Ein Atheist versteht religiöse Menschen und kritisiert die militanten Neu-Atheisten

Über das Buch von Tim Crane „Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten“.
Ein Hinweis von Christian Modehn

Der britische Philosoph Tim Crane wurde „katholisch erzogen“ (S. 91), er versteht sich aber, offenbar seit längerer Zeit, (Details nennt er nicht), „als Atheist“. Und ihm liegt sogar daran, „den Atheismus voranzubringen“ (174). Aber in seinem neuen Buch wirbt er nicht stolz und besserwisserisch für den „Nichtglauben an Gott“ (28). Ganz anders als die bekanntermaßen heftig missionarisch agierenden „neuen Atheisten“, bzw. „Anti-Theisten“, wie die internationalen Erfolgsautoren Dawkins, Dennett, Sam Harris usw. Tim Crane hat gar nichts übrig für diese Herren. Er spricht etwa von „Dennett und Konsorten“ (24). Der Autor will die Atheisten aller Art belehren, was Glaube religiösen Menschen bedeutet, wer sie eigentlich sind. Dabei betont er, den Atheismus nur „beschreiben“ (28), nicht verteidigen zu wollen. So sollen förmlich Bildungslücken gefüllt werden, die gerade viele Atheisten gegenüber gläubigen Menschen haben. Dies ist das Thema des Buches. Dass dabei auch religiöse Menschen Anregungen erhalten, über ihren eigenen Glauben aus der Sicht eines toleranten Atheisten nachzudenken, ist auch klar. Mit seiner manchmal doch mühsam zu lesenden Studie möchte er als „Minimalziel für Toleranz“ sorgen zwischen Religiösen und Atheisten. Als „Maximalziel“ geht es ihm um einen „Dialog“ der Menschen verschiedener Weltanschauungen in einer demokratischen Gesellschaft (176). Ein gewisses missionarisches Ziel im Sinne eines toleranten und humanen Miteinander hat er also doch!
Die Hauptvorwürfe gegen seine philosophisch-atheistischen Gegner, ausschließlich im Englisch sprechenden Raum, sind seit längerem auch aus anderen Studien anderer kritischer Philosophen bekannt. Crane formuliert die bekannte Kritik in seinem Schlusskapitel: Diese militanten Atheisten haben eine grundlegend falsche Konzeption von Religion. Denn die monotheistischen Religionen haben gar nichts zu tun mit (natur)wissenschaftlichen Hypothesen. Sie sind keine Konkurrenz zu Naturwissenschaften. Religiöse Menschen glauben an die schöpferische Kraft eines „göttlichen Wesens“ (mangels eines besseren Wortes), ohne sich dabei auf alle Details der Naturwissenschaften einzulassen. Diese wissen nämlich auch nicht sehr viel Exaktes und definitiv Genaues über den Ursprung des Kosmos und das Leben.
Religionen sind vielmehr eine eigene, philosophisch berechtigte und insofern auch anzuerkennende Form von Überzeugungen, sie haben ihre eigene Vernunft. Denn ihnen geht es um die notwendige Suche nach einem letzten gründenden Sinn. Über dieses nicht „Greifbare“ muss gesprochen werden, denn es gibt das „kaum Greifbare“ auf andere Weise als die Objekte in dieser Welt. Wer würde es denn wagen, etwa die Liebe mit naturwissenschaftlichen Maßstäben „messen“ zu wollen? Dieses Beispiel bringt Crane leider nicht, denn es könnte eine Brücke sein zu der eigenständigen Kenntnis und absolut gar nicht naturwissenschaftlichen Lebensdeutung, die Religionen verbreiten. Aber auch das wurde schon mehrfach gegen diese Neoatheisten gesagt. Die meisten Leser haben diese richtige Kritik kaum zur Kenntnis genommen, sie halten Dawkins „und Konsorten“ für das Non-plus-Ultra. Dass Religionen in ihrer Vielfalt auch viel Unsinn erzeugen, etwa in Form der Magie etwa, ist Crane auch klar…
Der jetzt in Ungarn („Central European University“, Budapest) lehrende britische Philosoph legt allen Wert darauf, nur die Bedeutung des religiösen Glaubens, nicht aber seine Wahrheit, zu erklären. Ob beides so getrennt werden kann, ist die Frage. Denn was ist schon „Wahrheit“ einer Religion? Doch wohl ihre Lehre, ihre Dogmen. Und davon muss man ja wohl in einer Auseinandersetzung sprechen…
Problematisch in meiner Sicht ist auch das letztlich doch enge Verständnis dessen, was Crane Religion nennt. Warum ist es denn nicht eine Art religiöser Bindung, wenn sich Menschen ihren wichtigsten Mittelpunkt in ihrem Leben wählen (Geld, Sex, Sport, Körper, Arbeit usw…)? Und diesen zentralen Sinn – Mittelpunkt, um dessen willen sie leben, dann auch verehren und ihm auch alles andere opfern: Warum sollte man diesen Mittelpunkt (der kann im Laufe eines Lebens variieren) nicht ihren Gott nennen? Darauf hat ja Luther zurecht schon hingewiesen. Dadurch, dass Crane diese offene Definition der Religionen, die bekanntlich auch von dem bekannten Soziologen Thomas Luckmann unterstützt wird, abweist: Wird eben auch Kommunismus oder der Faschismus oder der Kapitalismus und jede allumfassende Ideologie nicht mehr als religiöse Angelegenheit ganz eigener Art wahrgenommen. Dabei gibt es viele Studien, etwa von „Sowjetologen“, die den Kommunismus als Religion deutlich erklären. Man denke an die Arbeiten des Philosophen Michael Ryklin, Moskau-Berlin.
Crane vertritt also meines Erachtens einen sehr begrenzten, man möchte sagen fast kirchlich geprägten religiösen Glaubensbegriff. Dabei definiert Crane ja „den“ Atheismus selbst als einen Glauben: „Atheismus ist der Nichtglaube an Gott“ (28).
So bleiben also am Ende der Lektüre doch, global gesehen, zwei Glaubensformen als menschliche Daseinsmöglichkeiten: Religiöser Glaube und/oder atheistischer Glaube. Und für Crane sind beide letztlich im Sinne eines offenen Humanismus berechtigt. In seinen manchmal mühsamen Erläuterungen zum Relativismus wird zwar nicht gesagt: Beide Glaubensformen sind relativ wahr. Aber die Tendenz der Aussage geht meines Erachtens doch dahin. Relativ wahr will sagen: In der HINSICHT der Bindung eines einzelnen Menschen an seine (augenblickliche) Wahrheit.
Crane weist ausdrücklich die These der Neuatheisten zurück, alle brutale Gewalt auf Erden sei immer schon vor allem, wenn nicht einzig und allein, der Religion bzw. dem Glauben dieser Übeltäter geschuldet. „Die eigentliche Frage lautet, was genau religiöse Gewalt ist und worin das Potential der Religion besteht, Gewalt in häufig extremer Form zu schüren“ (134). Es muss also differenzierter gedacht werden. Und es gilt auch: Religiöse Gewalt ist bekanntlich nicht nur tötende, brutale, körperliche Gewalt. Sehr viel häufiger ist religiöse Gewalt die Umsetzung einer fundamentalistisch verstandenen religiösen Moral: Etwa die Verachtung, Ausgrenzung und Verfolgung von Homosexuellen in allen monotheistischen Religionen, die Degradierung der Frauen, das Bemühen um Missionierung der “anderen“. Mit anderen Worten: So ganz überzeugt diese Apologie von Tim Crane zugunsten der Religion doch nicht! Er hat für Gläubige mehr Sympathien als für Atheisten. Ist er also ein „unzufriedener Atheist“? Vielleicht.
Nebenbei: Crane hat seine Mühe, Versuche der Atheisten (der atheistischen „Humanisten“ in England) zu akzeptieren, wenn diese sich religiöse Feierlichkeiten konstruieren. Man denke etwa an die auch in Deutschland gescheiterten „Sunday-Assemblies“, dieser Melange aus transzendenzfreiem Ritus, Pop -Songs und lebenskundlichen Vorträgen. Mit Kollekten!

Und noch ein Hinweis: Wenn Crane sagt, die säkularen, areligiösen demokratischen Staaten sollten doch bitte religiöses Verhalten inkorporieren (68), dann ist er sehr eng mit entsprechenden Überlegungen von Jürgen Habermas verbunden. Dieser betont ja ständig, die säkularen Menschen in säkularen Demokratien sollten lernbereit auch auf das hören, was religiöse Menschen an Einsichten und Werten vorzutragen haben. Habermas wird von Crane nicht zitiert. Indirekt aber sind seine Themen vorhanden, wenn Crane sagt: „Man kann ein religiöses Temperament haben, ohne gläubig zu sein“ (56). Habermas nennt sich zwar „religiös unmusikalisch“, kann aber als religiös „Unbegabter“, „Nicht-Talentierter“, Richtiges über Religionen schreiben, siehe etwa sein letztes Opus Magnum „Auch eine Geschichte der Philosophie“.
Vielleicht gehört der ehemalige Katholik Tim Crane zu dieser sicher nicht kleinen Gruppe der Menschen, die „nur“ mit einem gewissen religiösem Temperament ausgestattet sind. Die aber doch tatsächlich glauben, eben an die Nicht-Existenz Gottes. Atheismus treffend als Glaubensform bestimmt, ist auch eine Frage des Temperaments.

Dies ist ein Buch, dessen Thesen hoffentlich bei Atheisten und glaubenden Menschen gleichermaßen diskutiert wird. Die Frage muss mal gestellt werden: Gibt es eigentlich in Deutschland noch Orte, wo Atheisten und Glaubende sich regelmäßig austauschen? Mir ist nicht bekannt, dass etwa die katholischen Akademien in Deutschland den regelmäßigen Austausch mit Atheisten pflegen…
Oder hat man sich nichts zu sagen, hat man sich etwa „alles“ schon gesagt? Der religionsphilosophische Salon Berlin ist ein bescheidener Ort des Austauschs “religiös Verschiedener”.

Tim Crane, Die Bedeutung des Glaubens. Religion aus der Sicht eines Atheisten. Suhrkamp Verlag Berlin 2019. Aus dem Englischen von Eva Gilmer. 188 Seiten. 22 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin