Jacques Gaillot: Ein neues Buch: “Die Freiheit wird euch wahr machen”.

Einer der wichtigsten Reformer der katholischen Kirche wird am 11. 9. 2010 75 Jahre alt. Aus diesem Anlaß erscheint das Buch:

Die Freiheit wird euch wahr machen. Ein Buch anlässlich des 75. Geburtstages von Jacques Gaillot. Hg. von Roland Breitenbach unter Mitarbeit von Katharina Haller, Zürich, und Christian Modehn, Berlin.
200 Seiten; 12 S. farbiger Bildteil.
Es kostet 18.80 – Die ISBN lautet: 978-3-926300-64-5.
Reimund Maier Verlag, Schweinfurth.

—–Ein Hinweis auf eine aktuelle Ra­dio­sen­dung über Jacques Gaillot:

Ein Text, der einer Sendung von Christian Modehn über Bischof Jacques Gaillot im Deutschlandfunk am 3. September 2010, um 9. 35 zugrunde lag.

Machtlos und frei
Bischof Jacques Gaillot wird 75 Jahre alt
Von Christian Modehn

1. SPR.: Berichterstatter
2. SPR.: Übersetzer

Moderationshinweis:
Er gilt weltweit als DIE Symbolfigur eines progressiven Katholizismus. Theologische Tabuthemen kennt er nicht, radikal sind seine Reformvorschläge. Aber jetzt will er dem Kirchenrecht Genüge tun: der französische Bischof Jacques Gaillot. In wenigen Tagen (am 11. September) wird er 75 Jahre. Und in diesem Alter müssen katholische Oberhirten in den Ruhestand treten. Einen Bischofspalast braucht Gaillot deswegen nicht zu verlassen, denn er lebt seit 15 Jahren in einem kleinen Zimmer des Klosters der „Väter vom Heiligen Geist“ im 5. Pariser Arrondissement: Hier hat er Zuflucht gefunden, als ihn der Papst im Januar 1995 wegen allzu radikaler Ansichten absetzte. Christian Modehn hat Bischof Gaillot über viele Jahre zu Interviews getroffen.

1. O TON:
2. SPR.:
Ich verwechsele die Kirche Christi nicht mit einer bestimmten Art, wie die Kirche heute funktioniert. Oder mit einer Institution, die nur auf die Disziplin achtet. Meine vorrangige Sorge gilt eigentlich nicht der Kirche, sondern dem Leben der Leute, dem modernen Leben; es geht um die Menschen, nicht um die Kirchendisziplin.

1. SPR.:
Bischof Jacques Gaillot in einem Interview, mitten in Paris, Anfang Februar 1995. Erst wenige Tagen zuvor wurde er vom Vatikan als Bischof von Evreux in der Normandie abgesetzt. Was waren seine „Untaten“? Er hatte seit 1982 in beständiger Regelmäßigkeit öffentlich und in aller undiplomatischen Deutlichkeit die Abschaffung des Zölibatsgesetzes gefordert; er trat für das Priestertum der Frauen ein; er verteidigte die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen- Paaren, zudem hatte er Verständnis für die Abtreibung, den Gebrauch von Kondomen fand er als Schutz vor AIDS ganz normal. Ohne tief greifende Reformen habe die Kirche keine Zukunft, lautete sein immer wieder kehrendes Bekenntnis über all die Jahre bei seinen zahlreichen Auftritten in allen Fernseh- und Radiostationen Frankreichs. Für ihn waren sie eine günstige Gelegenheit, auch die Rechte der Ausländer einzuklagen und die Wohnungslosen und Obdachlosen entschieden zu verteidigen. Um Wehrdienstverweigerer kümmerte er sich genauso wie um Befreiungstheologen. Gaillot galt nicht nur als Kirchenrebell. Er war in seiner eher radikalen Position auch politisch höchst unbequem. Darum waren es „besorgte Katholiken“ wie auch konservative Politiker, die sich gemeinsam in Rom für die Absetzung Bischof Gaillots stark machten. Aber schon kurz nach seiner Absetzung war er gar nicht so unglücklich:

2. O TON:
2.SPR.:
Ich glaube, die Kirche hat mir einen Dienst erwiesen. Sie hat mich in eine Diözese ohne Grenzen hineingestoßen; sie hat mir, so würde ich sagen, erlaubt, dass ich mich befreie.

1. SPR.:
Der Ort der Befreiung hat für Gaillot einen Namen: Es ist der Wüstenort Partenia in Algerien, der nur noch als Titel eines längst untergegangenen Bistums existiert. Der Kirchenreformer Gaillot wurde also „Titularbischof von Partenia“. Er und seine Freunde machten dieses eher imaginäre Bistum zum Sammelpunkt von Menschen, die grundlegende Reformen in Kirche und Gesellschaft einklagen. Sofort wurde ein viel beachteter Internetaufritt geschaffen, der monatlich bis zu 800.000 Besucher aus aller Welt zählte. So entstanden neue Kontakte, Jacques Gaillot wurde zum reisenden „Wüstenbischof“, der nicht nur in ganz Europa, sondern noch in den abgelegenen Ecken des Amazonas oder im kanadischen Norden progressive Christen oder Verteidiger der Menschenrechte stärken wollte. Immer wenn er in Paris war, trat er öffentlich für die Belange der Flüchtlinge vor allem aus Nordafrika ein. Und er war bei Hausbesetzungen dabei, wenn Obdachlose ihr „Recht auf Wohnraum“ einklagten. Inmitten solcher Erfahrungen kam es immer wieder zu tieferen, geistlichen Gesprächen:

3. O TON
2. SPR.:
Es gibt Leute, die Jesus außerhalb der Kirchen entdecken als einen Menschen, der z.B. für die Frauen eingetreten ist oder für die Gleichheit der Menschen. Einst wurde das Evangelium durch die kirchliche Institution verbreitet. Heute ist Jesus nicht mehr in diese Grenzen eingebunden, das ist eine Chance für das Evangelium.

1. SPR.:
Gaillot möchte eine einfache, eine bescheidene und möglichst dogmenfreie Kirche fördern, eine Gemeinschaft, die vor allem in der praktischen Solidarität ihren Glauben bekennt. Die meisten Katholiken haben diese Haltung nicht verstanden, auch die französischen Bischöfe haben nur selten die Gemeinschaft mit ihrem radikalen Kollegen gesucht:

4. O TON
2. SPR::
Das letzte Mal zelebrierte ich eine Messe in der Kathedrale Notre Dame gemeinsam mit Bischöfen und Kardinälen anlässlich der Bestattung von Abbé Pierre im Jahr 2007. Tatsächlich habe ich wenig Verbindung mit der Hierarchie. Darüber bin ich nicht unglücklich, denn ich bin mit den Herzen vieler Leute verbunden.

1. SPR.:
Solange „Jacques“, wie ihn seine Freunde weltweit nennen, gesund bleibt, will er weiter Flüchtlinge, Ausländer und Obdachlose begleiten. Den Internetauftritt des virtuellen Bistums Partenia will er einstellen. Seinen Freunden überlässt er die Zukunft des inzwischen internationalen Netzwerkes:

5. O TON
2. SPR.:
Jacques Gaillot wird eines Tages nicht mehr da sein, dann muss wohl Partenia auch verschwinden oder aber: Partenia muss auf andere Art weitergehen: Man darf nicht zu viel festlegen, man muss die Freiheit walten lassen.

1. SPR.:
Aber auf diese Freiheit zu ungewöhnlichen Aktionen will Gaillot doch noch nicht ganz verzichten: So hat er erst vor einigen Wochen den traditionalistischen Abbé Philippe Laguérie getroffen, ausgerechnet jenen Priester, der in aller Schärfe damals aufs heftigste die Absetzung des progressiven Bischofs von Evreux forderte. Gespräche der Verständigung und Versöhnung nennt Gaillot solche ungewöhnlichen Begegnungen. An einen Rückzug aus der Öffentlichkeit denkt Jacques Gaillot auch als 75 Jähriger offenbar nicht.