David Hume und die Religionsphilosophie
Ein Hinweis von Christian Modehn
1.
David Hume, schreibt der Philosoph Friedo Ricken, „ist der heute in der angelsächsischen Philosophie wahrscheinlich einflussreichste Klassiker der Religionskritik“ (F. Ricken, Religionsphilosophie, 2003, S. 233). In Deutschland, so mein Eindruck, hat der schottische Philosoph David Hume (7.5. 1711 – 25.8.1776) keine allgemeine Bekanntheit oder Würdigung in „breiteren Kreisen“ gefunden. Vielleicht findet er neue Aufmerksamkeit, weil wieder stärker die Arbeiten seines Freundes Adam Smith, Philosoph und Ökonom, beachtet werden. Bestenfalls kennt man heute Hume als Vertreter des „Empirismus“, der gegen die Metaphysik alles Erkennen auf den Bereich des sinnlich Erfahrbaren begrenzte; einmal abgesehen davon, dass Hume auch als Historiker sowie als Botschaftssekretär in Paris (1763 bis 1765) und Gast der dortigen Salons von Holbach und Diderot zu würdigen ist.
2.
Nebenbei: Gegen die Metaphysik zu rebellieren ist ein hervorstechendes Kennzeichen angelsächsischer Philosophen, Das Erleben der realen Macht der Kirche und ihrer Dogmenwelten war sicher ein dauernder Impuls für den empiristisch denkenden Philosophen David Hume. Kant hat sich mit der Erkenntnistheorie Humes kritisch auseinandergesetzt.
3.
Religionsphilosophisch besonders wichtig sind die beiden Werke „Dialoge über natürliche Religion“ (posthum, 1779) und „Die Naturgeschichte der Religion“ (1757). Die „Dialoge“ sind ein kontroverser theologischer Disput (nach dem Vorbild Ciceros „de natura Deorum“).
Wenn man „Die Naturgeschichte der Religion“ in den Mittelpunkt stellt, dann fällt auf, wie Hume die philosophische Deutung der Religion von der geschichtlichen Entwicklung religiöser Praxis abhängig macht. Weil die Menschen Furcht und Angst in einer bedrohlichen Welt hatten, entstanden Religionen, so meint er, und zwar zuerst in den Gestalten des Polytheismus. Der Monotheismus ist für Hume eine spätere Erscheinung. Auch Religionswissenschaftler haben sich mit dieser historisch wohl zutreffenden Deutung befasst.
Philosophisch bzw. sogar auch theologisch ist in dem Buch das Kapitel über „Aberglaube und Schwärmerei“ besonders interessant, das Buch enthält auch Kapitel über die „Unsterblichkeit der Seele“ und den „Selbstmord“.
3.
Einige Erkenntnisse aus dem Aufsatz „Aberglaube und Schwärmerei“ sind nach wie aktuell. Polytheismus ist für Hume vor allem Aberglaube. Bemerkenswert ist, dass Hume meint, auch diesen Glauben habe „der göttliche Werkmeister seinem Werk (also den Menschen) eingeprägt“. Denn, so meint er, eine „unsichtbare, intelligente Macht gibt es in der Welt“: Diese intelligente Macht ist also auch die Ursache für Aberglaube/Polytheismus, aber auch die Ursache für den Monotheismus. Und auch für den von Hume geschätzten, allein philosophisch erzeugten „Vernunftglauben“. Er nennt diesen auch „natürliche Religion“, die unabhängig von jeder Offenbarung gedacht werden kann.
Es gibt also für Hume einen volkstümlichen Theismus (Monotheismus) UND darüber hinaus einen wertvolleren, philosophisch reflektierten Theismus der Vernunftreligion. Diese Vernunftreligion sieht in den Ereignissen der Natur eben nicht göttliche Kräfte am Wirken; sie erklärt vielmehr alles ohne einen Wunderbegriff, also allein aus natürlichen Ursachen: Deswegen werden philosophisch reflektierte Anhänger der Vernunftreligion verachtet, und vom Volk und der Kirche als Ungläubige behandelt.
4.
Den populären, also unreflektierten Theismus hält Hume sogar für gefährlicher als den alten Polytheismus. Er nennt die Fehlformen des von absoluter Wahrheit besessenen Theismus: Intoleranz, Gewalt, Menschenopfer. Den Polytheismus deutet Hume dann doch vergleichsweise eher positiv: Er führe zu Mut und Freiheitsliebe. Ob das historisch gesehen korrekt ist, bleibt sehr die Frage. Auch heutige Philosophen wie Odo Marquard haben Lobeshymnen auf den Polytheismus angestimmt. Und rechte bzw. rechtsextreme Ideologen geben sich gern als Freunde des Polytheismus und Feinde des angeblich nur intoleranten Monotheismus aus, wie etwa Ideologen der Nouvelle Droite in Frankreich. Insofern wirken jedenfalls die ziemlich pauschalen Polytheismus-Thesen Humes bis heute weiter.
5.
Hume meint: Nur eine kleine Gruppe von Menschen wird sich jemals aus den Verirrungen der populären monotheistischen Religionen befreien können. Es ist die Philosophie als Skepsis, die die verirrten Menschen aus der heillosen Populärreligion befreien kann; etwa dann, wenn sich Menschen in ihrem religiösen Wahn gar nicht an Gott binden, sondern an Zwischenwesen, also Heilige, die sie als Schutzgottheiten (also dann doch wieder in polytheistischer Haltung) verehren.
Die Kritik der theistischen Volksreligion (auch und gerade innerhalb des Christentums und der Kirchen) ist sicher ein Thema, das im Zusammenhang von Hume weiter diskutiert werden sollte. Es sollte also der immer noch stark vorhandene populäre Glaube an Wunder diskutiert werden, also über die Meinung, Gott könne Naturgesetze für einzelne besonders Fromme wunderbar durchbrechen. Und als könnte „die Gottesmutter und Jungfrau Maria“ vom Himmel herabschweben und in zu Menschen sprechen, wie in Fatima oder Lourdes immer noch geglaubt wird.
6.
Und dann wäre zu erörtern, ob philosophisches Welt- und Selbstverstehen jemals ohne das eine und einzige vertretbare Wunder auskommen kann, das sich in dem Erstaunen äußert: „Dass überhaupt etwas ist und nicht nichts“. Dieses ist wohl das einzige Wunder, das Gültigkeit hat. Alle anderen so genannten Wunder sind bestimmte Formen des Volksglaubens, auf die aber viele Menschen einfach nicht verzichten können und wollen, weil sie meinen, in dem Volksglauben bzw. Aberglauben inneren Halt zu finden. Ob man diese die Betroffenen von dieser subjektiven Überzeugung des volkstümlichen Glaubens argumentativ befreien kann und dann auch befreien sollte, ist eine offene Frage. Wahrscheinlich haben sogar die kritischsten Anhänger eines Vernunftglaubens noch einen Restbestand an Volksglauben in sich, und sei es die Beschäftigung mit Astrologie oder Homöopathie usw.
7.
Was Vernunftglauben heute aktuell und neu formuliert bedeuten kann, ist eine aktuelle Herausforderung der Religionsphilosophie. Den alten Vorwurf des „trockenen und abstrakten Begriffssystems“ wird der neue Vernunftglaube überwinden müssen. Der neue Vernunftglaube könnte angesichts des Niedergangs der konfessionellen Kirchen in Europa eine neue Ökumene religiöser und explizit christlicher Menschen erzeugen; dieser Vernunftglaube würde die auch sich stets weiter entwickelnden Menschenrechte in seinen „Grundbestand“ aufnehmen.
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.