300. Todestag von Leibniz: “Im Ganzen der Wirklichkeit offenbart sich die Gottheit”.

Das wird hoffentlich ein Tag der Philosophie, der Wissenschaften, der Kulturen, der Religionen: Tatsächlich in diesem hohen Anspruch, denn nur er wird dem universalen Denker gerecht: Dem großen Gottfried Wilhelm LEIBNIZ. Am 14. November und viele Tage vorher und nachher steht er – hoffentlich – im Mittelpunkt aller, die sich für die Entwicklung, ja, auch den Fortschritt der Vernunft interessieren und einsetzen: Vor 300 Jahren, am 14. November 1716, ist er in Hannover gestorben (geboren wurde er am 1. Juli 1646 in Leipzig). Der Religionsphilosophische Salon Berlin denkt schon heute an den 14. November und wird nach und nach Informationen und Fragen und Hinweise bieten. Und natürlich auch zu einem Salon-Gespräch im Umfeld des Welttages der Philosophie am 18. November einladen.

Vom Wesen “der” japanischen Kultur. Zu einem Beitrag des Philosophen Karl Löwith

Von Christian Modehn

Im Jahr 2018 wird man nicht nur in Japan der „Großen japanischen Revolution“ gedenken, die 150 Jahre zuvor, als „Beginn der Meiji-Zeit“, die Gesellschaft grundlegend veränderte: Japan öffnete sich radikal dem Westen, übernahm europäisches Wissen und know-how, und blieb auf der anderen Seite, „im Innern“, traditionell-japanisch.

Ob dieses unvermittelte Nebeneinander von westlichem Wissen und lang dauernder japanischer Mentalität in der Gesellschaft wie bei den einzelnen Menschen heute noch fortbesteht, wäre ein eigenes Thema.

Aber der Beginn der Meiji-Zeit ist ein Anlass, schon jetzt verschiedene Erkenntnisse zu sammeln, die den Geist, die Mentalität, Japans deutlich machen können. Denn das Miteinander oder Nebeneinander verschiedener Mentalitäten in einer Kultur ist ein Thema auch heute, man denke an die arabische oder allgemein: muslimische Welt.

Karl Löwith, der immer noch anregende Philosoph (1897-1973), dessen Hauptwerke heute viel mehr beachtet werden sollten, hat sich als Verfolgter der Nazis von 1936 bis 1941 in Japan, an der Universität Tohoku von Sendai, als philosophischer Lehrer aufgehalten. Dann konnte er 1941, dank der Hilfe etwa des Theologen Paul Tillich, in die USA fliehen. Dort hat er 1942 bzw. 1943 zwei kleinere Studien publiziert mit dem Titel „Der japanische Geist“ und „Japans Verwestlichung und moralische Grundlage“. Beide Texte liegen seit einiger Zeit auch auf Deutsch vor. Sie zeigen, wie Löwith durchaus – in seiner Sicht – vieles Bewundernswertes in Japan erlebte (etwa die Kunst der Haikus, die das Nichts freigebenden Gemälde, den „feinen Geschmack“ und die Höflichkeit der Japaner…) Die Erfahrungen in Japan, und das ist in meiner Sicht entscheidend, haben Löwith inspiriert, angesichts der buddhistisch-shintoistisch geprägten Kultur, seine Studie „Weltgeschichte und Heilsgeschehen“ (auf Deutsch 1953, auf Englisch, USA, 1949) zu schreiben. Dieses Buch stellt die vom Christentum geprägte Deutung der Geschichte als Fortschrittsgeschichte in Frage. Im Hintergrund steht bei Löwith offenbar positiv und anerkennend die asiatische Erfahrung einer „heiligen Natur“ und des „göttlichen Kosmos,“ also die japanische Kultur, die er, ähnlich der griechischen Kultur, als „heidnisch“ empfand. Die Erfahrungen Löwiths in Japan haben ihn in jedem Fall angeregt, über den europäischen Rahmen hinaus zu denken. Das ist beachtlich für einen Philosophen, der als Verfolgter leben musste. Aber Löwith hatte offenbar seine stoische Haltung bewahrt. Interessant ist überdies, das Löwith in Sendai, Japan, sein sicher wichtigstes Buch verfasste: „Von Hegel zu Nietzsche“. Ein Hinweis, dass er auch in der Fremde als Flüchtling mit der europäischen Philosophie in enger Verbundenheit lebte und dachte.

Zu dem Buch aus dem Verlag Matthes und Seitz: Beide Aufsätze waren förmlich Auftragsarbeiten der USA an die einreisenden Flüchtlinge, die Mentalitäten der „Feinde“ zu beschreiben. Löwith hielt sich bei dem ideologisch geformten Auftrag zurück, der Untertitel seines Beitrag „Der japanische Geist“ spricht noch „von der Mentalität, die wir verstehen müssen, wenn wir siegreich sein wollen“. Es wird vermutet, dass dieser Untertitel nicht von Löwith stammt. Der deutsche Professor in Sendai ist durchaus bewertend und kritisch zu den kulturellen Verhältnissen in Japan: Etwa, wenn er sagt, das Studium europäischer Philosophien, perfekt absolviert, habe keine „Spuren hinterlassen“ bei den Studenten wie den hoch gebildeten Professoren (24). Mit anderen Worten: Diese hoch gebildeten japanischen Spezialisten europäischer Philosophie hätten eigentlich nichts verstanden. Sie können nur die Texte wiederholen. Hingegen hätten Studenten dann doch gemerkt, wie „steril“ der Umgang japanischer Philosophen mit Europa sei (25), sie wollen „ihre eigene Tradition“ interpretieren (26). Hingegen lobt Löwith ausdrücklich den Philosophen Nishida, aus der so genannten Kyoto Schule, er sei ein „origineller Denker“. In dieser Einschätzung steht ja Löwith heute nicht allein!

Ansätze für die schon damals gespürte Überwindung der christlich geprägten Geschichts- und Weltauffassung findet Löwith dann doch in Japan, etwa seine Sympathie für die buddhistisch vermittelte Erfahrung des Nichts auch in der Kunst. „Die kreative Kraft des Zen ist kaum zu überschätzen. Aus ihm bezieht die gesamte japanische Kunst ihre Wirkung“ (36). Beeindruckend auch Löwiths Hinweise zur Bedeutung der wunderschönen, aber nur kurz blühenden Kirsch-Blüten für das Empfinden der Japaner. Befremdliches wird genannt, etwa der Zusammenhang von Ruhe und plötzlichem Zorn im populären Kabuki Theater. Bei der Kunst des Fechtens meint Löwith „grässliche, primitive und wilde Schreie“ zu hören (69).

Insgesamt bietet Löwith aus seiner Sicht ehrliche Deutungen eines gebildeten Europäers zu einigen zentralen Aspekten japanischer Kultur. Dieses Buch ist ein Beleg für das Bemühen um Verständnis zwischen den Kulturen. Der viel besprochene Dialog der Kulturen kann nur beginnen, wenn Menschen auch erste Eindrücke einander schildern. Wer lange wartet, bis Perfektes gesagt wird, kann niemals einen Kultur-Dialog erleben. Löwiths Einsichten sind nicht vollkommen, aber auch nicht immer falsch. Sie sind so gut, dass sie zum Weiterforschen und Weiterfragen motivieren. Und das ist schon sehr viel.

Karl Löwith, Der japanische Geist. Berlin 2013, Matthes und Seitz Verlag. 74 Seiten, 10 Euro

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Ein Gerichtsprozess im Vatikan: Der Legionär Christi Pater John O Reilly

Ein Hinweis von Christian Modehn

Im Rahmen unserer nur exemplarisch zu verstehenden religionskritischen Studien hat der „Religionsphilosophische Salon Berlin“ seit über 10 Jahren über den offiziellen katholischen Orden „Legionäre Christi“ wie über die mit ihm verbundene Laien-Bewegung „Regnum Christi“ berichtet. Weil sich kein anderes publizistisches oder religionswissenschaftliches oder wenigstens theologisches Zentrum in Deutschland ausführlich und ständig um diese weltweit einflussreichen Gruppen kümmert, nun also hier ein weiteres Kapitel aus diesem klerikalen Sumpf…

Jetzt wird erneut einem prominenten Priester, Pater O Reilly aus Chile, wegen pädophiler Verbrechen der Prozess im Vatikan gemacht. Das berichten am 9. August 2016 „Le Monde“ und „Figaro“.

Zur Erinnerung: Schon gegen den ebenfalls „betroffenen“ Nuntius in der Dominikanischen Republik, Erzbischof Jozef Wesolowski, wollte ein päpstliches Gericht ein Urteil fällen, aber der pädophile Erzbischof verstarb am 27.8.2015 kurz vor Prozessbeginn in Rom … an „Herzstillstand“, so heißt es …. Während Nuntius Wesolowski sich den Knaben „zuwandte“, hat sich der aus Irland stammende Pater John O Reilly an Mädchen vergriffen. Das haben Gerichte in Chile erwiesen. Weil dem Priester die Ausweisung aus Chile droht, soll er nun sozusagen im sicheren Vatikan „untergebracht“ werden… Konkrete Daten für den Prozess gibt es noch nicht.

