LIBYEN: KZ –„ähnliche” Zustände: Die „Hölle“ für Flüchtlinge in Libyens Lagern!

Ein Hinweis von Christian Modehn

Nun sagen es – endlich – auch deutsche Diplomaten in gar nicht so diplomatischen Floskeln: Es gibt (für sie) wieder KZs, jedenfalls Lager mit „KZ-ähnlichen Zuständen“. Sie befinden sich zur Zeit in Libyen, in den Lagern, in denen mehr als 500.000 Flüchtlinge aus Afrika gesammelt und zusammengepfercht werden, denen die Flucht über das Mittelmeer nicht gelungen ist oder die auf ein Entkommen hoffen. Siehe etwa den Focus-Bericht.

Die „Tagesthemen“ haben am 18.11. 2018 diese entsetzlichen Verhältnisse in den neuen KZs in der bei solchen Themen eher üblichen Kürze von 3 Minuten gezeigt, ein Bericht von Daniel Hechler. Einige der dortigen KZ Insassen wollen sogar wieder in ihre Heimat Eritrea zurückkehren, dort sind die politische Verhältnisse, wie einige Europäer ja inzwischen wissen, katastrophal. Aber die Katastrophe dort sei besser als das KZ in Libyen, bzw. korrekt das „KZ ähnliche Lager…“

Schon Wochen zuvor haben die Medien immer wieder über diese von der EU gut bezahlten und letztlich von ihr mit-eingerichteten KZs berichtet, die Überschriften sprachen von „Hölle“, von „entsetzlich“ usw. Man suche selbst bei google unter dem Stichwort “Flüchtlingslager in Libyen“ weitere Informationen.

Es sind mehr als 500.000 Menschen aus Afrika, die in den mindestens 24 Lagern festsitzen bzw. festgehalten werden und unter so erschreckenden Bedingungen herumsitzen auf kleinstem Raum, dass sich TBC und andere Seuchen ungehindert ausbreiten. Ärzte trauen sich in diese stinkenden und verseuchten Räume nicht mehr rein..

„Die Zeit“ berichtete, dass viele dieser geschundenen Menschen als Sklaven weiter verkauft werden.

Eine KZ „ähnliche“ Katastrophe gibt es also wieder, am Rande des so zivilisierten, so wunderbar abendländischen, so stolz christlichen Europa, das sich in seinen Gedenkfeiern ohnehin ständig des humanen Geistes rühmt und ständig „nie wieder“ sagt, dabei aber diese KZ – ähnlichen Zustände hinnimmt oder mit gelegentlichen kleinen Finanzspritzen kurzfristig etwas erträglicher macht.

Dabei wird das große Geld der EU für die Abwehr der Flüchtlinge durch Libyen ausgegeben: 46 Millionen etwa im Juli 2017; das Auswärtige Amt stellte 2017 120 Millionen für die Lager bereit.

„Die libysche Einheitsregierung wird von der Europäischen Union und Deutschland politisch und militärisch unterstützt: Die so genannte libysche Küstenwache wird auch von der Bundeswehr ausgebildet. Damit sollen Flüchtlinge aus Libyen von Europa ferngehalten werden. Eine Rückführung von Flüchtlingen in Länder, in denen ihnen Folter oder Misshandlungen drohen, wäre völkerrechtswidrig. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert die Unterstützung der libyschen Einheitsregierung und deren Sicherheitskräfte durch die EU und Deutschland: “Das ist eine Art Komplizenschaft”, sagt Iverna McGowan. “Menschen werden in die Hände von Akteuren übergeben, von denen wir wissen, dass sie Menschen misshandeln.” (Tagesschau 15.3.2018) https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-milizen-101.html

Wer wagt es die Zusammenarbeit der EU auch Deutschlands mit den libyschen Behörden in die treffenden Worte zu fassen? Wer wagt es, von einem Niedergang der Humanität in Europa zu sprechen, einem Europa, das im ganzen gesehen wirtschaftlich blendend dasteht, aber unter allen Umständen den eigenen Luxus (oftmals durch Geschäftemacherei mit auch mit afrikanischen Diktatoren erworben) verteidigen will? Wer wagt es zu sagen, dass dieses Europa am eigenen Egoismus ersticken wird, weil keine reine Luft zum Atmen unter diesen korrupten Bedingungen mehr möglich ist.

Wer wagt es eigentlich zu sagen, dass dieses sich christlich, humanistisch usw. nennende Europa im Angesicht der KZ-„ähnlichen“ Zustände vor der eigenen Haustür, also in Libyen, eine totale Schande ist. Wann wird mit der „Aufarbeitung“ dieser Schande begonnen?

Wer den Kurzbericht in den Tagesthemen am 18.11. 2018 aufmerksam gesehen hat, wird in der Mitte des Films, am Rande eines überfüllten KZ –ähnlichen Lager-Raum, einen winzigen Hausaltar gesehen haben: Auf einem Stuhl stand ein Heiligenbild: Maria und Josef und das Jesuskind auf der Flucht. Davor die Reste einer Kerze! Dieses Bild ist das Symbol einer letzten (einer transzendenten) Hoffnung dieses Elenden KZ – ähnlichen Bewohners, der vielleicht aus dem christlich geprägten Eritrea oder aus der Elfenbeinküste kommt. Ein Bild, das einen allerletzten Trost, ein letztes spirituelles Geborgenseins trotz allen Hungers und aller Scherzen, ausdrückt. Es ist, von außen betrachtet, das Opium der Krepierenden, weil ihnen die Christen jegliche Humanität verweigern.

Die Kirchen sollten diese erschütternde Film-Einstellung, dieses Heiligenbildchen mit Maria, Josef und dem Christkind im Lager, fotografieren (natürlich alle rechtlichen Fragen vorher klären, dies wird sicher nicht Monate dauern) und allen Gottesdienstbesuchern am Heiligen Abend als Meditationsbild überreichen. Mit entsprechenden politischen Informationen zu Lagerleben dort… Dann schmeckt die edle Schokolade aus der Elfenbeinküste, unter dem so genannten Christbaum verzehrt, gleich noch viel besser…

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Als Buchempfehlung: Siehe meine Rezension von „Diktatoren als Türsteher Europas“. Ein schönes Weihnachtsgeschenk.

 

Von Schleiermacher heute lernen. Ein Hinweis von Prof. Wilhelm Gräb

Von Prof. Wilhelm Gräb, Berlin, November 2018  – anlässlich des 250. Geburtstages von Friedrich Schleiermacher

Veröffentlicht im Interview „Religion gefährlich und unentbehrlich“

Friedrich Schleiermacher wird von Theologen und Kirchenleitungen gern der „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ genannt. Es gibt jetzt sogar eine Sonderbriefmarke zu Ehren seines 250.Geburtstages. Als diese im Berliner Dom vor kurzem der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist auch wieder an diesen angeblichen „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ erinnert worden. Doch er wurde dies leider nicht und auch heute müsste sich in unseren Kirchen erst noch enorm viel ändern, bevor Schleiermacher seine Ideen zu einer Kirche, die in die moderne Zeit passt, auch nur einigermaßen verwirklicht sähe.

Gewiss, Schleiermacher ist seiner Zeit selbst auch Kompromisse mit der dem landesherrlichen Kirchenregiment unterstehenden preußischen Kirche eingegangen. Aber er hat sich doch mit dem König, Friedrich Wilhelm III., aufs heftigste angelegt als dieser im sog. Agendenstreit auch noch über die gottesdienstlichen Ordnungen bestimmen wollte. Schleiermachers Ideal war eine sich von unten, durch die Selbsttätigkeit der Gemeinden aufbauende Kirche, die radikale Trennung von Thron und Altar, Kirche und Staat. Er wollte eine christliche Gemeinde, die ihre Angelegenheiten selbst regelt, weil sie durch die Mitbeteiligung aller an einer Verständigung über die alle gleichermaßen betreffenden Belange des Lebens zusammengehalten wird. Die Religion gehörte für ihn essentiell zum Menschsein, weil ihm das Bewusstsein der Gottesbeziehung zugleich der Grund menschlicher Freiheit war. Den religiösen Glauben verstand er als eine unerschöpfliche Quelle der Lebenskraft, als Grund einer allen Menschen mitgegebenen Befähigung zu Autonomie, zur Selbstbestimmung in den religiösen wie in allen anderen Dingen des Daseins.

In seinen „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“ (1799), 10 Jahre nach der französischen Revolution, entwickelte Schleiermacher sein bis heute inspirierendes Kirchenideal. Er sprach von der Kirche als einer „vollkommenen Republik“, in der alle wechselseitig aufeinander wirken, Geben und Nehmen allen gleichermaßen eigen, die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien aufgehoben ist. Eine Kirche, die dennoch nicht nur ein frommer Zirkel ist, sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die „Anschauung des Universums“ betreibt, die Suche nach dem Sinn des Ganzen und unseres eigens Dasein zu ihrer Sache macht.

Es braucht Orte und Gelegenheiten in der Gesellschaft, wo wir uns über die existentiellen Fragen des eigenen Lebens und wie über das, was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält, verständigen können. Dass die Kirche ein solcher Ort in der Gesellschaft sein könnte, das war Schleiermachers Traum. Ich meine seine Impulse sind aktueller denn je!

copyright: Wilhelm Gräb, Berlin.

 

Afrika-Haus in Berlin-Moabit seit 25 Jahren aktiv: Berlin – ein postkoloniale Metropole.

Ein Gastbeitrag von Oumar Diallo

Das Afrika-Haus in Berlin Moabit ist seit 1993 der Sitz des Farafina e.V. und ein Ort des transkulturellen Austauschs und der politischen Bildung. Mit vielfältigen Veranstaltungen und Projekten hat sich das Afrika-Haus über die Grenzen der Hauptstadt hinaus in den vergangenen 25 Jahren viel Anerkennung als ein Ort für Begegnung und Bildung erworben. Anlässlich des Jubiläums, zu dem auch Stephan von Dassel, Bezirksbürgermeister von Berlin Mitte erwartet wird, erfolgt die Eröffnung der ersten Dauerausstellung des Afrika-Hauses zur Kolonialgeschichte Berlins.

Begonnen hatte alles in der Bochumer Straße 25 im Berliner Ortsteil Moabit. Hier gründete Oumar Diallo, diplomierter Soziologe aus dem westafrikanischen Guinea am 06. November 1993 den gemeinnützigen Verein Farafina e.V. und eröffnete das „Afrika-Haus“, zunächst als afrikanisches Restaurant und Kulturzentrum. Schnell entwickelte sich die Einrichtung zu einer Begegnungsstätte mit unterschiedlichen Angeboten an die damals etwa 11.000 in Berlin lebenden Afrikaner. Inzwischen leben fast 31.000 Menschen aus afrikanischen Staaten in der Hauptstadt.

Der Verein wollte von Beginn an mit seiner Arbeit Interesse und das Bewusstsein für Geschichte und Gegenwart Afrikas wecken, lebendige Beziehungen zwischen Menschen aus verschiedenen Nationen ermöglichen und damit einen Beitrag zum toleranten Miteinander und zur besseren Verständigung ganz unterschiedlicher Kulturen leisten. In loser Folge wurden seit dem Veranstaltungen angeboten, zu denen Filme, Lesungen, Musik und Theateraufführungen ebenso gehören wie Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Workshops und Diskussionsrunden. Mit der Zeit kamen auch Beratungsangebote an alleinstehende und ältere Menschen afrikanischer Herkunft z. B. bei Behördengängen oder anderen Fragen des persönlichen Alltags hinzu.
Vor etwa 10 Jahren gab Oumar Diallo den Restaurantbetrieb auf, um sich mit seinem Team ganz auf die Aufarbeitung kolonialer Geschichte in Berlin, auf Politik, Literatur und Philosophie Afrikas und die afrikanisch-europäischen Beziehungen zu fokussieren. In diesem Zusammenhang wird, anlässlich des Jubiläums des Vereins am 06. November, erstmals eine Dauerausstellung mit dem Titel:

Berlin: Eine (post-) koloniale Metropole

als ein Beitrag zur geschichtswissenschaftlichen Aufarbeitung eröffnet. Gleichzeitig werden an diesem Abend fünf Vertreter der afrikanischen Diaspora, die aus je einer der fünf Regionen Afrikas (Nord-, West-, Ost-, Süd- und Zentralafrika) stammen, für jeweils „ihre“ Region ein Zukunftsszenario vorstellen. Diskutiert werden unterschiedliche Varianten für eine nachhaltige Entwicklung in der entsprechenden Region in Zeiten von Klimawandel und Globalisierung. Das Ziel soll es sein, zu einem verstärkten Nachdenken über gemeinsame wie unterschiedliche Potenziale der fünf Regionen Afrikas zu gelangen, um so zu einer sozio-ökologisch nachhaltigen Entwicklung in der Zukunft beizutragen.
Seit nunmehr 25 Jahren funktioniert die Arbeit des Afrika-Haus durch die ehrenamtliche Tätigkeit von Vereinsmitgliedern und Freunden des Hauses. Träger des Afrika-Hauses ist der Verein Farafina e.V. Farafina bedeutet in der Sprache des westafrikanischen Volkes der Malinke „Afrika“ und steht für die Gemeinschaft im Zusammenleben verschiedener Ethnien. In Zusammenarbeit mit den Berliner Jobcentern ist das Afrika-Haus immer wieder Einsatzort für sogenannte „finanzierte Bürgerarbeit“ bzw. „Arbeitsgelegenheiten“ und auch Studierende können hier bei Interesse ihre Praktika absolvieren. Hinreichend Eigenmittel für feste Mitarbeiterstellen können nicht aufgebracht werden, aber seit Anfang 2016 verstärken vier vom Jobcenter finanzierte Helfer die personelle Situation im Afrika-Haus.

Das Afrika-Haus konnte sich somit zu einer Institution in der Berliner Kulturlandschaft entwickeln. Über vielfältige Aktivitäten gelang es dem Team und seinen Unterstützern, den afrikanischen Kontinent transparenter zu machen, aktuelle Herausforderungen zu thematisieren und auch zu Lösungen beizutragen sowie insbesondere den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen zu fördern. Dafür sprechen nicht zuletzt die Auszeichnungen mit dem Integrationspreis 2003 der BVV Berlin Mitte und eines Hauptstadtpreises für Integration und Toleranz der Initiative Hauptstadt Berlin e.V. 2016.

Ansprechpartner für weitere Informationen:   http://www.afrikahaus-berlin.de/

Oumar Diallo

Telefon: 030 392 20 10

In welcher Hinsicht ist Philosophie für mich eine Lebenshilfe? Eine Umfrage anläßlich des Welttages der Philosophie 2018

Anläßlich des Welttages der Philosophie am Donnerstag, den 15. November 2018, habe ich alle FreundInnen des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons Berlin, auch die 450 Abonnenten des Newsletters, eingeladen, aus persönlicher Sicht zu der Frage Stellung zu nehmen: “In welcher Hinsicht ist Philosophie für mich eine Lebenhilfe?”

Der philosophische Hintergrund: Für viele Philosophen auch heute ist Philosophie nicht nur eine akademische Disziplin an der Universität, sondern auch und mit dieser Uni-Philosophie vielleicht gemeinsam, ein Vorschlag, auf eine bestimmte Art sein eigenes Leben mit anderen zu leben. Es bedarf keiner weiteren Hinweise, dass angesichts des intellektuellen Zusammenbruchs der dogmatischen Religionen und Konfessionen zumindest in Europa Philosophieren und damit Philosophie ein hilfreicher Ausweg ist, letztlich eine Befreiung zum eigenen Selbst jenseits aller dogmatischen Sprüche. Dass Philosophie heute auch in den Medien viel präsenter ist als zuvor, ist sowieso klar. Darum also diese zweifelsfrei kontroverse Frage!

Und ich als Initiator bin gespannt, wie deutlich die Begeisterung dann doch ist, auf diese Frage zu antworten. Diese Antworten sollen ja den philosophischen Dialog weiter voranbringen. Christian Modehn.

P.S.: Die Stellungnahmen werden nach dem zeitlichen Eintreffen bei mir publiziert.

In welcher Hinsicht ist Philosophie für mich eine Lebenshilfe?

Von Eckard Siepmann

Mir dient philosophie dazu, die fenster der wahrnehmung sauber zu halten. Das alltagsleben beschmutzt diese fenster, wie es auch unsere unterhosen verschmutzt.

zunächst die frage des kindes, das sich die augen reibt:„wo bin ich hier eigentlich“? Hier ist philosophie der besen, mit dem die trügerischen selbstverständlichkeiten weggefegt werden können, mit denen uns der alltag blind für unsere aufregende situation macht.

als zweites: ich erkenne meine innere freiheit als bedroht durch konditionierungen aller art. philosophie ist auch hier der reinigende besen, der mich vor fremdherrschaft schützt, meine freiheit jubelnd  ausweitet.

Philosophie ist geistige erkenntnis, religion ihre übersetzung in den körper.

Eckard Siepmann am 1. 11. 2018

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Philosophieren heißt Sterben lernen

Von Marlies Blersch

Viktor Frankl, der manchmal auch als “Philosoph des Leidens” bezeichnet wird, spricht vom Menschen als Sinnsuchenden, der unter allen Bedingungen, auch unter den schwierigsten, Sinn verwirklichen will.

Er sagt: Es geht dem Menschen um die Verwirklichung von schöpferischen Werten und Erlebniswerten, und wenn durch  Schicksalsschläge wie Trennung, Krankheit oder Tod diese Wertstraßen versperrt sind, dann geht es um die Einstellungswerte, um die Haltung zum Leben auch unter den schwierigsten Bedingungen.

Er beschreibt in seinen Büchern viele berührende Beispiele, Gespräche mit Patienten – und als ich am Bett meiner kleinen, abgemagerten, von Kopf bis Fuß nach einem Sturz gelähmten Mutter sitze, erzähle ich ihr die Geschichte von Frau L., die mit letzter Kraft am Leben festhält, weil sie für ihre längst erwachsenen Kinder da sein will.

Frankl sagt sinngemäß zu Frau L.:

Liebe Frau L., Sie haben Ihr ganzes Leben lang für die Familie alles gegeben, Sie haben Ihren Kindern gezeigt, wie das Leben geht. Ihre Kinder haben alles von Ihnen gelernt, sie sind nun erwachsen und selbständig. Sie kommen mit allem allein zurecht, doch eines wissen sie noch nicht: sie wissen nicht, wie es geht, in Würde zu sterben – das ist das einzige, was sie von niemandem lernen können, das können sie nur von Ihnen lernen. Nur Sie können für sie ein Vorbild sein.

Da schaut mich meine müde Mutter an und sagt nach einer Weile zu mir: Ja, ich will Vorbild sein!

Sie stellt ein paar Tage später zuerst das Essen ein, dann das Trinken und stirbt – sie schläft ganz ruhig und friedlich ein.

Marlies Blersch am 3.11. 2018

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Reflektieren!

Von Hartmut Wiebus

Nicht „die“ Philosophie kann Lebenshilfe sein, sondern das Philosophieren, die Tätigkeit des Nachdenkens. Diese Tätigkeit heißt Reflektieren, sie ist zwar alltäglich, selbstverständlich fast. Aber das Reflektieren muss noch einmal reflektiert werden. Dann erst beginnt „die Anstrengung des Denkens“ (Hegel).

Was heißt reflektieren? „Zurückgeworfen werden“! D.h. noch einmal auf die selbe Sache schauen, aus der Distanz, man möchte sagen „von oben“, in dem Sinne: Nicht mehr nur involviert sein! Sondern den Gedanken, die Tat, noch einmal betrachten.

Philosophieren schafft diese heilsame Distanz, die ein neues Hin und Her im Denken erzeugt: Vielleicht habe ich falsch gedacht, mich geirrt? Alles beginnt also dann neu. Reflektieren ist die ureigene Lebenshilfe „der Philosophie“. Sie wird im Dialog gepflegt.

Hartmut Wiebus am 4. 11. 2018

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Von der Wiege bis zum Grabe: Fragen, Fragen, Fragen…

Von Hans Blersch

Als Kind glaubte ich, dass Erwachsene auf absolut jede Frage eine Antwort hätten, dass sie kleine wie große Schmerzen heilen könnten. Schnell korrigierte mich die Erfahrung: die anderen waren manchmal etwas klüger, manchmal etwas dümmer als ich. Mehr nicht. Hatten sie ähnlich bedrängende Fragen? Wollten sie nur nicht darüber sprechen? Zwei Hoffnungen hielten sich etwas länger: Wissenschaft und Philosophie. Mit den Wissenschaften ging es mir schnell wie mit des Kaisers neuen Kleidern: klangvolle Fremdwörter, die auch nichts erklärten, höchstens die Nacktheit besser übertünchten. Dafür gab es dann Doktortitel und die Hochachtung der kleinen Leute. Im Grunde ging es um eine Absprache darüber, dass Zweifel besser verborgen werden sollten. Unter den Wissenschaften hatte die Mathematik Sonderrechte. Ihre Resultate waren absolut richtig. 1 + 1 = 2 wurde weder von Atheisten der unterschiedlichsten Couleur noch von irgendeiner anderen Glaubensrichtung je angezweifelt. Der Grund für diese Toleranz ist trivial: Mathematik kann zwar arithmetische und geometrische Probleme lösen, bei existenziellen Fragen gilt: stillschweigende Enthaltung. Übrig blieb die Philosophie. Auch da begegneten mir wieder Latein und Verdunkelung. Aber, und das war wirklich neu: es gab hier Leute, die einfach aussprachen, dass sie wussten, dass sie nichts wussten. Das war in höchstem Maße beruhigend. Dieser Zuspruch kam mir aus allen Zeiten entgegen, und von Menschen der unterschiedlichsten Herkunft. „Hör zu Bruder!“, sagte mir eines Tages ein Nomade in der Wüste, der mich angehalten und zum Tee eingeladen hatte, weil er sich mit mir unterhalten wollte. Ja, dieser Mann, der weder lesen noch schreiben konnte, wusste genau so gut wie ich: wir waren Brüder im Wissen vom Nichtwissen. In aller Ehrlichkeit bei einem anderen Menschen heraus zu hören, dass er, wie ich, zutiefst beunruhigt war, was Antworten auf die Grundfragen der Menschen betraf, tröstete mich ganz ungemein. Damit konnte ich endlich leben und wurde ermuntert, weiter zu fragen, wie Philosophen mit der fundamentalen Gegebenheit des Nichtwissens in den Fragen der Menschen zurecht kamen. So begegneten mir Montaigne und meine Mutter („das Leben ist ein Kampf“ war ihr Mantra), Sokrates und Marc Aurel, der Mann im Krankenhaus, die Frau vor Gericht, Schopenhauer, der Nomade in der Wüste, das neugierige Kind, Descartes am Bücherstand im Warenhaus, der, ähnlich fragend wie ich, ob es auch nur eine einzige Gewissheit gäbe, ja zu mir sagte: Glaub mir, es gibt eine unbestreitbare Gewissheit, nämlich: dass ich zweifle. War das nicht wunderbar?

Eine Zeitlang schätzte ich René Descartes, aber schnell genug gingen unsere Wege dann wieder auseinander. Nun, im Alter angekommen, trösten mich Paradoxa. Wie schmeckt es wohl, das Nichts, in das ich bald eingehen werde? Wie fühlt es sich an? Wie wird er sein, der Tod, der immer näher kommt? Wie die Verzweiflung? Werden Schmerzen mich zum Widerruf zwingen? Werde ich dereinst wohl mit all jenen sprechen können, die mich ein Leben lang getröstet und verwirrt haben? Wird Michel Serres auch Zeit haben für mich? Was wird meine Mutter wohl sagen, nun, wo das Leben hinter ihr lag? Geht der Kampf immer noch weiter? Und jener Nomade aus der Wüste? Gerne würde ich ihn einladen zu Tee oder Wein und unser Gespräch von vor vierzig Jahren fortsetzen. Und würde ich wohl eine Audienz bei IHM bekommen und eine göttliche und dennoch menschlich verständliche Erklärung für all das Leid, für all die monströsen Ungerechtigkeiten, die er sich zu den von ihm geschaffenen Geschöpfen hat einfallen lassen?

Hans Blersch am 5. 11. 2018

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In welcher Hinsicht ist Philosophie eine Lebenshilfe /Lebensorientierung für mich ?

Von Dagmar Moeller-Bartelmann

Für mich gelten  als Lebensorientierung zwei  philosophische Traditionen, wenn auch beide mit Einschränkungen.
Zum einen die Pflichtethik Kants und zum anderen der Utilitarismus. Als weitere philosophische Orientierung besonders in aktuellen Fragen kommt  das philosophische Werk von R.D. Precht hinzu.

Für mich ist der Vernunftoptimismus  von Kant ein Ideal, selbst wenn Kant bei weitem die Rationalität überbewertet . Das zeigt sich besonders in seinem  berühmten „Mörderbeispiel“ aus der  Schrift :“Über ein vermeintes Recht aus Menschenliebe zu lügen“. Eine Vernunftorientierung ist notwendig, aber Gefühle und  Erfahrungen müssen mit berücksichtigt werden, wenn wir handeln und bewerten.
Gerade heute beweist die moderne Hirnforschung, s. Antonio Damasio :„Ich fühle, also bin ich “, dass Rationalität allein gar nichts bewegen kann, sondern nur in Verbindung von Emotionalität und Sozialität als Antrieb.

Für mich sollte  Kants Kategorischer Imperativ universalistisch bleiben, müsste aber zugleich konsequentialistisch sein. Eine moralische Argumentation sollte die beiden Elemente aufweisen:
1. Universalisierbarkeit der Maßstäbe und
2. Beachtung der Folgen einer Handlung.

Für mich ist die Pflichtethik Kants nur eine jeweils zu prüfende Anleitung für den Menschen, wie er sein s o l l .  Aber leider nicht dafür, wie er i s t .Deshalb gilt der Kategorische Imperativ für mich nicht in seiner Reinform. Er hilft z.B. im Falle einer Pflichten- und Normenkollision nicht weiter und kann sogar zu unmenschlichen Entscheidungen führen, s. das Mörderbeispiel.
Die Kantischen Überlegungen zur Moral müssten auch unserem biologischen Erbe, unseren moralischen Reflexen und sozialen Intuitionen Rechnung tragen.

Selbst  der utilitaristischen Standpunkt ist für mich  in seiner Reinform nicht  akzeptabel, denn was heisst das Glück der größtmöglichen Zahl ? Dieser Glücksbegriff ist zu hinterfragen, es gibt kein allgemein verbindliches Glück, das zu berechnen wäre. Aber die Konsequenzen einer Handlung müssen auf jeden Fall – so weit es geht – mit berücksichtigt werden, auch wenn sie letztendlich nicht  vollständig ermittelt werden können. Für mich lautet daher eine formal-utilitaristische Formulierung des Kategorischen Imperativs folgendermaßen:

Handle so, dass nicht nur die Maxime, sondern auch die Folgen deines Handelns bei allen vernünftigen Menschen Anerkennung gewinnen.

Für mich sind  eine weitere  Orientierungshilfe in unserer Zeit die Bücher, Vorträge von Richard David Precht und seine Philosophiesendung im ZDF.
Er ist nicht nur ein erfolgreicher Schriftsteller, sondern auch ein  lesenswerter und zu reflektierender Philosoph, der allgemein verständlich schreibt und spricht. Er holt die Philosophie aus dem Elfenbeinturm der Universitäten heraus und nimmt aus philosophischer Sicht auch zu aktuellen politischen Fragen Stellung, wie z.B.zur  Massentierhaltung, zum bedingungsloses Grundeinkommen oder zum Flüchtlingsproblem.

Fazit : Meine Lebensphilosophie beruht auf einem Vernunftglauben und keineswegs auf einer religiösen Offenbarung. Ich vertrete eine individuell geprägte, auswählende Patchwork –  Philosophie, die Elemente aus bestehenden Systemen verbindet.

Dagmar Mueller – Bartelmann am 6. 11. 2018

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Philosophie ist mehr als Einsicht

Von Michael Peterssen

Die Philosophie stellt sich den großen, existenziellen Fragen des Menschen. Dass sie dabei ganz unterschiedlichen Methoden und Denkweisen Raum lässt und ihre Voraussetzungen immer wieder hinterfragt, halte ich für eine Stärke. Wird die Philosophie allerdings zur bloßen Argumentationswissenschaft, bei der es überwiegend um Logik, Begriffsklärungen und Methodenkritik geht, ist etwas verloren gegangen. Aus Erfahrung weiß ich, Philosophie kann mehr. Sie kann helfen, mit den Anforderungen des Lebens fertig zu werden, das Unübersichtliche ein wenig übersichtlicher zu machen. Dazu bedarf es eigener Anstrengung. In Form einer beharrlichen, lebenslangen Arbeit an uns selber. Viele antike Philosophen in Europa und anderswo haben es uns vorgemacht: Streben nach Selbsterkenntnis, Kontemplation und das Einüben eines an humanen Werten orientierten Handelns helfen, ein zufriedenes, gelungenes Leben zu führen. Eine Philosophie für die Gegenwart braucht nicht nur Wissen. Wo immer es geht, muss sie ihre Einsichten auch umsetzen und leben.

„Nicht das bloße Wissen macht glücklich, sondern die Tat.“   (Seneca)

Michael Peterssen, 8. November 2018

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Warum Philosophie für mich als Lebenshilfe / Lebensorientierung wichtig ist.

Sinnvoll leben

Von Herbert Helle

Philosophie ist für meine Suche nach einem sinnvollen Leben wichtig. Hierdurch will ich meine Aufgaben in meinem Leben finden.

Philosophie verstehe ich als „Praktische Philosophie oder auch Lebenskunst“. Meine Vorbilder hierfür sind: Jesus, wegen seiner bedingungslosen Nächstenliebe; z.B. Marc Aurel, wegen seiner lebensnahen und klugen Entscheidungen; z.B. Wilhelm Schmid, wegen seiner Hilfestellungen, um mit sich selbst ins Reine zu kommen.

Ich unterteile die Philosophie für mich in drei Anwendungsbereiche:

  • Bei persönlichen Befindlichkeiten oder Problemen wie z.B. Sinnfindung, Lebensweise, Freundschaft, Alter, Gefühle, Ehrlichkeit, Demut, Unsterblichkeit u.a.m. Zu ihrer Bearbeitung und Klärung nutze ich den philosophischen Dialog und Techniken der philosophischen Praxis.
  • Bei der Reflexion von Grundfragen des Lebens unter ethisch-moralischen Werten z.B. Verantwortung, Würde, Gerechtigkeit, Arbeit, Familie, Wahrheit u.a.m. Durch die Herausarbeitung von Argumenten für ein Pro und Kontra bilde ich mir eine Meinung.
  • Bei Fragen und Problemen die in einem unmittelbaren Handlungszusammenhang stehen, z.B. Projektmanagement, Unternehmenskultur, Kommunikation, Teambildung, Zukunftsvisionen u.a.m. Durch Ermittlung von wichtigen Zusammenhängen, analytischen Vorgehen, Ursache – Wirkungsbeziehungen, Zielfindung, Alternativenbildung und Umsetzungsorientierung komme ich zu einem lösungsorientierten Vorgehen.

Herbert Helle am 9.11.2018

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In welcher Weise kann Philosophie für mich persönlich Orientierung und Lebenshilfe sein … und ist sie es für mich geworden

Von Annke Höfer

Erst kürzlich begegnete ich ihr, der Philosophie, und dabei wurde sie mir zu meiner eigenen Überraschung Orientierung und Lebenshilfe, und zwar auf folgende Weise:

Sie fragt – sie hat mir durch ihre „ Erlaubnis“ und Freiheit zu fragen einen Weg gewiesen aus der Enge eines Denkens und Lebens, das Antworten gesucht, aber nicht gefragt und deshalb Antworten einfach übernommen hat.Sie bringt ihre Fragen zur Sprache – auf diese Weise sind mir auch meine nicht gefragten, aber doch in mir vorhandenen Fragen bewusst geworden und ich konnte mich als ein Mensch erkennen, der jawohl Fragen hat und der die auf das “große Ganze” gerichteten Fragen der Philosophie als Brücke zu eigenen Fragen betreten konnte.

Sie hinterfragt – sie nimmt sich die Freiheit, Dinge, Worte, Vorstellungen, Begriffe, Überzeugungen, Bilder….zu hinterfragen, mit denen wir täglich und fraglos umgehen. Durch diese Freiheit zu hinterfragen, kann sie mir helfen und hat sie mir geholfen, größere Klarheit über innere Machtverhältnisse zu gewinnen und zu klären, wer oder was mich bestimmt und beherrscht.

Sie antwortet, jedoch nicht end-gültig – und lädt mich durch ihre offenen Antworten zum inneren und äußeren Dialog ein; eine befreiende Einladung für (einen) Menschen aus geschlossenen Denk-Systemen und zugleich Hinweis, wie diese überwunden werden können.

Hier ein Beispiel einer kürzlich erfolgten Begegnung mit der Philosophie in der beschriebenen Art, die damit begann, dass jemand meinem Mann und mir das Buch „Zeit der Zauberer“ von W. Eilenberger schenkte: „Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie -auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.) Er muss die Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig.“ (Wittgenstein, Tractatus, Eintrag 6.54, gefunden in Eilenberger, Zeit der Zauberer, S.94)

Diese Sätze von Wittgenstein, haben einen bedeutsamen Anteil an dem Prozess in mir, der mit dem Benennen und Aussprechen von bisher Unaussprechlichem eine besondere Intensität erreicht hat. Sie haben während des Lesens eigene Sätze samt dem Bild der Leiter und eine Art von Gewissheit in mir entstehen lassen, dass ich diese eigenen Sätze, die große Macht in mir haben, als sinn-los werde ansehen können, wenn ich tue, was hier beschrieben ist, ungeachtet ihrer bisherigen Macht in meinem Leben.

Als Inbegriff dessen, was so große Macht in mir hatte und (beinahe) alles in mir durchtränkt hatte, waren in mir bestimmte Sätze und Überzeugungen präsent und sehr oft hoch aktiv.

Sie begannen ihre Macht – und damit ihren Sinn – zu verlieren,

als ich durch sie (Indem ich sie nicht mehr mit den Augen eines angstvollen Kindes anschaute, sondern genau hinschaute und sie hinterfragen und dann furchtlos anschauen konnte…)

  • auf ihnen – (In diesem Moment war ich nicht mehr unter ihrer Macht, sondern sie waren „unter meinen Füßen“, weil ich sie beurteilen konnte…)

über sie hinaus stieg.

Als das, was sie für mich gewesen waren, hatte ich sie in diesem Moment hinter mir gelassen. Sie selbst sind mir so zur Leiter geworden, auf der ich über sie hinausgehen konnte. Diese Leiter konnten nur diese Sätze selber sein. Alle anderen Sätze hätten durch sie doch widerlegt werden können, so lange sie noch die Festung ihrer Macht in mir behaupten konnten. So war es oft genug geschehen. Viele andere Sätze sind an ihnen zerborsten und gescheitert, die mir eine andere Richtung weisen wollten und hätten weisen können.

Ich musste diese Leiter dann wegwerfen, um nicht wieder zu bzw. unter diese Sätze zurückzukehren.In diese Richtung liegt der „richtige“ Blick auf „die Welt“: als ihr gegenüber.

11.11.18 Annke Höfer

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Welttag der Philosophie am Donnerstag, den 15. November 2018: Einladung einen eigenen philosophischen Text zu schreiben

Seit 2002 wird weltweit der „Tag der Philosophie“ gefeiert bzw. „bedacht“. Die Initiative dazu ging von der UNESCO aus! Es ist immer der 3. Donnerstag im Monat November, in diesem Jahr 2018 ist es der Donnerstag, der 15. November.

Wir bieten etwas später, am Freitag, den 23. November 2018, eine eigene Veranstaltung zum Thema “Tod. Trauer. Abschied” mit dem Philosophen und Theologen Prof. Johan Goud, Den Haag.

Weitere Informationen zum 23. November finden Sie hier.

Aber ich habe noch eine andere Einladung: In diesem Jahr möchte ich Sie, den Leser, die Leserin dieser Zeilen bitten, persönlich zu der Frage Stellung zu nehmen:

“In welcher Hinsicht ist Philosophie (für mich) eine Lebenshilfe / Lebensorientierung?” 

Diese Frage ist zweifelsfrei zentral für die “Relevanz” philosophischen Nachdenkens. Der Text muss ja nicht so lang sein; es reicht, wenn ein persönlich wichtiger Aspekt entwickelt wird. Ab 700 Zeichen bis ca. 2000 Zeichen sollte der Text umfassen, der dann auf dieser Website veröffentlicht wird.

Die Voraussetzung für diese Einladung ist die Überzeugung, dass jeder Mensch immer schon philosophiert und seine eigene Lebensphilosophie – so ansatzweise auch immer – hat.

Diese Frage, dieses Projekt, ist ein gewisses Risiko. Ich bin auf das Echo gespannt. In jedem Fall kann die persönliche Antwort auf die Frage “In welcher Hinsicht ist Philosophie (für mich) eine Lebenshilfe / Lebensorientierung?” die weiteren Debatten beleben und den Austausch fördern. Und das lohnt doch die Mühe, ein paar Zeilen zum Thema anderen mitzuteilen!

 

Ein revolutionärer Heiliger – nicht nur für Lateinamerika: Oscar ROMERO

Über Erzbischof Oscar Romero, El Salvador

Ein Hinweis und eine Buchempfehlung von Christian Modehn (2018)

Am 14. Oktober 2018 wird Erzbischof Oscar Romero, El Salvador, in Rom heilig gesprochen.

Oscar Romero ist gerade heute eine inspirierende Gestalt für einen christlichen Glauben, der den politischen Kampf um die Menschenrechte der Armen ins Zentrum des Interesses stellt. Diese politische Deutlichkeit ist ja bekanntlich nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der sich in der römischen Kirche entweder alles um eine abstrakte Innerlichkeit mit der gepflegten schönen Seele dreht oder um dogmatische, gehorsame Korrektheit bzw. eben auch um die absolut notwendige Freilegung der nun schon beinahe zahllosen weltweiten Verbrechen von Klerikern an Minderjährigen… Da werden die Armen und die globale Gerechtigkeit schnell vergessen.

Erzbischof Oscar Romero wurde von rechtsextremen, in den christlichen USA ausgebildeten, sich katholisch nennenden Landsleuten am Altar während eines Gottesdienstes erschossen. Warum? Weil er für die Armen bedingungslos eintrat! Romero war für die Diktatoren dort gefährlich. Dies geschah am 24.3. 1980. Später wurden viele seiner Freunde ebenfalls von katholischen rechtsextremen Killern erschossen, wie 7 Jesuiten in San Salvador, man denke nur an den großen Theologen Pater Ellacuria SJ. Aber es dauerte fast 30 Jahre, bis Oscar Romero selig bzw. dann auch heilig gesprochen wurde. Das Volk verehrte ihn aber längst als ein heiliges Vorbild. Über die Zusammenhänge, auch mit Blick auf das Opus Dei und die anderen klerikalen Feinde Romeros habe ich schon 2015 Beiträge veröffentlicht, über “Romero und das Opus Dei” sowie sehr wichtig: “Wer tötete Erzbischof Romero?”

Nun sind manche Optimisten gespannt, wann die ersten Kirchengebäude weltweit, natürlich auch in Deutschland, nach dem heiligen Vorbild (!) Oscar Romero benannt werden oder die katholischen Akademien, Klöster, Vereine und Bildungshäuser sich nach dem Heiligen „Revolutionär“ umbenennen. Selbst Umbenennungen von Kirchen sollten doch möglich sein, denn auf einen heiligen Georg (den es nie historisch gab) oder die 1000. St. Josefs Kirche könnte man gern verzichten oder auf Maria Himmelfahrtskirchen… Vielleicht inspiriert es auch die Protestanten, ihre noch banaleren Namen ihrer Kirchengebäude zugunsten Oscar Romeros umzubenennen. Mein Vorschlag: Der unsägliche Name des Kolonialherren Wilhelm I. sollte endlich als Kirchen-Titel verschwinden, also: Die Kaiser Wilhelm Gedächtnis Kirche in Berlin sollte Oscar Romero Gedächtniskirche heißen.

Aber; So viel Mut haben natürlich Christen nicht in Deutschland. „Geht doch nicht, dieser klassische “Wilhelm” Titel der Kirche am Ku – Damm bleibt erhalten. Wir Protestanten erinnern gern dieser Kaiser des Kolonialismus und Militärs…” Die Protestanten halten sich ja auch an den Titel „König Luise – Gedächtnis-Kirche“ oder „Kaiser Friedrich Gedächtniskirche“ oder gar an eine Kirche mir dem sehr säkularen, nichtssagenden Titel „Am Seggeluchbecken“, um nur drei absurde Titel für evangelische Kirchengebäude in Berlin zu nennen. Auch in der Hinsicht könnte Oscar Romero insgesamt befreien!

Ich weise jetzt aus aktuellem Anlass auf zwei Publikationen sehr empfehlend hin: zur persönlichen Information wie auch als Gesprächsgrundlage in Diskussionskreisen…Die Texte sind, ausnahmsweise einmal bei unserer website, dem Verlag selbst entnommen:

Zwei Neuerscheinungen

Am 24. März 1980 lässt die winzige Minderheit der Reichen in El Salvador in der Hauptstadt Erzbischof Oscar Romero ermorden. Die von ihm vertretene Kirche der Armen wird als Angriff auf die herrschenden Besitzverhältnisse und Privilegien verstanden. Heute ist Romero Fürsprecher einer anderen Globalisierung unter dem Vorzeichen von Empathie, Solidarität und Gerechtigkeit: Teilen, nicht töten oder „absaufen“ lassen!
Die zentralen Botschaften der Predigten Romeros lassen uns aufhorchen ob ihrer drängenden Aktualität in einer Welt, in der wenige Individuen über mehr Besitztümer verfügen als die ärmere Hälfte der gesamten Menschheit.
Nachfolgend werden zwei Neuerscheinungen vorgestellt, die mit Blick auf die offizielle „Kanonisation“ in Rom am 14. Oktober den ungezähmten – politischen – Romero und dessen „Heiligsprechung durch die Armen“ in den Mittelpunkt stellen.

OSCAR ROMERO –
ABER ES GIBT EINE STIMME, DIE STÄRKE IST UND ATEM …
Ein Hörbuch von Peter Bürger. – Onomato-Verlag
Gesamtspielzeit 78 Min. – ISBN 978-3-944891-67-5
Preis 10,- € [Auslieferung ab 01.10.2018]
https://www.onomato.de/detail/index/sArticle/432/number/SW10136?number=SW10136

Autor & Textredaktion: Peter Bürger; Aufnahmetechnik & Gestaltung: Axel Grube; Sprechende: Gabriele Inhetvin, Peter Bürger, Peter Wege, Axel Grube; Musik: Detlef Klepsch und Axel Grube.
Mit freundlicher Unterstützung durch: Christliche Initiative Romero; Institut für Theologie und Politik; Solidarische Kirche im Rheinland; Wir sind Kirche; Bodo Bischof, Willem Lueg, Marco A. Sorace, Christian Weisner.

Das neue Hörbuch vermittelt die Geschichte Oscar Romeros, seinen Weg zur Kirche der Armen und Unterdrückten. Zeugnisse über den „Märtyrer der Gerechtigkeit“ und Selbstaussagen ermöglichen es, seine Wandlung und den Weg einer Pastoral an der Seite der Unterdrückten nachzuvollziehen. Eine treffende Auswahl erschließt die zentralen Botschaften.
Papst Franziskus will den Klerikalismus überwinden und sehnt sich nach einer Kirche der Armen. Auch an diesem Punkt kann Romero als Vorbild für einen neuen Aufbruch betrachtet werden. Der ehedem verschlossene und ängstliche Seelsorger erkannte seine Berufung, Sprachrohr zu sein für jene, die keine Stimme haben. Seine Predigten entstanden im Dialog. Er lernte das Zuhören und ließ sich von den kleinen Leuten stark machen. So wurde Romero trotz Todesdrohungen zu einem glücklicheren Menschen und glaubwürdigen Anwalt der Armen.

„Sie wollen nicht, dass auch nur eine Stimme von der Stimme der Mächtigen abweicht, sie wollen keine Worte, die für die eintreten, die keine Stimme haben, und erst recht keine Taten, die die Schutzlosen und Verfolgten in Schutz nehmen.“
(Oscar Romero, 27. Juli 1977: Brief an Bischof Leonidas Proaño in Ecuador)

„Aber es gibt eine Stimme, die die Wahrheit im Namen dieses ganzen leidenden Organismus fordert und ausspricht, eine Stimme, die Stärke ist und Atem. Und ich fühle, meine Schwestern und Brüder, dass ich diese Stimme bin und dass wir ganz bestimmt eine Mission erfüllen.“
(Oscar Romero: Predigt vom 8.5.1977)

„Transzendenz bedeutet, sich auf das Kind, auf den Armen, auf den in Lumpen Gekleideten, auf den Kranken einzulassen, in die Elendshütten und Häuser zu gehen und mit ihnen allen zu teilen. Transzendenz bedeutet, aus der Mitte des Elends selbst diese Lage zu überschreiten, den Menschen zu erheben, ihn voranzubringen und ihm zu sagen: Du bist kein Abfall. Du gehörst nicht an den Rand. Das Gegenteil ist der Fall: Du hast eine große, große Bedeutung.“
Oscar Romero

„Es gibt keinen Gegensatz zwischen dem Bild Gottes und dem Menschen. Wer einen Menschen foltert, wer einen Menschen beleidigt, der beleidigt das Bild Gottes.“
Oscar Romero

 

„Gedenkt der Heiligsprechung von Oscar Romero
durch die Armen dieser Erde“
Dokumentation des Ökumenischen Aufrufes zum 1. Mai 2011 – Zuschriften – Lesesaal

Herausgegeben von Christian Weisner, Friedhelm Meyer & Peter Bürger.
Mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a.

ISBN: 978-3-7460-7979-0
(Paperback, 268 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Preis: 9,99 €)
Mit Angabe der ISBN-Nummer überall im Buchhandel bestellbar.
Leseprobe/Inhaltsverzeichnis (oben links anklicken) beim Verlag:
https://www.bod.de/buchshop/gedenkt-der-heiligsprechung-von-oscar-romero-durch-die-armen-dieser-erde-9783746079790

„Wer stört, wird umgebracht!“ predigte Oscar Romero, um die Unterdrückung in El Salvador zur Sprache zu bringen. Ihn selbst traf bald darauf die Kugel eines Auftragskillers. Die Besitzlosen des Kontinents, “Gottes Lieblinge”, sprachen den Bischof sofort heilig. Jahrzehnte später wird unter Bischof Franziskus von Rom jetzt auch die kirchenamtlichen Kanonisation (2015/2018) nachgeholt. An das “Lehramt von unten” erinnert der im vorliegenden Buch dokumentierte Ökumenische Aufruf zum 1. Mai 2011:
“Wir bitten Euch, der Heiligsprechung des Märtyrers San Oscar Romero durch die Armen Lateinamerikas und durch Freundinnen und Freunde Jesu auf dem ganzen Erdkreis zu gedenken. (…) Diese ‘Beatifikation’ ohne ein teures Verfahren von Kirchenbehörden verbreitet eine frohe Kunde unter dem Wehen des Gottesgeistes: ‘Das Beispiel unseres Bruders San Oscar Romero zeigt uns, wie schön und mutig wir Menschen werden können, wenn wir beginnen, der Botschaft Jesu zuzuhören’.”
Der neue Buchband erschließt alle Begleittexte, Zuschriften und Sprachversionen zum internationalen Aufruf “San Romero”, die Namen der unterzeichnenden Christinnen & Christen und Organisationen aus über 20 Ländern sowie die Impulse eines Ermutigungsabends. Über Romeros Weg und Bedeutung informiert ein “Lesesaal” mit Beiträgen von Norbert Arntz, Andreas Hugentobler, Willi Knecht, Martin Maier SJ, Paul Gerhard Schoenborn, Stefan Silber u.a. – Vertreter einer basiskirchlichen Perspektive zeigen auf, dass Establishment und Traditionalisten das Zeugnis Romeros zähmen wollen. Doch dieser Märtyrer ruft uns zum Aufbruch in einer Kirche der Armen.

Vollständige Dokumentation des Vorwortes: https://www.lebenshaus-alb.de/magazin/011750.html

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-salon.de

 

Hedwigskathedrale in Berlin: Der Umbau, der eine Schande ist.

Eine Religionskritik zum Umbau der St. Hedwigskathedrale in Berlin

Ein Hinweis von Christian Modehn

Diese Zeilen, Kommentar und Protest, sind natürlich wirkungslos, wie so viele andere Stellungnahmen, die sich schon früher gegen den jetzt beginnenden Umbau der Hedwigskathedrale gewandt haben, siehe Tagesspiegel vom 2.9.2018, Seite 10.

Was wir im Kommentar versuchen, ist also sinnloses Tun, das noch einmal geleistet wird gegen alle Hoffnung auf Einsicht. Sisyphus wurde von Camus bekanntlich ein Heiliger genannt. Vielleicht wird ihm, dem heiligen Sisyphus, einmal ein Altar geweiht, eine Statue errichtet, wo doch so viele kritische Leute seinem Vorbild folgten und folgen in einer Zeit der totalen Bürokratisierung auch in der römischen Kirche: Darum vorweg: „Heiliger Sisyphus, bitte für sie alle“.

Diese Kirchenführung zeigt, wie so oft, totale Phantasielosigkeit, totale Unfähigkeit zur Aufgabe von klerikalen Lieblingsprojekten.

Sie zeigt vor allem einen Verlust der Einsicht, was HEUTE dringend geboten ist zugunsten der Menschen in dieser Stadt Berlin. Die Führer der Kirche dokumentieren nur wieder ihre Lust am Bauen, ihre Freude am Stein und Erstarrten und an der Abwehr der leisesesten Vorstellung, dass mit vielen „Bau-Geld“ sich doch so viele Menschen in Not auferbauen ließen. Das ethische Gebot der Stunde heißt doch: Geben wir als Kirche, die doch irgendwas noch mit dem armen Jesus von Nazareth zu tun haben will, die geplanten 60 Millionen Euro (für den Umbau in Steinen) lieber für Menschen in Not aus.

60 Millionen also: 20 Millionen kommen vom Erzbistum Berlin, bekanntlich alles andere als reich; 20 Millionen spenden die deutschen Bischöfe, die haben nun wirklich viele Milliarden; 12 Millionen spendiert der Bund, schließlich leben wir ja außerhalb einer Trennung von Kirche und Staat, und der Berliner Senat kann 8 Millionen locker machen. Man braucht ja in Berlin bekanntlich kein Geld für marode Schulen oder unhaltbare Zustände in Kliniken und Altenheimen. Läuft ja alles bestens, da kann man doch guten Gewissens in Steine investieren und in ein hoch umstrittenes Projekt der Zerstörung eines Kunstwerks… Eigentlich ist dies alles pervers… Bei den 60 Millionen Euroa wird es natürlich nicht bleiben, man denke bloß an die Umbauten des Palais des Bischofs von Limburg, des Herrn Tebartz van Elst, der jetzt im Vatikan sein gutes Auskommen hat…

Für die zweifelsfreie elementar notwendige Grundsanierung der Hedwigskathedrale hätten 5 Millionen ausgereicht. Und die Menschen in Berlin und anderswo hätten gesagt: „Bravo, dass die Kirche nur sehr bescheiden nur in Steine investiert und stattdessen viel Geld und damit viel Hilfe den Menschen in Not anbietet“.

Aus religionskritischer Sicht also nur der Hinweis:

Kirchliches Handeln ist immer auf die Situation der Gegenwart bezogen. Und diese Gegenwart in Deutschland und in Berlin besonders heißt: Das demokratische Leben droht auseinander zu brechen, Rassismus und Faschismus nehmen zu, die Kluft zwischen Reichen und Armen wird größer, ein enormer Bedarf an Kommunikation besteht, die Leute wollen miteinander reden, in Gruppen, unter kompetenter Moderation, aber es fehlen die geeigneten Räume und Moderatoren; Jugendliche suchen Perspektiven, Flüchtlinge brauchen eine gerechte Lebenschance, der Zustand der Altenpflege ist katastrophal, der Zustand vieler öffentlicher Schulen miserabel und so weiter und so weiter.In einer solchen dramatischen Situation können die Kirche einfach nicht weiter handeln und weiter theologisieren wie bisher. Das muss eine Unterbrechung geschehen. Etwas Neues sollte passieren in einem erneuerten, radikaleren Geist. Ist die Kirche wirklich auf repräsentative Gebäude angewiesen, muss sie ästhetisch „mithalten“ in der Konkurrenz der Opernhäusern, Bibliotheken und Luxus- Restaurants? Nein, natürlich nicht. Aber sie tut es wider besseren Wissens.

Kann man und darf man ethisch, also vom Gewissen her gesehen, in einer solchen Situation 60 Millionen Euro (mindestens) für einen überflüssigen Umbau eines Kirchengebäudes ausgeben? Bloß damit die Kleriker angemessener in der Mitte der Kirche an ihrem Altar stehen und „zelebrieren“? Abgesehen von allen kunsthistorischen und architektonischen Erwägungen bleibt die Erkenntnis, die sich ohnehin in Berlin schon herumgesprochen hat:

Dieser unnötige umfassende Umbau der Hedwigskathedrale für mindestens 60 Millionen ist in der heutigen Situation eine Schande für die Kirche, die sich natürlich als solche herumspricht.

Bleibt abzuwarten, ob sich einige Freunde des heiligen Sisyphus noch zu gelegentlichen Protesten aufraffen können. Sie werden von den Herren der Kirche natürlich ausgelacht…

Christian Modehn, Journalist und Theologe. Leiter des:  www.religionsphilosophischer-salon.de