Religion ohne Gott. Ein Buch des Philosophen Ronald Dworkin.
Hinweise von Christian Modehn
Das Thema bewegt viele Menschen: Gibt es eine Religion ohne Gott, kann man also religiös sein ohne die Annahme einer personalen göttlichen Wirklichkeit? Dass sich die Identitäten in der breiten Bewegung, die sich atheistisch nennt, verändern, wurde ja schon mehrmals in letzter Zeit betont, man denke etwa an die Arbeiten von Herbert Schnädelbach oder Alain de Botton.
Der us – amerikanische Philosoph Ronald Dworkin hat also auch gespürt, dass sich für diese Frage viele Menschen in Europa und Amerika aus tiefer persönlicher „Betroffenheit“ interessieren: Einen personalen Gott können sie vor ihrem intellektuellen Gewissen nicht rechtfertigen, und die totale Ablehnung religiöser (Erhabenheits-) Gefühle finden doch auch Atheisten zu banal. Im Jahr 2011 hat Dworkin zu dem Thema an der Universität Bern Vorträge gehalten, sie liegen nun als Buch vor. Dworkin konnte die Vorträge nicht mehr bearbeiten, er ist am 14. Februar 2013 gestorben.
Das Buch ist im wesentlichen ein Plädoyer für die religiöse Verbundenheit von unterschiedlichen Menschen, die sich gläubig bzw. ungläubig, „atheistisch“ nennen. Sie sind nach Dworkin verbunden in der absoluten Wertschätzung, ein (ethisch) gutes Leben zu gestalten, und zwar für sich selbst wie auch in Verantwortung für andere. Es gilt, fundamentale menschliche Entscheidungen für humane Werte in den Mittelpunkt zu stellen, an diese Werte fühlen sich Gläubige wie auch Atheisten gebunden. Nicht die Frage, ob ein Gott existiert, ist nach Dworkin zentral, sondern das Leben nach einem gemeinsamen humanen Ethos. Darin kann sich „Religiöses“ zeigen. Entscheidend auch: Dadurch, so Dworkin, könne die ideologische Zerrissenheit heutiger Gesellschaften ein Stückweit überwunden, wenn nicht geheilt werden. Man stelle sich ja tatsächlich einmal vor, die sich heute im Irak und anderswo totschlagenden Gott-Gläubigen würden auf den Begriff Gott/Allah verzichten, sie würden sich also Gottes und Allahs nicht mehr bedienen für die Begründung ihres Mordens: Sie würden vielmehr sich selbst „nur“ als spirituelle Menschen betrachten: Ein bisschen negative Power wäre damit sicher überwunden. „Wenn es gelingen sollte, Religion und Gott auseinanderzudividieren, könnten wir jenen Scharmützeln etwas von der Hitzigkeit nehmen, indem wir zwischen wissenschaftlichen Fragen und Wertfragen (an die alle Menschen gebunden sind CM) unterscheiden“ (S. 18).
Aber bleiben wir bei einem Beispiel aus dem europäisch- amerikanischen Bereich, den Dworkin vor Augen hat: Fromme Christen kümmern sich zum Beispiel vermehrt um die Erfahrungen des Wunderbaren und Erhabenen, lassen dabei Gott Gott sein; Atheisten ebenso und lassen dabei ihre Ablehnung eines himmlischen, göttlichen „Herrn“ beiseite.
Dworkin will zeigen: Es gilt, diese Einsicht unter allen Menschen zu pflegen, dass das Leben in der Welt nicht darauf verzichten kann, den Begriff Geheimnis zu verwenden.
Es gibt Lebenserfahrungen, die niemals angemessen mit der Begrifflichkeit der Naturwissenschaften erklärt und durchleuchtet werden können. Von daher wendet sich Dworkin entschieden gegen die – als philosophische Mode schon längst wieder eingeschränkte – Überzeugung der so genannten (philosophischen) Naturalisten (man denke an Richard Dawkins).
Das Buch von Dworkin „Religion ohne Gott“ wurde auch in Deutschland mit großem Interesse aufgenommen, d.h. es wurde in den Medien oft erwähnt. Dabei darf nicht verschwiegen werden, dass das Buch manchmal für Nichtphilosophen nicht gerade eine „leichte Lektüre“ ist. Explizit wird der Titel des Buches auch vor allem (nur) im ersten Kapitel des Buches behandelt. Das dritte Kapitel etwa behandelt Fragen rund um die Religionsfreiheit, dabei spürt man, dass Dworkin ursprünglich ein sehr starkes Interesse an Rechtsphilosophie hat und als solcher vor allem auch international geschätzt wird!
Es wird also die These zur Diskussion gestellt: „Religion ist etwas Tieferes als Gott“. Offenbar ist gemeint: Gott meint immer historisch gewordenen Gottesbilder, während Religion sich auf absolut geltende Werte bezieht.
Wichtiger noch ist die philosophische Kritik, dass Dworkin in seiner Konzeption die Werte in einer sehr objektivistischen Weise versteht. So, als würden die Werte aus dem Umfeld eines moralisch guten Lebens uns so zusagen wie feste Bilder vor Augen stehen, also objektiv und immer „vor uns“ gegeben sein. Wir müssen diese objektiven Werte nur betrachten und ihnen dann bitte schön folgen. Mit anderen Worten: Wir haben den Eindruck, dass Dworkin einer allzu objektivistischen (alten) Wertelehre folg. Dabei hat er unseres Erachtens kein Gespür dafür, dass „die Werte“ spätestens seit Nietzsche auch ein Werk des schöpferischen Subjekts sind. Von Werten kann nur noch gesprochen werden, wenn man allen Nachdruck auf den Werte erlebenden Menschen, „das Subjekt“, setzt. Und auch auf die schöpferische Kraft der Menschen, Werte zu setzen. Diese können ja auch unbedingte Geltung haben, auch wenn sie in einer bestimmten Kultur entstanden sind. Arnim Regenbogen schreibt in dem Lexikonbeitrag „Wert/Werte“ in dem dreibändigen Lexikon „Enzyklopädie Philosophie“ Band 3, Seite 2974: “Werthaftigkeit ist keine objektive Eigenschaft von Dingen, sondern muss als Beziehung bewertender Subjekte auf Gegenstände betrachtet werden. Durch eine Wertung wird ein Gegenstand menschlichen Handelns selbst zum Wert“.
Religionsphilosophisch gesehen ist es fraglich, ob ein religiöser Mensch beim Erleben des Erhabenen sozusagen aufhört weiter zu fragen und sich etwa bloß an diese weltliche Erfahrung eines (angeblich) wunderbaren Kosmos hält. Die Fragebewegung geht weiter, nicht in dem Sinne, dass klassisch metaphysisch nach der „ersten Ursache“ in Form eines alten Gottesbeweises gefragt wird. Aber in der Reflexion auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, Erhabenes und Wunderbares in dieser Welt zu erleben, wird die (vom Menschen unabwerfbare, „gegebene“) Kraft des menschlichen Geistes in neuem Licht erscheinen, als eine ständige, ruhelose Fragebewegung. Mit dieser Erfahrung und der ihr entsprechenden Aussage erlebt sich der Mensch neu, als hineingestellt in eine ständige geistige Bewegtheit ohne Ende (und unbekannter Herunft). Dabei wird sozusagen dann „das Wesen des Menschen“ (um diesen klassischen begriff einmal zu verwenden) ganz neu gesehen. Nämlich: Der Mensch kann sich nie ganz umfassen und begrifflich durchsichtig machen. Er ist sich selbst der Unbekannte, das Geheimnis, das etwas Gegebenes ist, manche sagen eine „Gabe“. Von daher tasten sich dann einige Philosophen doch weiter zu Frage: Wie kann eine umfassende Anwesenheit eines unabwerfbar „Gebenden“ in der Gabe (also dem Menschen!) gedacht werden?
Mit anderen Worten: Die Thesen von Dworkin sind insofern inspirierend, als sie auf ein dringendes Thema aufmerksam machen und so im Denken über seinen Text hinausführen – in eine größere Weite. Vielleicht könnte dann auch Gott neu ins Denken kommen, indem er nicht mehr naiv personal gedacht wird und nicht mehr naiv als absolut inexistent zurückgewiesen wird. Sondern es gibt dann ein Denken, in dem Gott in der Schwebe sozusagen bleibt, zwischen personal und a-personal gedacht. Eine Überzeugung, für die der protestantische Theologe Paul Tillich eingetreten ist, auf ihn weist Dworkin ausdrücklich hin (Seite 41). „Vielleicht sollte man davon ausgehen, dass Tillich beides war, ein religiöser Theist und ein religiöser Atheist, der glaubte, dass die ´numinose` Beschaffenheit der religiösen Erfahrung den Unterschied zwischen beiden zum Verschwinden bringt“: (ebd.). Diese Einschätzung wird von Dworkin leider nicht weiter vertieft. Daran aber sollte man weiter „arbeiten“.
Ronald Dworkin, Religion ohne Gott. Suhrkamp, 2014, 146 Seiten, 19.95€
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin