Der christliche Aberglaube kann tödlich sein. Wenn das Abendmahl Corona überwinden soll…

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. Religionen sind auch heute immer noch vom Aberglauben durchsetzt. Dies gilt auch für die christlichen Kirchen, vor allem für die orthodoxen und evangelikalen Kirchen sowie für den Katholizismus. Ohne die Propaganda des Aberglaubens kommt die so genannte „pastorale Praxis“ im Katholizismus nicht aus. Vernunft und Kritik sind nicht oberste Werte im Katholizismus. Darauf habe ich in dem Beitrag…. ausführlicher hingewiesen.   LINK

2. Hier also ein aktuelles Beispiel für den Aberglauben im Katholizismus, hoffentlich als Eröffnung einer Dokumentation, die von Religionswissenschaftlern und Soziologen fortgeführt werden sollte.  Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie als Religionskritik kann bei dem Thema nur eine „Aufforderung“ zum weiteren Studieren und Dokumentieren sein.

3. BEISPIEL POLEN. (Siehe den Bericht im TAGESSPIEGEL, 29. Dezember 2021, Seite 3, Eine Reportage von Lena von Holt)

Berichtet wird über das Dorf Czarny Dunajec im Südosten Polens, an der Grenze zur Slowakei. Die meisten Bewohner dort sind überzeugt, Corona gibt es in ihrem Dorf nicht…Nur 23 Prozent der Einwohner sind geimpft. Im Klartext heißt das: Entsprechend dumm und unvorsichtig verhalten sich die Leute dort, man feiert in großen Gruppen selbstverständlich ohne die schützenden Masken. Geistig und geistlich unterstützt werden diese Leute in ihrer Abwehr des Impfens nicht nur von der dort vorherrschenden PIS Partei, sondern vor allem von katholischen Kirchenführern. Die Autorin berichtet: „Stimmen aus der katholischen Kirche warnen vor der Impfung, weil sie aus den Blutzellen abgetriebener Föten hergestellt werde. Im nationalkonservativ-katholischen „Radio Marya“ vergleicht ein Arzt den COVID Pass mit einem Nazi-Ausweis. Als in der Nachbargemeinde von Czarny Dunajec ein Priester in der Messe das Abendmahl als den einzigen wirksamen Schutz gegen Corona pries, löste sich die lange Schlange vor dem Impfzelt plötzlich auf.“

Polen hat mit insgesamt 54,8 Prozent Geimpfter einen der letzten Plätze im EU-Impfranking.

4. Was bei der katholischen Unterstützung der Impfgegner typisch ist:
Erstens: Die katholischen Pfarrer und die führenden Priester im Katholischen reaktionären und antisemitischen Medienimperium „Radio Marya“ wärmen auch jetzt die alten Vorurteile über den Schwangerschaftsabbruch wieder auf. Bekanntlich ist PRO LIFE als militante Anti-Abtreibungsbewegung fest in den Händen des katholischen Klerus. Das Bekenntnis zu dieser PRO LIFE-Ideologie (mit der Verfolgung feministischer Frauen und ihrer Ärzte) überlagert förmlich bei vielen konservativen bzw. reaktionären Christen das religiöse Glaubensbekenntnis.

Zweitens: Dann wird mit der „wunderbaren Wirkung“ des Abendmahls bzw. der Hostie als dem „Leib Christi“ argumentiert. Diese bekanntlich überall „Himmelsspeise“ genannte Hostie soll also wie eine Pille vor Corona schützen. Die wahnhaften Abgründe der katholischen Lehre von der „Transsubstantiation“ werden hier deutlich, also die durchaus überall vertretene dogmatische Lehre: Mit der Wandlung eines winzigen Stückchens Brot bzw. einer noch kleineren Hostie durch den Priester (nur durch den Klerus !) entstehe der Leib Christi, die wunderbare Himmelsspeise, wie die Dogmatik lehrt.

5. Mit anderen Worten: Die klassischen katholischen Lehren dienen in Corona-Zeiten als ideologische Instrumente für die Impf-Gegner, die bekanntlich nicht nur sich selbst gesundheitlich gefährden, sondern auch die Geimpften.Man kann es nur so formulieren: Es ist die Herrschaft der religiös verbrämten Dummheit, die bei diesen Leuten das Denken blockiert. Dummheit kann tödlich sein, also auch: Aberglaube kann tödlich sein. Die einzige Ärztin in Czarny Dunajec, Teresa Pirsich sagt: „Ich habe als Ärztin keine Autorität. Ich versuche es mit Bitten, mit Drohen, es funktioniert nicht. Das ist eine Mauer, die sich nicht einreißen lässt“. (Tagesspiegel, 29.12.2021)

6. Diese Mauer könnte der Klerus einreißen,wenn er nur will und Theologie KRITISCH studiert! Der Klerus könnte und sollte also aufrund seiner Autorität verkünden: „Katholiken, werdet vernünftig, lasst euch impfen. Das ist fast ein göttliches Gebot. Das Abendmahl, diese Himmelsspeise, kann nur die Seele stärken, sie heilt aber nicht im Falle von Corona.“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Die zerstörte KIndheit: Farhad Alsilo berichtet von der Verfolgung durch den “IS”, von Flucht, Zuflucht und neuem Leben.

Ein junger Jeside aus Nord-Irak erzählt seine Geschichte.

Ein Hinweis von Christian Modehn

1. Ein Buch des Grauens und… ein Buch der Zuversicht. Eine reale Geschichte, in der ein junger Mann von der mörderischen Gewalt gegen sein Volk berichtet, die Jesiden im Norden des Irak. Die Mörderbanden nennen sich „Islamischer Staat“. Sie haben mindestens 5000 Mitglieder seines Volkes getötet, auch seinen Vater und nahe männliche Verwandte. Im Kampf mit dem “IS” wird ein Jesside verletzt: “Als seine Waffe leer war, griffen ihn zwei der IS-Kämpfer, schnitten seinen Kopf ab und legten ihn auf seinen Bauch, und das alles geschah unmittelbar vor meinen Augen als Kind von elf Jahren“ (S. 35). Bis heute werden noch etwa 2000 jesidische Mädchen und Frauen vermisst seit den Vernichtungsaktionen des IS im Jahr 2014.

2. Farhad Asilo, 19 Jahre alt, hat ein Zeugnis seines jugendlichen Lebens geschrieben. Ein Zeugnis des Leidens, der Ängste, der Flucht, durch die glühend heiße Wüste sowie durch das unwegsamste Sindschar-Gebirge bis nach Kurdistan, immer am Rande der Verzweiflung, des Verdurstens, des Hungers. „Durchs Sindschar-Gebirge: Das Schlimmste war die Kälte. Es war so kalt, dass wir kaum reden konnten und unsere Augen tränten. Ohne Decken und Kissen waren wir schutzlos ausgeliefert, und keiner konnte uns helfen. Da kam meine Heldin, meine kreative und liebe Mama, auf die Idee, ihr weit geschnittenes Kleid, wie fast jede jesidische Frau eines trägt, über uns drei Kinder zu ziehen, damit es uns ein wenig vor der Kälte schützt…Für Mutter hieß das wieder einmal wachbleiben, so wie alle anderen Nächte zuvor…“ (S. 49).

3. Der junge Autor Farhad Alsilo hat ein „bewegendes“ Buch geschrieben. Es führt auch zu der Frage: Warum hat die Bundesrepublik Deutschland noch immer nicht den Völkermord an den Jesiden offiziell als Völkermord anerkannt, wie dies etwa Belgien, die Niederlande und das EU-Parlament längst getan haben. Abgesehen von dieser Irritation: Erfreulich bleibt, dass das Bundesland Baden-Württemberg im Rahmen eines „Sonderkontigents für verfolgte Jesiden“ auch Farhad Alsilo, seiner Mutter und seinen Geschwistern Asyl geboten hat. In dem Buch erzählt der junge Autor auch von den Schwierigkeiten beim Neubeginn in Deutschland im Jahr 2015. Farhad Alsilo, der deutschen Sprache als Elfjähriger  überhaupt nicht mächtig, ist mit aller Energie zu einem auf Deutsch schreibenden Autor geworden, der auch von den Chancen erzählt, in Deutschland die eigene intellektuelle Begabung frei entwickeln zu können; in den Schulen immer mit den besten Noten erfolgreich. Ein jesidisch – deutscher Autor kann sich hier frei zu Wort melden, was für eine Chance zugunsten eines kulturellen Austausches, einer Erweiterung der Perspektive, über alle Traditionen und Religionen hinaus.