Pater John O Reilly LC, 69 Jahre, wurde schon von chilenischen Gerichten verurteilt. In den Jahren 2010 bis 2012, so wissen die Gerichte, habe er als „spiritueller Meister“ im Legionärs Kolleg “Cumbres” mehrfach ein ihm anvertrautes Mädchen von 9 Jahren sexuell missbraucht. Er wurde im November 2014 zu 4 Jahren „überwachter Freiheit“, „liberté surveillée“, wie Le Monde schreibt, verurteilt. Seine chilenische Staatsbürgerschaft wurde ihm im März 2015 aberkannt, nun soll er aus Chile abgeschoben werden. Ist das Grund, dass der Vatikan den alsbald wohl staatenlosen Pater zu sich holt? Oder sind die Hintergründe der Tat so belastend, dass sie besser im sehr schweigsamen Vatikan verhandelt werden? Warum also diese Sonderbehandlung für Pater O Reilly? Denn allein in Chile sind über 20 pädophile Priester nun auch kirchenamtlich „enttarnt“. Wenn allein diese im vatikanischen Gefängnis untergebracht würden, wären die eher bescheidenen Gefängniskapazitäten des Vatikans wohl bald erreicht … und der „Apostolische Palast“ müsste umgebaut werden…

Merkwürdig ist, dass die pädophilen Aktivitäten von Pater O Reilly aus dem Orden der Legionäre Christi auch dann kein Ende fanden, als der Ober-„Verbrecher“ im Orden, so fast wörtlich Papst Benedikt XVI., also der Gründer Pater Marcial Maciel, zahlreicher Untaten 2006 definitiv überführt wurde und der Orden danach sozusagen auf der Kippe stand: Denn viele kluge Leute meinten, dieser katholische Club solle besser aufgelöst werden. Aber Pater O Reilly wurde wohl in seinem Tun „gedeckt“; er war offenbar unersetzlich, denn er galt als wichtiger „Geldeintreiber“ im bekanntermaßen geldgierigen Orden. Sie leben in den teuersten Vierteln von Santiago, etwa Las Condes. Über den Reichtum des Ordens allein in Chile haben die Journalisten Andrea Insunza und javier Ortega ein Buch publiziert: “Los Legionarios de Cristo en Chile. Dios, Dinero y Poder”,

John O Reilly wurde in der Nähe von Dublin geboren, sein Vater widmete sich vor allem der Hühnerzucht. Das Kind wurde bei den Großeltern erzogen. „Aber von seiner sehr bescheidenen Vergangenheit sprach er in Chile nie“, berichten ehemalige Bekannte, wie der Ex-Legionär Glenn Favre. 1965 trat O Reilly in den Orden der Legionäre Christi ein. An dem bewiesenen verbrecherischen Leben des Ordensgründer Maciel hatte er stets seine Zweifel, BBC zitiert O Reilly aus dem Jahr 2006: “Nadie duda de la absolutísima inocencia del padre Marcial Maciel, por su vida y por sus obras, por lo que ha entregado a cada uno de nosotros, a la Iglesia y al mundo”, comentó O’Reilly en 2006 en entrevista con el sitio web Emol al conocerse la decisión vaticana“… „Niemals zweifle ich an der aboluten Unschuld Pater Maciels….“

Nach Chile kam O Reilly 1984, er arbeitete in den Kollegien „für Kinder aus reichem Hause“. Die Tageszeitung „El Mercurio“ beschrieb 2002 die Beziehung des Priesters zu den ihm anvertrauten Mädchen:“ “Parece una gallina con sus pollos, rodeado de niñitas que le conversan y le piden ‘nosotras queremos quedarnos contigo, padre’: „Er erschien wie ein Huhn mit seinen Hühnchen, umringt von kleinen Mädchen, die ihn unterhielten und ihn baten: Wir bitten, bleibe mit uns, Pater“., so BBC, http://www.bbc.com/mundo/noticias/2014/11/141111_perfil_oreilly_legionarios_millonarios_ch

Mit dem bevorstehenden Prozess im Vatikan wird erneut das öffentliche Interesse auf die Aktivitäten der Legionäre Christi und des Regnum Christi in CHILE gelenkt. Dieser Orden kam erst 1980 nach Chile, zu der Zeit, als der Diktator Pinochet (seit 1973) herrschte. Der Journalist Alfonso Torres Robles berichtet in seinem Buch „La prodigiosa aventura de los Legionarios de Cristo“ (Madrid 2001), Seite 58 f., dass die Legionäre in Chile sofort Anschluss fanden an zahlreiche große Unternehmer und Politiker. Vor allem mit dem rechtsextremen Innenminister Pinochets, Carlos Cáveres Contreras (geboren 1940), gab es enge Kontakte. Dieser Herr hat noch den Diktator Pinochet in seinem Londoner Gefängnis besucht und unterstützt. Bekanntlich setzte sich der so genannte „Heilige Stuhl“ (Vatikan) ebenfalls für die Freilassung Pinochets ein. Unter der Herrschaft von Pinochet war Erzbischof Angelo Sodano Nuntius des Vatikans dort, mit Pinochet verband ihn eine herzliche Verbundenheit. So lernten auch die Legionäre und Erzbischof Sodano einander schätzen, was sich dann beim späteren Aufenthalt Sodanos im Vatikans sehr gewinnbringend für die Legionäre auswirkte, aber das nur nebenbei…

Caveres Contreras jedenfalls wurde schon in den neunzehnhundertachtziger Jahren als einer der einflussreichsten Männer Chiles betrachtet, zugleich wurde Präsident des von den Legionären Christi gegründeten „Rates der unternehmerischen Generation“. Mit diesem elitären Finanz-Club wollte Marcial Maciel, der Legionärs Gründer, nach bewährter und bekannter Art „Kontakte knüpfen“ und sich beliebt machen in der Welt der Reichen und Einflussreichen. Warum wohl? Um, ebenfalls nach bekannter Manier, immer mehr Geld zu gewinnen. Gleichzeitig „kümmerte“ sich der Orden, seinem Hauptinteresse folgend, um gute Kontakte zum Militär und zur einflussreichen Tages-Zeitung „El Mercurio“. Darüber hinaus gründeten die Legionäre Collegien, etwa die in Chile ziemlich berühmten „Cumbres“ und „Everest“, „die von den Politikern der Rechten bevorzugt worden“, so in dem genannten Buch von Torres Robles, S. 60. Pater O Reilly arbeitete auch an dem Legionärs-Radiosender „Santa Maria de Guadelupe“ als Programmdirektor.

Im Umfeld des Prozesses gegen O Reilly in Santiago wurde ein psychologisches Gutachten erstellt, das ein journalistisches Netzwerk in Chile dann ausführlich publizierte. Darin heißt es über den Legionärs-Priester: „Se vincula con personas que posean poder, riqueza o influencia, en busca de prestigio personal y de mayor liderazgo”. „Er verbündete sich mit Personen, die Macht, Reichtum oder Einfluss besitzen, auf der Suche nach persönlichem Prestige und einer größeren Führungsrolle“. Quelle: http://ciperchile.cl/2015/01/22/el-desconocido-perfil-sicologico-de-oreilly-rasgos-narcisistas-sexualidad-infantil-y-busqueda-de-poder/

copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

“Menschen sind wie Objekte. Man kann sie vernichten”: Philosophisches zum Internationalen Tag der Indigenen Völker“

Menschen sind wie Objekte. Man kann sie vernichten: Philosophisches zum Internationalen Tag der Indigenen Völker“

Von Christian Modehn

Philosophisches Denken, wenn es lebendig ist, bezieht sich auf die Gegenwart. Und heute werden Menschen wie Objekte behandelt, die man irgendwo hinbestellen kann, verwalten kann, entlassen kann, fertigmachen kann usw. Diese Verdinglichung der Menschen durch das System der Herrschaft ist philosophisch oft, leider noch zu selten, analysiert und diskutiert worden.

Am „Welttag der Indigenen Völker“ am 9. August gibt es einmal mehr eine Chance, kritisch philosophisch nachzudenken. Denn indigene Völker sind in der Sicht der Herrschenden, also der Mehrheit, die quantité négligeable, sind die Restbestände wilder Wesen, wilder Menschen aus angeblichen Vorzeiten, die „man“ ignorieren kann.

Das wird besonders deutlich im Umgang der Herrschenden, und das sind nicht immer nur Politiker, sondern vor allem die gierigen Internationalen Konzerne, in Brasilien. Und sicher in vielen anderen lateinamerikanischen Staaten. Wer heute nach Rio blickt, zur Olympiade inmitten des Elends der Slums bei selbstverständlich gewordener Korruption, der sollte immer die Indigenas in den Wäldern rund um den Amazonas mit-bedenken und für sie eintreten. „Diese Völker sind nur noch ein Hindernis für die Modernisierung des Landes“, sagt der katholische Bischof Roque Paloschi. Er kümmert sich intensiv um die Menschenrechte der Indianer, in einer sicher verdienstvollen katholischen Organisation, die aber immer noch den Titel „Indianermissionsrat“ (CIMI) hat. Denkt man in diesen katholischen Kreisen nicht mit Grauen an die Mission, die im Zusammenhang der Kolonisierung und Auslöschung so vieler Millionen „Indianer“ seit 1492 betrieben wurde? Warum noch diese Sprache? Soll die Kirche doch sagen: Wir wollen keine Mission für diese indigenen Völker. Wir wollen mit ihnen solidarisch sein und sie unterstützen in eigenen Projekten…. aber das nur am religionskritischen „Rande“…

Die Rechte der Indigenas, ihr Lebensraum, ihre Kultur, das zählt nichts für den so genannten Fortschritt, den die Regierungen als ausführende Organe der internationalen Industrien betreiben. Dieser Fortschritt vernichtet die Natur, vernichtet die Menschheit, das ist tausendfach geschrieben worden, aber von den maßgeblichen Bürokratien nicht wahrgenommen worden.. Man lese die Hinweise auf den wichtigen Film von Martin Kessler über das Staudammprojekt Belo Monte! Die Ureinwohner am Amazonas, die eigentlichen Landeigentümer seit Jahrhunderten, werden einfach so mit einem bürokratischen Akt enteignet, vertrieben, angeblich „entschädigt“. Denn sie stehen der Ausbeutung der Rohstoffvorkommen im Wege. Von dem Profit bekommen die Indigenas selbstverständlich nichts ab, denn meist überleben sie nicht den rabiaten Zugriff auf ihr Land, ihre Wälder, ihre Tiere, ihr Wasser. Das Morden geht weiter, das Morden der Weißen, das Morden der Internationalen Firmen. Diese Institutionen, und die von ihnen bestens bezahlten Manager, haben keinen Sinn für den Menschen, den anderen, den Schwachen, den Kleinen, den Fremden, den Indianer oder den Schwarzen. Der Kleine als der andere gilt ihnen nichts. Die Geschichten zur Gentrifizierung in europäischen Großstädten erzählen auch vom Umgang mit „den anderen“. Eine weltweite Geschichte…”Menschen sind wie Objekte, man kann sie vernichten”, sagt so direkt niemand von den Herrschenden. Aber viele denken so und handeln so.

Copyright: Christian Modehn

 

Die reaktionären Piusbrüder sind bald wieder offiziell römisch-katholisch.

Die Reaktionären setzen sich durch: Die Piusbrüder sind bald wieder offizieller Teil der katholischen Kirche.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Ein aktueller Hinweis am 17.10.2016: Oberster Traditionalist beim Chef der Glaubenskongregation: So berichtet die Tageszeitung La Croix am 14.10.2016:  Le supérieur de la Fraternité S. Pie X. a rencontré le préfet de la Congrégation pour la doctrine de la foi. Mgr Bernard Fellay, supérieur de la Fraternité sacerdotale Saint-Pie-X (FSSPX), a été reçu jeudi 13 octobre pour la deuxième fois par le cardinal Gerhard Ludwig Müller, préfet de la Congrégation pour la doctrine de la foi. Peu avant cette rencontre, le chef de file des lefebvristes a brièvement rencontré le pape François, a indiqué la fraternité.

Die Versöhnung macht also Fortschritte!

Am 12.5. 2017 veröffentlichte ich einen Beitrag, der sich auf den Besuch von Papst Franziskus in Fatima bezog:

Piusbrüder und Traditionalisten mit Rom versöhnt?

Ein Hinweis von Christian Modehn am 12. Mai 2017

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Wir beziehen uns auf den aktuellen Beitrag in La Croix vom 12.5. 2017: http://www.la-croix.com/Religion/Catholicisme/France/En-France-FSSPX-releve-fonctions-pretres-resistants-rapprochement-Rome-2017-05-12-1200846684

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Wird sich Papst Franziskus bei seinem Aufenthalt am 13.Mai 2017 im portugiesischen Wallfahrtsort Fatima mit den Traditionalisten offiziell versöhnen? Das ist die viel diskutierte Frage. Wird diese Versöhnung dann förmlich Maria gut geschrieben, die dort genau vor 100 Jahren, angeblich persönlich, ausschließlich drei Hirtenkindern vom Himmel herab erschien und allerlei Geheimnisse hinterließ, die peu à peu von den Päpsten veröffentlicht werden.

Die katholische Tageszeitung „La Croix“ aus Paris, oft sehr gut informiert über römische Interna, hält diese Versöhnung Roms mit den Erzreaktionären (den Piusbrüdern und ihren Gemeinden) am 13. Mai 2017 für möglich, so in einem Beitrag vom 12. 5. 2017. Der Papst denkt daran, diese Herrschaften in die Kirche wieder als volle Mitglieder aufzunehmen und ihnen den kirchenrechtlichen Status eines „Prälatur“ zu verleihen, die direkt dem Papst unterstellt ist und in die Bischöfe vor Ort nicht hineinreden dürfen. Diese exklusive rechtliche Struktur gilt auch seit Jahren schon für den internationalen mächtigen Geheimclub OPUS DEI.

Die Annäherungen der offiziellen römischen Kirche und der eigenständigen, schismatischen Traditionalistenkirche dauern schon einige Zeit, wir haben auf dieser website darüber berichtet. Papst Benedikt XVI. hat die vier Traditionalistenbischöfe von der Exkommunikation befreit. Papst Franziskus, der angeblich progressive oder auch der Taktierer mit den reaktionären Kräften im Vatikan, wer weiß, hat erst kürzlich noch erlaubt, dass die Eheschließungen durch Pius-Brüder-Priester auch vom Vatikan als gültig anerkannt werden. Das sind Kleinigkeiten für Außenstehende, haben aber einige Bedeutung als Gesten der Annäherung. Bezeichnenderweise haben sich einige Hardliner unter den Piusbrüdern gegen diese Vereinnahmung durch Rom ausgesprochen, auch darüber berichtet La Croix.

Diese Versöhnung von Vatikan und reaktionären Piusbrüdern ist keine politische und theologische Kleinigkeit. Denn deutlich wird: Im Vatikan gibt es viele einflussreiche Kardinäle usw., die mit diesen Piusbrüdern sympathisieren und deren Theologie, die im Jahre 1950 abbricht, richtig finden. Das wirft ein bezeichnendes Bild auf die Verfassung der römischen Kirche. Sie ist viel konservativer als alle Ökumene Dokumente der wenigen aufgeschlossenen Vatikan-Herrscher ahnen lassen. Rom bleibt Rom, da hat sich seit Luther fast nichts verändert. Man glaubt an Marien-Erscheinungen wie in Fatima und findet die alte Messe aus dem 16. Jahrhundert, wie sie die Piusbrüder still vor sich hin lesen, manche sagen brabbeln, ebenfalls toll. Man darf auch nicht vergessen, dass Rom seit 30 Jahren versucht, die Traditionalisten zu spalten: Rom hat eine eigene, mit dem Papst versöhnte Priestergemeinschaft gegründet, sie heißt bezeichnender weise Petrusbruderschaft: Ihre Mitglieder denken wie die Traditionalisten, bekennen sich aber formal zum Papsttum und zu einigen Aspekten des 2. Vatikanischen Konzils. So haben reaktionäre Traditionalisten längst Einfluss in Rom und der ganzen Kirche.

Aber wird es nun wirklich zur Versöhnung mit den Leuten kommen, die ihren Führer in Erzbischof Marcel Lefèbvre sehen? Denjenigen, der die Konzilsbeschlüsse nicht akzeptierte (etwa die Anerkennung der Religionsfreiheit und die Ablehnung der Kirche, Juden zu missionieren) und mit der unerlaubten Weihe von Bischöfen eine eigene Kirche schuf? Genaues wird wie üblich auch jetzt nur angedeutet. Journalisten fühlen sich in dieser Pressepolitik des Vatikans etwas an den Hof Ludwig XIV. erinnert.

Der Vatikan und die schismatischen Piusbrüder als Anführer der traditionalistischen Theologie und damit verbunden der Vorliebe für reaktionäre Politik (Marine Le Pen ist mit der Traditionalisten-Gemeinde St. Nicolas du Chardonnet in Paris als Mitglied verbunden) lieben das dunkle Reden, das Vermuten, das Andeuten, wenn es um die Frage geht: Wann integriert denn der Papst den zahlenmäßig eher überschaubaren Kreis der Traditionalisten mit der römischen Weltkirche? Seit 1988 bilden die unabhängigen Gemeinden der Piusbrüder förmlich eine eigene katholische Kirche, trotz aller Behauptungen der Piusbrüder, nur 100prozentig katholisch zu sein.

Wenn es zur Integration der reaktionären Piusbrüder in die katholische Kirche kommt, rückt diese römische Kirche noch mehr nach rechts und entfernt sich von der Ökumene und dem Dialog mit der modernen Welt. Man denke daran, dass Bischof Lefèbvre in seiner pauschalen Verurteilung immer “die Protestanten, die Liberalen, die Demokraten, die Freimaurer, die Sozialisten” explizit und ständig giftend verurteilte. Rom, mit den Traditionalisten vereint, entzieht sich dem Respekt einer kritischen demokratischen Öffentlichkeit noch mehr. Ob das Papst Franziskus weiß? Warum will er diese Brüder um sich haben? Die Antwort ist in dem klerikalen System der römischen Kirche klar: Diese Piusbrüder haben in Europa noch viele junge Priester, im Unterschied zu offiziellen römischen Kirche. Von Polen abgesehen, will fast kein junger Mann in Europa noch Priester werden. Die Piusbrüder garantieren die Vorherrschaft des Klerus, wie dies schon die konservativen Neokatechumenalen Priester, die Legionäre Christi und andere alles andere als moderne Kreise und Orden tun.

Katholizismus und Moderne passen überhaupt nicht zusammen. Das begreifen leider nicht sehr viele. Aber das bestätigen diese Vorgänge, selbst wenn es in Fatima jetzt noch nicht zur Versöhnung kommen sollte.

Copyright: Christian Modehn

Der Beitrag von  September 2016:

Religionen verändern heute – wie immer schon – auch inhaltlich ihre Schwerpunkte. Religiöser Wandel ist niemals nur Wandel im äußeren Erscheinungsbild. Diese „inneren“ religiösen Entwicklungen betreffen dann aber auch das Zusammenleben in der Gesellschaft. Jetzt ist es absehbar, dass die theologisch reaktionäre, auch politisch, ethisch, philosophisch reaktionäre, „Priesterbruderschaft Sankt Pius X.“ wieder offiziell in die römisch-katholische Kirche integriert wird. Das ist auch politisch und sowieso auch religionsphilosophisch eine wichtige Neuigkeit, die das „Gesicht“ der römischen Kirche langfristig verändern wird. Deswegen lohnt es sich auch für philosophisch Interessierte, sich mit dieser bevorstehenden Integration der Reaktionären auseinanderzusetzen. Wir gehen in unserem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon davon aus, dass die Grundbegriffe und die wichtigen Daten zu den Piusbrüdern bekannt sind bzw. leicht nachgelesen werden; beschränken uns also weitgehend auf die aktuelle Entwicklung (Stand 3.8.2016). Die populäre, aber naive Meinung, der Katholizismus sei doch „modern“ bzw. werde immer „zeitgemäßer“, wird nun einmal mehr als Irrtum erscheinen. Das wahrzunehmen, gehört zu den Aufgaben religionsphilosophisch Interessierter. Denn Philosophien und Religionswissenschaften in ihrer Distanz zu den katholischen Institutionen sind viel mehr als die institutionell nun einmal von Amts wegen immer kirchen/obrigkeits-abhängigen Theologen in der Lage, eine freie und objektive Analyse zu bieten.

Der Zeitpunkt ist interessant: Im Vorfeld der Reformationsfeierlichkeiten und hoffentlich umfassenden theologisch-philosophischen Besinnungen auf Luther und die anderen Reformatoren stellt die katholische Kirche jetzt deutlich wieder ihr konservativ- römisches Profil in den Mittelpunkt. Dass es wieder Ablässe gibt und dafür ganz ausdrücklich geworben wird, dass der Marienkult blüht und die Heiligenverehrung auch unter Papst Franziskus, ist allgemein bekannt. Nun aber geht es um die Integration (das ist mehr als „Versöhnung“) der Piusbrüder in die offizielle Kirche: Es ist jene inzwischen international verbreitete traditionalistische Gemeinschaft, die sich auf Erzbischof Marcel Lefèbvre (1905 – 1991) als „Gründergestalt“ beruft.

Zur Erinnerung: Erzbischof Lefèbvre hatte drei Feinde der Religion und des Staates (an Demokratie dachte er nicht!) immer wieder benannt: „Die Protestanten, die Sozialisten, die Freimauer bzw. die Liberalen“. Religionsfreiheit war für ihn, den Päpsten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts treu folgend – ein Wahnsinn, der zur Zerstörung der menschlichen Kultur führe genauso wie auch die Ökumene und der Dialog der Religionen schädlich seien. Daran halten die Piusbrüder und ihre weltweiten Gemeinden bis heute selbstverständlich fest.

Lefèbvre wurde aber 1988 exkommuniziert, nicht etwa wegen seiner Lehren, sondern weil er ohne päpstliche Erlaubnis vier seiner Priester zu Bischöfen weihte. Ungehorsam gegen den Papst wiegt also schwerer als Verdammung der Religionsfreiheit und Demokratie…

Die Kreise, die sich um ihn international scharten, es sind wahrscheinlich 150.000 weltweit, wurden –bis vor einigen Jahren – von Rom eher wie eine Sekte außerhalb der römischen Kirche behandelt und eben eher rechts liegen gelassen. Rom gründete die konservative Konkurrenz „Petrusbruderschaft“ (Wigratzbad) wohl in der Meinung, dass die Leute um Lefèbvre für Rom sowieso wohl für Rom „verloren“ sind… Über die Nähe etwa der französischen Traditionalisten bzw. Piusbrüder zu den Parteien des Rechtsextremismus (Le Pen und co.) ist viel, auch im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon geschrieben worden. Interessant ist auch immer noch der Beitrag von 2009, der auf Verbindungen Lefèbvres zu Pinochet, Franco, Salazar hinweist: „A l extreme droite de Dieu“,http://www.resistances.be/fsspx01.html

Aber Papst Benedikt XVI. selbst sehr konservativ, meinte es gut mit den Reaktionären und hob die Exkommunikation der Lefèbvre Bischöfe auf. Und jetzt? Seitdem Papst Franziskus Erzbischof Guido Pozzo als Sekretär für den Dialog mit dieser traditionalistisch-reaktionären Gemeinschaft bestätigt hat, wird die Intergration betrieben. Zwischendurch hatte Papst Franziskus schon für einen gewissen „Dialog“ gesorgt, als er seinen Katholiken die Beichte bei einem eigentlich schismatischen Lefèbvre- Priester als gültiges Sakrament gestattete. Zudem hat er den Chef der Bruderschaft, Bischof Bernhard Fellay, in Privataudienz empfangen. Papst Franziskus will ausdrücklich einen freundschaftlichen Dialog mit den Traditionalisten, wie Bischof Pozzo in einem ausführlichen Interview mit der Zeitung „Christ und Welt“ vom 28. Juli 2016, Seite 5, darlegt.

Nur so viel aus dem ausführlichen Interview, das Julius Müller-Meiningen führte: Es werden jetzt gezielt in Rom Schritte unternommen, die „zur vollen Aussöhnung mit den Traditionalisten“ führen, so Pozzo. Rom scheint beruhigt zu sein, dass der bekannte antisemitische traditionalistische Bischof Richard Williamson aus der der Pius-Bruderschaft 2012 (von dieser) ausgeschlossen wurde. Ob antisemitische, xenophobe und homophobe Kreise – etwa in Frankreichs traditionalistischen Gemeinden – noch bestehen, scheint den Vatikan nicht zu interessieren. Zentraler Punkt in der Integration der Reaktionären ist die Deutung des Zweiten Vatikanischen Konzils. Es wurde bisher von ernstzunehmenden Theologen immer als Reformkonzil, als Neubeginn, wenn nicht als „Einschnitt“ in der theologischen Entwicklung gedeutet. Diese Theologen, wie Küng, Schillebeeckx, Rahner usw. sahen darin vernünftigerweise einen Ausdruck von Leben und geistvoller Lebendigkeit. Früher verdammten Päpste die Religionsfreiheit, im Konzil wird sie gelobt. Früher verdammten Päpste die Reformation, nun wird Ökumene offiziell gepflegt. Wenn das kein Einschnitt, kein Bruch, kein Neubeginn ist? Aber Rom liebt heute wieder das Starre und Ewige, das Depositum, den uralten Text usw. mehr als die Lebendigkeit und die zum Leben immer gehörende Veränderung. Über die psychischen Strukturen solcher erstarrter Bürokraten hat Erich Fromm Wichtiges geschrieben und sie treffend als Nekrophilie, Liebe zum Toten und Erstarrten, gedeutet…

Aber Pozzo und mit ihm wohl auch der Vatikan behaupten stur: Das Zweite Vatikanische Konzil liegt ganz auf der Linie der früheren Konzilien und der Tradition, die ja bekanntlich das römische Lehramt festlegt. Also: Ökumene, Religionsfreiheit, Toleranz gehören gar nicht ins Zentrum katholischen Glaubens. Deswegen können die Piusbrüder auch guten Gewissens dieser römischen Kirche wieder beitreten. Denn sie halten – wie gesagt – gar nichts von Ökumene, Religionsfreiheit, Toleranz…Vielleicht gelingt dann eine hübsche Ökumene der Piusbrüder mit den fundamentalistischen Muslims und den Wahabiten… Dies als kleiner, nicht ganz falscher Scherz zur Auflockerung dieser trübsinnigen Entwicklung.

Wenn die Integration der Piusbrüder also zustande kommt, und wenig spricht in römischer Sicht dagegen, dann wird also Profil der römischen Kirche selbst unter Papst Franziskus wieder reaktionärer. Denn er will ja diese Piusbrüder wie eine Art katholischer Sondergemeinschaft, als „Prälatur“, wie das ähnlich organisierte Opus Dei, IN die römische Kirche integrieren. Noch einmal: Für Erzbischof Pozzo vom Vatikan sind die Lehren vom Dialog und der Religionsfreiheit, die das Zweite Vatikanische Konzil einschärfte, „nicht Glaubenslehren oder definitive Aussagen, sondern bloß Anweisungen oder Orientierungshilfen für die pastorale Praxis. Über diese pastoralen Aspekte kann auch nach der kanonischen Anerkennung (der Piusbrüder, also ihrer definitiven Integration in die römische Kirche) weiter diskutiert zu werden, um sie einer Klärung zuzuführen“. Soweit Pozzo. Nebenbei: “Pastoral” heißt in vatikanischer Bedeutung immer: “weniger wichtig”, “relativ”…Diese Worte Pozzos muss man sich förmlich auf der Zunge zergehen lassen: Sind denn nicht Religionsfreiheit und Ökumene ein für allemal beschlossene Sache auch unter Katholiken? Was soll denn da noch weiterdiskutiert werden mit den reaktionären Piusbrüdern? Ja, es kann weiter diskutiert, damit auch relativiert werden zur Ökumene und Religionsfreiheit, so Pozzo… Hingegen, so meint er, darf überhaupt nicht im entferntesten “die Sakramentalität der Bischöfe” (also die Klerus-Vorrangstellung) und “die Lehre über den Primat des Papstes und des Bischofskollegiums” diskutiert werden, so in der 3. Spalte des genannten Artikels in „Christ und Welt“. Noch einmal: Katholisch ist für diesen Herrn, wer an den Primat des Papstes glaubt und an den gottgewollten Vorrang des Klerus. Alles andere, Menschlichkeit, Toleranz, Religionsfreiheit, Liberalität, Ökumene ist verhandelbar, also auch einzuschränken. Kann man im Ernst theologisch so tief sinken, fragen Mitglieder des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salons? Welche Schande auch, wenn Pozzo ausdrücklich eine „Anpassung an irgendeine Kultur der Gegenwart“ zurückweist  (5. Spalte im genannten Artikel). Die Anpassung an sein Luxusleben im Vatikan und anderswo wird er wohl gern genießen…Dass Papst Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils immer wieder zustimmend vom aggiornamento der Kirche sprach, wird unterdrückt von diesen Klerikern. Aggiornamento heißt ja wohl Anpassung. Papst Johannes XXIII. ist wohl nun ein Ketzer, wenn er ausdrücklich Anpassung der Kirche wünschte.

Das Zweite Vatikanische Konzil ist nun in römischer Sicht eines von vielen Konzilien, Teil einer großen Tradition, die sich Erzbischof Pozzo allerdings hütet, genauer zu beschreiben: Denn dann würde er das ganze Grauen dieser Tradition sehen: Päpstliche Macht in einem korrupten Staat, Hexenverfolgung, Ketzerverbrennung, aggressive Mission, Frauenunterdrückung usw.

Was sind die tieferen Gründe für das Versöhnungsbedürfnis des Papstes mit diesen Kreisen? Eine praktische Antwort: Bei einer immer noch auf den Klerus fixierten römischen Kirche gelten alle Kreise sehr viel, die noch viele junge Priester „stellen“ können, das sah man etwa, als der hoch umstrittene Orden „Legionäre Christi“ mit seinem verbrecherischen Gründer Marcial Maciel eben NICHT aufgelöst wurde. Warum? Weil die Legionäre Christi immer noch viele junge Priester haben. Zur Piusbruderschaft gehören heute 600 (meist jüngere) Priester und 200 Seminaristen. Diese könnten doch den allgemeinen Mangel an Priestern gut „beheben“ und man bräuchte nicht über eine Aufhebung des Zölibates nachzudenken.

Eine theologische Antwort: Es ist für den Vatikan unerträglich, dass es noch eine weitere (kleine) Kirche gibt, die sich auch katholisch nennt und das Papsttum als solches so liebt und die Traditionen, die Rosenkränze, die Sühneandachten, das Sich Aufopfern für Maria usw… Diese Konkurrenz ist für eine große Kirche, die alles auf Uniformität und Einheit setzt, unerträglich.

Journalisten und Theologen sollten sich wirklich mal die Mühe machen und das offizielle Mitteilungsblatt der Piusbrüder etwa in Deutschland lesen, das „Mitteilungsblatt Omnia instaurare in Christo“ („Alles in Christus wieder aufrichten“). In der Ausgabe vom Juli 2016 ist ein Vortrag des Piusbruderchefs Bischof Bernard Fellay vom 1. Mai 2016 publiziert. Darin bestätigt Fellay die Aussagen des vatikanischen Erzbischofs Pozzo. Fellay betont: „Kürzlich durften wir in Rom zum ersten Mal hören, dass wir das (Zweite Vatikanische) Konzil nicht mehr akzeptieren müssen. Stellen Sie sich das vor: das ist enorm. Man sagte uns: Sie dürfen bei Ihrer Meinung bleiben…Man sagt uns: Das Konzil ist nicht verpflichtend, man muss niemanden zur Annahme des Konzils zwingen, um katholisch zu sein...Man sagt uns: Das Konzil ist nicht doktrinal (von der Lehre her maßgebend), es ist pastoral. Das ist ungefähr das, was wir selbst immer gesagt haben…“ (Seite 24 f. in dem genannten Heft der Piusbrüder). Aber: Für die Piusbrüder ist diese Entwicklung noch kein „Triumph, „es handelt sich um eine neue Phase im Krieg (mit Rom)“, so der Traditionalisten Chef Fellay wörtlich (Seite 25)

Die Traditionalisten fühlen sich nach wie vor so stark und selbstbewusst, dass sie in ihren Heftchen und Publikationen heftig Papst Franziskus kritisieren, etwa sein Schreiben „Amoris laetitia“. Dieses stelle „einen Dammbruch dar, der die gesamte katholische Morallehre in Frage stellt“, so der Piusbruder Pater Matthias Gaudron, im Mitteilungsheftchen vom Juni 2016, Seite 33.

Aber im Vatikan selbst gibt es bedeutende Stimmen machtoller Kleriker, die ähnlich denken. Von daher sind solche Attacken der Piusbrüder gegen den Papst nicht hinderlich für die bevorstehende Integration.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

 

Michel de Montaigne: Skeptisch bleiben gegenüber einem vernünftigen christlichen Glauben

Am 13. September 1592 ist Michel de Montaigne gestorben, ein philosophierender Autor, der so gewinnend persönlich schreibt und ohne Floskeln sein eigenes Leben, als Fragen, vor dem Leser ausbreitet: In seinem so vielfach geschätzten Buch “Essais”. Es lohnt sich, vielleicht anläßlich des Gedenktages, im 2. Buch der Essais das lange 12. Kapitel “Apologie für Raymond Sebond” zu lesen. Es zeigt, wie entgegen dem Titel einer “Apologie” für einen die Vernunft lobenden Philosophen und Theologen (1385-1436) doch die skeptische Haltung Montaignes siegt gegenüber der “Macht” der Vernunft. Religiös hat Montaigne den Rationalismus abgelehnt, und die Dunkelheit des Glaubens betont. Diese Haltung eines theologischen “Fideismus”, ein “Etikett” natürlich,  wird von vielen Montaigne-Freunden und Montaigne Fans, so scheint es,  zu wenig beachtet.

Gerade heute, inmitten religiöser Debatten und Feindseligkeiten, erscheint ein Satz Montaignes wie eine kurzgefasste Religionskritik: “Unsere Religion ist gestiftet, die Laster auszurotten. Jedoch: Sie bahnt ihnen den Weg, unterhält und reizt sie noch”.

Zu diskutieren wäre weiter auch Montaignes Interesse an den Kulturen und Lebensformen „der anderen“. Es kommt für ihn auf das Geltenlassen der Pluralität und damit auch der befremdlichen Lebensformen der anderen an. Wenn die Fremden, von uns aus gesehen: die so genannten Barbaren, wild erscheinen, muss doch die Frage sein: Wie und wann sind wir Europäer selbst barbarisch, wie sind wir selbst „Menschenfresser“, etwa wenn die gebildeten und christlichen Europäer einander umbringen? Auch die Europäer sind für Montaigne wie die „Wilden“ Amerikas also selbst Kannibalen. Sind nicht die Christen aus getrennten und feindselig mit einander umgehenden Konfessionen selbst auch Barbaren und Menschenfresser, wenn man nur an die Religionskriege denkt, fragt Montaigne. Bei ihm ist das Bewusstsein der kulturellen Relativität sehr deutlich, wenn er sagt: Er selbst, als Europäer, als Franzose, sei eigentlich nicht besser und wertvoller als etwa ein Indio aus den neu „entdeckten“ Welten Amerikas. In seinem umfangreichen Buch „Essais“ sollte anlässlich des Montaigne-Gedenktages auch das Kapitel über „Über die Menschenfresser“ gelesen werden, im Ersten Buch Kapitel 31. Es ist sicher eines der schwersten und gar nicht leicht zu lesenden bzw. für manche Montaigne-Fans gar nicht „schön“ zu “genießenden” Essais.

Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Siglo de Oro: Das goldene Jahrhundert: Es war gar nicht so golden.

Hinweise anlässlich der Ausstellung „El siglo de oro“  vom 1.7. bis 30.10.2016 in der Gemäldegalerie Berlin.

Von Christian Modehn im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon am 15. 7. 2016

Manche haben gefragt, warum beschäftigen wir uns als philosophischer Club, als religionsphilosophischer Salon, mit dem „siglo de oro“ in Spanien. Zumal an einem Tag, an dem der schreckliche Terror gegen so viele Menschen in Nizza bekannt wurde.

Aber sollten wir in unserem Salon an diesem Abend über den Täter spekulieren? Hätte das Erkenntnisgewinn gebracht? Sicher nicht. Politische, oft haltlose Spekulation ist etwas anderes als (klassische, metaphysische ) philosophische Spekulation. Zumal: Philosophisch darf eben nicht nur auf eine einzelne Tat gestarrt werden, sondern auch das historische Umfeld (Kolonialzeit, Kriege gegen Irak, Gewährenlassen des Massenmörders in Syrien usw.) muss immer kritisch mit-betrachtet werden. Hegel nannte das wohl “konkretes Denken”. Und das ist in Politikerkreisen z.B. kaum lebendig, weil es peinlich ist, weil es zum Eingeständnis von groben Fehlern führen müsste. Angesichts des unerfreulichen, nur der “grande nation” dienenden Verhaltens der französischen Regierungen auch nach dem Ende des Kolonialismus gegenüber den Menschen in (Nord-) Afrika, wäre zu betonen, wie dies Rudolf Balmer von der TAZ am 16. Juli auf Seite 3 treffend schreibt:”Das hat in diesen afrikanischen Ländern mitunter ein (für Frankreich CM) feindseliges Bild geschaffen, für das die Staatsführungen in Paris eine große Mitverantwortung tragen”. Weiterhin wäre von der zwanghaften, staatlich befohlenen Anpassung der Muslime an die nicht-muslimische französische Gesellschaft, etwa in der rigiden Kleiderordnung usw., zu sprechen. An die ökonomische Ausgrenzung der eher zweitklassigen “Ausländer” in den grausigen Vorstadtgettos wäre zu erinnern usw. Da wurden und werden vom Staat und der Gesellschaft Fakten gesetzt, die nicht dem Frieden dienen. Heute sieht man das Ergebnis. Das heißt natürlich auch,  dass terroristische Verbrecher eben Verbrecher sind und als einzelne auch Schuld auf sich laden und bestraft werden müssen. Aber die Dialektik zwischen Einzeltätern und dem umgebenden kulturellen, ökonomischen Milieu muss gerade im Falle Frankreichs mit berücksichtigt werden…

Darüber wollten wir am 15.7. nicht spekulieren. Wir haben über das siglo de oro gesprochen und dabei entdeckt: Wie ein Staat sich damals geistig und ökonomisch letztlich zugrunde richtete, weil er zur Toleranz nicht in der Lage war.

Lesen Sie also die Hinweise, die von Christian Modehn am 15.7.2016 zur Diskussion gestellt wurden.

Das Goldene Zeitalter, das 17. Jahrhundert in Spanien, wird als golden bewertet und dargestellt und propagiert in einer bestimmten Hinsicht: Diese spezielle „Hinsicht“ macht philosophisches kritisches Fragen aus.

Das 17. Jahrhundert war golden wegen der künstlerischen Leistungen vor allem der Maler und Bildhauer, aber auch der Dichter. Das tatsächliche Gold glänzte zwar in den Kirchen und Palästen, auch wenn Spanien viel erbeutetes Gold aus Amerika in den zahlreichen Kriegen im 17. Jahrhundert förmlich verpulvert hatte.

Und übrigens tut es wohl Spanien heute trotz aller Millionen von Touristen gut, an die Leistungen der eigenen Kultur damals zu erinnern. Und, mit Verlaub gesagt: So viel Großes bleibt ja dann, abgesehen von Goya, auch nicht viel übrig bis zum Ende der Franco-Zeit 1975.

Wer von diesen künstlerischen Leistungen in der Kunst absieht, entdeckt ein Spanien in erbärmlichen, auch ökonomisch erbärmlichen Zuständen. Tatsächlich aber war das 17. Jahrhundert in Spanien vor allem ein weithin rassistisches Jahrhundert.

Und dies war dadurch bedingt, dass der Hof, der König und seine Regierung tief überzeugt waren, dass Spanien nur eine einzige Religion haben darf. Nur einzige Ideologie sollte herrschen, weil nur diese eine den Zusammenhalt des tatsächlichen Welt-Reiches gewährleisten konnte, glaubte der sich immer katholisch definierende König. Wir erleben also an einem Beispiel, wie ein Staat aussieht, wie er auch ökonomisch verkommt und kulturell sehr eng wird, wenn er Pluralität nicht wünscht, also keine Toleranz kennt, und Andersdenkende verfolgt und tötet. Man möchte also einmal mehr sagen: Es ist die Toleranz und die reale Vielfalt in Gleichberechtigung, die einen Staat, die die Kulturen lebendig macht. Trotz dieser Belastungen sind die künstlerischen Werke, die etwa auch in der Ausstellung „El siglo de oro“ gezeigt werden, aller Beachtung wert. Sie inspirieren, auch wenn sie im Schatten der allseits drohenden Inquisition gemalt wurden.

1.  Zur KUNST

Die Künstler, die Maler und Bildhauer, galten dem Ansehen nach, im Unterschied zu Literaten etwa, wenig im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts. Sie galten eher als Handwerker. Um in der Geltung „aufzusteigen“, bemühte sich etwa Diego Velázquez, in den „Santiago-Ritterorden“ aufgenommen zu werden, und das war angesichts der Hierarchien nicht einfach.

Wer heute diese Gemälde betrachtet, entdeckt eine starke thematische Festlegung, aber dabei auch ein großartiges Können:

Es sind wirkliche, leibhaftige, lebendige Menschen, die uns anschauen; es sind Menschen, die untereinander agieren, zusammenstehen, trauern, beten usw. Diese Gesichter bewegen uns. Diese Kunst ist von einem ausdrucksvollen Realismus geprägt, oder besser: Von einer Bezogenheit auf die Wirklichkeit. Manche Interpreten sprechen gar, etwa im Falle von Velazquez, von beinahe fotografischen Leistungen.

Man denke etwa an das wohl berühmteste Bild von Velazquez „Las Meninas“, Die Hoffräulein, von 1656: In der Mitte die fünfjährige Königstochter Margarita. Alle Personen sind historische Personen. Dem Namen nach bekannt, es ist das Atelier des Malers im Alcazar. Velázquez zeigt sich selbst als Santiago-Ritter; das Königspaar ist im Spiegel zu sehen; selbst die Zwerge werden gezeigt, sie sind hier keine Untermenschen, kein Spielzeug. Es ist ein Moment, wo man glaubt: Die Zeit steht still. Es werden Seelen gezeigt, hat ein Historiker gesagt, aber es sind immer wieder wie hier auch Menschen-Seelen, die nicht lachen, nicht lächeln. Ein dauerhafter Schatten von Melancholie und Trauer ist deutlich, auch auf den späten Porträts von Philipp IV.

Zu den Zwergen: Wunderbar ist auch das Gemälde, das den gelehrten Zwerg, der Hofnarren, zeigt mit dem Buch. Ein kluges Gesicht: Der Hofnarr als gebildeter Mensch.

Nach meinem Eindruck fehlen die Alltagszenen, bodegón genannt: Diese gibt es zwar, etwa die alte Frau, die sich Eier brät oder die essenden Kinder, aber es wird auch dort kaum gelacht, es ist keine Zuversicht mehr da. Das Land selbst versinkt im Elend trotz allen früheren ökonomischen Reichtums. In dieser Situation, auch der Verteidigung des Katholischen um jeden Preis gegen Protestanten, Juden und Muslime,  werden Bilder und Skulpturen, man möchte sagen en masse, geschaffen, die den Gekreuzigten Christus zeigen oder die leidende Mutter Jesu, Maria. Mit aller Präzision wird von Gregorio Fernandez „Der tote Christus“ als Skulptur (um 1627) dargestellt, mit echt erscheinenden blutunterlaufenen Wunden und mit echt wirkenden Fingernägeln aus Stierhorn, Zähnen aus Elfenbein usw. Eine tiefe Bewegtheit, eine seelische Erschütterung soll von dieser Skulptur wie von allen Darstellungen des leidenden Christus ausgehen. Wenn Murillo in Sevilla die Werke der Barmherzigkeit zeigt, dann will er damit ausdrücklich zur Nachahmung auffordern. Diese religiösen Bilder haben explizit – angesichts des weitest verbreiteten Analphabetismus – die Tendenz, zu bilden und zur Nachahmung aufzurufen, 90 % der Bevölkerung können weder Lesen noch Schreiben.

Wenn man diese Tendenz auf die Bilder des leidenden Christus überträgt, und das muss man wohl, dann soll der Betrachter, also auch das gläubige Volk, zur Annahme des eigenen Leidens aufgefordert werden. Und das gilt dann als Christusnachfolge. Nun gibt es immer wieder Leiden unter den Menschen, aber es gibt auch von Menschen gemachtes Leiden, etwa durch die brutale Verfolgung der damals in Spanien allgegenwärtigen Inquisition: Wollten diese Leidensbilder Christi auch daran gewöhnen, an diese grasuige politische Unmenschlichkeit? Diese Frage der Leidens-Propaganda durch Kunst wird meines Erachtens kaum diskutiert: Darin könnte sich eine gewisse Abartigkeit der offiziell propagierten Frömmigkeit zeigen, so sehr auch den einzelnen in seinem Leiden und in seiner Todesangst möglicherweise dieser leidende Christus dann doch tröstet und bewegt…

Hinzu kommt: Die Fülle der Vanitas Gemälde, der Bilder der Sinnlosigkeit und Vergänglichkeit, sie sind auch in Holland beliebt, immer mit Totenköpfen auf dem Tisch, man denke etwa an Harmen Steenwijk oder Pieter Claesz zur gleichen Zeit (1630). Aber dass ausschließlich nur Folianten, Bücher als Vanitas – Darstellungen vorkommen, umgeben noch von einer ablaufenden Uhr und einem Federkiel wie in einem anonymen Gemälde aus Madrid um 1639 mit dem Titel „Bücherstillleben“, das ist schon ungewöhnlich: Darin drückt sich die für Spanien damals typische Verachtung der freien Forschung, der Vielfalt der Bücher und der umfassenden intellektuellen Schulung aus. Die Botschaft ist: Bücher sollten zugebunden bleiben und eigentlich nur staubige Masse sein.

In der Kunst duldete die Inquisition keine weiblichen Akte, eines der wenigen Akt-Gemälde ist die „Venus im Spiegel“ mit einem nackten Rücken. Von Velázquez gemalt, 1644, offenbar für einen privaten Sammler.

Die Künstler Spaniens ordnen sich den fast immer kirchlichen und königlichen Auftraggebern unter; die allmächtige Kirche, sie ist von der Steuerzahlung befreit und durch Geschenke usw. sehr reich, auch in den Klöstern, steht noch im Glanz da. Und die Mönche bestellen etwa bei Zurbaran immer die selben Motive … der Kreuzigung und der Heiligen.

Entscheidend ist: Durch die Inquisition war das Themenspektrum der Kunst äußerst eingeschränkt. Das sagen alle Historiker. Und trotz dieser Einschränkungen wurden noch schöne Bilder geschaffen.

Aber im ganzen gesehen, das ist ein unbezweifelte Tatsache: Es herrschte im „siglo de oro“ die Stagnation. Manche sagen: Nicht das Goldene, sondern das Eisenerne Zeitalter war bestimmend..

Aber von dem Niedergang, ökonomisch, gesellschaftlich, geistig im Spanien des 17. Jahrhunderts ist in den Werken des siglo de oro eigentlich nicht so viel zu spüren. „Die Bilder von Velazquez verraten selten etwas von den Kämpfen seiner Zeit, der sich immer mehr verschlechternden Lage Spaniens, den Sorgen von König und Volk…. Keine der Tragödien seiner Zeit tritt in Velazquez Werk zutage. Was sich ihm, Velazquez, darstellte, ist STOLZ, und zwar Stolz als Lebensform“. (in: Velazquez und seine Zeit, TIME-Life 1972, Seite 135.

Mit Stolz könnte man auch sagen: EHRE, in der Sicht der anderen geehrt werden, wie dies Juan Goytisolo auch schreibt, als einer Grundhaltung „der“ Spanier.

2. Spanien im 17. Jahrhundert

Es gibt in dem Roman von Miguel de Cervantes (1547 bis 1616), Don Quijote, bereits das Wort vom Goldenen Zeitalter, allerdings bezogen auf eine Erzählung: Der Protagonist lässt vor Ziegenhirten eine Lobrede auf die glücklichen Zeiten halten, „welche die Alten die goldenen Zeiten genannt haben“. Damals habe es keine sexuelle Zudringlichkeit gegeben, und die Erotik sei nur von der Neigung und dem freien Willen der Beteiligten abhängig und keinem äußeren Zwang unterworfen gewesen. Die eigene Gegenwart meint Cervantes jedenfalls damit nicht.

Das Wort vom goldenen Zeitalter ist ein Titel, der im Rückblick formuliert wurde, wenn man in noch schlimmeren Zeiten auf dieses 17. Jahrhundert schaut.

Wie war die gesellschaftliche Situation? Seit 1492 sind die Muslime „endgültig“ vertrieben. Das Land ist muslimfrei, sie leben unter ständiger Kontrolle als die zwangskonvertierten Moriscos. Zu Begin des 17. Jahrhunderts wurden sie vertrieben und nach Nordafrika zurückgebracht.

Die Juden in Spanien mussten zum Katholizismus übertreten, wenn sie in Spanien bleiben wollten. Aber wenn sie konvertieren, begegnen ihnen die so genannten Altchristen voller Misstrauen, das sieht man am Beispiel der Heiligen Theresia von Avila. Von Theresa von Avila wurde jetzt ein Zitat entdeckt, das treffend auch die frauenfeindliche Mentalität in der Kirche ausdrückt: „Dir, Gott, hat vor den Frauen nicht gegraut“. Dieses Wort wurde dann von der Inquisition geschwärzt, es war diesen Herren nicht möglich zuzugestehen, dass Gott vor den Frauen nicht graut… (Dies ist übrigens der Titel eines Buches über “Mystikerinnen in der Christentumsgeschichte”, 2016, Kohlhammer Vl.).

So entwickelt sich seit dem 15. Jahrhundert eine merkwürdige Haltung unter den etablierten, alt-christlichen und sich rassistisch für blutrein haltenden „eigentlichen Spaniern“. Der Geist der Muslime wird prinzipiell verachtet, weil sie in ihrem Alltag sexuell freizügig lebten, meint man. Jedenfalls lassen die Katholiken in Granada nach der Muslim-Vertreibung gleich alle Badehäuser schließen. Auch die Wissenschaft wurde von vielen Muslimen betrieben, für die Altchristen in Spanien gilt Wissenschaft als muslimisch, sie wurde auch deswegen als freie Forschung abgelehnt. Bildung soll keine große Achtung haben. Forschung auch nicht. Die Inquisition bestimmt das ganze geistige Leben mit ihren Verboten. Es ist eine Zeit der Intellektuellen-Feindlichkeit. Juan Goytisolo weist darauf hin,  dass der Ruf der Faschisten unter Franco „Nieder mit der Intelligenz, es lebe der Tod“ (S. 64) ein „Echo ist der altchristlichen Spiritualität, die im 16. Jh. das spanische Leben prägte“… Schon unter Philipp II. wurde die Wissenschaft verachtet. „Niemand kann nur halbwegs gründlich die schönen Wissenschaften pflegen, ohne dass sogleich ein Haufen Ketzereien und jüdische Mängel entdeckt werden“, sagt der Sohn des Generalinquisitors Rodrigo Manrique. (in Goytisolo, S 38). Im “Goldenen Jahrhundert” schreibt der Jesuit Baltasar Garcian in einer bei ihm seltenen politischen Deutlichkeit über seine Gegenwart: „Die Philosophie ist außer Ansehen gekommen… die Wissenschaft der Denker hat alle Achtung verloren, eine zeitlang fand sie Gunst bei Hofe, jetzt gilt sie für eine Ungebührlichkeit“. (Handorakel, S. 55, Nr. 100)

Und die Juden waren die guten Geschäftsleute und die Händler: Aus anti-judischem Ressentiment lehnen die Altchristen für sich selbst Handel und Wirtschaft ab. Man darf ja nicht als „Jude“ erscheinen, das wäre gegen die Ehre… Also sind die „blutreinen“ altchristlichen Spanier nur Ritter, nur Adlige, nur Klerus und Mönche, und eben die Armen in den Städten und den Dörfern, die kaum das Nötige zum Überleben produzieren. Dies ist eine Zeit der selbst verursachten ökonomischen und geistigen Lähmung. Es war, noch einmal, eine rassistische Zeit, es wurde Wert gelegt auf die Reinheit des Blutes

Der Verlust so vieler tausend Moriscos und der Maranen führte auch zu einer wirtschaftlichen Katastrophe: Kenntnisreiche Händler und Handwerker fehlten. So geht es eben einer Regierung und einem König, der der Stimmung des Volkes folgt und Rassismus in die eigene Politik bestimmend übernimmt.

Nebenbei: Als Judenchristen von der Inquisition verfolgt und verbrannt wurden, hat man deren Besitz vonseiten der Inquisition sofort übernommen. Was die Nazis später taten, hatte also historische Vorbilder.

3. Wer vom goldenen Jahrhundert spricht, muss auch vom realen Gold sprechen, das den Ureinwohnern Amerikas von den Spanien geraubt wurde.

Alles Gold und Geld, das aus den so genannten Vize-Königreichen Lateinamerikas kam, wurde für die vielfältigen Kriege ausgegeben. Viel Gold ging unterwegs in die Hände der Seeräuber und der „bandoleros“ zu Lande.

Nur ein Hinweis, dass in dieser Zeit einer theologischen Verirrung durch die Inquisition und den Eroberungs – bzw. Missionierungsgedanken doch einige vernünftige und ziemlich authentische Christen lebten. Erinnert werden soll nur an den Dominikaner Mönch Bartolomé de Las Casas.

