Das neue Buch des Kirchenhistorikers Hubert Wolf
Ein Hinweis von Christian Modehn
1.
Der Titel des neuen Buches von Hubert Wolf (katholischer Theologe und Professor für Kirchengeschichte in Münster) ist gut gewählt – und provokativ: „Verdammtes Licht“, so möchte man zusammenfassen, sagten so viele Päpste, Prälaten und Theologen, die sich von der Philosophie und der Lebenseinstellung der Aufklärung abwandten und diese bekämpften: Diese Führer der katholischen Kirche glaubten, selbst über viel Licht, angeblich göttliches Licht, zu verfügen, um die böse Welt, die sündigen Menschen und die immer heilige Kirche zu führen. Was brauchten die Männer Gottes da noch „weltliches“ Licht, das Licht der Aufklärung? Das Licht, das die moderne Zeit auszeichnet, das Licht, das Hell und Dunkel zeigt, mit der Verpflichtung an jeden Menschen: Denke selber nach, folge nicht blind irgendwelchen Autoritäten. Dass dieses Licht missbraucht wurde, ist klar.
2.
Die Abwehr der Aufklärung durch die römische Kirche, die Abwehr dieses „verdammten Lichtes“ (wie der Aufklärer Christoph Martin Wieland sagte), spürt man bis heute: Man denke an die Zurückhaltung des Klerus, der Bischöfe, der Päpste, den sehr umfassenden, international „verbreiteten“ sexuellen Missbrauch im Klerus zu sehen, wahr-zunehmen und die Betroffenen den staatlichen (!) Richtern zu übergeben. „Bloß nicht zu viel Licht in der Öffentlichkeit, das schädigt das Ansehen der Institution Kirche“, dachten und denken diese Kirchenführer.
In diesem hier nur angedeuteten Zusammenhang, so denkt man, können die 10 Studien stehen, die der Kirchenhistoriker zwischen 2005 und 2016 vorgetragen bzw. publiziert hat. Aber es handelt sich dabei um kirchenhistorische Studien mit einer eher speziellen Thematik, vielleicht doch nur für Fachkollegen interessant: Man denke an die Studien in dem Buch über die Bedeutung des Zentrum – Politikers Ludwig Windhorst oder an die Rolle von Matthias Erzberger und seinen damals sehr ernst gemeinten Vorschlag, den Vatikan als Sitz des Papstes und seines Staates entweder nach Liechtenstein oder nach Mallorca zu verlegen. War dieser Vorschlag Ausdruck von Aufklärung? Auch die Studien über die Enzykliken Pius XI. gegen die Nazis sind wohl in dieser Ausführlichkeit eher für Fachkreise relevant.
3.
So weckt also der Titel „Verdammtes Licht“ mit dem Untertitel „Der Katholizismus und die Aufklärung“ viel zu umfassendere Erwartungen, zumal für philosophisch Interessierte: Denn das Thema Aufklärung ist nun einmal explizit ein philosophisches und philosophiehistorisches Thema. Davon ist nur im 9. Beitrag des Buches etwas ausführlicher die Rede. Von der Unterdrückung des Lichtes der Aufklärung im sexuellen Missbrauch durch Priester ist keine Rede. Darüber hat Hubert Wolf auch in seinem ebenfalls neuen Buch ZÖLIBAT geschrieben…
4
So muss man also als Leser eher im Hintergrund der Texte etwas suchen, wo sich denn diese angekündigten Spuren von Licht, verstanden als kritischer Aufklärung, finden. Leitend ist für den renommierten Kirchenhistoriker Wolf freilich die richtige Erkenntnis:“ Es gab eine Abscheu der Päpste vor der Moderne“ (S. 198). Und sehr treffend als Forschungshorizont die aus liberal-protestantischen Theologien seit langem bekannte Erkenntnis: “Die katholische Kirche ist nicht von Jesus Christus gegründet worden. Auch wenn sie sich auf ihn zurückführt, geht ihre institutionelle Gestalt nicht auf ihn zurück…“ (S. 12 f.) Diese Erkenntnis hilft dem Kirchenhistoriker, kleine, versteckte Spuren der Entwicklung der Lehre, auch der Dogmen, im Laufe der Geschichte zu finden. So kann Hubert Wolf durchaus von einer Pluralität der Katholizismen sprechen. D.h. es gab immer auch liberalere Strömungen. Marginal waren sie, das wird so deutlich nicht gesagt!. Wie lange diese liberalen Strömungen Bestand hatten vor der Verfolgung der Konservativen und Reaktionären, wird nicht so deutlich gezeigt von Hubert Wolf. Man hat manchmal den Eindruck, der Autor will unbedingt das Moderne im Katholizismus doch noch – apologetisch? – freilegen.
5.
Wo also gab es denn einige Licht-Spuren der Aufklärung im Katholizismus: Bei dieser Frage muss man bedenken, wie eng die Themen sind, die Wolf hier wählt. Da wird man eben nicht fündig zu Voltaire oder Kant und deren Beziehungen zur institutionalisierten Religion und Kirche. Nein, da geht es nur um innerkirchliche Fachthemen, etwa zur Gestalt des angeblich oder tatsächlich sehr braun nazigefärbten Bischof Hudal im Vatikan. Vielleicht hat er doch die Ideologie der Nazis deutlicher gesehen als angenommen? Und waren die Bischöfe nicht doch etwas aufgeschlossener, als sie nur mit Widerwillen und aus finanziellen Gründen die Priesterausbildung in den kirchlichen Anstalten, Priesterseminar genannt, organisierten! Und nicht die künftigen Priester an Universitäten studieren ließen? Und sind nicht, so fragt Wolf, in den Dokumenten des 2.Vatikanischen Konzils gewisse Durchbrüche zur Akzeptanz der Aufklärung zu erkennen, etwa in der großzügigen Anerkennung des Menschenrechtes auf Religionsfreiheit, im Jahr 1964! Dass der Vatikan-Staat bis jetzt nicht die Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet hat, wird meines Erachtens in dem Buch nicht erwähnt. So viel Licht hatte doch das 2. Vatikanische Konzil auch nicht!
6.
Vieles ist und bleibt eben auch „verdammt“ dunkel und mysteriös, in der jetzigen katholischen Kirche. Etwa der Teufelsglaube, den Papst Franziskus immer noch predigt, die Beliebtheit der Exorzisten, die Abwehr von Frauen als Priesterinnen, die Zurückweisung einer umfassend synodalen, also demokratischen (aufgeklärten!) Kirche und so weiter. Von all dem ist in dem Buch keine ausführliche Rede.
7.
Darum noch einmal: Ehrlicher wäre für das Buch der Titel: „10 Fachstudien über einige Aspekte der katholischen Kirchengeschichte vor allem im 19. und 20. Jahrhundert“. Und als Untertitel: „Vermischt mit einigen grundsätzlichen Thesen zur Notwendigkeit der Kirchenreform“.
Hubert Wolf, Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung
C. H. Beck, München 2019, 314 S. 29,95 €
Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin