Der selbstlose Jesus und der griechische Eros
Hinweise zur Spiritualität Gerhart Hauptmanns
Von Christian Modehn
Am 15. November 2012 wird der 150. Geburtstag des Dichters Gerhart Hauptmann gefeiert (15.11. 1862 – 6.6.1946). Zweifellos, er ist heute nicht vergessen, seine Stücke werden noch gespielt, seine Texte in den Schulen gelesen. „Naturalismus“ als künstlerisches Zeugnis sozialer Verhältnisse ist aktuell.
Wir wollen im „Religionsphilosophischen Salon Berlin“ nicht versäumen, auf einige Aspekte der christlich geprägten Spiritualität Gerhart Hauptmanns aufmerksam zu machen, so sehr er auch lebendiges Interesse hatte an einer „dionysischen“, Eros betonten Form griechisch geprägter Religiosität. Dabei meint Spiritualität eine geistige Haltung, die prägend ist für das ganze Schaffen.
Gerhard Hauptmann verbrachte die entscheidenden Jahre, wie er selbst sagt, in unmittelbarer Nachbarschaft Berlins, in Erkner (1885 – 1888). Er hatte Kontakt mit den Literaten in dem nur wenige Kilometer entfernten Friedrichshagen am Müggelsee… Hauptmann ist sozusagen auch als ein Berliner Dichter zu verstehen. Und gerade in Erkner war er sehr befasst mit seinen „Jesus – Studien“. Sie haben sein Werk direkt oder stimmungsmäßig bestimmt, etwa auch den großen Roman „Der Narr in Christo Emanuel Quint“ (von 1910).
Diese damals viel beachtete Arbeit zeigt, wie dicht sich Hauptmann in seinen Protagonisten einfühlt, auch sprachlich voller Nuancen. Es handelt sich – so möchte man aus religionsphilosophischer Sicht sagen – um einen Roman, der, im Milieu der untersten Schichten angesiedelt, zeigt, wie religiöse Leidenschaften und Phantasien, ja religiöse Wahnvorstellungen im Elend oder wegen des Elends entstehen, wie dann „kleine Glaubensgemeinschaften“ sich um einen hoch verehrten, dann aber wieder verachteten „Propheten“ aus dem Volk bilden. „Der Narr in Christo“ ist also ein heute kaum beachtetes Stück literarischer Theologie und Religionskritik. Bisher, so scheint es, wurde dieser Text kaum einbezogen in eine Darstellung von „Volksreligion“…
Nur ein Hinweis: Es ist die Geschichte des „schlesischen Heilands aus Giersdorf“: Er ist, naiv und fromm, Sohn eines Tischlers; er fühlt sich von Gott mit besonderer Gnade ausgestattet und gerufen und gesandt. Eine Gemeinde der ganz Armen, etwa der Landstreicher, schart sich um ihn, bildet die „Gemeinde der Talbrüder“. Man verehrt „den Narren in Christo“, hält ihn für einen neuen Erlöser. In der Erniedrigung des Elends entsteht, so will Hauptmann sagen, religiöse Fantasie, wenn nicht religiöser Wahn… Ein Phänomen, das heute bekannt und sehr weit verbreitet ist: Man denke an volkstümlich – religiöse enthusiastische (charismatische) Bewegungen unter den Elenden in Afrika oder Lateinamerika… Aber die „Talbrüder“ lassen dann doch in ihrer Unbeständigkeit und ihrem Eigensinn ihren „Meister“ fallen…Hauptmann bietet in dem Roman auch kritische Hinweise zur etablierten Kirche in einem Staat, der ganz auf das Bündnis von Thron und Altar setzt. Der hoch verehrte und dann doch geschmähte Prophet bricht, so der Roman „in den Süden“ auf; nach Rom, möchte man fragen? Er scheitert: Er stirbt bei Schneesturm in den Alpen.
„Narr in Christo“ wurde auch Franz von Assisi genannt, eine Gestalt, die Gerhart Hauptmann sehr verehrte. Es ist doch auffällig, dass er Requisiten und Gegenstände um sich sammelte und pflegte, die seine Nähe zum Christentum ausdrücken sollten, eben die (Franziskaner -)Kutte, die er – meditierend – häufig trug. In diesem Mönchsgewand wurde er schließlich auch bestattet, am 28. Juli 1946 auf der Ostsee Insel Hiddensee. Auch ein „Neues Testament“ wurde ihm – wunschgemäß – ins Grab gelegt, es war ein von ihm viel gelesenes, ja „zerlesenes“ Exemplar…
In seinen Jahren in Erkner wurde, wie gesagt, die Gestalt Jesu für Hauptmann immer wichtiger. Das Interesse an den „rein menschlichen Zügen“ Jesu steht dabei im Mittelpunkt, die Selbstlosigkeit Jesu sowie seine Erkenntnis: „Gott ist Geist“.
1918 erschien Hauptmanns Erzählung „Der Ketzer von Soana”, sie ist trotz ihrer manchmal pathetischen Sprache durchaus aktuell. Beachtlich ist, mit welcher Freiheit schon damals Hauptmann das zentrale Problem der katholischen Kirche bzw. des katholischen Klerus thematisierte, vor allem die gesetzliche Verpflichtung, zölibatär zu leben. Erzählt wird die Geschichte des Priesters Francesco Vela, der bei einem Besuch einer Hirtenfamilie in der Welt der Berge erlebt, wie tief ihn die Natur innerlich, spirituell, berührt, viel stärker als die eher trockenen Texte der Buchreligion. In der als grandios erlebten Bergwelt spürt der Priester eine tiefe Lust am Dasein. Er verliebt sich in Agata, die Tochter des Hirtenpaares; der Priester wird förmlich überwältigt von Lebenslust, das „Dionysische“, wird immer drängender, die sexuelle Liebe bietet ihm höchste Erfüllung…
Die meisten Arbeiten Hauptmanns sind vom Geist der Solidarität, der Sympathie für die Armen und Ausgebeuteten bestimmt, obwohl Hauptmann selbst alles andere als ein „armer Dichter an der Seite der Armen“ lebte…
Es wäre zu zeigen, wie Hauptmanns „Soziale Dramen“ durchdrungen sind vom Geist Jesu und gleichzeitig von der Kritik an der etablierten Kirche. Das ließe sich schon an dem Stück „Die Weber“, Uraufführung 26. 2. 1893 im Neues Theater, erörtern. Es ist bezogen auf historische Ereignisse, den Aufstand in Kaschbach und anderen schlesischen Orten im Jahr 1844. Mit militärischer Gewalt wurde der Aufstand niedergeschlagen. Als eine Motivation, das Stück zu schreiben, nennt Hauptmann selbst „das Mitleid“ mit den Erniedrigten. Die Wilhelminischen Zensurbehörden wollten die Aufführung des Stückes unbedingt verhindern, erst nach einem Gerichtsurteil kam es in die Öffentlichkeit des Theaters. Auch in „Die Weber“ zeigt sich Hauptmann wieder als Religionskritiker: Der Pastor Kittelhaus tritt in dem Stück als Verfechter der bestehenden Bindung von Kirche und Staat auf. Auch der „alte Hilse“ ist aus religiösen Gründen gegen den Aufstand, er findet als Unbeteiligter den Tod am Ende des Stücks.
Gerhart Hauptmann hat zu seiner Zeit auch international viel Ehre und viel Ruhm erlebt, als Fünfzigjähriger erhielt er den Nobelpreis, er wurde in Skandinavien, in den USA und Frankreich hoch geschätzt.
Interessant wäre es, die mystischen Texte Hauptmanns, die schon 1922 in Portofino begonnen wurden, und im Alter von 75 Jahren abgeschlossen wurden, auch religionsphilosophisch näher zu untersuchen: Wieder geht es um die göttlichen „Kräfte und Mächte“, wobei dem Eros immer die besondere Liebe Hauptmanns gilt. Wie sich diese eher griechische Spiritualität mit der biblisch – jesuanischen vermitteln lässt, ist eine weitere Frage. Universal für alle Menschen gültig ist für Hauptmann jedenfalls der Geist. Darin zeigt sich bereits, wie „multi – spirituell“ ein Dichter zu Beginn des 20. Jahrhunderts leben wollte. Eine einzige Konfession war Hauptmann zu eng. Er lässt seinen „Narren in Christo“ Worte sagen, die auch sein eigenes Bekenntnis sein könnten: „Der Mensch wird nicht eigentlich geboren außer im Geist. Er wächst nur im Geist, und was er von Wahrheit weiß oder nicht weiß, ist ganz und gar beschlossen im Geist“. Aber: Auch den bösen Geist gibt es für Hauptmann, „und der spukt in allen Religionen“.
1912 verfasste Hauptmann einen Text (“Marginalie”) über Duldsamkeit. “Die Religion der Zukunft ist Duldsamkeit” (Toleranz). Dabei deutet Hauptmann die Kunst als den “vollkommenen Toleranzfaktor”, wobei die Dilettanten unter den Künstlern nicht Kunstwerke, sondern “Götzen” schaffen. In den Kirchen hingegen gab es “die schlimmsten Verfolgungen”, “Christen waren es, die die Christen in unzähliger Menge hinmordeten”. “Wahre Religion hat nichts mit Unterjochung zu tun”. Der TEXT: LINK
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