Die Hoffnung von Weihnachten
Brücken bauen zwischen “naivem” Kinderglauben und existenziellen religiösen Fragen
Ein Interview mit dem Publizisten Frank Kürschner – Pelkmann, Hamburg
Die Fragen stellte Christian Modehn
—Zur website von Frank Kürschner-Pelkmann klicken Sie bitte hier—
Herr Kürschner-Pelkmann, Sie haben eines der umfangreichsten und gründlichsten Bücher über Weihnachten publiziert. Wie sind Sie denn auf dieses Projekt gekommen? Gibt es bei Ihnen auch biographisch eine Art Begeisterung für Weihnachten?
Meine Beschäftigung mit Weihnachten entstand nicht nur aus Begeisterung, aber doch einem großen Bedürfnis, meine sehr widersprüchlichen Weihnachtserfahrungen zu reflektieren. Gern erinnere ich mich an die Weihnachtsgottesdienste in einer festlich mit Kerzen erleuchteten Schlosskirche und an die friedliche Stimmung des Weihnachtsfestes in meiner Kindheit in den 1950er Jahren. Aber spätestens nach der Konfirmation kamen die Zweifel, ob die Weihnachtsgeschichte nur ein – wenn auch sehr schönes – Märchen ist. Im Laufe der Jahrzehnte habe ich dann versucht, die schönen Geschichten der Bibel und die Vernunft in einem persönlichen Glauben zu verbinden. Dabei habe ich gemerkt, welche zentrale Rolle hierfür die Weihnachtsgeschichte hat.
In meiner Beschäftigung mit diesem Thema habe ich vor allem gelernt, dass ich die tiefere Wahrheit der biblischen Überlieferung nur dann erkennen kann, wenn ich sie als Glaubensgeschichten und nicht als die Darstellung historischer Ereignisse verstehe. Abstrakt wissen das die meisten Pastorinnen und Pastoren, aber häufig predigen sie – und das gerade am Heiligen Abend – so, als hätte sich eine Geschichte in Bethlehem genau so zugetragen, wie sie aufgeschrieben wurde. Aber gerade wenn ich mich nicht daran klammere, dass das Jesuskind im Jahre 0 in einem Stall in Bethlehem geboren wurde und bald darauf Hirten und Könige vorbeikamen, sondern versuche zu verstehen, was uns die Evangelisten mit diesen Geschichten über Jesus und seine Botschaft sagen wollten, wird für mich die Weihnachtsbotschaft zu einer Botschaft der Freude, des Friedens und der Gerechtigkeit. Inzwischen kann ich mich wieder uneingeschränkt auf dieses Fest freuen.
Haben Sie eine intensive Erinnerung an ein bestimmtes Weihnachtsfest? Sie sind ja als Journalist auch in der Welt viel unterwegs gewesen.
Da fällt mir spontan ein Weihnachtsfest auf der Insel Madeira ein. Meine Frau und ich machten einen Wanderurlaub, und unsere Gruppe wohnte in einem kleinen Hotel, in dem außer uns nur noch wenige Gäste übernachteten. Am Weihnachtsabend genossen wir alle im Restaurant ein köstliches Festessen. Es war noch nicht beendet, da stimmte eine Gesangslehrerin in unserer Gruppe gefühlvoll ein Weihnachtslied an, und unsere ganze Gruppe stimmte ein. Ein deutsches Ehepaar, das offenbar vor Weihnachten hatte flüchten wollen, sprang mit allen Anzeichen des Entsetzens auf und lief aus dem Restaurant.
Weihnachten zu entkommen ist eben gar nicht so einfach. Und eigentlich ist es das gerade auf Madeira nicht, wo zur Weihnachtszeit überall Krippen und Weihnachtsschmuck zu sehen sind. Die bunten Krippen werden von Touristen oft als Folklore “abgebucht”, aber wenn man genauer hinschaut, merkt man, dass er zeigt, wie der Glaube im Alltag der Menschen zu Hause ist. Dass die Krippendarstellungen durch Landschaften, Gebäude und Kleidung Madeiras abbilden, macht deutlich, dass die 2.000 Jahre alte Geschichte von der Geburt des Kindes von den Einheimischen immer neu als Ereignis mitten in ihrem eigenen Leben erfahren wird. Und ebenso ist es in vielen Ländern der Welt. Es freut mich immer wieder, wenn solche lokalen Weihnachtstraditionen gegen die weltweiten Eroberungszüge des Weihnachtsmanns verteidigt werden, denn dieser Mann mit rotem Mantel und Rauschebart ist zum Symbol der globalen Expansion eines total kommerzialisierten Weihnachten verkommen.
Können Sie, können wir eher kritisch nachdenkliche Menschen in Westeuropa, heute überhaupt hier noch Weihnachten als religiöses Fest feiern? Hat der Kommerz, der Rummel, nicht alles längst verdeckt?
Es gibt eine Welt jenseits der totalen Kommerzialisierung – und es gibt auch ein Weihnachtsfest jenseits des Kommerzes. Vielleicht können sich kleinere Kinder und ältere Erwachsene noch am stärksten der Vermarktung des Festes entziehen. Viele Kinder lassen sich noch unbefangen anrühren von der Geschichte von dem neugeborenen Kind, das in einer kalten Nacht in einer Krippe liegt, umsorgt von seinen Eltern und bald schon verfolgt von einem bösen König. Und viele ältere Menschen wenden sich von einem totalen Verkaufsrummel ab, schon weil er ihnen zu laut ist. Schade ist, dass in vielen Weihnachtsgottesdiensten keine Brücken gebaut werden zwischen “naivem” Kinderglauben und den existenziellen religiösen Fragen vieler Erwachsener und gerade älterer Menschen. Recht verstanden – und das heißt, nicht wortwörtlich verstanden – kann die biblische Weihnachtsgeschichte uns einen neuen Zugang zum Glauben eröffnen, zu dem woher, wofür und wohin des menschlichen Lebens.
Sehr viele Menschen nehmen gerade und oft sogar ausschließlich zu Weihnachten an Gottesdiensten teil. Äußert sich da vielleicht eine tiefe Sehnsucht nach einem Abtauchen ins Kindliche, ins Naive, ins Heile und Friedliche? Das wäre ja auch prinzipiell ein respektables Verhalten?
Ich bin gegen eine Zertrümmerung der sehnsuchts- und hoffnungsvollen Weihnachtsstimmung. Da habe ich viel von dem brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff gelernt. Zum christlichen Glauben gehört für ihn die tief empfundene Hoffnung auf eine andere friedlichere und heilere Welt. Wo “alternativlos” zu einem zentralen Begriff im politischen Diskurs geworden ist, hat diese Hoffnung etwas geradezu Subversives. Das hat zum Beispiel auch die Schriftstellerin Astrid Lindgren in ihren Geschichten beeindruckend dargestellt. Die Weihnachtsfeste in Bullerbü sind keine verkitschte Idylle, sondern gerade auf dem Hintergrund des oft problembeladenen Lebens der Schriftstellerin die Verteidigung der Hoffnung auf ein ganz anderes Zusammenleben der Menschen. Astrid Lindgren hat die soziale Realität in ihren Geschichten und auch in ihrem vielfältigen Engagement in der schwedischen Gesellschaft nicht ausgeklammert, aber sie hat eben auch die Hoffnung auf eine andere Welt wach gehalten, eine wirklich weihnachtliche Hoffnung.
Weihnachten wird auch von nichtreligiösen Menschen gefeiert, sogar in Japan feiern Menschen Weihnachten, dabei wissen sie oft gar nicht, was das Fest bedeutet. Was wäre dringende Aufgabe der Kirchen, neu und einfach und klar den Menschen zu erklären: Mit diesem Jesus von Nazareth ist etwas Besonderes geschehen, ein Grund zur Freude. Was wäre in Ihrer Sicht dieses Besondere, dieser Grund zur Freude?
Es stimmt, dass die Kirchen die besondere Bedeutung von Weihnachten neu erklären sollten. Aber die Probleme beginnen schon damit, dass viele Theologen und besonders Theologieprofessoren ein ambivalentes Verhältnis zum Weihnachtsfest haben. Dabei geht es nicht nur um die Kommerzialisierung, sondern auch darum, dass Weihnachten ein fröhliches Fest ist. Das macht Weihnachten für “ernsthafte” Theologen zu einem Fest zweiter Ordnung. Das Kreuz und damit Ostern stehen im Zentrum, nicht die Krippe. Als die frühere Hamburger Bischöfin Maria Jepsen anregte, die Krippe stärker in den Mittelpunkt des christlichen Glaubens zu stellen, erntete sie wütende und böswillige Reaktionen in konservativen Theologenkreisen. Ich hoffe auf eine Kirche, die die Freude des Neuanfangs und die Verheißung von Frieden und Wohlergehen für alle stärker in den Mittelpunkt ihrer Verkündigung und ihrer Darstellungen des Weihnachtsfestes stellt. Bei Lukas verkünden die Engel den Hirten eine große Freude. Es ist die Freude darüber, dass mit Jesus mitten in einer Zeit der Gewalt und Ausbeutung ein Mensch auf die Welt gekommen ist, der den Menschen neue Hoffnung und Orientierung für ein geschwisterliches und gottgefälliges Leben gibt. Und diese umfassende Freude, hoffe ich, wird das Weihnachtsfest wieder stärker prägen. Dann wird es auch zu einem einladenden Fest für nichtreligiöse Menschen.
Copyright: Frank Kürschner-Pelkmann
Der Abdruck des Interviews ist erlaubt, wenn die Quellenangabe erfolgt: Religionsphilosophischer Salon Berlin mit den Hinweisen auf das Buch.
Frank Kürschner-Pelkmann: Von Herodes bis Hoppenstedt. Auf den Spuren der Weihnachtsgeschichte. Verlag Tredition, 2012, 696 Seiten; 36,80 Euro.