Eine Sonderausgabe des „Philosophie Magazin“ zum 300.Geburtstag von Immanuel Kant
Ein Hinweis von Christian Modehn am 13.2.2024
Eines sollte unbedingt von vorn herein klar sein: Wer sich mit Kants philosophischen Einsichten jetzt befasst, widmet sich nicht einem irgendwie beliebigen Thema der Philosophie(geschichte). Wer sich mit Kants philosophischen Einsichten befasst, entdeckt auch noch heute gültige Grundstrukturen geistigen Lebens, entdeckt die Vernunft, den Geist, die Sinnlichkeit, die vernünftige Religion, die Suche nach einer universalen Friedensordnung. Und das alles nicht als akademisches Räsonieren. Sondern als Hilfe im Leben, gerade heute, in einer zunehmend verrückter werdenden Welt.
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„Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“: Diese dringende Empfehlung des Philosophen Immanuel Kant, geradewegs an alle Menschen adressiert, gilt natürlich auch, wenn es um Begegnungen mit Kants eigenem Denken geht: Man möchte also sagen: „Habe den Mut, Kant zu lesen und dabei und danach mit ihm zu denken, um die Welt und dich selbst besser und tiefer zu verstehen.“
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Denn eigenes Philosophieren ist die Praxis der Philosophie (so wie Malen die Praxis der Kunst ist) bedeutet also gerade nicht ein nettes Hobby einiger Unentwegter. Philosophieren als kritisches Reflektieren gehört sozusagen zum „Wesen“ der Menschen. Man kann als Mensch menschlich (auch glücklich) leben, ohne die Erkenntnisse der Mineralogie oder die Feinheiten der anorganische Chemie verstanden zu haben. Man kann aber nicht richtig menschlich leben, ohne einige zentrale Erkenntnisse des Philosophen Immanuel Kant als sein Eigen zu bezeichnen. Das ist eine steile These von mir, die sich aber dann bestätigt, wenn man zentrale Erkenntnisse in aller Ruhe bedenkt und dann versteht und als Lebensorientierung in der Praxis gestaltet.
3.
Es ist nach diesen wenigen Sätzen doch so: Das Philosophieren und das Denken mit Kant bedarf heute (leider!) förmlich einer eigenen Verteidigung.
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Wer also bisher um Kants Denken einen weiten Bogen gemacht hat, vielleicht, weil er/sie den Vorurteilen der schweren Verständlichkeit seiner Bücher folgte, hat nun die Chance, langsam und behutsam Überraschungen des Denkens mit Kant zu erleben: Dazu bietet die Sonderausgabe des „Philosophie Magazin“ eine sehr gute Möglichkeit. Auf 114 Seiten hat die verantwortliche Redakteurin Theres Schouwink unterschiedliche Beiträge zusammengestellt: Zitate von „Prominenten“ zur Bedeutung Kants als Einstieg, biografische Hinweise, die deutlich machen, wie sehr Kant doch an intensiven Freundschaften mit Männern interessiert war, bei Bekanntschaften mit Frauen „wartete Kant zu lange, um ihnen einen Heiratsantrag zu machen“ (S. 17). „Was ist guter Sex, Herr Kant“ fragt die Philosophin Manon Garcia (S. 75 f.). Im Mittelpunkt steht Kants Überzeugung: Jeder Mensch ist Selbstzweck, kein Mensch darf von anderen als bloßes Mittel – auch in den sexuellen Begegnungen – gebraucht bzw. missbraucht werden.
Wichtiger sind im Heft die Hinweise auf die „Quellen der Inspiration“, also auf Philosophen, die Kants Denken erst so richtig in Schwung brachten. „War er Genie, ein Spinner, vielleicht sogar ein Rassist?“ heißt eine provozierende Frage, die im Interview mit der Literaturwissenschaftlerin Gayatri C. Spivac eine Antwort findet.
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Wichtiger sind die Interviews mit PhilosophInnen und Philosophen zu zentralen Erkenntnisse Kants: Grundlegend das Gespräch mit Omri Boehm, er erhält am 20.März 2024 auf der Leipziger Buchmesse den „Buchpreis zur europäischen Verständigung“ (wegen seines Buches „Radikaler Universalismus. Jenseits der Identität“).
Im Gespräch mit Theresa Schouwink wird klar: Kant fordert uns auf, die Gesetze der Staaten, auch der sich demokratisch nennenden, kritisch zu prüfen: Massstab dabei ist: Fördern die Gesetze und garantieren sie die Menschenwürde aller (!) Menschen – oder nur einer Elite bzw. einer ökonomisch bzw. religiös machtbesessenen Gruppe. Ist das nicht der Fall, ist Ungehorsam des Bürgers geboten… Omri Boehm, israelisch – deutscher Philosoph, sieht in der Freiheit der Menschen den absoluten Mittelpunkt, den es zu verteidigen gilt. „Freiheit definiert sich nicht in erster Linie über die Fähigkeit zu wissen, sondern über die Fähigkeit, moralischen Vorstellungen zu folgen“ (S.21). Und diese moralischen Vorstellungen sollen niemals im Dienst einer Gruppe, also einer bestimmten „Identität“, stehen, sondern die Menschenwürde aller, auch der bisher Rechtlosen, aufbauen und pflegen. In dem Zusammenhang ist die Kritik Boehms an der Regierung des Staates Israel gegenüber den Palästinensern im Westjordanland sehr inspirierend…(S. 20 f.): „Auch die israelische Selbstverteidigung muss jetzt unter Einhaltung des Völkerrechts (von Boehm kursiv gesetzt) erfolgen“, vernünftige Forderungen, ohne Wirkungen allerdings, bei dieser Regierung Netanjahus!
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Das Kant Heft des Philosophie-Magazins erläutert vor allem die drei großen Hauptschriften Kants, in denen es um die Grundlegung von vernünftiger Erkenntnis und Denken geht sowie um die Fragen der Moral: Diese stehen für Kant im Mittelpunkt seines Denkens: Kant will die Lebenspraxis der Menschen erklären und durch die Freiheit, die jeden Menschen als Menschen auszeichnet, in vernünftige Bahnen führen. Dazu gehört auch Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ von 1795. Der Philosoph und Musikwissenschaftler Friedrich Weißbach bietet auf drei Seiten einen Essay, der sehr gut und nachvollziehbar die bis heute aktuellen Vorschläge Kants für einen „ewigen Frieden“ darstellt! Dabei fehlt es nicht an kritischen Hinweisen zum Kant – Text, etwa zu den „Lobpreisungen“ Kants für die „friedensstiftenden Formen des Handels“ (S. 66). Wichtig vor allem Kants Forderungen zur „Hospitalität“, zur gastfreundlichen Aufnahmebereitschaft von Fremden: „Kants Konzept einer Hospitalität kann als Vorläufer des modernen Asylrechts gelesen werden“, schreibt Friedrich Weißbach (S. 67 über diesen Kant Text, den er als „Meilenstein in der Philosophiegeschichte“ bezeichnet (ebd.). Mit den politisch – ökonomischen Bedeutungen von Kants Erkenntnissen befasst sich das Interview mit der in London lehrenden, aus Albanien stammenden Philosophin und Autorin Lea Ypi. LINK.
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Über den „Begriff des Bösen“, zentral im Denken Kants, informiert ein Interview mit der Philosophin Susan Neiman (Potsdam). „Das Ringen damit, wie man eine Welt ertragen kann, in der Tugend und Glück auseinanderfallen (also das glücklose Leben des tugendhaften Menschen, C.M.), war ein zentrales Thema für Kant.“ (S. 62). „Ohne einen Versuch, das Böse zu verstehen, werden wir es nie beseitigen oder bekämpfen können“ (S. 63).
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Zum Schluß: Unter den 10 größeren Beiträgen über Kant noch eine Empfehlung: Das Interview mit dem Tübinger Philosophen Otfried Höffe scheint mir besonders geeignet zu sein, gerade den „Kant-Angfängern“ Wesentliches im Denken Kants gut nachvollziehbar zu erschließen.
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Für uns im „Religionsphilosophischen Salon Berlin“ ist es natürlich von besonderem Interesse, dass Otfried Höffe wie andere Interview-Partner auch am Rande auf das Religionsverständnis Kants hinweist. Das sollte man ab sofort sich einprägen: Kant war kein Zerstörer „der“ christlichen Religion, auch wenn er es ausschloss, dass im Rahmen einer Metaphysik die Menschen zur wissenschaftlichen Erkenntnis Gottes („Gottes – Beweise“) kommen können. „Aber Religion hat die Moral der Menschen zu fördern“ (S. 101), meint Kant, und: „Gott wird als Schöpfer der Welt gedacht“ (ebd.). LINK zu einem Hinweis von Christian Modehn zu Kants”Religionsschrift”.
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Leider wird Kants wichtige Publikation „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ (von 1795) im Kant -Heft des Philosophie -Magazins nur so zwischendurch, eher am Rande, gewürdigt, etwa durch die Literaturwissenschaftlerin Gayatri C. Spivak: „Die Art und Weise wie Kant mit dem Christentum umgeht und Christus als Lehrer beschreibt, ist wunderbar zu lesen…“ (S. 87). Man fragt sich als religionsphilosophisch Interessierter: Ist das „an den Randstellen“ des religionsphilosophischen Themas vielleicht Ausdruck eines Vorurteils, vielleicht einer Laune oder einer ideologischen Fixierung?
Dabei weiß jeder und jede, dass ohne ausführliche kritische Auseinandersetzungen mit den Religionen und auch mit der Frage nach dem Göttlichen etc. die heutigen Probleme der Welt und der Menschen kaum angemessen in den Blick genommen werden können.
Kant. Eine Sonderausgabe des “Philosophie Magazin”. 114 Seiten, 11,90 €. www.philomag.de
Copyright: Christian Modehn, www.religionsphilosophischer-salon.de