Er bezeichnet in seinen öffentlichen Predigten die Spanier seiner Zeit, im 16. Jahrhundert, als Götzendiener. Er sagt: „Die Spanier haben Gold zu ihrem Gott gemacht“, so in Gutierrez, S. 22. Dort wird auch Christoph Columbus erwähnt, er sagte: „Das Gold ist das wertvollste aller Güter. Wer es besitzt, hat alles, wessen er in dieser Welt bedarf wie auch die Mittel, um die Seelen vor dem Fegefeuer zu bewahren und sie in die Freunde des Paradieses zu schicken“. (auch Gutierrez, S. 25)

Die Stimmen, die sich gegen das Abschlachten und Ausnutzen der Indianer wehrten und für eine menschenwürdige Behandlung der Indianer eintraten, wie Pater Bartholome de la Casas, wurden zwar offiziell am Hofe Karl V. angehört und humanere Behandlungen der indianischen Völker wurden auch befohlen. Aber in den Vizekönigreichen Lateinamerikas folgten die Conquistadores nicht diesen Weisungen. Das Morden und Ausbeuten der Indianer nahm kein Ende.

Zu Mord und Totschlag ein Beispiel aus der frühen Zeit der sogen. Entdeckung: Die geschätzte Einwohnerzahl in Westindien betrug 9 Millionen im Jahr 1520. Und es war eine Million Einwohner übrig geblieben im Jahr 1570. (Gutierrez, Gott oder das Gold, S. 10.)

 Sehr wichtig und bislang nahezu unbekannt: Es gab einen „Indianer“ in Peru, ein Mitglied des Volkes der Quechua, sein Name: Felipe Guaman poma de Ayala. (Gutierrez, S.13), er lebte von 1535 bis 1615. Kurz vor seinem Tod hat er ein umfangreiches Buch auch mit vielen Bildern, Skizzen, fertig gestellt, an dem er lange daran gearbeitet hat. Er spricht als Augenzeuge, der „alle Schrecken dieser Christen“ gesehen hat. Er hat erlebt, was die Armen leiden. Er wendet sich an die Leser in Spanien. „Diese spanischen Übeltäter verschlingen mein (“indiansches”) Volk. Mir selbst als Christen will es scheinen, dass ihr Spanier euch allesamt zur Hölle verdammt (Gutierrez S.15). Und noch einmal: „Mit ihrer Gier nach Gold sollen die Spanier in die Hölle fahren“ (Gutierrez S.189) Das heißt: In der Sicht einiger Theologen und der indianischen Völker selbst ist das spanische Reich ein gottloses Reich, trotz aller zur Schau gestellten Frömmigkeit. Das siglo de oro ist ein gottloses Zeitalter in der Sicht aufgeklärter Christen schon damals! Und es ist, klassisch-theologisch gesprochen, eine Art Blasphemie, wenn mit dem erbeuteten Gold, den indianischen Völkern entrissen, dann in den spanischen (aber auch lateinamerikanischen) Kathedralen, Kirchen und Klöstern die Bilder des leidenden Christus, etwa im Rahmen,  vergoldet wurden. Mit verbrecherisch erworbenem Gold wollte man Gott ehren, die Kirche in goldigen Glanz setzen und die Frömmigkeit fördern.

4. Ein Hinweis zur Philosophie im Goldenen Zeitalter: Baltasar Gracian (1601-1658).

Er war ein Jesuit, der ohne Erlaubnis seiner Ordensoberen z.T. unter Pseudonym, kurzgefasste Lebensweisheiten für den erfolgreichen Mann seiner Zeit schrieb. Dieses Büchlein, das “Handorakel”, sollte man als Dünndruckausgabe stets bei sich als Lebenshilfe haben. Ich meine: Das Handorakel war so eine Art ANTI-Evangelium und ANTI-Bibel mit Grundsätzen, die dem Geist der universalen Nächstenliebe eher widersprechen. Das Handorakel des Baltasar Gracian war eines seiner meist gelesenen Bücher: Allein 10 verschiedene Ausgabe und Übersetzungen in Deutschland…

Baltasar Gracian war auch kurze Zeit als Prediger, auch am Hof von Madrid, tätig. Er wollte den Menschen ein erfolgreiches Leben aufzeigen mit 300 relativ kurz gefassten Lebensregeln, die er in seinem Buch von 1647 darstellt. Den Wahn der Welt zu erkennen ist das Motto des pessimistischen Denkers.

Er schreibt also Vorschläge und Weisungen seines klugen Denkens, wie man sich möglichst klug erfolgreich durchs Leben schlägt; wie man weltgewandt wird und sich zu behaupten weiß; wie man sich verstellen lernt und sich durchsetzen, wie man im richtigen Moment abwarten muss und vorsichtig agiert, nur nicht zu viel von sich selbst sagt, auch aus Angst vor der allmächtigen Inquisition. Freundschaft wird gelobt, aber es wird eher ein Grundmisstrauen gegenüber den anderen empfohlen.

Das Leben des Menschen ist, so Gracian, milicia, ist Kampf, und wir klugen Menschen sind umgeben von der malicia, der Bösartigkeit, der anderen. Nur Raffinesse ist dem gewachsen!

Gracian wurde von seinem Orden bestraft, bestraft, eingesperrt, weil er seine Werke nicht vor Drucklegung den Oberen zur Kontrolle gezeigt hatte.

Gracian hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem auch den Roman „El Criticon“, der viel beachtet wird auch von konservativen Kreisen noch heute.

Ein Hinweis nebenbei: Es gibt etwa in der „Bibliothek des Konservatismus” in Berlin, Fasanenstr. Nr. 4, zahlreiche Ausgaben des “Handorakel”, sie stehen wahrscheinlich in der Bibliothek irgendwo im Umfeld der 33 mal dort versammelten Ausgaben von „Mein Kampf“ und dem „Mythos des 20. Jahrhunderts“ und eben… etwa der „Jungen Freiheit“… Äußerst konservative Denker haben sich für ihr autoritäres Denken immer wieder Gracians bedient…

Der Jesuit Dominik Terstriep hat sich in seinem Buch „Indifferenz“, 2009 erschienen, mit Gracian kritisch auseinandergesetzt (dort Seite 123 ff). Eine kleine Rarität in der Theologie der Gegenwart!

5. Zu Cervantes

Auch Cervantes war betroffen vom Kulturdirigismus und der Inquisition. Er studierte bei dem Humanisten Juan Lopez de Hoyos, vielleicht auch bei Jesuiten in Vallodolid. Er zitiert Cristobal de Fonseca aus dem Augustinerorden. Er wurde als Seefahrer gefangen genommen und nach Algerien gebracht, im Gefängnis von 1575 bis 1580, dort Gedichte geschrieben von Mönchen des Trinitarier-Ordens losgekauft.

Es gibt in Don Quijote gelegentlich auch eine starke Darstellung von Predigten, der Ritter und sein Knecht Sancho halten sich, so wird deutlich, durchaus für Theologen.

Auch bei Cervantes gibt es diese typische Angst: Er sparte seine Kritik für bessere Zeiten auf. „Der kluge Mann spart sich für bessere Gelegenheiten auf, so Don Quijote. II 28, 934, ähnlich wie Gracian. Tatsächlich hatte die Inquisition auch Cervantes verdächtigt, er würde den Ideen von Erasmus anhängen. Die Inquisition ließ diese Stelle nicht durchgehen, wo eine Herzogin zu Sancho sagt: „Und Ihr, Sancho, mochtet daran denken, dass die Werke der Nächstenliebe, die lau und nachlässig vollzogen werden, kein Verdienst nach sich ziehen und gar wertlos sind“. (II 36).

Und weiter: „Unseren Herrgott soll man um seiner selbst willen lieb haben, ohne an Himmel und Hölle zu denken“, so wird von Mariano Delgado zitiert in: „Don Quojote für Theologen“. Dies war ein ketzerisches Postulat der Mystiker, Gott um seiner selbst willen zu lieben, ohne dabei immer gute Werke tun zu müssen.

Nebenbei: Die Religion am Hofe war sehr vom Aberglauben durchsetzt, durchaus mit so genannten heidnischen Praktiken, etwa, wenn dem kranken Sohn von Philipp IV. Amuletten angelegt werden, damit er bloß gesund bleibt.

6.Eine systematische Überlegung: Das Goldenes Zeitalter: In der Frühzeit oder in der Zukunft?

In der Dichtung Ovids und in vielen Mythen ist die goldene Zeit die Vergangenheit: Eine paradiesische Zeit, in der eben alles stimmte, alles schön und gerecht war, so, wie es Ovid in den Metamorphosen beschrieb, als der ersten glücklichen Ur-Zeit, in der die Gerechtigkeit herrschte und die Menschen von sich aus und ohne gesetzlichen Zwang das Gute und Rechte taten („Aurea prima sata est aetas“ …so beginnt der Text). Die eigene Gegenwart wurde dann von Ovid als die eiserne Zeit der Härte und des Zwangs beschrieben. Bei Ovid gibt es vier Zeitalter dort, es beginnt mit gold, also mit Frieden und Gerechtigkeit, geht über zu Silber, dann das erzürnte Zeitalter, dann zum Schluss das eiserne Zeitalter. Scham, Wahrheit und Treue verschwinden, es herrschen Betrug als auch List als auch Hinterhalt und Gewalt und die verbrecherische Liebe zu besitzen (=Geiz) nach.

Die Mystik, die christliche, neigt dazu, die gute Zeit in die Vergangenheit zu legen, in die zeitlose Ewigkeit bei Gott: Dort strebt die Seele, die ihren göttlichen Funken entdeckt hat, dort, in der Urzeit, erlebt sie die Erlösung, als Austritt aus Geschichte, als ewiges Sein in Gott.

In der Bibel wird im Buch des Apokalypse, der Geheimen Offenbarung, ganz am Ende, im 21. Kapitel, das neue Jerusalem als Ort der Verheißung beschrieben, Die Stadt war aus reinem Gold, heißt es da in Vers 18. Das ist die neue Welt. In der aller Schrecken beendet ist. Goldene Zeitalter also in der Zukunft. Dort gibt es keinen Tempel (der Juden) mehr. In der Zukunft wird die unmittelbare Gottesbegegnung geben.

Es wäre der Kritik am Gold im AT weiter nach zugehen, in den Psalmen etwa: „Die Götzen sind Silber und Gold; der Fromme liebt Gottes Gebote mehr als Gold“.

