Die Grenzen des Verstandes: Novalis wurde vor 250 Jahren (am 2. Mai 1772) geboren.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Warum sollten wir uns jetzt an den Dichter und Philosophen Novalis (also an Friedrich von Hardenberg) erinnern, anläßlich seines 250. Geburtstages am 2. Mai (gestorben ist Novalis schon im Alter von 29 Jahren am 25.3.1801)?

1.
Wir dürfen in diesen Zeiten unseren Geist jetzt nicht fixieren lassen, so furchtbar auch der Krieg Putins gegen die Ukraine und die freie, demokratische Welt ist. Es ist für „uns“, im noch sicheren Westeuropa, hilfreich, inmitten der Ängste, einmal auf etwas ganz Anderes zu schauen, zum Beispiel auf die Philosophie und die Poesie der Früh-Romantik. Auf Novalis.
2.
Novalis hat leider nur kurze Zeit die Menschen mit seinem Denken inspirieren können, er ist als ein junger, hochbegabter Dichter und Philosoph der „Frühromantik“ viel zu früh gestorben.
Anläßlich seines Geburtstages sollten wir uns fragen: Was wissen wir eigentlich von der Romantik bzw. der Frühromantik in Deutschland?
Romantik ist alles andere als ein Gefühlsrausch, eine Lust am Irrationalen, am Phantastischen, wie ein volkstümlich-naiver Begriff meint. Die (Früh-)Romantik ist keine pauschale Ablehnung des Denkens, sie ist etwas anderes als der Rückzug in eine angeblich „schöne Innerlichkeit“. Es geht um die Erfahrung der Tiefe des Lebendigen, des Zusammenhangs der Einheit von allem, das meint wohl die von Novalis genannte „Romantisierung der Welt“: „Die Welt romantisieren heißt, sie als Kontinuum wahrzunehmen, in dem alles mit allem zusammenhängt. Erst durch diesen poetischen Akt der Romantisierung wird die ursprüngliche Totalität der Welt als ihr eigentlicher Sinn im Kunstwerk ahnbar und mitteilbar…“ Nur so können Gegensätze zusammengeführt werden.
Die Selbstcharakterisierung der Romantik „ist in einem revolutionierenden, progressive, neue Standards setzenden Sinn verstanden worden“ (zit. Romantik, Enzyklopädie Philosophie III, S. 2345).
3.
Das steht im Zentrum: Ohne eine gründliche und kritische Auseinandersetzung mit dem Absoluten im menschlichen Leben, mit Gott, gibt es keine Romantik. Diese Auseinandersetzung ist alles andere als ein metaphysisches Hobby einiger weniger.
Weil es zum Menschen gehört, kommt es darauf an, sich den Sinn für das Heilige zu bewahren, und angesichts von Krieg und aller Gewalt auf ein universales, ein humanes Christentum nicht nur zu hoffen, sondern den Frieden vorzubereiten. Der persönliche Glaube ist dabei entscheidend, nicht etwa die kirchliche Institution!
4.
Die Dichter und Philosophen, und mit ihnen Novailis, die um 1800 begannen, neu zu denken, wollten also eindringlich zeigen: Das menschliche Dasein ist eingebunden in einen weiten Zusammenhang, zu dem auch die Erfahrung des Absoluten, Göttlichen, gehört. Für Novalis ist entscheidend: Es gibt im Dasein „zwei Welten“, damit meint er das Erleben des Irdischen, Weltlichen UND das Erleben des Geistlichen, Spirituellen, Religiösen. Diese „Welten“ sind miteinander verbunden. Vor allem die Kunst bringt die geistliche Welt zum Ausdruck. Sie spricht von der Überwindung des Todes, der Unsterblichkeit der Seele, das ist für Novalis entscheidend. Darum kann er vom Christentum sagen: „Dies ist der Botschaften fröhlichste“, die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Das Gedicht „Das Lied der Toten“, kurz vor seinem Tod geschrieben, ist „Novalis` außerordenlichstes poetisches Werk“, so der Novalis Spezialist, Prof.Gerhard Schulz in seinem Buch „Novalis“ 2011, S.255. Das Gedicht verbindet christlich geprägte Todes-Mystik und Erotik. Im November 1800 schreibt Novalis:“Religion ist der große Orient in uns, der selten getrübt wird. Ohne Religion wäre ich unglücklich.So vereinigt sich Alles in Einen großen friedlichen Gedanken, in Einen stillen, ewigen Glauben“ (zit. in Schulz, a.a.O, S. 273.). Die „blaue Blume“ aus dem Roman „Heinrich von Ofterdingen“ von Novalis wurde zum Symbolder rmantischen Sehnsucht nach dem Göttlichen…
5.
Novalis hatte die Begabung, seinen ihm eigenen Glauben, seine ihm eigene Verbindung mit dem Göttlichen, als seine eigene, auch erotisch geprägte Lebenserfahrung auszusprechen. Dabei grenzte er sich vom überlieferten dogmatischen Kirchenglauben ab. Vermittler der Transzendenz, des Göttlichen, ist für ihn nicht so sehr Christus als der „klassische Erlöser“. Vermittler zu Gott ist – provokativ damals – auch die Geliebte, gerade in der erotischen Liebe wird das Göttliche berührt. Das gilt für Novalis um so mehr nach dem Tod seiner geliebten Verlobten Sophie von Kühn (gestorben am 19.3.1797). In den „Hymnen an die Nacht“ (veröffentlicht 1800) spricht Novalis eindringlich davon.
6.
Entscheidend fürs Denken Novalis` sind seine philosophischen Studien (der auch Bergmann, Salinentechniker und Jurist war) in Jena. Ihm gelang es danach, aus der Philosophie in die Dichtung, die Poesie, zu gelangen.
Philosophie hat er von Oktober 1790 bis Oktober 1791 In Jena studiert vor allem bei Carl Leonhard Reinhold, der als Kant-Interpret bekannt ist und als Begründer der so genannten Elementarphilosophie. Reinhold hat ihn mit Fichtes Philosophie vertraut gemacht, er lernte dort auch Friedrich Schiller näher kennen.
7.
Novalis aber hat sich der Subjektivitätsphilosophie nicht angeschlossen, die meinte aus der Analyse des Subjekts sozusagen die Welt zu konsstruieren. Für Novalis gilt:
„Frühromantisch heiße dagegen die Überzeugung, wonach das Subjekt selbst und das Bewusstsein, durch das es sich kennt, auf einer VORAUSSETZUNG beruhen, über die die Menschen nicht verfügen“, so der Philosoph Manfred Frank, in: „Auswege aus dem Deutschen Idealismus“, Suhrkamp 2007, S 68).
Das heißt: Das Absolute lässt sich – für Novalis – nicht mit einem definitiven Gedanken fassen, das Absolute ist kein Besitz der Reflexion, es ist eher eine kantische Idee. “Wir streben ihr unendlich nach, können sie aber nicht demonstrativ darstellen. Ein berühmtes Novalis-Wort von 1797 besagt: Wir suchen überall das Unbedingte, und finden immer nur Dinge (zit. M. Frank, a.a.O, s 69).

Wesentlich für die romantische Lebensform ist das Suchen, das Unterwegsein, bekannt und viel zitiert: das Wandern. „Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, hören sie auf, Romantiker zu sein; sie fangen dann an, Philister zu werden“ (Jochen Hörich in“ Figuren des Glücks in der Romantik. Wanderung ins Anderswo“, Glück. Ein interdisziplinäres Handbuch Stuttgart 2011, S. 219).
Wer an seinem Ziel angekommen ist, der ist dann auch am Ende. Unterwegsein ist das Ziel, der Lebenssinn.. Das ist das Glücksgefühl der Romantiker, im Unterwegsein das Ziel wahrzunehmen. Diese Lebensform wird als solches bejaht, der Klagetopos „wäre ich nie geboren“ passt nicht in diese romantische Haltung. Das große Glück kann hier und jetzt erlebt werden, vor allem in den Augenblicken der Liebe.

8.
Für das philosophische Denken ist der Begriff „Fragmente“ als Denkform entscheidend. Novalis betont: Allwissend kann der Philosoph nicht sein, auch in einem System lässt sich die Wahrheit nicht abbilden. Was der Philosoph im Erkennen ausspricht, bleibt relativ. Und wenn man philosophiert, dann sollte der Philosoph es in Gemeinschaft tun
9.
Diese Denkform des Fragments widerspricht dem Denken Hegels als einem „System-Philosophen“.
Hegel wirft der Romantik im allgemeinen Verirrungen des Geschmacks und eine Missachtung des Objektiven vor, so vor allem in seiner Rezension zu „Solgers nachgelassene Schriften und Briefwechsel“, 1826.
In den „Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie“ spricht Hegel nur kurz von Novalis, er fügt dessen Denken in die „Religiöse Subjektivität“ ein. Ihr unterstellt Hegel eine „Verzweiflung am Denken, an Wahrheit, an und für sich seiender Objektivität, man verlässt sich auf seine Empfindungen, zumal religiöse Empfindungen“. Novalis ist für Hegel der Denker der „Sehnsucht einer schönen Seele“, die mit dem „Weben und Linienziehen in sich selbst“ befasst ist, und Hegel geht in seiner Verurteilung noch weiter: „Diese Extravaganz der Subjektivität (bei Novalis) wird häufig Verrücktheit“ (Suhrkamp, Werkausgabe, Band 20, S 418). Hegel konnte sich das Denken Gottes außerhalb seines Systems offenbar nicht vorstellen. Bescheidenheit im Denken an Gott war ohnehin nicht seine Sache.

10.

Die Christenheit oder Europa“ hat Novalis 1799 verfasst, diese Rede (auch ein Fragment) wurde dann erst post mortem 1802 in Auszügen veröffentlicht und 1826 vollständig publiziert. Es gab schon gleich nach Bekanntwerden dieser Schrift 1799 Bedenken zur Veröffentlichung, weil der protestantisch geprägte Freundeskreis von Novalis (er selbst, Friedrich von Hardenberg, auch ein eher pietistischer Protestant) vermutete, dass  zu viel Ehre und Bedeutung dem Katholizismus zuteil werde. Dabei dachte Novalis wohl eher an eine Christentum, das von seinen konfessionellen Grenzen (wie dem Papsttum) befreit ist. Der romantische Dichter Ludwig Tick sagte 1837, diese Vision von Novalis sei „ein unnützer Aufsatz“, ähnlich hatte sich auch Goethe geäußert. Wilhelm Dilthey hat dann später noch daran erinnert, dass dieser Europa – Text der restaurativen Politik der Fürsten im frühen 19. Jahrhundert als Ideologie gedient habe. Darin erträumt sich Novalis eine politische Utopie, die sich stark an seinem Vorbild der mittelalterlichen Ordnung orientiert. Für die eigene Gegenwart schrieb Novalis diese Vision, dabei war er bestimmt durch die in seiner Sicht verheerenden Wirkungen und Einflüsse der Französischen Revolution und der französischen Aufklärungsphilosophie. Veranlasst zu diesem Traum von einem christlich geeinten Europa wurde Novalis durch die Schrift von Schleiermacher „Über die Religion“. Jedenfalls erhoffte sich Novalis eine neue europäische Friedensordnung durch eine gemeinsame europäische christliche Religion. Sie sollte so etwas wie ein gemeinsamer Nenner der verschiedenen Nationalstaaten werden. Schon damals problematisch war der Eindruck, als leugne Novalis die Pluralität der Religionen in Europa als besten Beleg für Religionsfreiheit und Toleranz…

Ein Zitat aus dem Text von 1826 in der damaligen Schreibweise:
„Die Christenheit muß wieder lebendig und wirksam werden, und sich wieder ein[e] sichtbare Kirche ohne Rücksicht auf Landesgränzen bilden, die alle nach dem Ueberirdischen durstige Seelen in ihren Schooß aufnimmt und gern Vermittlerin, der alten und neuen Welt wird. Sie muß das alte Füllhorn des Seegens wieder über die Völker ausgießen. Aus dem heiligen Schooße eines ehrwürdigen europäischen Consiliums wird die Christenheit aufstehn, und das Geschäft der Religionserweckung, nach einem allumfassenden, göttlichem Plane betrieben werden. Keiner wird dann mehr protestiren gegen christlichen und weltlichen Zwang, denn das Wesen der Kirche wird ächte Freiheit seyn, und alle nöthigen Reformen werden unter der Leitung derselben, als friedliche und förmliche Staatsprozesse betrieben werden. (http://www.zeno.org/Literatur/M/Novalis/Essay/Die+Christenheit+oder+Europa)
Diese Friedens- Zeit für Europa werde eines Tages kommen, Geduld sei nötig, meint Novalis. „Nur Geduld, sie wird, sie muß kommen die heilige Zeit des ewigen Friedens, wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt seyn wird; und bis dahin seyd heiter und muthig in den Gefahren der Zeit, Genossen meines Glaubens, verkündigt mit Wort und That das göttliche Evangelium, und bleibt dem wahrhaften, unendlichen Glauben treu bis in den Tod“

11.
Dieser Hinweis nennt nur einige Aspekte der aktuellen Bedeutung von Novalis.

Zum Schluss ein Gedicht aus den „Hymnen an die Nacht“ (aus der 5. Hymne), als Beispiel für die Spiritualität Novalis`. Darin äußert er dann doch eine gewisse Art genauerer Kenntnis der ewigen himmlischen Welt: Aber diese mitgeteielte “Kenntnis” ist Sehnsucht, ist Hoffnung.

„Getrost das Leben schreitet
zum ewgen Leben hin;
Von innrer Glut geweitet
Verklärt sich unser Sinn.
Die Sternwelt wird zerfließen
Zum goldnen Lebenswein,
Wir werden sie genießen
und lichte Sterne seyn
Die Lieb‘ ist frei gegeben.
Und keine Trennung mehr
Es wogt das volle Leben
wie ein unendlich Meer
Nur eine Nacht der Wonne –
ein ewiges Gedicht
Und unser aller Sonne
ist Gottes Angesicht.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.