Eine humanistische christliche Kirche und ihr Initiator Jacobus Arminius

Eine humanistische christliche Kirche des freien Geistes: Der Reformator Arminius und die Remonstranten.

Veröffentlicht in leicht veränderter Form innerhalb der Reihe „Reformation am Rande“ in der Zeitschrift PUBLIK – FORUM am 15. April 2016. Wir veröffentlichen diesen Beitrag, weil er auf eine bislang einmalige Verbindung von Humanismus bzw. freiem Geist (d.h. auch Liberalität und Anti-Dogmatismus) UND biblisch inspriertem Glauben hinweist. Die Gestalt des Arminius und die Kirche der Remonstranten (die sich bescheiden “Bruderschaft” nennt) verdient Beachtung auch in philosophischem Zusammenhang.

Von Christian Modehn

Die Reformation hat sich in den Niederlanden nur zögerlich durchgesetzt. Aber schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts kam es unter den Calvinisten zu Spaltungen und Verfolgungen. Es ging dabei, modern formuliert, um die Gültigkeit eines humanistisch geprägten Glaubens in einer sich dogmatisch verhärtenden calvinistischen Kirche. Es waren vor allem Flüchtlinge, die zuerst den reformierten Glauben im Sinne Calvins in den Niederlanden verbreiteten. Die erste Synode fand 1574 statt, dabei formulierten sie auch ihr Glaubensbekenntnis mit der zentralen Lehre Calvins über die Prädestination (Vorherbestimmung): Gott hat in aller Ewigkeit verfügt, welcher Mensch erlöst und welcher verdammt ist. Aber nur Gott weiß, so Calvin, wer gerettet wird und wer nicht. »Die Theologen nach Calvin legten aber immer mehr Nachdruck auf die Verdammung bestimmter Menschen«, schreibt der Theologe Marius van Leeuwen. So entstand »ein strenges, Angst machendes Glaubenssystem«. Dem widersprach entschieden der holländische Theologe Jacobus Arminius: 1559 in der Provinz Utrecht geboren, studierte er unter anderem in Genf bei Calvins Nachfolger Theodor de Bèze. Danach wurde er in Amsterdam Pfarrer und 1603 Theologieprofessor in Leiden. Humanistisch geprägt, konnte er die pessimistische Lehre seiner Kirche nicht unterstützen: Sie gestehe dem Menschen keine Freiheit zu, sich für oder gegen Gott zu entscheiden. Wenn Gott alles vorherbestimme, herrsche Defätismus und vielleicht sogar Unmoral, weil letztlich alles gute Handeln wertlos sei. Das Plädoyer von Arminius für die menschliche Freiheit fand schärfsten Widerstand. Leider konnte Arminius seine Theologie nicht umfassend darstellen, er starb schon 1609. Aber sein großer Freundeskreis verteidigte diesen von humanistischem Geist geprägten Glauben. 44 Theologen verfassten 1610 ihre grundlegende Schrift »Einspruch«, »Remonstratie«: Sie erzeugte so viele leidenschaftliche Debatten, dass ihre Anhänger Remonstranten genannt wurden. Die orthodoxen Calvinisten definierten sich als »Contra-Remonstranten«. Die Synode in Dordrecht 1618 sollte mehr Klarheit bringen, aber es kam zu keiner Versöhnung: Die Minderheit der Remonstranten musste Holland verlassen, unter anderem flohen viele auch nach Friedrichstadt bei Schleswig. Der Politiker Johan van Oldenbarneveld, der noch für Toleranz kämpfte, wurde 1619 enthauptet; der berühmte Rechtsphilosoph und Remonstrant Hugo Grotius wurde verhaftet, konnte aber nach drei Jahren fliehen. Erst zehn Jahre später beruhigte sich die Lage, und die »Ketzer«, die Remonstranten, konnten wenigstens ihre kleinen Kirchen aufbauen, meist versteckt hinter normalen Hausfassaden. Doch ihre Wirkungsgeschichte ist beachtlich: Seit dieser Zeit sind die Niederlande religiös pluralistisch und tolerant, es gab ja immer viele Katholiken im Süden des Landes. »Toleranz ist eine Forderung der Intelligenz und Einsicht. Wer intolerant ist, der ist unwissend«, sagt der remonstrantische Theologe Johan Goud. Die Remonstranten sind in den Niederlanden immer eine zahlenmäßig kleine Kirche geblieben, haben aber ihr eigenes Profil weiter gepflegt: Als »Freisinnige« förderten sie sehr früh die historisch-kritische Bibelforschung, sie deuten „Gottes Wort“ als ein Zeugnis, ein Buch, von Menschen (!) auf der Suche nach Gott. Sie halten Fragen und Disputieren für entscheidend, schätzen und fördern den je-eigenen, den individuellen Glauben über alles. Auch das 2006 neu geschriebene Glaubensbekenntnis versteht sich nur als ein Vorschlag, es gibt kein alle Mitglieder bindendes Credo. Im Geist der Menschenrechte waren die Remonstranten die erste Kirche, die Homosexualität als eine normale Variante der Sexualität verstanden und deswegen seit 1988 homosexuelle Partnerschaften und Ehen in ihren Kirche segnen. Im Geist der Offenheit ist selbstverständlich jeder, gleich welchen Glaubens, eingeladen, am Abendmahl teilzunehmen. Aufgrund ihrer Theologie sind Remonstranten gefragte Gesprächspartner für Agnostiker, Atheisten und unreligiöse Humanisten. Aufs Ganze gesehen, sind die Remonstranten eine stark rational und vom philosophischen Disput geprägte Kirche. Immer wird die Balance gesucht zwischen Humanismus und biblischer Tradition. In Amsterdam haben die Remonstranten einen eigenen Lehrsstuhl. Weil aber Frömmigkeit heute zunehmend als starke Emotion gewünscht und erfolgreich propagiert wird, sind ihre vierzig niederländischen Gemeinden (mit insgesamt 6000 Mitgliedern und Freunden, also Menschen, die noch gleichzeitig Mitglied ihrer Herkunftskirche bleiben wollen) eher überschaubare Orte für intellektuell Interessierte.

Als Mitglied im „Ökumenischen Weltrat der Kirchen“ in Genf, den die Remonstranten von Anfang an unterstützen, sind sie inmitten zahlreichster streng-orthodoxer, pfingstlerisch-bewegter, evangelikal-frommer usw. Kirchen eine gewisse Ausnahmeerscheinung des freien Geistes der Liberalität bzw. des Humanismus und der entschiedenen Abweisung von Dogmatismus und Homophobie. Inzwischen haben sich einige andere Kirchen mit viel Mühe durchgerungen, durchaus remonstrantische Positionen zu übernehmen, etwa im Blick auf die Akzeptanz homosexueller Lebensgemeinschaften bei Lutheranern und Reformierten.