Geschichtsphilosophisch sehr interessant ist, dass es seit dem Mittelalter, etwa in Joachim von Fiore, später dann im 16. Jahrhundert durch Thomas Morus, die goldene Zeit als die zukünftige Zeit entwickelt wird. Als Utopie der menschlichen Welt, die dann auch gemacht werden kann von den Menschen. Utopie ist sozusagen ein Aufruf zur Tat. Das goldene Zeitalter wird eher wahrgenommen als Geschenk, als zufälliges Glück, etwa viele Künstler um sich zu haben. Konservative Denker weisen bis heute die Utopien ab, weil in der Utopie immer die kritische Negation der Gegenwart mitgemeint ist, wie Ernst Bloch, der Philosoph des „GEISTES der Utopie“ meint. Schon bei Thomas Morus, in seiner UTOPIA von 1535, ist Sozialkritik in großer Schärfe dargestellt. Anstelle des Egoismus wird eher für die Gütergemeinschaft plädiert.

In Berlin spricht man von den goldenen Zwanzigern, die Jahre 1924 bis 1929, die so goldig für alle Berliner, besonders für solche, die arbeitslos im Schatten der Hinterhöfe lebten, ja nicht waren. Politisch war alles sehr schwankend, das kulturelle Leben in bunter Vielfalt, die Nacht wurde zum Tage, neue Eleganz, Luxus, an der wenige teilhatten.

Das Wirtschaftswunder, einige Jahre nach der Beendigung des Holocaust, also in der Erhardt-Ära, Kanzler von 1963 -66) wird wegen des Wirtschaftsaufschwungs (bei bleibenden Schweigen über die Nazi-Verbrechen) auch golden genannt. Politisch eher ein unaufgeklärtes, die Vergangenheit verleugnendes Zeitalter!

7. UNSER persönliches goldenes Zeitalter:

Irgendwann hat jede Nation und sicher auch jedes Individuum das Verlangen, eine bestimmte reale Zeit in der eigenen Geschichte als das goldene Zeitalter oder das goldene Jahrhundert, el siglo de oro, festzulegen. Eine Zeit, meist in der Vergangenheit, in der eben alles stimmte, alles schön und gerecht war.Vielleicht ist es die (schöne !) Kindheit?

Es ist merkwürdig, wenn Künstler und Intellektuelle, die in der DDR in einer Nische der versteckten, aber sichtbaren Opposition lebten, heute sagen: „Nie war die DDR vielgestaltiger als während ihrer Auflösung von Innen heraus, so Wolfgang Engler, heute Rektor der Schauspielschule Ernst Busch. „im Gedächtnis derer, die daran teilhatten, war dies die beste Zeit“ (Tagesspiegel 15. 7. 2016).

8. Ein kritischer Hinweis zum Schluss:

Die Ausstellung „el siglo de oro“ befindet sich in der Gemäldegalerie in ständiger Berührung und Sichtweite zur allgemeinen, wunderbaren Dauerausstellung. Ich bin kurz vor Ende der Spanien-Ausstellung schnell mal zu den alten Meistern der Holländer ausgewichen. Und ich muss sagen: Es war dort für mich eine Art Befreiung, ein Aufatmen, das reale Leben von armen, vor allem bürgerlichen Menschen in Holland auf den Genre-Gemälden zu erleben. So viel Alltag, so viel Menschlichkeit, so viel Lachen und Freude und Staunen und Lesen und Saufen und Prügeln usw. Das ist doch der Alltag. Im „el siglo de oro“ hat kein Heiliger gelacht. Nur ständig diese Christus-Leichname, die Kreuzigungen, die (Selbst) Quälereien von Heiligen, dieses Blut, die Wunden.

Warum kam kein die Kunst finanzierender Klerus damals auf die Idee, den Jesus der Bergpredigt malen zu lassen, wäre doch ein tolles Motiv gewesen; oder den Jesus, der die Händler aus dem Tempel rausschmeißt; der Wunder wirkt am Sabbat natürlich als Gesetzesbrecher; der die Tischgemeinschaft liebte, der mit den Frauen so freundlich-erotischen Umgang pflegte und so weiter und so weiter. Die kirchlichen Auftrageber liebten das Leiden und das Blut und den Tod. Diese Kunst, diese Blut-Kunst der Leichname und Sterbenden, von der Kirche finanziert, ist in dieser Einseitigkeit in meiner Sicht häretisch und theologisch falsch im eigentlichen Sinne: Sie wählt einige wenige Aspekte aus dem Leben Jesu aus, die Geburt mit der Jungfrau, und immer wieder das Kreuz … und die Mönche und die Heiligen, die sich als Sünder geißeln und permanent – angeblich – Buße tun. Der Klerus stellt sich in den Mittelpunkt. Diese Tradition des leidenden, Blut triefenden Christus lebt bis heute in der semana santa. Manche Fromme oft wohl krankhaft fromm, lassen sich selbst heute noch bei diesen volksreligiösen Folklore-Veranstaltungen ans Kreuz nageln. Auf den von spanischer Frömmigkeit bestimmten Philippinen ist das noch üblich. Da staunen die Touristen… Jedenfalls ist in meiner Sicht die absolute Dominanz der Kreuzesdarstellungen und des sterbenden, verstorbenen Jesus, verheerend für ein wirklich umfassendes Verstehen des Christlichen. Dass heute so viele Menschen damit nicht mehr so viel zu tun haben, kann ich verstehen. Zeigt uns doch den ganzen Jesus von Nazareth, könnte eine Forderung heißen.

Noch einmal gefragt: Was bringt also die Ausstellung „El siglo de oro“? Sie zeigt zweifellos wunderbare Porträts von Menschen, wunderbare Charakterstudien der oft depressiven oder dummen Herrscher (Philipp IV. und Karl II.) oder der Leute am Hof . Über allem aber steht ein Schatten der Trauer, wenn nicht der Verzweiflung. Natürlich auch darüber, dass dieses “allermächtigste Königsreich”, das bis nach Lateinamerika und bis auf die Philippinen seine Macht ausgedehnt hatte und mit millionenfachem Mord an den sogen. Indianern sich finanziell zunächst bestens stabilisiert hatte, eben doch sich übernommen hatte in den Kriegen. Es war zudem an der eigenen wirtschaftlichen Unfähigkeit gescheitert. Aber auch dadurch, dass man in Spanien keine bürgerlichen Freiheiten gewährte und Wissenschaft und Forschung verhinderte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, blieb Spanien ein weithin klerikal bestimmtes eher unbewegliches, starres Land.

9. Ein aktueller Hinweis zur weiteren Debatte: Was vermag Kunst in einem Staat der Repression?

Die Kunst des “siglo de oro” war, wenn, dann nur andeutungsweise schwach, kaum politisch-kritisch. Die kritische Haltung konnte sich kein Künstler leisten, Cervantes deutet eine solche Haltung in seinem Don Quijote an.

Hingegen: Ein Hinweis auf eine heute wirkmächtige, Politisches tatsächlich verändernde Kunst: Vom 16. Juli bis 26. September 2016 gibt es im Martin Gropius Bau eine empfehenswerte Ausstellung über die oppositionelle Kunst in der DDR. Ihr Titel: „Gegenstimmen“.

Der totalitäre Herrschaftsanspruch konnte sich in der DDR eben nicht total durchsetzen, es gab von Künstlern erkämpfte freie Räume, zwar bescheiden, aber gegen Mitte der 1980 Jahre wachsend. Das waren Künstler, die nicht mehr auf sozialistische Reformhoffnungen setzten, wie der Kurator der Ausstellung, Paul Kaiser, schreibt. „Die Künstler folgten nur ihrer eigenen Erfahrungswelt, sie propagierten eine Generaldistanz, die sich nicht mehr um die Erweiterung eines künstlerischen Vokabulars, sondern um eine gänzlich neue Semantik bemühte… dadurch trug die Bohème auf ihre Weise zu innenpolitischen Destabilisierung der DDR bei.“ … „Diese Künstler sind leider fast vergessen“. Es gibt bis heute eine Verblendung, eine Ignoranz, „eine vampiristische Konsequenz westdeutscher Sinngebungsinstanzen“, wo wird Christoph Tannert von Paul Kaiser in „Museumsjournal“, 3/2016 Seite 53, zitiert.

Die Voraussetzung für diese so mutige Kunst: In der DDR gab es immerhin doch eine schwache Pluralität, trotz der dominanten Einheitspartei: Es gab die Informationen usw. aus dem Westen via Radio und Fernsehen; es gab immerhin die Kirchen, vor allem die sich nicht ins Getto versteckende evangelische Kirche, und es gab eben die Künstler, die Schriftsteller, die Filmemacher, die Musiker, die alle, trotz Stasi-Präsenz, ein Stück Freiheit eroberten. Diese Ideen waren dann die Kraft, das Regime, selbst schon ökonomisch am Ende, 1989 zum Sturz zu bringen.

Solche Konstellationen gab es in dem total vereinheitlichten, von Angst vor „den anderen“ zerfressenen katholischen System im Goldenen Zeitalter Spaniens nicht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

Literatur zum Umfeld: Goldenes Zeitalter in Spanien

Gustavo Gutierrez, Gott oder das Gold. Der befreiende Weg des Bartolomé de Las Casas. Herder Verlag, 1990.

Bartolomé de Las Casas: Kurzgefaßter Bericht von der Verwüstung der Westindischen Länder. herausgegeben von Michael Sievernich, Inselverlag, Frankfurt/Main / Leipzig 2006.,

Sehr zu empfehlen, bewegend: Reinhold Schneider: Las Casas vor Karl V. Szenen aus der Konquistadorenzeit. 8. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2000 Ersterscheinung 1938, nach der 1. Auflage von den Nazis verboten, dann wieder 1946 erscheinen)

Baltasar Gracian, „Hand Orakel und Kunst der Weltklugheit“. Fischer Taschenbuch, 2008. 7 Euro. Ein philosophischer Ratgeber für ein erfolgreiches Leben.

Martin Franzbach, Cervantes, Reclam Heft, 80 Seiten. 1991. Sehr zu empfehlen.

Über den wichtigen kritischen Schriftsteller aus dem Quechua Volk mit Namen Waman Puma de Ayala (ca. 1535 bis 1615) liegen meines Wissens auf Deutsch keine Studien vor. „Es ist das reichhaltigste und umfassendste Dokument, das uns aus der Epoche der ‘Besiegten der Eroberung’ überliefert ist“, so Bernard Lavallé in Hdb.d.Gesch.Lateinamerikas, Bd.1, S.514

Informativ auf Deutsch wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Waman_Puma_de_Ayala#Literatur

Auf Deutsch eine Einführung zu Felipe Guaman poma de Ayala: http://sammelpunkt.philo.at:8080/2226/1/Fr%C3%BChmann_Poma-de-Ayala.pdf

Grundsätzlich zu Spanien im allgemeinen und en passant auch zum Goldenen Zeitalter: Juan Goytisolo, Spanien und die Spanier. Taschenbuch, viele Auflagen. 11 Euro. Suhrkamp.