Philosophen und die Revolution.
Zum Thema unseres Salons am 24. 6. 2011 erreicht uns von Wilhelm Lotze, Berlin, ein Diskussionsbeitrag. Wilhelm Lotze ist häufig Teilnehmer am Religionsphilosophischen Salon.
Natürlich können Philosophen oder das Philosophieren keine Revolution auslösen.
Marx sagt wohl so in etwa: Revolutionen entstehen aus einem sozialen Spannungsfeld, wo die Herrschenden nicht mehr können, wie bisher, und die Beherrschten nicht mehr wollen, wie bisher. Wie man sowohl an der Französischen wie an der Oktoberrevolution sieht, und sicher auch an allen anderen Revolutionen, spielen Philosophen und die Philosophie jedoch bei einer Revolution eine enorme Rolle: Schließlich muss die Revolution eine Richtung und ein bewusstes Ziel haben, wohin sie sich bewegen soll, wenn sie irgendeine Chance auf Erfolg haben will. Und dies Ziel zu definieren ist Aufgabe der Philosophie. Dabei spielen nicht allein bleibende und wegweisende Erkenntnisse von Philosophen eine enorme Rolle, sondern auch ihre natürlicherweise zahlreichen und gravierenden Irrtümer, Illusionen und Denkfehler. Aus letzteren sollten wir vor allem lernen.
Im Übrigen sind Revolutionen keineswegs prinzipiell erstrebenswerte Ziele. Wenn möglich, ist es allemal besser, den nötigen Strukturwandel evolutionär zu erreichen. Revolutionen sind auch in der Regel nicht in der Lage, den nötigen Wandlungsprozess auf einen Schlag zu verwirklichen, sondern sie können allenfalls Bedingungen herstellen, um die nötige Evolution zu ermöglichen.
Was unsere Kirchen angeht, so denke ich, hängt die Befreiung des revolutionären Potentials im christlichen Glauben davon ab, ob es den Gläubigen gelingt, sich von aller Kirchlichkeit zu befreien, also einfach den Weg Jesu zu gehen, und den Papst, die Bischöfe, Oberkirchenräte, Pastoren usw. einfach links bzw. rechts liegen zu lassen. Sollen doch die Toten ihre Toten begraben, wie Jesus sagt, oder die Totengräber des Glaubens, also die Kirchenführer, wie ich sage, ihre Kirchen.
Die Welt befindet sich derzeit in einer Situation, wo der Kapitalismus die Menschheit wie eine Schar von Lemmingen ihrer Selbstvernichtung zutreibt. Der Kapitalismus ist jedoch zunächst nicht das System der „anderen“, der Mächtigen, sondern er ist zuerst unser aller System, das innere System unseres eigenen Fühlens, Wollens, Denkens, und sozialen, gesellschaftlichen und politischen Handelns. Der Kapitalismus ist nicht durch eine äußere, sondern nur durch eine innere Revolution zu besiegen, indem wir umkehren auf den Weg Jesu. Unsere zahlreichen Revoluzzer sind also Traumtänzer, die sich durch ihren blinden Aktionismus ein Alibi beschaffen wollen, um sich vor der inneren Umkehr zu drücken. Diese innere Umkehr kann nicht geschehen, um dadurch die Welt zu retten, sondern nur, um dadurch unserem persönlichen Leben seinen wahren Sinn und Inhalt, seine Erfüllung zu geben, indem wir uns aus dem kapitalistischen Irrsinn befreien. Individuell kann dies niemand. Erst als innerlich Befreite werden wir in der Lage sein, den nötigen äußeren, politischen und ökonomischen Strukturwandel durchzuführen.
Freilich ist es durchaus fraglich, ob die Zeit noch reicht, um das riesige Schiff der Menschheit vom Kurs auf den Abgrund abzubringen. Mit dieser Frage sollten wir uns jedoch auch gar nicht erst beschäftigen, da sie unseren Horizont um mehrere Stufen übersteigt. Sicher ist jedoch, dass Gott uns Kräfte geben wird, die wir uns heute nicht vorstellen können, wenn wir den Weg gehen, den Jesus uns wies: täglich individuell und gemeinschaftlich und aus tiefstem Herzen Gott zu fragen, welchen Weg wir gehen sollen, und dann auch wirklich versuchen, diesen Weg zu gehen. Das ist das Einfache, was schwer zu machen ist. Schwer jedoch nur, wenn wir es aus eigner Kraft versuchen. Leicht und einfach, wenn wir auf Gottes Kraft vertrauen und bauen, die in uns wirksam ist. Und egal, ob die Welt untergeht: unser Leben wird darin Erfüllung finden.