Die Lehrer der Weisheit und die Flüchtlinge in Deutschland: Zum neuen Heft „Philosophie Magazin“
Ein Hinweis von Christian Modehn
Wie die „TAZ“ am 16. Januar 2016 auf Seite 2 berichtet, hatte Wolfram Eilenberger, Chefredakteur des „Philosophie Magazin“ in Berlin, eine Art philosophische Erleuchtung: Er fand die Planung des ursprünglichen Schwerpunktthemas fürs neue Heft („Sind wir dafür geschaffen in Paaren zu leben?“) höchst unpassend angesichts der drängenden aktuellen politischen Entwicklung in Deutschland und Europa: Darum setzte er durch, dass das Thema Flüchtlinge im Mittelpunkt des Februar Heftes steht. In Abwandlung des ursprünglich vorgesehenen Themas hätte man auch sagen können: „Sind wir Deutschen und Europäer dafür geschaffen, mit vielen tausend Flüchtlingen zusammenzuleben“? Die Antwort “Ja” hätte von verschiedenen Seiten begründet werden können!
Wie auch immer: Man kann ihm und seinem Team nur gratulieren: 27 PhilosophInnen (mehr Männer als Frauen) sind also in dem Heft auf 20 Seiten, nach einer Einleitung von Wolfram Eilenberger, versammelt. Sie geben unter der großen Leitfrage „Was tun ?“ – angesichts der Flüchtlinge (in Deutschland) – Impulse zum Weiterdenken und Widersprechen, hoffentlich auch zum politischen Handeln. Nicht alle 27 Autoren sind so genannte „Fach-Philosophen“ an Universitäten, einige sind z.B. Professoren der Literaturwissenschaftler oder Politologen. Und das ist auch gut so, denn philosophische Dimensionen melden sich bekanntlich in jeder Wissenschaft und Forschung, vor allem in jedem nachdenklichen Menschen förmlich von selbst. Schade ist in unserer Sicht, dass kein Religionswissenschaftler und kein kritischer Theologen zu Wort kommt. Zeigt sich da eine traditionelle, tief sitzende Abwehr philosophisch arbeitender Journalisten, diese Ablehnung von Religionswissenschaft und kritischer Theologie? Das ließe sich und sollte sich ändern, unserer Meinung nach.
Und schade ist auch, dass kein „Engagierter“ aus der Flüchtlingshilfe, der oder die ja zweifelsfrei auch philosophierend nachdenkt, zu Wort kommt. Denn Philosophie ist sicher immer sehr viel mehr als das, was sich an den philosophischen Uni-Seminaren oder in Fachpublikationen für ein Fachpublikum von ca. 500 Buchkäufern so alles abspielt. Das Philosophie Magazin, in gewisser Weise eine Dependance des großen „Philosophie Magazine“ aus Paris, hält dagegen und vermittelt ein anderes Bild von Philosophie! Dafür sollte man diese Initiative loben. Aber schade ist auch, dass bei dem Thema kein philosophierender Mensch oder gar ein „Fachphilosoph“ aus dem arabischen Raum, und das heißt immer auch aus dem muslimischen Raum, zu Wort kommt. Abgesehen von Souleymane Bachir Diagne, New York und Lamya Kaddor, Bochum.
Aber : Diese kritischen Hinweise einmal beiseite lassend: Das Februar Heft des Philosophie-Magazin verdient alle Aufmerksamkeit allein schon des Schwerpunktthemas wegen. Nebenbei kann man sich auch u.a. mit Henri Bergson befassen und seiner Lehre vom Gedächtnis… und viele wichtige Buchempfehlungen lesen. Wir empfehlen ebenso das Buch “Aufklärung. Das deutsche 18. Jahrhundert. Ein Epochenbild” (Rowohlt Verlag Berlin ) von Steffen Martus. Besonders wichtig und zu neuem Handeln auffordernd ist sicher das ausführliche Interview mit dem französischen Philosophen und Soziologen Bruno Latour unter dem Titel:”Die Natur muss ins Parlament”. Dabei geht Bruno Latour von der Erkenntnis aus, dass die Natur nicht länger Objekt, sachliches Ding, ist; sondern Lebewesen, wie die “Große Mutter der griechischen Mythologie”. “Die Erde ist nicht leblos, unsere Umwelt besteht komplett aus Lebendigem”. Dabei bezieht sich Latour oft auf James Lovelock und dessen “Gaia-Hypothese”, ohne dass Latour dabei in eine “esoterische Position” gerät. Die Ergebnisse des Pariser Klimagipfels 2015 sieht Latour als ermutigend, wenn auch nur als ersten Schritt” (S.38). Fast noch utopisch, aber richtig, ist Latours Vorschlag, ein Parlament zu schaffen, in dem Vertreter der konfliktreichen Gebiete vertreten sind, Vertreter, die also die bedrohten Wälder, die verschmutzten Gewässer, die sich zurücknehmenden Küsten verteidigen, direkt und ständig. “Wir brauchen einen Rat, der auch die Nicht-Menschen” vertritt, also die Natur, das ist ein Parlament der Dinge=”.
Um etwas Geschmack am Heft zu machen, und um zum Lesen der Texte selbst aufzufordern, nur einige Zitate aus den Beiträgen zum Thema Flüchtlinge, Beiträge, die zu denken geben. Die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann (Konstanz) schreibt im Blick auf die unsäglichen Versäumnisse der Deutschen angesichts der Judenvernichtung unter den Nazis: “Die Lehre aus der Geschichte kann nur heißen: Nie wieder ein solcher Mangel an Mitgefühl gegenüber Menschen, die am Nullpunkt ihrer Existenz angekommen sind. Weil wir genau wissen, wozu es führen kann, Menschen als fremd zu etikettieren und ihnen unsere Empathie zu entziehen…“ (S. 48). Der vielseitige, höchst interessante Philosoph Armen Avanessian (von dem wir hoffentlich noch sehr viel hören und lesen werden) schreibt: “Kriegsflüchtlinge sind Opfer einer bellizistischen Wirtschaftspolitik. Und Wirtschaftsflüchtlinge sind Opfer einer Durchsetzung geopolitischer Interessen mit anderen, „nur“ ökonomischen Mitteln“. Und Prof. Julian Nida-Rümelin (München) schreibt im Blick auf die „deutsche Leitkultur“: „Es bedarf keiner spezifisch deutschen Leitkultur, sondern einer alltäglich praktizierten Leitkultur der Humanität, des wechselseitigen Respekts, der gleichen kulturellen Anerkennung, der Akzeptanz von weltanschaulichen und kulturellen Unterschieden“.
Wir könnten uns vorstellen, dass das Heft Philosophie Magazin mit seinem Schwerpunkt „Flüchtlinge“ auch weiter die Philosophie und das Philosophieren mit den aktuellen politischen und sozialen und religiösen Fragen verbindet, damit das Hegelsche Projekt „Philosophie ist die Zeit in Gedanken erfasst“ immer neu belebt wird. Ein Schritt dahin ist mit diesem Heft gemacht.
Im August 2015 hat unser religionsphilosophische Salon einen Beitrag (als Forschungsprojekt) verfasst zum Thema “Philosophen und Theologen, die Flüchtlinge sind”, zur Lektüre klicken Sie bitte hier.
Das Philosophie Magazin erscheint in Berlin, es ist in größeren Zeitungsläden zu haben. Tel. des Verlages:
030 47377118. email: redaktion@philomag.de
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon