII. in seinem Buch: „The last three popes and the Jews“) oder Golda Meir. Nino Lo Bello schreibt: “Den Propagandisten des Vatikans ist es durchaus gelungen, das Verhalten Pius XII. gegenüber den Juden im Krieg weißzuwaschen“ (a.a.O, S 28).

19.Eine deutliche, man möchte sagen ,ideologische Nähe gab es zwischen den Diktaturen, etwa unter den Faschisten, und der Regierungsform der römischen Kirche zur Zeit Pius XII: In beiden Regierungsformen war die Bindung an Autoritäten allmächtig; das Führerprinzip gilt; Gehorsam und der Wille, sich führen zu lassen, allgegenwärtig; die Unterdrückung einer freien Forschung ebenso, man denke an die Kontrolle der Theologen unter Pius XII.; die Gleichberechtigung der Frauen ließ in beiden Systemen zu wünschen übrig; politisch/theologische Gegner wurden als Feinde betrachtet und ausgeschlossen, verfolgt, exkommuniziert. Die Angst vor neuen Entwicklungen war in beiden Regimen allgegenwärtig. Über das Verbot, bestimmte Bücher zu lesen, stehen sich ja kommunistische Regime und die katholische Kirche sehr nahe: Für die ganze katholische Weltkirche galt bis 1965 die 6.000 Bücher umfassende Liste der verbotenen Bücher: Zu denen auch Lessing, Kant usw. gehörten. Kritische Theologen, wie Pater Chenu oder Pater Congar in Frankreich, erhielten Rede – und Lehrverbot. Der Evolutionsforscher, der Jesuit Pater Teilhard de Chardin wurde förmlich von Rom und seinen Oberen verteufelt, er starb ziemlich einsam in New York und so weiter. Das System Pius XII. war, mit Verlaub, ein religiös folkloristisch aufgebauschtes System geistiger Unterdrückung.

20.Zum Profil Pius XII. gehört weiterhin sein Interesse, mit rechtsradikalen Diktaturen Konkordate abzuschließen, so mit Portugal 1940 (Salazar); mit Spanien 1953 (Franco-Diktatur), mit der blutrünstigen Diktatur von Leonidas Trujillo in der Dominikanischen Republik 1954 usw. Dem Papst war es offenbar egal, in welchen Regimen seine Kirche ihre Privilegien ausbauen konnte: Denn immer ging es (auch um finanzielle) Privilegien für die Kirche. Die Kirchenfixierung, „alles zum Wohl der Kirche(nhierarchie)“, dieses Prinzip bestimmte schon die Politik Pius XII. zur Zeit der Judenausrottung, sie setzte sich fort: Die römische Kirche sollte sich als monolithischer autoritär geführter Block in der „Brandung“ der Moderne erweisen…

21.Über die „Hilfsbereitschaft“ des Vatikans und damit Pius XII. für die Verbrecher des Nazi-Regimes wurde oft berichtet, sie äußerte sich in der Besorgung falscher Pässe für die Nazis auf dem Weg in katholische Staaten Lateinamerikas. Man spricht von der Rattenlinie. Katholische Faschisten aus Kroatien wurden via Rom nach Lateinamerika verfrachtet, mit vatikanischer hilfe. Unter den Nazis gelangten nach Lateinamerika u.a. Klaus Barbie; Adolf Eichmann; Josef Mengele, um nur ganz wenige Nazi-Verbrecher zu nennen. Fest steht, dass Pius XII. und sein enger Mitarbeiter Montini (der spätere Papst Paul VI.) dem faschistischen katholischen Bischof Hudal freie Hand ließen, die Nazis etc. in südamerikanische Gefilde der dortigen Diktatoren zu verfrachten. Auch für Angehörigen der Familie des italienischen Duce Mussolini hat sich der Vatikan eingesetzt, berichtete der deutsche Botschafter „beim heiligen Stuhl“ (also dem Vatikan) Ernst von Weizsäcker schon im Juli 1943.

22.Wer sich dieses hier nur angedeutete Porträt Pius XII. und seiner Regierung betrachtet, kann diese Zeit nur als großes Unglück für die Menschen, vor allem für die Juden, aber auch für etliche nich demokratisch gesinnte Katholiken deuten. Die Herrschaft Pius XII. war eine „bleierne Zeit“, nach außen hin sogar voller Glanz und frommer Folklore bei den Aufzügen des Papstes im Vatikan und im Petersdom. Er inszenierte sich für die vielen naiv Frommen als engelgleiche, makellose Gestalt. Aber er war nicht mehr als ein von Angst getriebener Verteidiger autoritärer, antidemokratischer und antisemitischer und antisozialistischer Prinzipien.

Diese Kritik ist selbstverständlich überhaupt nicht ignorant gegenüber den damaligen Zeitumständen. ABER: Das Bewusstsein selbst eines Papstes um 1940 war soweit entwickelt, dass er in seinem Gewissen, seinem Nachdenken, wohl spürte: Ich könnte auch anders handeln. Aber der ängstliche Pacelli tat es nicht. er war ein Kollaborateur mit den Antidemokraten und mörderischen Antisemiten.

23. Es ist wohl leider nur eine Frage der Zeit, bis dieser Papst selig und dann heilig gesprochen wird. Irgendein notwendiges Wunder für diese Prozedur wird sich schon noch konstruieren lassen. Vielleicht wurde eine alte spanische Nonne von ihrem tief sitzenden Antisemitismus als Geisteskrankheit durch die Fürsprache Pius XII. befreit und geheilt, das als Ironie am Rande… Wäre ja passend. Und es ist wahrscheinlich, dass man in dem „modernen Vatikan“ dann aus Höflichkeit gleichzeitig mit Pius XII. auch den wahrlich großartigen, bescheidenen „Juden-Priester“ Padre Benedetto selig spricht (falls man ihn im Vatikan doch nicht total vergessen hat).

P.S.

Das neue Buch von Michael Hesemann „Der Papst und der Holocaust“ kann man gern übergehen: Das Buch hat stark apologetischen Charakter: Pius XII. habe es doch so gut gemeint mit den Juden…Hesemann ist Mitglied sehr konservativer katholischer Vereine, „pro Papa“ etwa. Hesemann ist Journalist, er wurde früher als Autor parawissenschaftlicher Themen bekannt, etwa über UFOS.

Der Hauptvorwurf gegen dieses Buch, den etwa der Kirchenhistoriker Prof. Jörg Ernesti (Uni Augsburg), vorbringt, heißt: Es ist eine pure Reinwascherei von Pius XII. durch Hesemann, sie hat schon deswegen sehr wenig Bedeutung, weil das vatikanische Archiv zu Pius XII. mit Dokumenten ab März 1939 auch heute gar nicht zugänglich ist.

Die Apologeten im gut bezahlten Dienste des Vatikans und der deutschen Kirche werden weiterhin alles tun, um Pius XII. in vollem Glanz der heiligmäßigen Unschuld erscheinen zu lassen. Sie werden nicht auf ihre übliche Polemik verzichten, und etwa den Regisseur Erwin Piscator, der den “Stellvertreter” von Rolf Hochhuth als erster 1963 in West-Berlin inszenierte, “einen altgedienten Propagandisten der kommunistischen Sache” zu nennen (so noch 2009 Ingo Langner, in “Opus Iustitiae Pax”, S. 71). Diese Herren ziehen die Wahrheit des Stückes “Der Stellvertreter” auch dadurch in Zweifel, dass sie auf die Aufführungen dieses Stückes “im roten Machtbereich” des Kommunismus (so ebenfalls Langner, S. 71) hinweisen, als wären auch Lessing, Schiller, Brecht von mieser Qualität, bloß weil sie auch auf den Bühnen des “roten Machtbereichs”  aufgeführt werden. Diese Apologeten gehen aber die Argumente aus, weil sie nicht sehen können, was der große Sebastian Hafner schon 1963 schrieb: Er nannte es einen entsetztlichen Skandal, dass Pius PIUS XII. zum Massenmord an den Juden de facto SCHWIEG. Aber es war auch “seine Aufgabe, zu verhindern, das die Christentheit im wörtlichen Sinne zum Teufel ging: Dass mitten in einem Abendland von Christen Satanswerk größten Ausmaßes getan wurde, mit dem die GANZE Christentheit für immer befleckt bleiben wird”. (Das Zitat von Sebastian Hafner: “Summa iniuria”, RORORO, 1963, S. 235)Mit anderen Worten: Der schweigende Pius XII. hat durch sein Schweigen die Christenheit insgesamt innerlich verdorben. Die Christen haben bis heute Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz, Neokolonialismus nicht überwunden… Daran müßten die Kirchenleute arbeiten und sich fragen, warum das ethische humane Niveau der Christen so miserabel ist nach 2000 Jahren Predigt und Gottesdienst, warum Mord und Totschlag auch die christliche Geschichte bis heute bestimmen? Warum? Weil vernünftiger Widerspruch und Widerstand keine zentralen christlichen Tugenden sind und vernünftiger Ungehorsam nicht wichtiger ist als der übliche Gehorsam mit dem immer noch vorhandenen Untertanengeist.

“Die Geschichte wird Pius XII. kennen als einen Papst, der schwieg”. (Sebastian Hafner)

Die Herrschenden im Vatikan hatten also ihre Gründe, eine objektive, umfassende Forschung zu Pius XII. ab 1939 nicht zuzulassen. Sie haben Angst. Und fordern – wie immer wieder Papst Franziskus – „Barmherzigkeit“, eine Barmherzigkeit, die auch selbstverständlich ihnen gelten soll, den Klerikern, die eigentlich die angstfreie Menschlichkeit eines Jesus von Nazareth leben müssten. Die aber zu Kirchenfunktionären geworden sind.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin