Über das Spielen: Spielerisch leben, spielerisch glauben. Hinweise zum Salon am 27. 6. 2014

Spielerisch leben – spielerisch glauben

Hinweise von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 27. 6. 2014

Nur aus dem äußeren Anlass der „Fußball Weltmeisterschaften“  wollen wir uns mit dem Thema Spielen befassen. Nebenbei: In Brasilien selbst gibt es heftige Kritik an den nationalen Fußball – Organisationen, ich zitiere den bekannten kritischen brasilianischen Sportjournalisten Juca Kfouri (in Jens Glüsing, „Brasilien“, Chr. Links Verlag, Berlin, 2013,  S. 161) „So, wie der Fußball in Brasilien organisiert ist, hat er keine Zukunft. Eine korrupte Mafia beherrscht den Fußballverband“. Es ist bezeichnend, dass, nach meinem Eindruck, jetzt von den Weltmeisterschaften nur in der Formel „WM“ gesprochen wird, sehr selten fällt überhaupt noch das Wort Spiele. An die WM als „Spiel“ glauben vielleicht nur noch die Akteure selbst im Moment des Kampfes auf dem Rasen und einige enthusiastische Fans im Stadium. Für viele Zuschauer geht es ohnehin darum, den eigenen Nationalstolz pflegen zu dürfen und mögliche Gegner „kaputt zu machen“ oder „niederzuwalzen“ o.ä., wie die Presse schreibt. Über den Nationalismus bei den WMs zu sprechen, wäre ein eigenes Thema. Man hat den Eindruck: Das Sprechen von „Siegen“ und „Niederlagen“ ist offensichtlich auch die Sprache des Krieges (ohne tötende Waffen). Was sich als Spiel ausgibt und sich als Spiel verkauft, ist in Wirklichkeit mindestens ein beinhartes, ernstes Millionen – Geschäft. Und wer vor dem Fernseher dieses Spiel verfolgt, spielt er selbst dann auch als Zuschauer? Oder ist er passiv-konsumierend-sitzend-manchmal grölend auf das Ereignis “seiner“  Nationalmannschaft fixiert? Kann man passiv betrachtend spielen? Diese Frage führt schon etwas weiter: Wir wollen uns philosophisch, ausgehend von phänomenologischen Beobachtungen, dem Spiel und dem Spielen nähern: Dies nicht als Flucht vor der Realität, sondern um uns selbst tiefer zu verstehen. Denn wir erfahren uns immer schon in dieser doppelten Rolle als Spielende und ernsthafte Menschen. Diesen Zusammenhang tiefer zu verstehen, ist Sache der Philosophie, die sich als Existenzdeutung versteht.

1. Spielen ist überhaupt nichts Kindliches  oder Kindisches. Im Spiel entdecken die Kinder ihre eigene Welt, wecken ihre Phantasie, geben sich selbst Regeln und verfügen über die Dinge ihrer Umgebung: Ich erinnere mich, wie ich als kleines Kind in Ostberlin mit großen und kleinen Blättern Wechselstube spielte, kleine Blätter bedeuteten die DDR Mark, große die D Mark. So spiegelte sich schon der Ost – West Gegensatz, vermittelt im Elternhaus, eine Rolle im Spiel, spielerisch wurde sozusagen die Bedeutung der Währungen eingeübt. Damals war das gemeinsame Spielen in der Familie, am Tisch, manchmal ganz schlicht als Brettspiel selbstverständlich.

2. Ich erinnere nur daran, dass Spielen wichtiges Element der Freizeitgestaltung ist. So wird auch die Langeweile gestaltet; Spielen ist auch Zeitvertreib und Entspannung, man denke an Skat, den Menschen spielen, wenn sie auf den nächsten Zug warten und in der Kneipe einander besser nichts sagen, sondern spielen.

Grundsätzlich gilt, so einer der großen Theoretiker des Spielens, der Holländer Johan Huizinga: „Spiel ist freiwillige Handlung innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum; diese Spielhandlung wird freiwillig aufgenommen, aber gemäß unbedingt bindenden Regeln verrichtet. Spiel hat sein Ziel in sich selbst… und wird begleitet von einem Gefühl des Andersseins als das gewöhnliche Leben“ (S. 37). Das ist entscheidend: Im Spiel treten wir heraus aus der starr wirkenden Welt und Gesellschaft, die uns die (oft uns befremdlichen) Gesetze vorschreibt, und wenden uns einer eigenen, gesonderten Welt zu, in der andere Regeln herrschen, oft solche, die wir uns selbst gegeben haben. In den meisten Fällen ist das spielerische Spiel zweckfrei. Dadurch wird unser Geist frei, die Phantasie wird geweckt, wir kommen in geistige und körperliche Bewegung. Darum kann Huizinga sagen: „Spiel ist eines der aller fundamentalsten geistigen Elemente des Lebens“ (S. 37). Es gibt natürlich Spiele, wo dieses spielerische, freie Element fast verschwindet anstelle etwa des Gewinnstrebens (Geldspiele usw.) Also: Spiele selbst sind schon ambivalent. Nebenbei: Es gibt also auch das hässliche Spiel, ich würde sagen das unmoralische Spielen. Wenn man sich an der Börse aufhält und nur den eigenen Gewinn berücksichtigt, also an der Börse mit Milliarden (anderer Menschen) spielt, um des eigenen Gewinns willen, ist das zutiefst verwerflich.

3. Aus dieser Freiheit des authentischen, des spielerischen Spiels, entsteht letztlich das anspruchsvolle Spiel im Theater oder in der Oper usw. Im anthropologischen Spielen-Können, wenn nicht Spielen-Müssen im Menschen hat die anspruchsvollere Kultur (des Spielens) ihre geistige Basis. Man könnte den Umkehrschluss wagen: Wenn nicht mehr gespielt wird, verstanden als das spielerische Spiel als Selbstzweck ohne Finanzinteressen, dann geht auch das kulturelle Niveau ins Abseits. Man denke an die so genannten Spiel-Shows im Fernsehen, die zu best platzierten Sendezeiten das anspruchsvolle politisch-kulturelle Programm längst verdrängt haben. Anspruchsvoller Geist ist in der Sicht der „Macher“-Herren des Fernsehens dann nur etwas für Minderheiten. Der Verblödungsprozess wird so offiziell gefördert.

4. Noch einmal: Spielen ist geistig–körperliche Gestaltung von Freiheit, eine Form des Ausstiegs aus dem bedrängenden Lebensrhythmus mit seinen Geboten und Verboten, man spricht auch von „Unterbrechungen“. Der Alltag wird dann bloß noch zu dem Vorletzten, die Welt der rechnenden Verhalten wird sozusagen kraftvoll überspielt. Ohne spielerisches Spiel keine Menschlichkeit, könnte man zugespitzt sagen. Der Philosoph Martin Seel schreibt in seinem sehr empfehlenswerten Buch “111 Tugenden-111 Laster” (Fischer Verlag, 2011, Seite 223 im Kapitel Spielfreude): “Wir wollen uns in der Situation des Spielens auf eine besondere Weise gegenwärtig sein…Wir wollen in den Möglichkeiten einer außergewöhnlichen Gegenwart verweilen”.

5. Das alltägliche Leben der Arbeit und der organisierten Freizeit wird oft der Ernst des Lebens genannt. Menschen beginnen nach der Schule, in das erwachsene Leben, in den Ernst des Lebens einzutreten. Damit ist das entscheidende Stichwort gefallen: Wir müssen den Begriff „Ernst“, immer in der Form „Ernst des Lebens“ mit seinen von uns nicht gemachten Gesetzen mit- bedenken, wenn wir das Spielen bedenken. Aber an Kant sollte man sich auch hier erinnern: In seiner “Anthropologie” plädiert er fürs Spielen inmitten des Ernstes des Lebens. Im Spielen können wir uns distanzieren von den anstrengenden Verpflichtungen des Alltags. Von daher ist das Spielen um seiner selbst willen sinnvoll, weil wir in eine Form der Bewegtheit geraten zwischen positiven und negativen Stimmungen und Erwartungen mitten im Spielen. Wir fürchten uns (etwa vor einer Niederlage im Spiel) und wir sind guter Zuversicht (auf einen “Sieg”, Gewinn usw.) inmitten des Spielens. Ist diese Ambivalenz nicht Ausdruck des menschlichen Lebens?

6. Aber Spiele selbst sind ja nun wiederum selbst keineswegs das völlig Freischwebende, sozusagen phantastisch Gesetzlose. Es gibt im Spielen Auseinandersetzungen und Streit, zumal, wenn sich ein Teilnehmer nicht an die gemachten oder übernommenen Spiel–Regeln hält. Aber diese Spielverderber werden nach den Spielregeln bestraft und nach dem allgemeinen, „ernsten“ Gefühl, dass da Unrecht geschehen ist.

Also: Auch der Ernst spielt in die Welt der Spiele hinein.

Zentral ist die Erkenntnis: Wir können Spiele und Ernst nicht streng trennen und so tun, als ständen sie völlig unabhängig voneinander sich bloß abstrakt gegenüber. Auch Spiele haben in sich selbst Ernst. Aber spielerische Spiele sind doch eine andere Form zu leben als jene Daseinsvollzüge, die vorherrschend vom Ernst bestimmt sind.

7. Es ist auffällig, wie der Begriff Spielen Geltung hat in vielen alltäglichen Vollzügen: Wir sprechen vom Durchspielen verschiedener Möglichkeiten; von Anspielungen machen; Vertrauen verspielen, wir sagen „das spielt keine Rolle“. Ausstellungsräume werden bespielt; ich spiele Orgel, das direkte Verb „Orgeln“ ist verpönt; wir spielen beim Benutzen des Instruments, Spielen genannt, die  Orgel, die wohl auch spielerisch-freie Stimmungen erzeugt.

Offenbar wird das Wort spielen für Alltagsvollzüge verwendet, die etwas Offenes in sich haben und nicht den Zwang unterstreichen, unbedingt etwas so tun zu müssen, sozusagen in vollem Ernst. Selbst das Orchester, das eine Symphonie spielt, sollte doch die künstlerische Leichtigkeit, den Tanz, die Melancholie, was auch immer, ausdrücken. Bloß korrektes, die Noten Herunterspielen ist keine Kunst. Die Kunst muss spielerisch sein. Dazu die Beispiele „Das neue Arcadien–Projekt“ mi dem künstlerischen Botschafter Arcadiens. Der Künstler Peter Kees hat dieses “spielerische Projekt“ initiiert: http://www.embassy-of-arcadia.eu/Embassy_of_Arcadia/Home.html

8. Dabei gibt es durchaus auch fast absolut ernste Lebensvollzüge, in denen der Ernst mit seiner Korrektheit der Gesetze und Bestimmungen fast ausschließlich gelten muss. Der Ernst hat absolute Gültigkeit bei einer chirurgischen Operation; oder bei einer Gerichtsverhandlung. Auch in personalen Beziehungen gilt der Ernst: Ich vertraue einem anderen, weil ich annehme, er meint es ernst mit mir und seiner Liebe. Der Handschlag als Siegel einer Abmachung muss ernst gemeint sein, so muss das Vertrauen in dieses Ernstgemeintsein auch ernst wiederum ernst sein dürfen.

9. Aber ich vermute, dass es auch in den strengen Situation des Ernstes immer auch noch spielerische Elemente gelten, wenn sozusagen doch die ernsten Regeln durchbrochen werden, weil nur so eine Situation gerettet werden kann. Piloten könnten davon berichten, wie sie in Ausnahmesituationen gegen alle ernsten Regeln verstoßen müssen, um einen Absturz zu verhindern, ähnliches gilt wohl auch für Ärzte, gelegentlich.

10. Damit sind wir bei einer wichtigen Perspektive: Unsere Lebenskunst besteht darin, mit dieser ständigen Verbindung und Verschränkung von Spielen und Ernst treffend umzugehen, sozusagen die richtige Melange von Spiel und Ernst zu finden. Dabei hat natürlich die Entdeckung des spielerischen Spiels für uns selbst den großen Vorrang.

11. Spielerisch leben ist ein Element im Titels dieses Salons. Dabei meint “spielerisch leben” zunächst: Das Lockere und Freie und Selbstbestimmte ins eigene Leben integrieren. Phantasie entwickeln, auch neue Rollen annehmen und für sich mit anderen durchspielen. Wir spielen ja ohnehin immer in unserem so ernsten Leben: Die volle Wahrheit sagen wir dem anderen ja doch nie oder selte; wir jonglieren so oft mit unseren Worten, um ihn nicht zu beleidigen, um des lieben Friedens willen wird gespielt, also gelogen? Außerdem wissen wir ja nicht, ob unser hartes Urteil, unsere Wahrheit über ihn, vielleicht morgen in anderem Licht erscheint. Darum lügen wir lieber, spielerisch sagen wir: Dein Lieblingswein ist OK, obwohl er sauer schmeckt, um nur ein ganz einfaches Beispiel aus unserem alltäglichen Lügenspiel zu nennen.

Wir tragen, anders gesagt, meistens Masken, oft mehrere Masken hintereinander an einem Tag, je nachdem, wo wir uns mit wem befinden. Wir sind, anders gesagt, meistens selbst Schau–Spieler für uns und für andere. Ohne Maske zu leben wäre der Ernst, manche können das gar nicht und wollen noch im Sterben belogen werden…

Aber das Spielerische und Leichte kann ja durchaus auch mal ins Surreale gehen: Ich kann doch mich hinsetzen und spontan Gedichte schreiben, oder mich ans Klavier setzen und einfach den Mut haben, freie Phantasien zu spielen. Spielerisch leben heißt: Wie finden wir die Leichtigkeit wieder, wie können wir den Ernst des Lebens zurückdrängen und so verwandelt wieder neu ernst leben. Eben mit dem Ernst spielerisch umgehen, das beginnt bei dem Lachenkönnen, bei der Pflege des Humors.

12. Ich möchte noch weitergehen: Das Leben, unser ganzes Leben, könnten wir als Spiel begreifen. Das Leben enthält naturgemäß ernste Momente,  aber insgesamt könnte man sich doch vorstellen, dass Existenz ein freies Schweben im Dasein bedeuten könnte. Ein solcher Gedanke fällt uns schwer, weil das Leben oft/meist als Last/Ernst erlebt wird.

Aber das Leben als Spiel zu entdecken setzt nur eine Erkenntnis voraus: Wir wissen gar nicht genau, woher wir kommen. Damit ist jetzt nicht gemeint, dass wir nicht genau unseren Vater oder unsere Mutter bestimmen können. Sondern viel tiefer gilt: Wir wissen nicht, woher wir aus dem Prozess des Lebendigen, der Welt, der Natur, der Schöpfung, herstammen.

Religiöse Menschen sagen „Wir stammen aus Gottes Schöpfung und kehren zu ihm zurück“. Atheisten, die behaupten, wir kommen aus dem Nichts und gehen ins Nichts  formulieren damit ein Glaubensbekenntnis und keine Wissenschaft, wie oft behauptet wird.

Das heißt: Unser Leben bewegt sich zwischen zwei definitiv unbekannten Größen! Wir wissen weder das Woher noch das Wohin, das Danach, wir sind sozusagen als ein Seil gespannt in eine uns unbekannte Zeit auf uns unbekannten Pfählen, an denen dieses unser Seil, also wir,  gebunden ist/sind. Wir hängen sozusagen zwischen unbekannten Größen.

13. Wie kann man darauf reagieren? Bitter ernst, das ist eine sehr häufige Möglichkeit, sich das Leben schwer zu machen. Diese Bitternis entsteht wohl, weil wir vergessen, dass wir zwischen zwei unbekannten Größen hängen. Oder eben lächelnd, vielleicht manchmal lachend, immer aber zuversichtlich, dass wir diese Situation schon richtig und sinnvoll durchspielen werden. Wir müssen vielleicht unser Leben durch-spielen, d.h. es annehmen, und nach unseren Regeln gestalten – mit anderen.

14. Noch ein Wort zum zweiten Teil unseres Titels, da wird die Frage gestellt: Können wir spirituell interessiert auch spielerisch zu glauben, also spielerisch die eigene Spiritualität und Frömmigkeit gestalten, können wir uns möglicherweise spielerisch auf die göttliche Wirklichkeit zu beziehen?  Die Frage ist gar nicht befremdlich, weil wir tatsächlich immer schon spielerisch glauben. Wir vergessen das nur oft und sehen das nicht. Z.B: Wir gehen frei mit den religiösen Fragen um: Wir glauben an bestimmte Erscheinungen Mariens und stellen sie in den Mittelpunkt unseres Lebens. Oder wir sind strenge Atheisten und glauben sozusagen dieses Nichts, diese Leere. Oder wir glauben, dass die innere Stimme des Gewissens der wahre Ort der Gotteserfahrung ist usw. Oder wir “basteln” unsere Spiritualität zusammen aus Elementen verschiedener Religionen mit einer Melange einer Rosentherapie und einer täglichen Massage: Da wird streng gehandelt, also ernst „gebastelt“ an einer für mich schmackhaften „Melange“. Die Frage ist, ob dieser „new-age-Kult“ spielerisch ist, er ist nur Spiel ohne Leichtigkeit? Der spielerische Glaube hat die Leichtigkeit und auch das Element einer tiefen Reflexion auf die Bedingungen des Daseins.

15. Wenn wir spielerisch glauben, beziehen wir uns durchaus auf rational vermittelbare, also philosophische Erkenntnisse: in diesem Sinne kommt immer das eigene Wollen und Denken zum Zuge. Wer denn an eine göttliche Wirklichkeit glaubt: Der weiß sich in diese Welt von Gott gesetzt – von einem Unendlichen und Ewigen, der als Unendlicher und Ewiger nur Liebe sein kann, also aus Liebe auch die Welt und die Menschen setzt/schafft. Und mit diesem liebenden Unendlichen kann das Liebesspiel beginnen. Wir müssen lernen, den philosophisch reflektierten Glauben, die Spiritualität, also unsere eigene Religiosität, als Liebesspiel mit Gott zu verstehen. Ausgangspunkt wäre: Spielen ist ein freier Vollzug, in dem man aufleben kann, jenseits von Stress und Gesetz. Diese Situation gilt für die Beziehung Gottes zu den Menschen. Es ist ein Spiel des Auf und Ab, der Eifersucht, des Zorns, der Nähe usw.

Wenn ich in einer religiösen Deutung von Liebes-Spiel zwischen Gott und dem Menschen spreche, dann sicher in der Bedeutung, dass das Wort “Liebesspiel” analoge Bedeutung hat zu dem Liebesspiel unter Menschen. Die Voraussetzung, um überhaupt zu einer solchen analogen Aussage zu kommen, ist die Erkenntnis und die Erfahrung zuvor: dass wir Menschen uns letztlich in einem bergenden Sinnhorizont bewegen, oder auf einer unerschütterlichen Basis stehen, die wir nicht gemacht haben, die uns aber immer wieder Sinn erleben erlässt. In allem alltäglichen Tun und Sprechen setzen wir ja (unbewußt) immmer schon voraus, dass es sinnvoll ist, dies und das zu tun oder zu lassen. Das wäre philosophisch sozusagen der “Ansatz”, wir bewegen uns und sind immer schon in einem Sinnhorizont.

Es ist vielleicht interessant, dass der Choral “Wie bin ich doch so herzlich froh” (Bachwerke Verzeichnis 1 (!) ) ausdrücklich von Jesus als dem SCHATZ, also dem Geliebten spricht, dies nur am Rande für alle, die explizit religiös oder christlich interessiert sind. “Wie bin ich doch so herzlich froh, dass mein SCHATZ ist das A und O, der Anfang und das Ende”  und zum Schluß, wieder in der Sprache der Liebe, des Liebesspieles: “Deiner wart ich mit Verlangen”.

Das alles klingt jetzt arg allgemein, vielleicht mystisch, ist aber sozusagen eine Erkenntnis der klassischen Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Nur wenn man in diesem von uns nicht mehr greifbaren aber anwesenden Horizont denkt und lebt, hat das Wort Liebesspiel zwischen Gott und Mensch einen Sinn, das dann auch noch gilt, wenn Leiden den Menschen irritieren und zu vernichten drohen.

Spielend glauben wäre dann eine Daseins-Möglichkeit, sich ganz frei auf dem Boden, bildlich gesprochen, dem Boden des göttlichen Grundes zu bewegen. Sozusagen angstfrei zu tanzen und zu spielen und zu leben, weil man vertraut: Dieser göttliche Boden ist unverwüstlich, da werde ich nicht einbrechen oder durchbrechen, selbst wenn es, das ist jetzt nicht zynisch gemeint, zum „End-Spiel“ meines Lebens ´kommt.

16. Das Spielerische im Glauben hat auch der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal gesehen: Er hat seinen atheistischen Freunden eine Art Spiel empfohlen, als er sagte: Glaube doch ruhig in deinem Leben an Gott, selbst wenn du zweifelst. Nach dem Tod wirst du entweder im Himmel sein und sagen: O Gott, prima, dass ich geglaubt habe. Bist du aber im Nichts, weil es Gott nicht gibt, dann hast du ja so viel auch nicht verloren, wenn du auf Erden geglaubt hast. Ich weiß, diese Pascalsche Wette ist sehr problematisch. Aber es ist der Versuch, das Spielerische im Glauben zu realisieren.

Alain de Botton, der atheistische Philosoph in London, geht den ähnlichen Weg. Er rät förmlich in seinem Buch „Religion für Atheisten“, dass doch die Atheisten ruhig mal beten sollen. Sie werden eventuell danach spüren, ob sie irgendwie getröstet werden. Also spielerisch nicht glauben, auch bei Alain de Botton. (Religion für Atheisten, Fischer Verlag 2013)

17. Eine weitere Provokation kommt allerdings von dem sehr seriösen katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini, er hat 1918 ein Buch veröffentlich: „Vom Geist der Liturgie“. Darin gibt es ein Kapitel, das sich ausdrücklich mit der Liturgie als Spiel befasst. Man stelle sich vor: Die katholische Messe, das ist ja die Liturgie, als Spiel verstanden! Welche Welten liegen da zwischen Faktum und Idee. Spielerische Liturgie: Als freies Dasein des religiösen Menschen in einem religiösen Raum als Teilnehmer an einer Messe, die so meinte Guardini, die spielerische Leichtigkeit haben soll. Dies ist wohl angesichts der real existierenden Liturgie im Katholizismus und noch mehr im Protestantismus nicht mehr als ein schöner (Guardini) Traum. So viel spielerische Freiheit (niveauvoll, bitte nicht immer nur Kindergarten-Tralala) lässt die Kirchenleitung kaum zu. Selbst die zeitgenössische Kunst, die ja vom Wesen her spielerisch ist, hat einen schweren Stand INNERHALB der Kirchengebäude. Freiheit stört, Spiele stören, das ist die gängige Meinung vieler Kirchenherren. Leider. Mentalitätsänderungen sind kaum in Sicht.

18. Und die Philosophie? Ist sie auch ein (ernstes) Spiel? Das kann hier nur angedeutet werden: Wittgenstein sprach von den Sprachspielen, Fichte davon, dass jeder Mensch sich seine Philosophie frei wählt, je nach dem, was er für einen Charakter hat. Dass Philosophie nicht bitter ernst sein muss, hat ja Michel de Montaigne in seinen immer wieder zu empfehlenden Essais bewiesen.

COPYRIGHT: Christian Modehn, Berlin. Religionsphilosophischer-Salon

Zur Vertiefung:

Jürgen Moltmann, Die ersten Freigelassenen der Schöpfung

Harvey Cox, Das Fest der Narren

Wilhelm Gräb, „Von der Wunderkraft des Spielens“ auf www. religionsphilosophischer-salon.de

Zu Pascals „Pensées“: Dort vor allem die Nr. 246, auch auf Deutsch “Gedanken”.

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