Ausgegrenzt, geliebt, missbraucht: Elemente für naturphilosophische Überlegungen
Von Christian Modehn
Der Religionsphilosophische Salon hat am 20.Juli 2012 zu einem „naturphilosophischen Spaziergang“ eingeladen. 12 TeilnehmerInnen waren dabei, ein Teilstück des Tegeler Fließes Richtung Lübars zu “erkunden”: Laufen, betrachten, nachdenken: Drei „Schritte“, die den kritischen Geist in Schwung bringen. Und der ist im Verhältnis Mensch – Natur mehr denn je gefordert: Die Dürre nimmt zu, ebenso gibt es in diesem Jahr immer mehr heftige Stürme und Überschwemmungen; man muss nur die Zeitungen lesen in diesen Tagen: Außergewöhnliche Überschwemmungen in Peking, tödliche Dürre in den USA, Regenmassen in England usw. Die Lebensmittelpreise steigen, Nahrung wird für die Milliarden verarmter und vom neoliberalen System arm gemachter Menschen weltweit immer unerschwinglicher….
“Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen ….“ so beginnen immer die Berichte, wenn sie klar stellen: Viele aktuelle Wetter/Klima Katastrophen sind von Menschen gemacht, sie werden seit Jahrzehnten von Fachleuten besprochen und immer wieder von offizieller politischer Seite ignoriert: Der Fortschritt und das Wirtschaftswachstum dürfen nicht gestört werden. Konsumismus – Kritik bringt, so meinen ignorante Politiker, weltweit keine Wählerstimmen. Sie halten die Bürger für geistig minderbemittelt, für Menschen, die nur an morgen, nicht an übermorgen denken wollen. Die Aktionen der Naturschutzverbände zeigen das Gegenteil: Viele Menschen wollen den letzten Rest Natur bewahren!
Jedoch: Gegenüber den globalen, alles andere als erfreulichen ökonomischen Trends einen philosophischen Spaziergang in einem der wenigen Berliner Naturschutzgebiete zu machen, kann nur bescheiden das Interesse wecken, um die (philosophischen) Grundeinstellungen zu verstehen, die letztlich zur Ausgrenzung und zum Missbrauch der Natur geführt haben. Parallel zur Missbrauch und zur Ausrottung der Natur gibt es und gab es ein stetiges Interesse an „der Natur“ im Sinne von idyllischem (Garten/Park) Grün als Kontrast zur vorherrschenden monoton grauen Industrie – Welt. Natur wurde und wird konzipiert als Freizeit – Park, als Ort für kurzfristiges „Aussteigen“ aus der immer mehr städtisch – industriell geprägten Gesellschaft.
Wir nennen nur einige Elemente, die für eine Vertiefung praktischer Naturphilosophie von Interesse sein können, Themen, die wir im Religionsphilosophischen Salon weiter besprechen werden:
Offensichtlich erleben wir – besonders in den Städten- zunehmend das Verschwinden der Natur – ein Ausdruck für die absolute Vorherrschaft des Menschen und der Industrie. Zur Zeit gibt es in Berlin 40 Naturschutzgebiete, also 2, 2 % der Landesfläche. Und Landschaftsschutzgebiete sind ca. 13 % der Fläche Berlins. Ohne gesetzlichen Schutz wäre wohl Natur längst verschwunden, von der Verstädterung „aufgefressen“.
Philosophisch muss geklärt werden, wie es zu diesem Gegenüber von Mensch und Natur kam. Descartes ist sicher einer der “Väter” der Entgegensetzung von Subjekt – Objekt. Interessant auch die Erkenntnis von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno: Sie haben in ihrem Text „Begriff der Aufklärung“ (1947 in Amsterdam erschienen, vorher in den USA verfasst) bestimmte Traditionen des aufklärerischen Denken in ihrem starren Gegenüber von Mensch und Natur kritisiert. Sie verstehen dabei unter Aufklärung „das mathematische – technische Denken, das materialistische Denken, das alles Natürliche zu Dingen macht, über die der Mensch verfügen darf. Aufklärung – in diesem Sinne! – ist totalitär wie nur irgendein System. Problematisch ist …, dass für die Aufklärung der Prozess (der Begegnung mit der Natur) von vornherein entschieden ist: Natur ist dann nur das mathematisch zu Erfassende“. Wie viele Menschen sind von diesem defizienten Aufklärungsbegriff nich heute geprägt?
Die moderne Welt ist also bestimmt durch den „Triumph der Unterwerfung alles Seienden unter den logischen Formalismus“. Natur wird so zur fremden, beherrschbaren und zerstörbaren Gegenstandswelt. Pflanzen werden dann vor allem als künstlich gezüchtete und in Massen ästhetisch produzierte Ziermittel. Tiere werden in Massentierhaltungen um des Konsums willen gequält und ohne jeden Respekt vor ihrer Art „dinghaft“ verwertet. Von Tieren sprechen Metzger gern von „Fleisch -Waren“.
Mit der Objektivierung der Natur geht die Objektivierung des Menschen, des anderen, einher. Der andere wird zum Gegenstand, den man gebrauchen und einsetzen kann und über den man verfügt, den man verkauft usw.
Naturzerstörung ist also auch eine Selbstzerstörung des Menschen. Die „Natur des Menschen“ wird vielleicht gerettet in therapeutischen Sitzungen, wo vergleichbar „seelische Naturschutzzonen“ geschaffen werden, also letzte, heilige und unantastbare Bereiche des Menschlichen.
Ein Gegenmodell könnte die kulturelle Bewegung der Romantik sein: Sie versuchte eher das Miteinander von Natur und Mensch wahrzunehmen, zu spüren, zu denken, künstlerisch auszudrücken. Unter den Theologen und Philosophen nennen wir hier nur Friedrich Schleiermacher, (1768 bis 1834). Entscheidend ist für ihn: Die Teilhabe des Menschen am Göttlichen im Hier und Jetzt, auch im Verschmelzen mit der Natur. Die Natur ist kein Mechanismus, der uns determiniert, sondern ein lebendiges, schöpferisches Geschehen. Natur spüren wir in uns und entdecken diese Schöpferkraft auch in der äußeren Natur wieder. „Die Unsterblichkeit ist nichts anderes als mitten in der Endlichkeit eins werden mit dem Unendlichen und ewig sein in einem Augenblick“.
Die Wiederentdeckung und Neu – Entdeckung der Romantik ist heute m. E. eine der interessantesten kulturellen Ereignisse. Das wird etwa deutlich, dass man in die dreibändige „Enzyklopädie Philosophie“ (Felix Meiner Vl., Hamburg 2010) einen Beitrag „Romantik“ aufgenommen hat. Dichter, Philosophen, Künstler, usw. charakterisierten sich selbst in dem Sinne, dass sie die Romantik „in einem revolutionierenden, progressiven, neue Standards setzenden Sinne verstanden haben“. (S. 2345) „Die Natur gilt in der Romantik nicht als das Äußerliche, das dem Menschen bestenfalls das Material für sein Tun bereitstellt, sondern als dessen Lebensraum und die Lebensgrundlage. Das romantische Ideal besteht in der Harmonie zwischen Menschen und Natur, nicht in der Herrschaft über die Natur“ (ebd. 2348)…. Die romantische Naturphilosophie ist geprägt von einem ganzheitlich – organismischen Naturverständnis als Gegenmodell zur mechanistischen und mathematisch – Naturerklärung“ (ebd.). Man denke an Novalis, Alexander von Humboldts großes Werk KOSMOS, aber auch an Schelling, selbst an Goethe (so ebd.)
Albert Schweitzer und Hans Jonas sind Philosophen, die die Natur um ihrer selbst willen leben lassen wollen undschützen.
Hans Jonas hat einen neuen kategorischen Imperativ formuliert: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Zur Religion: Die Religion sollte für die meisten Romantiker keine dogmatische Religion mehr sein! Schleiermacher sagt treffend: „Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche“. Beides haben sehr viele Menschen, auch wenn sie sich selbst „nicht – religiös“ oder konfessionell gebunden nennen.
Naturschutz hat heute weltweite Dimensionen. Die Verwüstung von Regenwäldern hat dramatische, irreversible (?), Ausmaße angenommen. Die Natur wird von den unantastbaren und stets anonym bleibenden “Hohenpriestern” des Neoliberalismus dem universalen “Gott Profit” geopfert.
Zum Schluß ein Zitat des großartigen jüdischen Philosophen Hans Jonas (1903 – 1993), er geht der “ewigen” Frage nach, wie das Böse in die Welt gekommen ist und warum es sich weiter verbreitet (siehe Naturzerstörung/Selbstzerstörung des Menschen):
„Im Anfang (…) entschied der göttliche Grund des Seins, sich dem Zufall (…) hinzugeben. Und zwar gänzlich: Da sie einging in das Abenteuer von Raum und Zeit, hielt die Gottheit nichts von sich zurück (…). Damit Welt sei, und für sich selbst sei, entsagte Gott seinem eigenen Sein; er entkleidete sich seiner Gottheit, um sie zurückzuempfangen von der Odyssee der Zeit, beladen mit der Zufallsernte unvorhersehbarer zeitlicher Erfahrung, verklärt oder vielleicht auch entstellt durch sie. (…) Jeder Artenunterschied, den die Evolution hervorbringt, fügt den Möglichkeiten von Fühlen und Tun die eigene hinzu und bereichert damit die Selbsterfahrung des göttlichen Grundes. (…) Die Schöpfung war der Akt der absoluten Souveränität, mit dem sie [Anmerkung: die Gottheit] um des Daseins selbstbestimmter Endlichkeit willen einwilligte, nicht länger absolut zu sein – ein Akt also der göttlichen Selbstentäußerung. (…) Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingab, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es am Menschen, ihm zu geben“. (Das Zitat von Hans Jonas wurde gefunden im wikipedia Beitrag zu Hans Jonas).
Was können wir praktisch tun? Auch da kann jeder selbst nachdenken:
Wir weisen empfehlend auf eine von vielen beachtlichen Privaten – Initiativen hin: Rettet den Regenwald. http://www.regenwald.org/
copyright: Christian Modehn