„Die Pest“ von Albert Camus: Eine Lektüre-Empfehlung in Zeiten des „Corona-Virus“.

Ein Hinweis von Christian Modehn

In Zeiten des Corona-Virus hilft gegen die Angst auch das Lesen. Und mit dem Lesen auch das Nachdenken. Dabei werden alte, ältere, Texte wiederentdeckt: Zum Beispiel: Der Roman „Die Pest“ von Albert Camus. Mit der „klassischen“ Pest hat die Corona Pandemie nicht alles gemeinsam. Corona ist sozusagen universal, auch wenn alle Staaten ihre Grenzen schließen; die Hilflosigkeit in den Kliniken ist auch Ausdruck für das total privatisierte Krankenhauswesen, einzig auf Gewinn konzipiert. Wird sich das ändern?

Aber die „Pest“, geschrieben in den Jahren 1940, wie auch das Corona Virus heute, verlangen ein neues, bislang nicht sehr eingeübtes menschliches, nicht-egoistisches Verhalten: Nämlich Solidarität; Entschlossenheit, die Vernunft herrschen zu lassen; sowie Dankbarkeit gegenüber allen ÄrztInnen, PflegerInnen, die ihr Bestes geben.

Warum also noch einmal, oder vielleicht auch zum ersten Mal, „Die Pest“ von Albert Camus lesen? Diesen Roman, der 1947 in Paris erschienen ist, und inzwischen in 30 Sprachen übersetzt wurde, diesen Roman, der geschaffen wurde nach Jahre langen Arbeiten des Autors. „Die Pest“ ist ein Plädoyer für die Humanität, die Mitmenschlichkeit, die dem Furchtbaren trotzt. Ein Roman der Hoffnung, trotz der Katastrophe. Der Roman spricht vor allem vom Kampf des Arztes Dr. Rieux in der algerischen Stadt Oran gegen die Pest: Wie die Bewohner wegen der Pest als „Geisel“ eingeschlossen sind, wie sie sich deswegen nur um sich selbst drehen, wie förmlich für sie eine andere, eine nur für sie erlebte Zeit beginnt, losgelöst von der allgemeinen chronologischen Zeit der Daten, Tage, Monate. Aber der Roman hat eine Botschaft: Das total Negative, die Pest, kann medizinisch zwar nicht überwunden werden – aber im solidarischen Handeln doch letztlich besiegt werden. Die Pest verschwindet dann tatsächlich nach etlichen Monaten wieder aus Oran. Aber alle wissen. Sie kann auch wieder auftreten.

Für Camus hatte der Roman auch eine politische Bedeutung: Denn er wusste, die Pest galt damals in dem von Deutschen, von Nazis, besetzten Frankreich, als die „braune Pest“, die es mit allen Mitteln des Widerstandes zu überwinden galt.

Wichtig ist, dass der entscheidende Held, der Arzt Dr. Bernard Rieux, sich als Atheist versteht. Er ist der bescheidene, aber immer in seiner Menschlichkeit großzügige „Held“, bestimmt vom Geist der Toleranz.

Was religionsphilosophisch hoch interessant ist: Camus führt in den Roman auch den Jesuiten-Priester Paneloux ein: Zuerst ist er mit der alten klassischen, menschenfeindlichen Ideologie verbunden: Die Pest sei eine Strafe Gottes für die vielen Sünden der vielen Sünder, betont er in seinen ersten Predigten. Aber im Kontakt mit Kranken, vor allem in Verbindung mit Dr. Rieux und seinen Freunden, verändert sich der Jesuit. Von Strafe Gottes ist nun keine Rede mehr in seinen Predigten, sondern von der Anerkenntnis: Diese Pest kann man, auch religiös gesehen, einfach nicht verstehen. Da kommt die Theologie an ein Ende. Der Priester leidet eines Tages selbst an den Symptomen der Pest, er weigert sich, medizinisch behandelt zu werden und stirbt als ein „cas douteux“, wie es heißt, als ein „zweifelhafter Fall der Medizin“. Der Jesuit nimmt also diese unvollkommene Welt an, so wie sie ist, auch mit dieser Pest: Anders als Dr. Rieux, der gegen diese Welt revoltiert. Aber Camus ist überzeugt, dass beide, Dr. Rieux und Pater Paneloux, auf ihre berechtigte Weise mit der „Pest“ umgehen und ihr standhalten wollen. Revolte und eingestandenes Nichtwissen in metaphysischen Fragen gehören für Camus zusammen.

Wichtig ist auch die Gestalt des Journalisten Raymond Rambert: Er sieht sich plötzlich in Oran eingeschlossen, versucht alles, um zu entkommen, weil er seine Frau in Paris wieder sehen muss! Als es kein Entkommen aus der Stadt gibt, schließt er sich den Helfern an, die die Kranken betreuen. Mit anderen Worten: Aus einem eher egoistischen Typen wird ein solidarischer Mensch. Rambert hat in der Sicht von Camus das menschliche Maß wieder gefunden. Rambert wird förmlich belohnt, wenn er nach der Pest seine Frau wieder findet.

Camus hat als Autor, hat als Philosoph, eine Botschaft: Aus Menschen können und sollten Mitmenschen werden. Solidarische Menschen.

Camus war kein militanter Atheist. Er war ein toleranter Humanist.

Dieser Hinweis als Lektüreempfehlung kann natürlich nicht die Lektüre des Romas „Die Pest“ ersetzen.

Wenn Sie sich für religionsphilosophische Aspekte im Werk von Albert Camus interessieren, dann lesen Sie etwa meinen Hinweis „Ein Atheist aus göttlicher Gnade“, bitte hier klicken, und meinen Beitrag über den ungewöhnlichen, humanen Glauben von Albert Camus. Klicken Sie hier.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin