Katholizismus und Moderne verbinden.
Perspektiven von Jacques Gaillot.
Auszüge aus einem Buchbeitrag von Christian Modehn
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Jacques Gaillot hatte als Bischof von Evreux (1982 bis 1995) zahlreiche Kontakte mit jungen Menschen, auch mit Atheisten, mit Menschen, die durch ihn wieder Interesse an der Kirche fanden. Aber „dieser Hoffnungsträger“ wurde 1995 von Rom abgesetzt. Unverschämt geradezu der Vorwurf seiner vatikanischen Richter: „Gaillot hat sich als Bischof als unfähig erwiesen“. Im Rückblick muss man die Absetzung Bischof Gaillots als Beispiel für die „Selbstzerstörung des Katholizismus“ durch die Kirchenführung selbst interpretieren. Indem sie sich in den alten Mauern einschließt, gibt sie dem lebendigen Leben keine Chance. Ausdruck für den versteinerten Geist und die versteinerte Institution ist das Bemühen Benedikt XVI., die besonders Versteinerten, die in das Uralte verliebt sind und den Antisemitismus verteidigten, die Pius-Brüder, wieder in die römische Kirche „zurückzuholen“. Psychologen sprechen in dem Zusammenhang von der Lust am Morbiden…
Gleichermaßen politisch wie theologisch konservative bzw. reaktionäre Kräfte haben Jacques Gaillot zu Fall gebracht. „10 Jahre wurde Gaillot vom Vatikan beobachtet“, also praktisch seine ganze Zeit als Bischof von Evreux, betonte ganz freimütig einer seiner Richter im Vatikan, Msgr. J. Tauran im Januar 1995 in einem Zeitungsinterview. Danke für die Offenheit! Zu Gaillots heftigsten Widersachern gehörte, um nur ein Beispiel von vielen anderen Beispielen zu nennen, Abt Gérard Calvet vom traditionalistischen Benediktiner Kloster Le Barroux bei Avignon. Ursprünglich eng mit den Lefèbvre Leuten (den „Piusbrüdern“) verbunden sowie den Ideen des rechtsextremen Front National (Le Pen), war es Kardinal Ratzinger gelungen, diese Mönche mit ihrem Abt Calvet wieder an den Papst zu binden…Auf ihn hörte der Vatikan, als man Gaillot zu Fall brachte. Der „Fall Gaillot“ war also immer auch ein „politischer Fall“, wobei sich der Vatikan stets auf der sehr rechten Seite präsentierte…
Die Absetzung Jacques Gaillots als Bischof wurde zu recht schon damals als das symbolische Ende eines um Freiheit und Evangelium bemühten Flügels innerhalb der römischen Kirche wahrgenommen. Historiker werden bei noch größerem zeitlichen Abstand feststellen: Jacques Gaillot war als Bischof eine für katholische Verhältnisse „einmalige Gestalt“ im Europa des 20. Jahrhunderts, eine Verbindung von Moderne und Evangelium, wie sie sonst kaum möglich erschien, vergleichbar vielleicht den von Rom ebenso ungeliebten Bischöfen Pedro Casaldaliga oder Dom Helder Camara, beide Brasilien…Dass auch Jacques Gaillot (wie alle anderen Bischöfe auch) einmal sozusagen im Dauerstress übereilt reagierte oder dabei Fehler machte, versteht sich von selbst. Aber seine theologische Linie, Moderne und Katholizismus zu verbinden, blieb und bleibt zweifelsfrei vorbildlich und, sagen wir es ruhig, einmalig.
Auch wenn jetzt noch einige „Reformkatholiken“ die ewig selben Reformvorschläge wiederholen und wiederholen: Der „Fall Gaillot“ hat meines Erachtens klargemacht: Reformen grundlegender, radikaler Art haben im römischen System keine Chance. Einzig eine neue Reformation hätte Sinn, dann bliebe aber zumindest ein Teil der römischen Kirche nicht mehr „der selbe“ wie vorher…(siehe Martin Luther). Jacques Gaillot hat sich entschieden, nicht zum Reformator zu werden, er wollte kein französischer Luther sein. Das ist seine Entscheidung, die es zu respektieren gilt, auch wenn niemals wenigstens gedanklich durchgespielt wurde und auch heute nicht durchgespielt wird, was denn eine neue Reformation bedeutet hätte und immer noch bedeuten würde, gerade angesichts der tiefen Krise und des absoluten Vertrauensverlustes des Katholizismus etwa jetzt im Frühjahr 2010.
Im Rückblick bleibt auch das Bedauern, dass Jacques Gaillot nie deutlich spürbare Unterstützung von prominenten Theologen gefunden hat: Die Namen der „großen“ Theologen z.B. in Tübingen oder Münster brauchen hier nicht genannt zu werden, sie haben meines Wissens diesem bescheidenen Mann des Evangeliums niemals öffentlich und deutlich zur Seite gestanden. Waren sie sich – von der Solidarität Eugen Drewermann einmal abgesehen – zu fein, waren sie sogar so unbescheiden, dass sie meinten, dieser Bischof aus Evreux und später in Partenia „biete theologisch zu wenig“? So viel Arroganz wäre schlechthin unverständlich.
Eine andere entscheidende Frage lautet: Wird Jacques Gaillot noch zu Lebzeiten rehabilitiert werden? Wird sich Rom bei ihm für die Absetzung entschuldigen und sich dann bedanken für die zahlreichen Impulse, die er den Menschen von heute gegeben hat? Wird sich die französische Bischofskonferenz entschuldigen, dass sie ihn seit 1995 weitestgehend ignoriert hat und praktisch niemals mehr zu ihren Versammlungen eingeladen hat? Wird sie diesem Bischof mit der einfachen und deswegen so befremdlich wirkenden Botschaft die Hand reichen? Gibt es noch Menschen, die glauben, der römische Katholizismus könne sich wie durch ein Wunder reformieren und dem Geist des Evangeliums entsprechen? Was bleibt für die anderen? „Um das Licht zu sehen, müssen wir aus den Mauern heraustreten“, so Bischof Jacques Gaillot zu Ostern 1983.
Den vollständigen Text und viele andere interessante Beiträge zu Jacques Gaillot finden Sie in dem neu erschienen Buch:
„Die Freiheit wird euch wahr machen“, herausgegeben von Roland Breitenbach, Reimund-Maier-Verlag Schweinfurt: ISBN 978-3-926300-64-5, Preis: 18,80 Euro
Direktbestellung des Buches: info@reimund-maier-verlag.de