Widerstand und Ergebung (Dietrich Bonhoeffer): Einige vorläufige, aber zentrale Thesen.

Notizen für das Gespräch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin am 27.9.2019

Hinweise von Christian Modehn

1.
Voraussetzung ist: Bonhoeffer hat in „Widerstand und Ergebung“ keine umfassende Theologie vorgelegt. Seine Notizen und Briefe sind Fragmente. Aber als solche, in großer Not im Gefängnis der Nazis geschrieben, sind sie von besonderer Bedeutung. Sie sind für die Kirchen inspirierend. Aber sie inspirieren tatsächlich in den Kirchen als Institutionen in Staatsnähe wenig. Bonhoeffer wird offiziell noch verehrt, aber in der Kirchenpraxis hat er fast keine Bedeutung.
Darum ist es heute wichtig, an Dietrich Bonhoeffer zu erinnern, vor allem an seine zwei letzten Lebensjahre im Gefängnis der Nazis in Berlin. Dort schrieb Bonhoeffer zahlreiche Briefe, die eine bis heute radikale spirituelle, philosophische und theologische Brisanz offenbaren: Bonhoeffer ist einer der “großen, viel zitierten und viel studierten Theologen. Anfangs konservativ in seinem Denken: Aber, im Gefängnis der Nazis, in einer Extremsituation tiefer existentieller Gefährdungen, nahe der Hinrichtung, erlebt er eine spirituelle und theologische Radikalisierung. Und dieses radikale Denken, bezogen auf das Wesentliche des Christentums, auf das, was bleibt für heute und morgen, ist für uns als Anfrage wichtig.
2.
Bonhoeffer ist insofern ein Beispiel für eine persönliche, mit dem eigenen Leben verbundene Spiritualität, die jeder und jede – zumindest unthematisch – lebt und entwickelt.
Bonhoeffer ist ein Beispiel, dass Spiritualität und Theologie inmitten des Lebens, ich möchte sagen „situationsbezogen“ wächst und entsteht und sich wandelt, ohne dabei die Situation zum Maßstab zu machen. Da werden alle gewöhnlichen theologisch ausgelaugten Floskeln abgeworfen. Da entsteht inmitten des Lebens neues Denken.
Diese Gefängnisbriefe Dietrich Bonhoeffers wurden 1951 als Buch publiziert unter dem Titel „Widerstand und Ergebung“. Ein merkwürdiger Titel, vielleicht wäre „Widerstand und Hingabe“ treffender gewesen….
Das Buch hat weiteste internationale Beachtung gefunden. Bonhoeffer ist heute ein international geachteter Autor. Sein Freund Eberhard Bethge hat diese Briefe herausgegeben. Die Details der Biographie kann man nach lesen, etwa auch kurz und knapp in wikipedia.
3.
Dietrich Bonhoeffer ist hoch begabt, er studiert evangelische Theologie an der Berliner Universität Unter den Linden, der heutigen Humboldt Universität. Schon 1927 verfasst er, 1906 geboren, seine theologische Doktorarbeit. Seine Habilitationsschrift hat den philosophischen Titel „Akt und Sein“.
Ihn beschäftigt auch die alte ethische Frage des Tyrannenmordes, die der katholische Theologe Thomas von Aquin im Mittelalter schon formulierte und positiv beantwortete. Im konkreten Fall, bezogen auf Hitlers Mord-Regime, ist die Antwort Bonhoeffers ebenso klar: Auch Hitler sollte als Tyrann ermordet werden. Dabei formuliert Bonhoeffer durchaus seine seelische Erschütterung zum Thema.
4.
Seit 1933 nimmt er öffentlich Stellung gegen die Judenverfolgung, am 1.2.1933 hält er eine Rundfunk-Ansprache gegen den Führerkult, diese Sendung wird unterbrochen, abgeschaltet. Er schließt sich ab 1938 dem Widerstandskreis um Wilhelm Franz Canaris an. Bonhoeffer war nicht unmittelbar an den Hitlerattentaten beteiligt, er war eine Art Verbindungsmann mit internationalen Kontakten etwa auch nach Norwegen. Bonhoeffer wurde der Abwehrstelle München des Militärs zugeordnet. Und dort wegen Wehrkraftzersetzung „enttarnt“.
Er wird am 5. April 1943 in seinem Eltern – Haus in der Marienburger Allee in Belin Neu-Westend verhaftet.
Das Strafverfahren am Volksgerichtshof wurde nicht eröffnet, weil höhere Beamte dort das Verfahren gegen ihn in die Länge ziehen konnten, wie etwa der damals noch nicht verhaftete Heeresrichter Karl Sack.
Zuerst verbrachte er etliche Monate im Gefängnis Tegel; ab 8. Oktober 1944 wurde er in die Gestapo Zentrale in der Prinz Albrecht Str. gebracht. Dort schrieb er noch das viel zitierte Gebet/Lied “Von guten Mächten treu und still umgeben…” Man achte darauf: Mitten im Zentrum der Gestapo-Macht, der tödlichen Macht, wagt es Bonhoeffer, an die guten Mächte, die göttlichen Mächte als die letztlich stärkeren zu glauben. Dieses populäre Lied ist ein Lied gegen die ungerechten, weltlichen Mächte.
Als er 1945 ins KZ Flossenbürg transportiert wurde, war evident: Dies bedeutet sein Ende. Sein britischer Mitgefangener Payne Best, den er in Buchenwald kennen gelernt hatte, notierte diese Worte Bonhoeffers:
„Sagen Sie dem befreundeten englischen Bischof Bell von Chichester, so sagte Bonhoeffer, dass dies für mich das Ende, aber auch der Anfang ist. Mit ihm glaube ich an das Prinzip unserer universellen christlichen Brüderlichkeit, die über alle nationalen Interessen hinausgeht, und dass unser Sieg sicher ist.“
Zusammen mit Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre wurde Bonhoeffer am 8. April 1945 zum Tode durch Strang verurteilt. Der Mord geschah am Morgen des 9. April 1944 unter widerwärtigsten Bedingungen.
5.
Es gab keine Zeugen für die Hinrichtung. Die offiziellen Nazi-Mörder-Richter blieben unter sich. Es waren Otto Thorbeck und Walter Huppenkothen. Sie behaupteten, die Urteile seien korrekt nach dem damals geltenden Recht, dem Nazi-(Un) Recht, ausgesprochen worden. Aber der Skandal ist: Sie wurden in der sehr rechtslastigen BRD Justiz zu milden Strafen verurteilt. Huppenkothen arbeitete anschließend in einer Versicherung in Mannheim, dann in Mülheim/Ruhr und später in Köln. Der FDP Politiker Achenbach schützte und unterstütze ihn, weil er selbst, wie damals etliche in der FDP, einst Nazi war. Huppenkothen starb am 5. April 1978 in Lübeck.
6.
Zur Theologie und Philosophie Bonhoeffers: Ab Mitte 1944 wird Bonhoeffer radikaler, dies wird in „Widerstand und Ergebung“ deutlich: Diese Gefängnisbriefe haben zwei Abteilungen: Briefe an die Eltern und Briefe an seinen Freund Eberhard Bethge. Die wichtigsten theologischen Vorschläge und Erkenntnisse finden sich in den Briefen an Bethge. Bonhoeffer darf am Anfang nach unzensiert im Gefängnis schreiben. Er wird etwas besser behandelt als die übrigen Gefangenen. Er darf sich von seinen Eltern viele Bücher wünschen. Er liest Romane, historische Studien und befasst sich mit Theologie. Er liest ständig in der Bibel und versucht sie unter den neuen Bedingungen zu verstehen. Die Widerholung biblischer Texte hilft ihm, zu überleben. Er klagt kaum über die Lebensbedingungen im Gefängnis. Jedoch einmal schreibt er: „Die Welt wird mir zum Ekel. Und zur Last. Wer bin ich eigentlich, der unter diesen grässlichen Dingen hier immer wieder sich windet…Man kennt sich weniger denn je über sich selbst aus“. (WE, 91).ABER: Er tröstet eher dennoch seine Familie und seinen Freund, die „draußen“ leben müssen, sorgt sich mehr um sie als um sich selbst. Sagt aber, dass er sich Gelassenheit noch immer sich erobern muss. (WE, 104).
7.
Im Gefängnis hat Bonhoeffer Zeit, das System der ihm bestens vertrauten Theologie und der Glaubenslehre, das System der Religion mit Ritus und Dogma und Institutionen, in Frage zu stellen: Und zwar von einem Standpunkt der Lebens – Erfahrung: Im Erleben der Qualen, der Niedertracht, der Bösartigkeit des Nazi Systems. Schon 1942 schrieb Bonhoeffer an seinen Freund Eberhardt Bethge (am 25. Juni 1942): „Ich spüre, wie in mir der Widerstand gegen alles „Religiöse“ wächst. Oft bis zu einem instinktiven Abscheu, was sicher auch nicht gut ist. Ich bin keine religiöse Natur. Aber an Gott, an Christus muss ich immerfort denken, an Echtheit, an Leben, an Freiheit und Barmherzigkeit liegt mir sehr viel. Nur sind mir die religiösen Einkleidungen so unbehaglich. Verstehst Du? Das sind alles gar keine neuen Gedanken und Einsichten, aber da ich glaube, dass mir jetzt hier ein Knoten platzen sollte, lasse ich den Dingen ihren Lauf und setze mich nicht zur Wehr. In diesem Sinne verstehe ich eben auch meine jetzige Tätigkeit auf dem weltlichen Sektor.“

8.
Auf diesem spirituellen Weg kann dann Bonhoeffer 1944 Wesentliches zu seinem neuen Verhältnis zu Gott schreiben: Die weltliche Welt ist sein Ausgangspunkt. D.h.: Die Eigengesetzlichkeit, die Autonomie, muss anerkannt werden. Gott spielt da als ein Element in dieser Welt keine Rolle. Darum kann er sagen:„Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“.
Das heißt: In der Welt kommt Gott als Objekt nicht vor.
Gott kommt in der Welt als Gegenstand nicht vor. Er ist kein Lückenbüßer.
„Wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen – etsi deus non daretur, auch wenn es keinen Gott gäbe – Und eben dies erkennen vor Gott. Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott…. (WE 192).

9.
Daraus ergibt sich eine neue Form der Gottesbeziehung:
„Unser Verhältnis zu Gott ist kein ,religiöses‘ zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen – dies ist keine echte Transzendenz –, sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im ,Dasein-für-andere’“ (Widerstand und Ergebung: DBW 8, Gütersloh 1998, 558).
Im Leben für andere, im Verpflichtetsein den anderen gegenüber: Darin sieht Bonhoeffer nicht nur eine ethische Aufgabe: Sondern im Anderen, dem Leidenden, wird ihm das Gesicht Gottes zugänglich. „Der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt“ (DBW 8, 558).
Gottes „Antlitz“, möchte man mit Emmanuel Lévinas sagen, ist das des bedrohten Anderen, und ein anderes „Sein“ Gottes gibt es nicht – es wäre Produkt religiöser Phantasie und Projektion. Darum hat Bonhoeffer vom „leidenden Gott“ gesprochen, dem Gegenbild all dessen, was die „Religiösen“ von Gott erwarten. Ein im Leiden geschärfter, nicht-religiöser Glaube war es, aus dem er die künftige Theologie, Spiritualität und christliche Praxis hervorgehen sah – ein Grund, weshalb Befreiungstheologen wie Gustavo Gutiérrez oder Frei Betto ihn als einen der ihren betrachteten. (so sagt es der katholische Theologe Tiemo Peters). Über die vielfältige, auch widersprüchliche Rezeption der Theologie Bonhoeffers in der Kirche der DDR wäre zu sprechen, vor allem über Bonhoeffers Schüler, den späteren DDR Bischof Albrecht Schönherr. Er gab die missverständliche Parole aus von der „Kirche im Sozialismus“.

10.
Bonhoeffers Vision für das Christentum heute:
„Wir müssen anfechtbare Dinge sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden. Ich fühle mich als ein moderner Theologe, der doch noch das Erbe der liberalen Theologie in sich trägt, verpflichtet, diese Fragen anzuschneiden“. (WE, 201).
KONKRET: Bonhoeffer spricht von religionslosem Christentum. D.h.: Für ihn ist Religion immer auch institutionelle Macht, die sich um ihren Selbsterhalt sorgt. Religion ist immer auch Apparat, System, Dogmen, Lehren. Das gilt für ihn nicht mehr!
Religionslos heißt dann: Es kommt auf je meinen individuellen Glauben an, mein einfacher Glaube.
Bonhoeffer schreibt: „Wie dieses religionslose Christentum aussieht, welche Gestalt es annimmt, darüber denke ich nun viel nach…“(WE, 143) „Nicht nur mythologische Begriffe, die Wunder, Himmelfahrt etc. sind problematisch, sondern die religiösen Begriffe schlechthin“. Diese Übersetzung uralter mythologischer Begriffe fällt den Kirchen bis heute sehr schwer. Sie sprechen (und singen! ) nach wie vor alte Formeln und Floskeln des Glaubens, die kein Mensch von heute mehr verstehen kann. Trotzdem tun dies die Kirchen, mit einer unglaublichen Ignoranz, als hätte es Bonhoeffer nicht gegeben.

11.
Die Aufgabe heißt für ihn darum: Nicht-religiöse Interpretation biblischer und theologischer Begriffe. Also: Verständlich für alle muss man sagen: Was bedeutet Erlösung?
Man sollte nicht Gott aufgeben, sondern den Gott der Religion aufgeben. „Vor und mit Gott leben wir ohne Gott.” Offenbar setzt Bonhoeffer hier zwei unterschiedliche Bedeutungen von Gott an: Der Gott der Religion, den er aufgibt; und den Gott als das Geheimnis des Lebens, “vor und mit dem” er lebt.

12.
Worauf es im letzten ankommt: BETEN UND TUN DES GERECHTEN ( WE 157). „Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: Im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neugeboren werden aus diesem Beten und diesem Tun“.
Wer fragt, was ist eigentlich das Wichtigste im christlichen Glauben? Die Antwort: Es ist Beten und Tun des Gerechten. Dabei muss Bonhoeffer die Weisheit des AT loben: „Ist nicht die Gerechtigkeit und das Reich Gottes auf Erden der Mittelpunkt von allem ? (WE 144).
Noch einmal:
Beten heißt für uns heute: Reflektieren, meditieren, die eigene religiöse Poesie pflegen. Und das Gerechte (was mehr ist als das Recht!) tun!
„Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf“. (WE, 142).
Es gibt also für Bonhoeffer den Gott der alten Religion, der Metaphysik, den es zu überwinden gilt. Und den wahren Gott der Mystik, das “absolute Geheimnis”.

13.
Der katholische Theologe und Bonhoeffer-Forscher Tiemo R. Peters, (+), Uni Münster, schreibt::
Einen Gott, den ,es gibt‘, gibt es nicht, Gott ist im Personbezug“ (DBW 2, München 1988, 112). In den Gefängnisbriefen wurde der Gedanke weiter zugespitzt und vertieft: „Der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt“ (DBW 8, 558). Gottes „Antlitz“, möchte man mit Emmanuel Lévinas sagen, ist das des bedrohten Anderen, und ein anderes „Sein“ Gottes gibt es nicht – es wäre Produkt religiöser Phantasie und Projektion. Darum hat Bonhoeffer vom „leidenden Gott“ gesprochen, dem Gegenbild all dessen, was die „Religiösen“ von Gott erwarten. Ein im Leiden geschärfter, nicht-religiöser Glaube war es, aus dem er die künftige Theologie, Spiritualität und christliche Praxis hervorgehen sah – ein Grund, weshalb Befreiungstheologen wie Gustavo Gutiérrez oder Frei Betto ihn als einen der ihren betrachteten“. Über die Inspiration, die Bonhoeffer für einige Befreiungstheologen hat: Siehe das Buch von Paul Gerhard Schoenborn, „Studien zu Dietrich Bonhoeffer“, Münster 2012.

14.
„Religionslose Christen“: Mit dieser These nähert sich Bonhoeffer einem Gedanken des jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig an: „Die Sonderstellung von Judentum und Christentum besteht gerade darin, dass sie, sogar wenn sie Religion geworden sind, in sich selber die Antriebe finden, sich von dieser Religionshaftigkeit zu befreien und (…) wieder in das offene Feld der Wirklichkeit zurückzufinden“ (Rosenzweig: Das neue Denken, Gesammelte Schriften III, Den Haag 1984, 154)

15.
Der TEXT Bonhoeffers „Rechenschaft an der Wende zum Jahr 1943“ (also noch VOR der Verhaftung am 5.4.1943) ist online GRATIS zu lesen: https://sumsinagro.de/nach_zehn_jahren

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Kardinal Woelki, Köln: Wie reaktionär ist seine Theologie?

Ein Hinweis von Christian Modehn: Über den Führer der konservativen Bischöfe in Deutschland

Leider muss sich Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie immer wieder mit institutionellen Machtkämpfen innerhalb der römisch-katholischen Kirche befassen. Wir würden gern sehr viel wichtigere Themen der Menschen in dieser zerrissenen Welt diskutieren…. Aber: „Die Herren dieser Kirche drehen allmählich wirklich wieder einmal durch“, sagt mein amerikanischer Freund treffend, in ihrem Wahn, die rechte und einzig wahre Interpretation der Lehre des armen Jesus von Nazareth in ihrem Sinne durchzuboxen. Stichwort: „Synodaler Prozess in Deutschland“. Und diese Herren rauben dabei die Lebenszeit vielen Menschen, vor allem den noch vorhandenen Katholiken in Europa. Indem sie diese Leute dazu zwingen, sich mit der klerikalen Ideologie zu befassen. Als gäbe es nicht sehr viel dringendere Themen als etwa dieses total ausdiskutierte Thema des priesterlichen Pflichtzölibats. Von der so gen. „Homo – Ehe“ ganz zu schweigen, eigentlich ja auch relevant für die vielen homosexuellen Priester und ihre Freunde… Aber die Katholiken brauchen eben ihre eigene Ablenkung vom Wesentlichen, sie brauchen ihren Masochismus. Vielleicht sogar ihre erwünschte Ablenkung von Gott und dem armen Jesus von Nazareth und seiner Botschaft…indem man übereifrig und erhitzt von der Kirche redet und nichts anderes mehr kennt. Was für eine Schande!

Einige LeserInnen dieser website haben mich einmal mehr nach Kardinal Rainer Maria Woelki in Köln gefragt: Welche Theologie er denn so vertritt, wollten sie wissen. Dieser Führer der sehr Konservativen…
Ich kann dabei nur, aber doch erhellend gültig, auf einige ältere, grundlegende Texte verweisen, vor allem auf Woelkis Doktorarbeit an der Opus Dei Universität in Rom mit dem hübschen, ultra allgemeinen Titel „Die Pfarrei“. Ich habe damals darauf hingewiesen, dass man nicht Opus Dei Mitglied sein muss, um wie diese Geheimorganisation zu denken, wie im Falle Woelkis. Was vielleicht, wer weiß, so stimmen mag. Mitglied ist Woelki laut eigener Behauptung nicht, aber… Einer seiner Weihbischöfe (Ansgar Puff) stammt aus dem ebenso reaktionären Club der Neokatechumenalen…

Diese Texte können also für Interessierte zum Thema Rainer Maria Woelki, Kardinal zu Köln, wichtig sein; zu Woelki, der nebenbei, wie sei Vorgänger Meisner mindestens 11.500 Euro monatlich verdient.

Über die Ökumene mit Kardinal Woelki

Mit Woelki ins Getto:

Zu Woelkis theologischer Doktorarbeit an der Opus Dei-Universität in Rom, mit besonderer Berücksichtgung der totalen Ignoranz Woelkis für den großen modernen Theologen Karl Rahner.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Über die Vernichtung der Menschheit: Die „Lunge der Welt“ wird am Amazonas bewusst zerstört.

Der Regenwald rund um den Amazonas brennt –
Wie kann sich die Weltgemeinschaft von Bolsonaro und seiner Lobby befreien?

Ein Hinweis von Christian Modehn

Wenn der Urwald rund um den Amazonas, vor allem in Brasilien, durch Brandtstiftung zerstört wird, dann wird, das ist völlig klar, die „Lunge der Menschheit“ vernichtet. Mehr als 70.000 Feuer wüten momentan (23.8.2019) vor allem in den nordostbrasilianischen Bundesstaaten, wie Acre, Mato Grosso. Auch in Paraguay, Bolivien, Peru und Nordargentinien brennt es: Wer die „Lunge der Menschheit“ zerstört, der zerstört also letztlich die Menschheit sowie die Erstbetroffenen, die dortigen indigenen Völker und ihre Natur. 900.000 Indigene aus mehr als 300 Völkern leben dort. So dass sich jetzt die Menschheit, vertreten durch die wenigen noch demokratischen Staaten und die vernünftigen, d.h. an Menschenrechten und Naturrechten orientierten Menschen, sehr heftig und sehr erfolgreich wehren müssen gegen diese Zerstörung der Überlebensgrundlage. Es geht also um Leben und Tod. Denn die Brandstiftung ist eine Art Kriegserklärung, motiviert allein aus der ökonomischen Gier des Kapitalismus und seiner Konzerne. Diese Zerstörung der Lunge der Menschheit wird mit ungeahnter Brutalität betrieben, von Präsident Bolsonaro und seinem Clan sowie seinen verblendeten Verbündeten (wie Trump) geduldet und gewünscht. „Die brasilianische Regierung ist als geistiger Brandstifter verantwortlich für die Situation“, erklärt Roberto Maldonado, Brasilien-Spezialist beim WWF Deutschland.

Das Schlimme ist: Der letztlich verantwortliche brasilianische Politiker Bolsonaro wurde zum Präsidenten gewählt, er ist also formal gesehen kein Diktator. Er wurde bekanntlich gewählt vor allem mit den Stimmen der ultrafrommen Evangelikalen, der Pfingstler und des mächtigen konservativen (antisozialistischen, „Anti-Lula“) Teils der katholischen Kirche. Werden sich diese (begüterten) Kreise von Bolsonaro abwenden? Sie könnten das, aber sie tun das aus ökonomischen Gründen nicht. Sind sie gewissenlos? Vielleicht!
Die entscheidende Frage abe ist: Wie kann die bedrohte Weltgemeinschaft einen Präsidenten und seinen Clan, definitiv „privatisieren“?
Das ist die Frage, die sich Demokraten jetzt stellen müssen.

Rechtlich gesehen ist das alles neu und es gibt meines Wissens kein Beispiel, wie letztlich verbrecherische, aber gewählte Politiker, etwa als Zerstörer der „Lunge der Menschheit“, bestraft werden können. Es wäre dringende Aufgabe der Juristen zu prüfen, wie schnell Bolsonaro vor ein internationales Tribunal gestellt werden könnte. Und wie man die Opposition in Brasilien so stärken kann, dass sie Bolsonaro und seinen Clan abwählt oder absetzt.

Das katholische Hilfswerk ADVENIAT in Essen, auf Lateinamerika seit Jahren spezialisiert, spricht in dem Zusammenhang in ungewohnter politischer Deutlichkeit. Ich zitiere aus einer Pressemeldung vom 23.8. 2019:

„Deutschland und die Europäische Union machen sich mit ihrer Unterschrift unter das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten an den verheerenden Waldbränden mitschuldig“. Das sagt der Brasilien-Referenten des Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, Klemens Paffhausen: „Die versprochenen niedrigeren Zölle auf Importe von Rindfleisch und Soja aus Südamerika führen zu mehr Abholzung und mehr Anbauflächen.“

In jedem Fall: Auf der verbrannten Erde am Amazonas wird eines Tages Soja angebaut für den Fleischkonsum, auch in Europa! Unser Fleischkonsum ist also mitschuldig an der Zerstörung der “Lunge der Menschheit”.

Im Pressebericht von ADVENIAT heißt es weiter:
„Medienberichten zufolge ermittelte die Staatsanwaltschaft im Bundesstaat Pará bereits, ob es einen gezielten Plan von Großgrundbesitzern in der Stadt Novo Progresso gegeben hat. Sie sollen einen Tag des Feuers ausgerufen haben. Und just an dem von ihnen genannten Stichtag, dem 10. August, sei die Zahl der Brände in dieser Region um mehr als 700 Prozent angestiegen“, berichtet Klemens Paffhausen, Brasilien Spezialist von ADVENIAT.
Aber die Zerstörung des Urwaldes dort hat leider eine lange, oft unbeachtete Geschichte:
„Es gibt jedoch auch eine langfristige Ursache, auf die Wissenschaftler seit Jahren hinweisen. Nach ihren Angaben seien 20 Prozent des Regenwaldes im Amazonasgebiet abgeholzt, weiter 40 Prozent geschädigt. Entlang der Flüsse und Straßen fressen sich die gigantischen Sojaplantagen und Rinderweiden gnadenlos in den Regenwald. Der Verlust des wasserreichen Waldes führt seit Jahren zu immer längeren Trockenperioden. Kein Wunder, dass er nun wie Zunder lichterloh brennt. Der Wald verdorrt, die Regionen verwüsten, die Indigenen verlieren ihre Lebensgrundlage“, sagt Brasilien Experte.

Bolsonaro will von der Katastrophe ablenken, indem er Regime-Kritiker „Neokolonialisten nennt.

Selbst der oberste katholische Bischofsrat Lateinamerikas sagt klar: „Was im Amazonasgebiet passiert, ist keine lokale Angelegenheit, sondern von globaler Tragweite.“
Man kann gespannt sein, ob die katholische AMAZONAS Synode im Oktober 2019 dazu auch politisch deutlich spricht. Warum kann Rom Herrn Bolsonaro, der ja formal noch katholisch ist (trotz seiner Bindungen an die Evangelikalen) nicht exkommunizieren?

Und warum findet diese „Amazonas“ – Synode in Rom statt und nicht naheliegenderweise am Amazonas, etwa in Manaus, wenn sie doch „Amazonas Synode“ heißt? Sollen doch die Bischöfe den monströsen Waldbrand vor Augen erleben und in dieser Situation auch politisch relevante Entscheidungen treffen. Aber nein: Rom und der Vatikan sind relativ gemütlich. Von den Flugkosten der aus dem Amazonasbereich einfliegenden Bischöfe und dem CO2 Verbrauch redet man kirchlicherseits im Vatikan nicht.

Es geht vor allem auch um ein neues ökologisches Denken und Handeln auf Weltebene: Nicht mehr der gierige Mensch steht im Mittelpunkt, sondern die Natur im Ganzen, der Mensch ist NUR ein Teil der Natur, keineswegs aber der allmächtige, d.h. immer auch zerstörerische Herrscher gegenüber der Pflanzen – und Tierwelt.
Es gilt also den Herrschaftsanspruch der Menschen zu brechen. Daran können die Kirchen entschieden mitarbeiten: Sie müssen die Gläubigen zum Widerstand aufrufen und erziehen, zum Widerstand gegen die Gier der Konzerne. Und zum Widerstand gegen den Fleischkonsum.
Die Kirchen insgesamt sollten also zeigen, dass der biblisch überlieferte Herrschaftsanspruch des Menschen über die Welt und die Natur eigentlich ein Missverständnis ist.
Was kann der einzelne tun angesichts der Zerstörung der “Lunge der Welt”? Er sollte sich dauernd informieren über das, was in Brasilien passiert. Und in Gesprächen andere auf Brasilien aufmerksam machen. Er sollte sich solidarisieren mit Gruppen in Brasilien, die der Vernichtung des Regenwaldes Widerstand leisten und an einer Absetzung des Herrschers Bolsonaro arbeiten. Und, auch dies, er sollte weniger Rindfleisch essen, denn die Waldbrände am Amazonas sollen letztlich den Rindfleisch-Konsum auch in Europa fördern. Rindfleisch Essen hat also förmlich etwas mit dem Untergang der “Lunge der Menschheit” zu tun.

PS:
Die katholische Kirche in Brasilien verfügt seit langem über den ökumenischen indigenen „Missionsrat“ CIMI sowie über das Amazonasnetzwerk REPAM (Red Ecclesial PanAmazónica). Wichtig sind auch die Publikationen von Bischof Erwin Kräutler, der viele Jahre am Amazonas lebte und die Rechte der Menschen und der Natur heftig verteidigte. Es lohnt sich, die Bücher und Beiträge des ungewöhnlichen katholischen Bischofs zu lesen!

Die notwendige Kritik in Deutschland an Brasiliens Regenwald-Vernichtung fällt schwer, wenn man bedenkt: Statistisch gesehen gehört Brasilien bis jetzt nicht zu den ganz großen Umwelt-„Sündern“, sondern eben Deutschland, Europa, USA und China.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Philosophische Stadtführer: Ein Buch über Bamberg

Ein Hinweis von Christian Modehn

Das hat es bisher noch nicht gegeben, auf dem wachsenden Markt der „Reiseführer“: Bücher, die speziell die Vergangenheit und Gegenwart der Philosophie in einer Stadt anschaulich beschreiben und auch speziell „philosophische Spaziergänge“ anbieten: Dabei hat es doch einen ungewöhnlichen Charme, auf den Spuren von Philosophen und philosophierenden Künstlern oder Schriftstellern durch eine Stadt zu wandeln … einiges zu lesen, unter kompetenter Begleitung zu Debattieren und ins Reflektieren zu kommen.

Für Bamberg ist vor kurzem ein „Stadtphilosophischer Lehrpfad“ erschienen: Meines Wissens in dieser Form ein Novum! Das Buch der Philosophen Andreas Reuß und Matthias Scherbaum verdient also Beachtung nicht nur bei denen, die sich für diese Stadt als „Weltkulturerbe“ interessieren, sondern auch bei allen, hoffentlich bei Verlegern, die „Philosophie und Stadt“ bzw. noch spezieller „Philosophie und Tourismus in der Stadt“ in Büchern gestalten wollen. Bekanntlich sind spezielle Reiseführer zur jüdischen Geschichte und zum jüdischen Leben sehr erfolgreich, wie auch Reiseführer „auf den Spuren von Künstlern, Literaten und Dichtern“. Nun also könnte eine neue Dimension von Reiseführern entstehen, zumal die Philosophien und damit auch etliche Philosophen heute aus der engen Welt der Universität herausgefunden haben.

Der philosophische Stadtführer zu Bamberg beschreibt viele Orte in der Stadt, die eine philosophische Vergangenheit für die Gegenwart sichtbar machen: Dabei wird nicht nur an den Aufenthalt Hegels in der Stadt erinnert und bei der Gelegenheit einiges Wesentliche über dessen philosophischen Ansatz vermittelt. Immerhin hat ja Hegel sein erstes ganz großes Werk „Die Phänomenologie des Geistes“ im Jahr 1807 in Bamberg veröffentlicht. Er arbeitete dort übrigens als Chefredakteur der „Bamberger Zeitung“, ein Job, der ihm gar nicht gefiel. Und von journalistischer Leichtigkeit und Zugänglichkeit ist seine „Phänomenologie“ jedenfalls nicht geprägt. Aber das Buch hat trotzdem bis heute „Geschichte gemacht“. Leider fehlt es offenbar an Orten und philosophischen Salons in Bamberg, wo Interessierte, auch Touristen, über die „Phänomenologie des Geistes“ oder Hegel „überhaupt“ ins Gespräch kommen könnten.
Vor Hegel hatte schon sein Studienfreund Schelling Bamberg besucht und naturphilosophische Vorlesungen gehalten, im Zusammenhang auch mit dem berühmten Arzt und vorbildlichen Klinikgründer Dr. Marcus. Auch der Philosoph Ludwig Feuerbach hat Beziehungen mit Bamberg: Er ging hier zur Schule. Schwer zu sagen, ob er sich angesichts der Überfülle von Kirchen und katholischen Traditionen damals (heute eher etwas marginaler) gerade deswegen zu einem Religionskritiker entwickelt hat.
Natürlich werden in dem Buch die großen Bamberger Kirchen auch philosophisch gewürdigt, etwa der Dom und der Domplatz oder das Karmeliterkloster mit seinem berühmten Kreuzgang. Philosophen und Theologen des Mittelalters begegnen dem Leser und Stadtbesucher etwa auf dem Michelsberg, die Autoren bieten einige Hinweise zu den „Lehren“ der jeweiligen Philosophen, diese Hinweise wirken manchmal etwas lexikalisch und „abstrakt“. Auch der Begründer des „Gregorianischen Kalenders“, der Jesuit Christophorus Clavius (1538 – 1612) ist, weil in Bamberg geboren, in dem Buch erwähnt.
Und das ist wohl gut so: Denn ein philosophischer Stadtführer, bestimmt „für viele“, muss den Begriff der Philosophie eher weit fassen und auch Forscher, Schriftsteller, Dichter und Künstler einbeziehen: Denn auch sie inspirieren zum philosophischen Reflektieren. So wird etwa E.T.A. Hoffmann in dem Buch „Stadtphilosophischer Lehrpfad Bamberg“ zwar erwähnt, für mich leider viel zu kurz. Und der „Lehrpfad“ selbst führt leider nicht zu seinem Wohnhaus, das heute ein kleines, aber feines Museum ist.

Was könnte ein philosophischer Reiseführer alles bieten, etwa über Berlin: Leibniz, Fichte, Hegel auch und Schelling, Kierkegaard, Marx, Schleiermacher, Guardini, sie alle und viele andere, etwa die Kantianer oder philosophisch gebildeten protestantischen Theologen hatten in Berlin ihre Orte, Benjamin auch in Grunewald … und all die Künstler, auch die Russen, die in Berlin (kurz) lebten, etwa der russische Philosoph Berdjajew: Was für ein prächtiges philosophisch und sicher auch unterhaltsames Buch könnte entstehen, auch ein Gedenken an den philosophierenden König Friedrich II, den „Alten Fritz“, der, tolerant wie er war, den Katholiken in Berlin die St. Hedwigskathedrale baute im Stil des römischen Pantheons. Ein solches Buch, das Philosophieren in die jeweiligen Lebensbedingungen der Stadt platzierend, und mit Adressen gegenwärtiger philosophischer Orte (Salons z.B.), könnte Menschen in die Philosophie führen. Es wäre ein Projekt, selbstverständlich mit entsprechenden Büchern über München, Frankfurt, Heidelberg, Paris, Amsterdam usw. für junge journalistisch begabte PhilosophInnen…

„Stadtphilosophischer Lehrpfad Bamberg“. Von Andreas Reuß und Matthias Scherbaum. Erich Weiss Verlag, Bamberg 2018. 168 Seiten.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin.

PS: Der Obertitel für die hier empfohlene Buchreihe könnte heißen: „Denk-Städte“. Diesen Titel reserviere ich mit copyright: 16.8.2019 Christian Modehn

Die freien Geister und Freigeister suchen ihre eigene Spiritualität: Über ein Buch von Lorenz Marti

Ein Buch – Hinweis von Christian Modehn

Das neue Buch von Lorenz Marti hat den Titel „Türen auf“. Natürlich sind damit auch die massiven Kirchenportale und schweren Eichentüren der Kathedralen gemeint, die, wie z.B. in Deutschland, so oft verschlossen sind. In „heiligen Tempeln“ sollte hingegen immer, bei offenen Türen, frischer Wind wehen. Davor haben aber bestimmte Herren (der Kirchen) Angst. Sie mögen den alten Staub und den leicht muffigen Geruch.
Also: „Türen auf“. Und dies ist vor allem eine Forderung an den einzelnen, sich selbst zu öffnen und Verpanzerungen abzulegen. Entscheidend für die Lektüre dieses anregenden Buches von Lorenz Marti ist der Untertitel „Spiritualität für freie Geister“. Auf Spiritualität kommt es an, nicht auf Dogmen, nicht auf religiöse Institute, „Religionen“. Sondern auf die ungebrochene und niemals zu kontrollierende Lebendigkeit des Geistes, des „spiritus“, der alle Menschen auszeichnet in allem Fragen, Forschen und religiösem Suchen. Also ist jeder und jede „irgendwie“ spirituell. Lorenz Marti legt Wert darauf, sich an „freie Geister“ zu wenden. Man möchte meinen, wohl auch an „Freigeister“, an Menschen also, die alte Verklammerungen an überlieferte Dogmen aufgegeben haben. Und zum Beispiel aus der Kirche ausgetreten sind. Die also aus der Sicherheit des „Gott-Habens“ ausbrechen mussten aufgrund eigener Lebenserfahrungen. Und die nun Ausschau halten, experimentieren, fragen, das neue Eigene suchen, das ihnen vielleicht vorübergehend eine Basis im Leben sein kann. Eine solche Spiritualität ist in Zeiten der “Kirchenaustritte” förmlich eine Notwendigkeit!

Lorenz Marti, Publizist und früher Journalist beim Schweizer Radio DRS in Bern, wendet sich also an die vielen Menschen, die in den Kirchen „spirituell heimatlos“ geworden sind. Aber doch einige Einsichten und Weisheiten des Christentums (und anderer Religionen) für sich bewahren wollen. Diese zunehmend große Gruppe der vielen tausend Menschen in Europa bezeichnet die Religionssoziologie als „Konfessionslose“, definiert sie also über einen Verlustbegriff „ – lose“. So, als hätten sie nichts mehr an Spiritualität. Dabei sind diese vielen Menschen doch gar nicht „ohne“ oder „-los“. Sie bilden oft ihre eigenen spirituelle Haltungen. Sie sind also, institutionell meist nicht mehr organisiert, freie Geister. Ob sie neue Orte des Gesprächs suchen und wollen, wäre eine Frage. Marti erwähnt als seinen Gewährsmann zu recht den Theologen Friedrich Schleiermacher: Für ihn war ja Kirche auch ein „Ort geselligen Miteinanders und des Zusammenseins“ unterschiedlicher Menschen. Solche neuen offenen Gemeinden, warum nicht als „offene Salons“ gestaltet, bräuchten vielleicht einige der „freien Geister“ zum Austausch. Warum nicht auch dies: Zum Lernen als Neues Entdecken.

Und genau sie werden von Lorenz Marti in seinem Buch zum Mitdenken und vor allem zum Weiterdenken eingeladen in insgesamt 46 kurzen Essays, die nie mehr als drei bis vier Buchseiten beanspruchen. So ist förmlich eine Art „Brevier“ für den Alltag entstanden: Ich würde fast den praktischen Rat geben: Man lese jeden Tag einen Beitrag und verwende mindestens die doppelte Zeit noch einmal zur Reflexion, wenn nicht zur Meditation. Manche Beiträge bieten grundsätzliche Reflexionen, etwa über „Gott“: „Ein unmögliches Wort“ (S. 144), andere Essays orientieren sich an Dichtern, wie Rilke, Gertrude Stein oder Mascha Kaleko.
Diese Essays sind unter neun Kapiteln zusammengefasst, die sich auf zentrale Haltungen und Werte beziehen: Aufbruch, Freiheit, Sinn, Vertrauen, Verbundenheit, Gelassenheit, Wahrheit, Offenheit, Zuversicht. Und zum Schluss noch der schöne Text „Eine Kerze anzünden“.
Was an den Essays fasziniert, ist auch die persönliche Sprache. Da spricht ein „Ich“, das selbst als freier Geist doch bewegt ist von einigen Weisheiten des Christentums, andererseits doch die Last der dogmatischen Lehren nicht mehr mit sich herumschleppen will. So plädiert der Autor in „sanfter Argumentation“, möchte man sagen, ruhig, nie arrogant, nie belehrend, für eine Unterscheidung der eigenen Geister, die in jedem Menschen auch religiös drängen und drängeln. Lorenz Marti plädiert letztlich für eine „Religion in ihrem humanistischen Gewand“. Und er weiß, was das reformierte Christentum, der Protestantismus, „eigentlich“ sein könnte, wenn er den liberalen Theologen Ulrich Barth (Halle an der Saale) zitiert: „Protestantismus heißt der Traum einer Religion für freie Geister“ (S. 50). Diese freien Geister wissen von ihren Grenzen, verzichten aber nicht aufs Hoffen: “Ein japanisches Sprichwort: Fällst du sieben Mal um, so stehe achtmal auf. Das ist Gnade… und dafür sage ich Danke“ (S. 112). Und dann wird der offene Geist als solcher deutlich formuliert: „Vielleicht hat dieses Danke eine konkrete Adresse, vielleicht aber auch nicht…“ Suche also jede Leserin, jeder Leser, ob er eine konkrete Adresse finde für sein „Danke fürs Dasein“. Es ist diese wohlwollende Offenheit, die keinen theologischen oder ideologischen Denk-„Zwang“ ausübt, dies macht die Lektüre des Buches so erfreulich … und hilfreich.
Was mir besonders gefallen hat? Vor allem dieser Satz: “Das Feuer hüten und nicht die Asche bewahren. Der Geist der Rebellion darf nicht erlöschen“ (S. 95).

Lorenz Marti, „Türen auf. Spiritualität für freie Geister“. Herder Verlag, August 2019, 192 Seiten. 18 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Polen: Katholische Kirche mitschuldig an Gewalttaten gegenüber Homosexuellen

Ein Hinweis: Zur Gewalt in Polen und zum CSD (in Berlin am 27.7.2019)
Von Christian Modehn

In der polnischen Stadt Bialystok (in der Woiwodschaft Podlachien) wurden Demonstranten der dortigen Gay-Pride am 20.7.2019 heftig angegriffen, z.T. schwer verletzt und insgesamt von Rechtsradikalen beschimpft. KatholikInnen beteten inmitten diese Mobs der Gewalt ganz öffentlich den Rosenkranz, um die Sünde, nicht die der rechtsradikalen Gewalttäter, sondern die der Demonstranten einzudämmen…

Wichtig ist die zwiespältige Rolle (Psychiater würden wohl eher sagen Schizophrenie) der katholischen Kirche angesichts dieser Gewalttaten:

Der Sprecher der polnischen Bischofskonferenz, Pawel Rytel-Andrianik,.verurteilt zwar die Gewalt gegen die TeilnehmerInnen der gay-Pride-Demonstration, die ja eine genehmigte Demonstration war.

Aber dem offiziellen Spruch der Distanzierung von der Gewalt sagt der Kirchenvertreter: „Zugleich muss man das volle Evangelium verkünden und nicht aufhören, Todsünde als solche zu benennen“.

Homosexuelle sind öffentliche Todsünder

Das heißt: In der Sicht der Bischöfe sind Homosexuelle und Transgender, so wörtlich, Todsünder. Sie sind also Menschen, in Polen in den allermeisten Fällen noch getaufte Katholiken, die sich aber nun, so das Urteil, außerhalb der Kirche befinden. Sie sind also Ausgestoßene. Man darf sie öffentlich in Polen als „Todsünder“ „benennen“. Kinder sollte man ohnehin von diesen „Todsündern“ fernhalten. Und ihnen bloß keine Wohnung vermieten!
Früher hat die Kirche – nebenbei gesagt – Todsünder, etwa Ketzer und Häretiker, aber auch „Sodomiten“, zum Tode verurteilt und z.B. verbrennen lassen. Heute werden Todsünder höflicherweise nur noch öffentlich kirchlicherseits benannt und somit den privaten Attacken freigegeben… Und an diesen Attacken, dieser Respektlosigkeit gegenüber den Menschenrechten, beteiligen sich die katholischen Medien in Polen mit großer Leidenschaft. Man denke an den antisemitischen und homophoben Medienimperium mit dem Hetzsender „Radio Maryja“ des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk. Der darf seit Jahren unbeirrt hetzen. Eine Absetzung durch den angeblich allmächtigen Papst ist oft verlangt, aber nie erreicht worden. Antisemiten und Homophobe sollen halt einen großen Platz haben in der römischen Kirche, darf man daraus schließen.

Die Qualifizierung der Homosexuellen als Todsünder ist skandalös. Nicht nur, weil der dringend gebotene Begriff und die Idee der Menschenrechte im Statement des Bischofssprechers nicht vorkommt. Sondern diese Gay-Pride-Demonstranten werden in kirchlichen Kategorien beschrieben: „Die Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen sind unsere Brüder und Schwestern, für die Christus sein Leben gab und die er zur Erlösung führen will”. Wenn sie aber, wie es der Offizielle katholische Katechismus von 1993 vorschreibt, auf ihre Sexualität verzichten, können sie „wieder unsere Brüder und Schwestern“ werden…Diese Kirche erlaubt es sich, allen Ernstes im 21. Jahrhundert bestimmten Menschen die nun einmal auch sexuell geprägte Liebe zu verbieten. Das nennt man eine Wahnvorstellung.

Der Mob aber, der die Gay-Pride-Demo in Bialystik attackierte, ist also von den katholischen Medien, der PIS Partei und den Moralgesetzen der Kirche aufgestachelt worden. Der Mob ist ein „Resultat“ kirchlicher und rechtsextremer Indoktrinierung.

Katholische Ideologie in Polen erzeugt homophobe Gewalt

Das heißt: Die Kirche im ganzen ist mitschuldig an den Attacken in Bialystok. Und die Verteufelung der Homosexuellen wird durch die enge Liaison von PIS Partei und Katholizismus noch weitergehen, wenn denn im Herbst der Sexualkunde Unterricht aus den Schulen Polens verbannt werden soll. Denn: Homo Lobbys hätten sich in den Sexualunterricht eingeschlichen, wird allen Ernstes offiziell staatlich verbreitet. „Die Gender-Debatte gefährde die polnische Identität, heisst es dazu von polnischen Kanzeln. Das alles werde zur Dechristianisierung Polens führen“, berichtet die NZZ am 7.4.2019.

Warum ist die Haltung der Bischöfe Polens gegenüber den Homosexuellen im allgemeinen schizophren? Weil diese Herren mit aller Gewalt die Erkenntnis unterdrückt haben, dass viele hundert Priester in Polen homosexuell sind; dass sogar der polnische Nuntius Wesolowski in der Dominikanischen Republik wegen Homosexualität und Pädophilie aus dem Verkehr gezogen werden musste; dass etwa Erzbischof Juliusz Paetz, ehem. Erzbischof von Posen, ein bekannter Homosexueller ist. Zu weiteren Informationen über den Zustand der Verlogenheit in der polnischen Kirche, klicken Sie hier.
Die Republik Polen, Mitglied der EU, von der Kirche als der „Hauptlieferantin“ der Ideologie angestachelt, entfernt sich immer mehr von der europäischen Menschenrechts-Ordnung.

Die CSD in Berlin am 27.7.2019
Katholische Kirche in Berlin offiziell homo-ignorant

Da fällt auf: Unter allen öffentlich bekannten größeren gesellschaftlichen Gruppierungen nehmen drei nicht an der CSD Parade teil: Die AFD, die großen Moschee-Verbände und, wie zu erwarten, die katholische Kirche bzw. das katholische Erzbistum Berlin. Wenn die CSD Parade am Nollendorfplatz ganz nahe an der katholischen Kirche St. Matthias vorbeigeht, wird diese große Kirche inmitten des Berliner „gay village“ selbstverständlich wie immer geschlossen sein. Selbst wenn die Kirche offen wäre, würde wohl kein Homosexueller nach all der Hetze weltweit dort noch Hilfe und Unterstützung erwarten, geschweige denn spirituelle Begleitung, die Homosexuelle und Transgender verstehen könnten.

Autos werden gesegnet, homosexuell Liebende nicht

Stattdessen wird in katholischen Kirchen nach wie die Segnung von Autos und Motorrädern, von Handys und von Haustieren mit Begeisterung praktiziert. Dieser Fetischismus, dieser Wunderglaube, ist katholischerseits selbstverständlich. Homosexuelle Ehepaare sind vom offiziellen Segen in einer katholischen Kirche ausgeschlossen. Die Haltung von Papst Franziskus zur Homosexualität ist bekanntlich widersprüchlich und alles andere als liberal… So koppelt sich die katholische Kirche (auch in Deutschland) von der gegenwärtigen Kultur ab. Die katholische Homophobie in Afrika zählt mehr als das Menschenrecht in Europa. Dies ist keine „kolonialistische“ Aussage! Sondern eine Zustandsbeschreibung.
In Deutschland jedenfalls wird die katholische Kirche immer mehr, theologisch gesehen, zur „Sekte“, d.h. klein, selbstbezogen, ängstlich, bieder und kleinbürgerlich, aber noch stark an finanziellen Mitteln, d.h. 6,43 Milliarden Euro (sic) Kirchensteuereinnahmen etwa im Jahr 2017.

Zwei Beiträge auf dieser website zeigen, dass der § 175 in der katholischen Kirche noch immer besteht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Der Klerus ist etwas ganz Besonderes: „Kleider machen Priester“

Ein Hinweis von Christian Modehn … Zur Absonderung des Klerus durch die “Soutane”

1.

Der katholische Klerus ist eine von den übrigen Mitgliedern der Kirche herausgehobene Gruppe. Das wissen wir seit langer Zeit. Diese Erkenntnis wird verstärkt durch die Freilegung des sexuellen Missbrauchs durch Kleriker: Bischöfe haben die klerikalen Täter geschützt und vor den staatlichen Gerichten bewahrt. Warum? Weil die klerikalen Täter Kleriker sind. Und aufgrund ihres Standes eine Sonderrolle spielen in dieser Kirche und ihren Gesetzen. Kleriker stehen an der Spitze der Hierarchie und verdienen deshalb privilegiert zu werden: So leb(t)en sie förmlich in einem rechtsfreien Raum, der nur von der Eigenwilligkeit des Kirchenrechts bestimmt wird. Dieses Kirchen-Recht ist ja ein Werk, das die Kleriker ohne jede auswärtige Kontrolle oder Mitarbeit für sich selbst geschaffen haben.
Es wird Zeit, die Sonderstellung des Klerus auch in ihrer besonderen Kleidung im Alltag herauszustellen. Dabei sind nicht die Gewänder gemeint, die der Klerus für die rituellen Feiern, etwa der Messe, in der ganzen bunten Pracht verwendet. Man denke bitte bei unserem Thema NICHT an die roten Schuhchen von Papst Benedikt XVI.
Es geht also um die „Kleidung des Klerus im Alltag“, dies ist ein spannendes, meines Wissens leider kaum bearbeitetes historisches oder theologisches Thema, zumindest in Deutschland. Es dient der Aufklärung über den ungebrochenen Sonderstatus des Klerus bis heute. Und die immer deutlicher werdende Bevorzugung der Priesterkleidung (Soutane) auch in der Öffentlichkeit heute ist ein eindringliches Zeichen für die kirchliche Ablehnung des Weltlichen, der Moderne im ganzen: “Wir Kleriker demonstrieren mit der aus Vorzeiten stammenden Kleidung der Soutane unseren Abstand zur laizistischen modernen Welt”. Der französische Theologe und Priester im Dominikanerorden Christian Duquoc schreibt entsprechend 1985: “Das Grundübel, das all dem zugrunde liegt,(für die allgemeinen Probleme des Klerus), besteht in der Trennung des Priesters vom Volk. Der Klerus lebt und erlebt diese Trennung wie eine ekelerregende Krankheit: Sie ist schimpflich und ungerecht”(in: “Die Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils”, Patmos Vl. Düsseldorf, 1986, S. 374).

2.

Das Thema ist also mehrfach aktuell: Die konservativen Klerus – Gemeinschaften verlangen seit Jahren schon wieder, dass ihre Mitglieder die Soutane oder die Ordensgewänder immer auch in der Öffentlichkeit tragen, selbst in Frankreich ist das üblich. Während etwa ältere, eher liberal gesinnte Welt – und Ordenspriester im grauen Anzug mit Krawatte in der Öffentlichkeit auftreten, oft mit einem kleinen Kreuz am Revers, sehnen sich förmlich die jüngeren Priester nach dem Talar oder dem Ordensgewand. Sie wollen herausgehoben sein, sie wollen auffallen, als „ehrwürdige Brüder“ etc. angesprochen und besonders behandelt werden. Ich erinnere mich noch ein Gespräch mit dem damaligen Bischof von Amiens, Jacques Noyer: Er trug um 1998 einen Anzug und eine Krawatte. Keinen Talar! Unvorstellbar heute! Das Gespräch war von großer Nähe und Freundlichkeit geprägt, man möchte sagen, man konnte mit ihm auf „Augenhöhe“ sprechen. Es ist natürlich klar, dass die von den jeweiligen Vorgesetzten und „Oberen“ festgelegte Kleidergesetzgebung auch ein Schutz sein soll für die jungen Priester, wenn nicht gar eine Art Zwang: Die Priester sollen sich in der Öffentlichkeit nicht an zu „weltliche“, gar verrufene Orte begeben: Welcher Bettelmönch würde in Paris als solcher gekleidet in ein feines Restaurant gehen oder in einem Kino sich einen Film mit allerhand Sex-Szenen ansehen? Jedenfalls haben die Oberen zu ihren Priestern so viel (Miss)trauen, dass sie diese in erkennbar klerikale Gewänder zwängen. Die „Legionäre Christi“ sieht man in Rom immer nur in „Kohorten“, in Soutanen gekleidet, durch Rom eilen, ebenso die vielen jungen sehr konservativen Priester aus dem „Neokatechumenat“ oder die ebnso sehr konservativen Kleriker des Instituts „Christus König und Hoherpriester“ etc.. Es gibt bekanntlich Bilder, auf denen junge Priester Fußball spielen in Soutane oder gar in Polen etwa mit der Soutane Ski fahren…
Dabei ist klar, dass selbst diese konservativen Priester über weltliche Kleidung verfügen: Man denke daran, in welchen prächtigen Anzügen sich der Generalobere des katholischen Ordens „Legionäre Christi“, Pater Marcial Maciel, mit seinen Liebhaberinnen, meist älteren sehr reichen Damen traf. Dazu gibt es hübsche Fotos. Er gab sich bei seinen von Finanzinteressen gesteuerten Liebesbekundungen als „Manager“ aus etc. Und dieser weltliche konservative Klerikale ist alles andere als eine Ausnahme. Klar ist auch: Die Kleriker ziehen ihre Soutane auch gern aus, etwa wenn es zum sexuellen Missbrauch kommt: Da lassen sie selbst ihre klerikalen Gewänder in der Sakristei, neben der Kirche, fallen, wie etwa der australische Kardinal Pell: Er forderte in der Sakristei die Knaben zum Oralverkehr auf. Allerdings, wie er im Prozess kürzlich vor seiner Verurteilung betonte, nur sechs Minuten lang…Und der Ordenschef, im Orden nur „Generaldirektor“ genannt, Pater Marcial Maciel, empfing seine Knaben aus den Schulen oder dem Noviziat gern bereits ausgezogen im Bett und dort um bestimmte Massagen bittend. Das berichteten Betroffene und Opfer des obersten Ordenschefs schon um 1985 dem Vatikan, der darauf selbstverständlich gar nicht reagierte! (Wer sich für Details interessiert, lese das Buch „Marcial Maciel, Historia de un Crimnal“, von Carmen Aristegui, Grijalbo Verlag, 2010, etwa den Beitrag des damals 12 jährigen Maciel-Opfers Alberto Athié, in dem Buch Seite 48).
Jedenfalls zeigen schon die wenigen Beispiele, die endlos verlängert werden könnten: „Der Habit macht noch keinen Mönch“.

3.

Ich will hier nur an einige Forschungsergebnisse erinnern, die der Historiker und Kirchenrechter Louis Trichet in seiner Studie „Le Costume du Clergé“ (Paris 1986) vorgelegt hat. Dieses Buch verdient immer noch viel Beachtung, wenn es um ein Verstehen der exklusiven Sonderrolle des Klerus geht. Trichet bezieht sich fast ausschließlich auf Frankreich und dabei auch fast nur auf die Kleidung des Weltklerus. Die Studie basiert vor allem auf ausführlichen Recherchen zum Kirchenrecht zu dem Thema.
Im ersten Teil wird deutlich, dass in den Jahrhunderten vom 300 bis etwa 400 sich der Klerus wie die allgemeine Bevölkerung kleidete.
Vom 6. Bis zum 7. Jahrhundert setzt die Tendenz ein, den Klerus schon durch die Kleidung herauszuheben.
Klar ist, dass in den kleinen Gemeinden in den ersten Jahrzehnten, nach Jesu Tod, die Gemeindeleiter, die Presbyter, sich NICHT von den anderen Gläubigen durch ihre Kleidung unterschieden. Unvorstellbar sich den –angeblich – ersten „Papst“, also den Fischer und Analphabten Petrus, mit einer Soutane zu denken. „Wir Kleriker müssen uns nicht durch unsere Kleidung, sondern durch unseren Lebenswandel unterscheiden“, schrieb Papst Coelistin I. noch im Jahr 428.
Der zweite Teil des Buches bezieht sich auf die Zeit von 1050 bis 1589: Der „ordo“, der Stand des Klerikers, unterscheidet sich von nun an von den anderen Ständen in der Kirche und dem Staat. Das bedeutet noch nicht, dass eine eigene „Klerus“ – Mode etabliert wird, sondern dass nur Empfehlungen von Papst und Bischöfen gelten, bestimmte auffällige Farben (besonders verboten sind die Farben rot und grün) der Kleidung zu meiden. Das Konzil von Milano verfügt dann als einzig gültige Farbe das Schwarze. Aber es gibt schon viele offizielle Regelungen zur klerikalen Kleiderordnung. Damit haben sich die Bischöfe und die Kirchenversammlungen lang und breit befasst.

