Haiti: Das uralte Gift des Rassismus

Die Diskussionen – auch in unserem religionsphilosophischen Salon –  über HAITI gehen weiter.  Die Katastrophe dort hatte schon vor dem Erdbeben begonnen: Der Mangel an jeglicher Infrastruktur behindert heute die Rettung und Aufbauarbeit. Gibt es auch Gründe für dieses Disaster im Bereich der Mentalitäten?

Das uralte Gift des Rassismus: Was Haiti im Innern zerstört

Von Christian Modehn

Für ihre Befreiung aus der Sklaverei hatten sie wahnsinnigen Mut aufgebracht. Ohne strategische Erfahrung glaubten die Schwarzen an den Erfolg ihres Aufstandes. Sie hatten die Gunst der Stunde erkannt und die revolutionäre Entwicklung in Frankreich mit der Erklärung der Menschenrechte für sich selbst genutzt. Selbst gegen Napoléon konnten sie sich durchsetzen, im Kampf gab tausende von Toten auf beiden Seiten. Die Befreiung aus der jahrhundertealten blutigen Sklaverei gelang nur mit einem enormen „Blutbad“. Das hat sich in das Gedächtnis des Volkes tief eingegraben. Am 1. 1. 1804 wurde die erste Republik auf dem südamerikanischem Kontinent ausgerufen. Gedemütigte, wie Tiere behandelte schwarze Sklaven hatten sich selbst befreit. Für die meisten Europäer war dies eine enorme Erniedrigung. Die USA sprachen sich schon 1806 für einen Handelsboykott aus. Als sich die vertriebenen französischen Eigentümer der Zuckerrohrplantagen gemütlich in Paris niedergelassen hatten, präsentierte der französische Staat eine furchtbare Rechnung: Die junge Republik der Schwarzen musste 150 Millionen (damaliger) Francs, umgerechnet 21 Milliarden US Dollar,  als „Entschädigung“ zahlen. Eine maßlose Summe, Ausdruck rassistischen Denkens, so sollten die befreiten Sklaven nun ökonomisch erneut zu versklavt werden.

Dabei waren die Kolonisten bereits zu immensem Reichtum gekommen, Haiti galt weltweit als die lukrativste Kolonie überhaupt. Aber die neuen „freien“ Herrscher in Haiti waren so eingeschüchtert, dass sie treu und brav die Zahlungen der „Wiedergutmachung“ leisteten.

Haiti war als freie Republik revolutionärer Sklaven von Anfang an auch diplomatisch völlig isoliert. Kein Staat respektierte das Land. Simon Bolivar, der berühmte „Befreier“ Venezuelas und Kolumbiens, fand 1815 Zuflucht in Haiti, später durften ihm noch schwarze Soldaten in seiner Heimat zur Seite stehen. Aber bei zunehmendem Erfolg ließ selbst er Haiti fallen. Die USA fürchteten, die Sklaven im eigenen Land könnten sich an Haiti ein Beispiel nehmen. Auch der Vatikan hat fast 60 Jahre gewartet, ehe er die Republik der Schwarzen anerkannte, obwohl deren Politiker immer wieder um Nonnen und Priester zum Aufbau eines guten Schulwesens gebettelt hatten. Die schwarzen Politiker galten den Päpsten als „zu aufmüpfig“…

Die Befreier Haitis waren seelisch tief verwundet nach all den Jahren der Sklaverei. Und sie folgten dem Denkschema ihrer Herren: der  Unterscheidung zwischen Oben und Unten, zwischen wertvoll und minderwertig. Schwarze bekämpften die wenigen im Land verbliebenen, etwas besser gebildeten Mulatten, und die wiederum verachteten die „dummen Neger“. Dieses rassistisch geprägte Gegeneinander durchzieht die politische Geschichte Haitis bis heute.

Schon in den ersten Jahren war das Land gespalten: In der Republik im Süden regierten Mulatten, im Norden hatten Schwarze ein Kaiserreich geschaffen, mit den absurdesten Formen eines Hofstaates etwa unter Jacques I., Henri I. oder Faustin I. Dieser verübte unsägliche Massaker an Mulatten. Seinen Spuren folgte der Gewaltherrscher Francois Dauvailier, ein Schwarzer, der von seiner „Tropen SS“, den Tontons Macoutes, vor allem Mulatten tötete. Ein Grund für das klägliche Ende des ersten frei gewählten Präsidenten, des Armenpriester Aristide, ist sicher auch die Ablehnung, die er, der Schwarze, von der reichen Oberschicht der Mulatten erfuhr. Die hatten sich in Pétionville nahe der Hauptstadt in ihren Luxusvillen eingebunkert. Beim Erdebeben blieben diese bestens ausgestatteten Paläste weithin verschont!

Der ökonomische Niedergang begann mit der Ablehnung der Schwarzen, weiterhin die Plantagen, ihre Orte des Schreckens, zu kultivieren. Die einstigen Sklaven dachten nur an ihr Eigentum, an ihre kleinen Parzellen Land, um den Eigenbedarf zu decken. Haiti verarmte so sehr, dass seit Beginn des 20. Jahrhunderts sogar Zucker importiert werde musste. 1915 (bis 1934) besetzten die USA das Karibikland. Sie redeten dem erbärmlichen Volk ein, die Schulden gegenüber Frankreich am besten durch Kredite in den USA zu bezahlen. Als Zeichen der „Anerkennung“ durften die USA dann mit extrem niedrigen Lohnkosten in Haiti produzieren. Haitis Menschen wurden seit der großen Befreiung immer wieder reingelegt, betrogen, gedemütigt. „Das pyramidale Herrschaftsmodell aus Kolonialzeiten wurde dem freien Haiti übergestülpt, in diesem vegetieren die Nachkommen der Sklaven bis heute“, schreibt der Haitispezialist, der Soziologe F. Saint-Louis. (1

Zwei wichtige Studien:

Fridolin Saint- Louis, „Le Voudou Haitien“, Paris, Ed. L`Harmattan, 2000

-und auf das grundlegende Buch von Walter l. Bernecker „Kleine Geschichte Haitis“. Suhrkamp Vl., Frankfurt 1996.