Lehrmeinungen nicht vergötzen

Das „philosophische Wort zur Woche“
Lehrmeinungen nicht vergötzen

Wir wurden gebeten, in den „philosophischen Worten, Meditationen, zur Woche“ auch explizit religionsphilosophische bzw. durchaus auch (von der Vernunft begleitete !) spirituelle Texte anzubieten.
Dem Wunsch kommen wir gern nach.
Diesmal bieten wir in ein paar Zeilen einen Impuls von Thich Nhat Hanh, den hoch geschätzten Zen – Meister, geboren in Vietnam, jetzt vor allem in Frankreich („Plum Village“), den man eigentlich in unseren Kreisen nicht mehr vorzustellen braucht.
Er bezieht sich dabei auf die Regeln seines Mönchsordens (dessen Name =Einssein= ist) und schreibt unter dem Titel „Loslassen und Einssein“:
Die erste Regel des Ordens heißt:
„Schaffe dir keine Götzen in Form von Lehrmeinungen, Theorien oder Ideologien, einschließlich der buddhistischen, und hänge diesen nicht an. Buddhistische Denksysteme sind Hilfsmittel zur Orientierung und keine absoluten Wahrheiten“.
Dann bietet Thich Nhat Hanh eine Deutung dieser Regel, darin heißt es u.a.:
„Das Anhaften an Meinungen kann uns daran hindern, zu einem höheren oder tieferen Verständnis der Wirklichkeit zu gelangen. Der Buddhismus drängt uns dazu, unser eigenes Wissen zu transzendieren, um auf den Pfad der Erleuchtung weiter zu gelangen. Alle Ansichten werden als Hindernisse zur wahren Einsicht betrachtet…
Der Buddha lehrte, dass an einer Ansicht festzuhalten und sie als absolute Wahrheit zu nehmen gleichbedeutend damit sei, den eigenen Prozess des Untersuchens und der Erleuchtung zu beenden. Das fanatische Anhaften an einer Weltanschauung verhindert nicht nur das eigene Lernen, sondern es kann zu blutigen Konflikten führen. Religiöse oder ideologische Kriege sind das Ergebnis von Fanatismus und Engherzigkeit…”
In der zweiten Regel heißt es:
„Die Wahrheit ist nur im Leben und nicht in vorgeformtem Wissen zu finden. Sei bereit, das ganze Leben hindurch zu lernen und die Wirklichkeit in dir selbst und in der Welt unablässig zu beobachten“.

Mein Hinweis:
Es ist klar, dass dieser Text sich nicht ausschließlich auf Mönche bezieht, sondern für alle Menschen gilt, die ein Leben ohne „Anhaftungen“ suchen. Interessant wäre eine Debatte über die Nähe dieses buddhistischen Denkens zu einer skeptischen philosophischen Lebenshaltung. Lebenshaltung ist ja bekanntlich mehr als skeptische Philosophie im engeren Sinne… Kommt man damit zur Erleuchtung? Das wäre eine spannende Frage. Erleuchtung ist ja bisher kein Begriff europäischer Philosophie… Wie stark empfinden die Leser den Kontrast dieses Textes von Thich Nhat Hanh zu christlichen Dogmatismen? Wie sehr ist dogmatisch geprägter Glaube von Anhaftungen geprägt? Könnte man sich einen Papst denken, der diese Worte Thich Nhat Hanhs unterschreibt?

Thich Nhat Hanh, „Lächle deinem eigenen Herzen zu“.
Herder Verlag, 1995, s 126 ff.

“Keuschheit”- ist auch politisch

Keuschheit – eine unmögliche Tugend ? Ein Plädoyer für einen modernen erotisch – vernünftigen Diskurs.
Ist die Tugend der Keuschheit „OUT“?
Wenn sie als rigide Abwehr und Verdammnis der sexuellen Lust verstanden wird, sicher. Wenn sie als autoritärer Zwang zu sexueller Enthaltsamkeit (als Gesetz im Zölibat) verstanden wird, sicher.
Aber vielleicht sollte man doch einen neuen Diskurs wagen über eine erotisch – freundliche Form sexuellen Lebens, die bei aller Lust doch die Vernunft mit einbezieht.
Darüber handelt die RADIO Sendung im WDR 3 am Sonntag 27.6. um 8. 30 und am selben Tag in WDR 5 um 22. 35. Man kann sie nach Sendung im WDR nachlesen und nach – hören.
Hier vorweg zwei Statements aus der Sendung.

-Von Annabelle Zinser, sie ist Mitarbeiterin im Meditationszentrums „Quelle des Mitgefühls“ in Berlin, das den Lehren des Zen Meisters Thich Nhat Hanh folgt.:
„Achtsamer Umgang mit Sexualität heißt einfach, dass ich wirklich nur schaue, dass ich in meinem Sexualverhalten nicht verletzend bin, grundsätzlich,
dass die Sexualität, die ich ausübe, dass die einfach aus einer sehr freundschaftlichen und großen Nähe entsteht, einer Beziehung, die auch eine Verpflichtung beinhaltet gegenüber der Person. Das tut mir selbst sehr gut. Meiner Meinung ist das total vernünftig, wenn ich anderen Menschen nicht schade, sondern alles tue, um sie nicht zu verletzen, und ihr Wohlsein zu fördern“ (Originalton) .

-Von Wolfgang Bittner, er ist evangelischer Pfarrer und Meditationsleiter in Berlin und der Schweiz. Für ihn hat eine moderne, erotisch – vernünftige Keuschheit auch politische Dmensionen.
„Keuschheit ist etwas Hochpolitisches. Wenn uns die Informationen, die wir haben, das Wissen, das wir haben über einander, nur noch Mittel zur Macht und zum Besitz sind, dann geht auch im ganzen politischen Dialog, gesellschaftlichen Dialog, im Umgang mit einander, einfach die Luft aus; dass Leute ihre Korruption nur noch etwas eingestehen, wenn es ihnen nachgewiesen wird. Schuld ist nur das, was nachgewiesen wird, nicht mehr das, was getan wird, in dem man etwas abstreitet bis das Gegenteil bewiesen wird, und redet sich dann noch heraus. Das hat tiefste Züge der Unkeuschheit.
Wer unkeusch ist, der wird erpressbar. Wer innerlich unkeusch wird, wird sich immer nach der Decke richten, nach dem Wind richten und sehen, wie er durchkommt. Nur wer keusch ist, kann nicht manipuliert werden“.
(Originalton)