Der dritte Teil des Buches gilt der Zeit von 1589 bis 1984. Jetzt wird die schwarze Soutane (sotana, in der italienischen Volkssprache, eine Bezeichnung für Unterwäsche für Männer wie für Frauen!) für Priester in der Öffentlichkeit verpflichtend. Das verfügte Papst Sixtus V.: Die Soutane ist ein langes, den Erdboden fast berührendes Gewand. Papst Sixtus V. lehrte explizit, die Priester gehörten ganz dem Herren (Christus) und deswegen müssten sie sich vom Rest des Gottesvolkes, der Kirche, durch eine besondere Kleidung unterscheiden. Wer die Soutane als Priester nicht trägt, dem werden strenge Strafen angedroht (S. 159). Mit der Tonsur wurde dann auch die Soutane überreicht. Die Würde des Priesters wurde die äußerliche Gewandung unterstrichen, wenn nicht gar erst erzeugt. Es war eine Welt des Misstrauens, dass man dem Priester ein nach außen hin moralisches Leben ohne die besondere Soutane nicht zutraute. “Wer die Kleidung des Klerus nicht trägt, hat nicht den Geist Gottes“, so etwa eine Bestimmung aus dem Bistum Alet in Südfrankreich (S. 156).
Die Französische Revolution schaffte –im Rahmen der égalité – das spezielle Klerus-Gewand ab, so wurde in der „Assemblée constituante“ entschieden: Die Priester mussten sich „a la francaise“ kleiden (S. 167). Diese Entscheidung wurde von der nachfolgenden Restauration wieder aufgehoben, und der Klerus musste sich wieder in die Soutane hüllen. Wer damals für die Priesterausbildung zuständig war, wie Pater Olier oder der heilige Vinzens von Paul, sprach sogar von der „heiligen Soutane! Die von Vinzenz von Paul ausgebildeten Priester wurden förmlich gezwungen, die Soutane zu tragen (S. 153).
Gegen den allgemeinen Zwang, diese (immer auch feminin wirkende) Soutane zu tragen, protestierten einige Priester, wie etwa Abbé Maret um 1840. Später wurde Abbé Maret Dekan der theologischen Fakultät der Sorbonne. Er schrieb: „Die Soutane ist nicht zu ertragen! Nicht wegen des Straßenschmutzes und der Beleidigungen, die die Soutane bei der kritischen Bevölkerung hervorruft. Diese Kleidung isoliert den Priester, trennt ihn von der Bevölkerung, sie ist eines der größten Übel der modernen Zeiten“ (S. 11, auch S.180 ). Aber Maret setzte sich – natürlich – nicht durch.

4.

Erst Mitte der 1960 Jahre wird offiziell vom Papst der so genannte „Clergyman-Anzug“ erlaubt, also der Anzug mit dem weißen römischen Colar und dem obligaten Kreuz am Revers des Sakkos. Die französischen Arbeiterpriester in den neunzehnhundertfünfziger Jahren waren wie ihre Kollegen gekleidet.
Nebenbei: Es gab und gibt auch Frauenorden, die ihren Schwestern die zivile Kleidung gestatten, aber das ist ein anderes Thema. Heute erlauben Frauen – Ordensgemeinschaften, die theologisch progressiv nennen kann, ihren Schwestern die zivile Kleidung.

Louis Trichet fasst seine Studien zusammen: „Als sich der Klerus zu einer bestimmten Zeit anders als die Laien kleidete, hat er sich wie die „anderen“ sozialen Kategorien verhalten: Denn der Klerus war nun ein organisierter „Corpus“, verschiedenen von den anderen. Die Entscheidung für die Soutane wurde die Regel, sie ist ein „Unfall“ der Geschichte, der von der Institution Kirche erzeugt wurde. (S. 214).

Literaturhinweis: Louis Trichet, Le Costume du Clergé. 243 Seiten, Paris 1986, Editions du Cerf. Das Buch ist antiquarisch für ca. 44 Euro zu haben.

Copyright: Christian Modehn Religionsphilosophischer Salon Berlin

ERGÄNZUNG: Junge Priester wollen durch ihre Soutane “identifizierbar sein”, berichtet die katholische Tageszeizung La Croix (Paris) am 21.12. 2023:

Près des trois quarts des séminaristes en France envisagent de porter la soutane. C’est l’un des enseignements de l’enquête « Qui seront les prêtres de demain ? », commandée par La Croix : 73 % des 434 répondants affirment vouloir porter cet habit ecclésiastique, dont 48 % « habituellement ».
De l’italien sottana, le mot « soutane » désigne l’habit porté sous les vêtements liturgiques des célébrants. Selon la définition de la Conférence des évêques de France (CEF), c’est un « vêtement long, boutonné sur le devant, porté par les ecclésiastiques », dont la couleur « dépend de l’état du clerc qui la porte : noire pour le clergé, violette pour les évêques, rouge pour les cardinaux, blanche pour le pape». À l’origine destiné à différencier les ecclésiastiques des fidèles, le port de cet habit a été réformé au gré des conciles.
Habit « bienséant »
Le port de la soutane se généralise après le concile de Trente (1542-1545), qui mentionne la nécessité pour les ecclésiastiques de porter un « habit bienséant ». La soutane est même un temps rendue obligatoire dans certains diocèses en France, avant d’être brièvement interdite en 1792, au cours de la Révolution. Elle est de nouveau autorisée, conscrite aux lieux de culte, lors du concordat, en 1801.
« Ce n’est qu’au XIXe siècle que la soutane devient un habit du quotidien, porté toute la journée par les clercs, y compris dans la rue, et non plus uniquement dans le cadre de cérémonies », précisait en 2022 l’historien Alain Rauwel, membre du Centre d’études en sciences sociales du religieux, au Monde.

À partir du concile Vatican II, la soutane devient facultative. En juin 1962, l’archevêque de Paris, Mgr Maurice Feltin, autorise les prêtres de son diocèse à porter la tenue dite de « clergyman », du terme anglican, composée d’une chemise et d’un pantalon, de couleur grise ou noire, et du col romain. Les autres évêques lui emboîtent le pas la même année.
Retour de la soutane
Depuis quelques années, la soutane fait son retour, notamment parmi les séminaristes, comme en témoignent les chiffres de l’enquête publiée par La Croix ce jeudi 21 décembre. Il n’existe toutefois pas de prescription particulière concernant son port au séminaire, un sujet qui fait régulièrement débat en France.
Début juin 2022, l’archevêque de Toulouse, Mgr Guy de Kerimel, avait interdit à tous les séminaristes de son diocèse de porter la soutane. « Le port de la soutane n’est pas permis au séminaire, c’est la loi en vigueur. Je demande donc à ce que cette loi s’applique hors du séminaire dans le diocèse de Toulouse, y compris pour les diacres », enjoignait-il dans une lettre leur étant adressée.
Selon l’article 284 du code de droit canonique, le clergé doit porter « un habit ecclésiastique convenable selon les règles établies par la Conférence des évêques et les coutumes légitimes des lieux ». Le Directoire pour le ministère et la vie des prêtres, dans son édition de 2013, publiée par la Congrégation pour le clergé, estimait que la soutane était « particulièrement indiquée » car « elle distingue les prêtres des laïcs et fait mieux comprendre le caractère sacré de leur ministère ». « Porter un habit clérical est, en outre, une sauvegarde pour la pauvreté et la chasteté », précisait aussi le document. Ces deux textes s’appliquent toutefois aux « clercs » et aux « prêtres », les séminaristes en formation étant des laïcs jusqu’au diaconat.

La communauté Saint-Martin, dont le séminaire compte le plus de candidats au sacerdoce en France, encourage toutefois le port de l’habit long dès la quatrième année de formation, avançant l’argument selon lequel il permettrait aux futurs prêtres d’être identifiables. « Qui reconnaîtrait le Saint-Père sans sa soutane blanche ? Même chez ceux qui se sont éloignés de l’Église, bien souvent, la soutane est restée dans les mentalités et continue d’identifier “le curé” ! », précise le site Internet de la communauté. « Dans une société de plus en plus sécularisée, plaide la communauté Saint-Martin, la soutane joue son rôle de signe qu’il existe une autre réalité. Habit inhabituel, elle incite à se poser des questions et à entrer en contact. »