4. Der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume, der 2015 die Leitung des „Sonderkontingents Baden-Württemberg für besonders schutzbedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ übernahm, hat ein Vorwort zu dem Buch geschrieben: „Die Leser werden in dem Buch von Farhad Alsilo vieles, aber keinen Hass finden. Farhad liebt die Menschen trotz allem sehr. Aber sogar über den Vernichtungswillen der IS-Terroristen und den bitteren Rassismus mancher Deutscher ist er hinausgewachsen… Farhad ist ein Gewinn für unser Land, für unsere gemeinsame Zukunft. Weil er aufklärt und mitnimmt, in diesem Buch und auch auf YouTube…“ (S. 12)

5. Das Buch bietet zudem einige wichtige Hinweise zur hierzulande eher noch unbekannten Kultur, Religion und Spiritualität der Jesiden. „Sie gehören zur Volksgruppe der Kurden, sie sind jedoch keine Muslime, sondern bilden eine eigene historische gewachsene Religionsgemeinschaft mit multiethnischen Anhängern“ (S: 119).  Weltweit gibt es schätzungsweise mehr als eine Million Jesiden… die größte Diaspora ist heute in Deutschland“ (S. 36). Die spirituelle Lehre der Jesiden wird man mit Erstaunen studieren, etwa: „Am Anfang (der Welt) war nichts. Dann schuf Gott eine Perle“….“Danach schuf Gott die Seele und die Musik. Nach jesidicher Schöpfungsmythologie war am Anfang des menschlichen Lebens: MUSIK“ (S. 122). Zur religiösen Praxis:“ Beten ist keine Pflicht. Jedem Gläubigen ist aber freigestellt, wie oft und wo er betet. …Wer beten möchte, wendet sich zur Sonne, er stellt sich vor die Sonne und erzählt ihr das, was in diesem Augenblick aus seinem Herzen spricht. Vielleicht sind dies die schönsten Gebete, die die Menschheit je hervorgebracht hat“, so wird der kurdische Schriftsteller Yasar Kemal (1923-2015) zitiert, S. 133.

6. Dringende Aufgaben für demokratische Staaten bleiben: „Auch im Sindschar-Gebirge harren noch immer Tausende Jesiden in schwer zugänglichen provisorischen Lagern aus…(S.36). Von den gewaltsamen Attacken, Bombenangriffen, des Nato-Mitgliedes TÜRKEI auf Zufluchtsgebiete der Jesiden in Nord-Irak im Dezember 2021 ist in dem Buch keine Rede, da lag das Buch schon gedruckt vor. Um so dringender: Die Aggressionen der Türkei gegen die Jesiden sollten verurteilt werden, forderte die jesidische Organisation „Nadias-Initiative“, gegründet von der jesidischen Nobelpreisträgerin (im Jahr 2018) Nadia Murad.

Farhad Alsilo, Der Tag, an dem meine Kindheit endete. Mit einem Vorwort von Düzen Tekkal. Trabanten Verlag, Berlin, 2021, 150 Seiten, 14 Euro.

 Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

“Gott ist kein Christ!” Die entscheidende Einsicht von Bischof Desmond Tutu, Südafrika (7.10.1931 – 26.12.2021).

Über Desmond Tutu, den wegweisenden Menschen, den großen Theologen, den anglikanischen Bischof, den Kämpfer für die Menschenrechte, den Friedensobelpreisträger…  wird die Welt über seinen Tod hinaus hoffentlich viel sprechen und in seinem Sinne zugunsten der Menschenrechte handeln.

Welche Worte von Bischof Desmond Tutu, Südafrika, bleiben hoffentlich im Gedächtnis aller Menschen?:

1.„Gott ist kein Christ“. Siehe auch das Buch mit dem gleichen Titel, erschienen im Patmos Verlag.

2 . Ich würde nicht einen Gott anbeten/ verehren, der homophob ist […]. Ich würde mich weigern in einen homophoben Himmel zu gehen. Nein […] ich würde lieber zu dem anderen Ort gehen.“ (https://www.feinschwarz.net/dann-gehe-ich-lieber-in-die-hoelle-desmond-tutu/)

Falls eine Interpretationshilfe nötig ist zu 1.: Gott ist kein Christ, so,wie Gott auch kein Jude ist;  so, wie Gott auch kein Muslim ist; so, wie Gott auch kein Hindu usw. ist. Mit anderen Worten: Gott ist immer größer als der Gott der jeweiligen Religion und Konfession. Das sollte jedes Mitlied jeder Religion und Konfession bescheiden machen und tolerant und lernbereit.

Ein Hinweis zu 2.:Im Mai 2016 heiratete Tutus Tochter Mpho die Niederländerin Marceline van Furth. Tutu erhielt von der anglikanischen Kirche die Erlaubnis, einen „väterlichen Segen“ bei der Trauung auszusprechen. Mpho Tutu ist seit Januar 2022 Teilzeit Pastorin in der Amsterdamer Remonstranten-Gemeinde “de Vrijburg”.(siehe: www.vrijburg.nl)

 

Zusammengestellt von Christian Modehn.religionsphilosophischer-salon.de

Impfaktivitäten in Kirchen: Alles andere als eine „Profanisierung des Sakralen“.

Über die Humanisierung des „Sakralen“.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

1. In einigen Kirchen, auch in einigen katholischen Kirchen, in Wien sogar im Stephansdom, wird gegen das tödliche Virus geimpft. Man muss kein Theologe sein, um diesen Impf-Initiativen aus ganzem Herzen und mit ganzer Vernunft zuzustimmen.

Ich erlebe es ständig vor der eigenen Haustür: Da stehen bei Wind und Wetter Menschen, die auf die Impfung beim Hausarzt warten und oft nur im Schein der Straßenlaternen mit Mühe Dokumente auf der Straße ausfüllen. Zur großen und mächtigen katholischen Kirche St. Matthias am Winterfeldt-Platz in Berlin-Schöneberg sind es nur 50 Schritte. Aber diese große Kirche mit ihren (fürs Impfen geeigneten) kleinen Seitenkapellen am Eingang bleibt geschlossen…

Darum meine volle Zustimmung, dass durch die vernünftige Entscheidung des Wiener Dompfarrers Toni Faber das Impfen in dieser, so sagen manche, „heiligen, sakralen Halle“, möglich wurde. An einem Wochenende allein wurden in St. Stephan 734 Menschen gegen Covid geimpft. Bravo!

2. Damit könnte ich meinen Hinweis eigentlich beenden, weil er nur von einer selbstverständlichen humanen Hilfe berichtet… und von der Selbstverständlichkeit, dass ein sogenanntes “Gottes-Haus” nur sinnvoll ist, wenn es auch Haus für die Menschen ist…

Aber diese Hilfsbereitschaft eines Pfarrers und seiner Gemeinde in Wien hat eine theologische Problematik erzeugt: Denn, man glaubt es kaum: Da gibt es einen katholischen Theologieprofessor, Jan-Heiner Tück, an der Wiener Uni, einen Theologen, der sich offiziell „Dogmatiker“ nennt: Und der diese Impfinitiative im Stephansdom eine, so wörtlich, „Profanisierung des Sakralen“ nennt. Menschliches Helfen, mehr noch: Rettung von Leben in einem “Gotteshaus”, das sich auf Jesus von Nazareth bezieht, wird als Profanisierung des Sakralen abgewertet. Ich halte diese Verurteilung dieser großartigen humanen Hilfe IM Stephansdom für eine Schande. Und es ist eine Blamage für einen Dogmatiker und katholischen Theologen, solches ernsthaft öffentlich zu sagen. Dieses unsägliche Urteil: „Profanisierung des Sakralen“ wegen Impfens in der Kirche ist kürzlich in der Grazer Tageszeitung „Kleine Zeitung“ veröffentlicht worden. Diese Nachricht wurde dann über viele Medien auch in Deutschland verbreitet. Ob der Dogmatiker Tück sein Urteil inzwischen zurückgezogen hat und sich für den Unsinn entschuldigt hat, ist bisher nicht bekannt geworden.

3. Darum der kritische Hinweis: Im Christentum, sogar im Katholizismus, sind Kirchen und Dome nicht nur Stätten der Andacht und des Gebets, der Gottesdienste und Musik-Aufführungen und Kunst-Ausstellungen. Aber diese Veranstaltungen sind kein Selbstzweck, sie sollen eigentlich den Glaubenden Orientierung bieten, also Lebenshilfe leisten, und eine hoffentlich heilende, die Seele heilende Wirkung haben, was bekanntlich nicht immer der Fall ist angesichts der vielen Dogmen und kirchenrechtlichen Ausschlüsse und Verbote.

4. Wenn nun in Kirchen gegen das Corona-Virus, in höchster Not, geimpft wird, ist dies, theologisch gesehen, nur die Fortsetzung des selbstverständlichen kirchlichen Anspruchs, heilend in diesen Kirchen-Räumen tätig zu sein. Diese theologische Aussage mag den Menschen, die sich im Stephansdom impfen lassen, auch ziemlich egal sein, Hauptsache ist: Sie werden geimpft. So wie es den Veranstaltern von Haydn und Mozartmessen auch egal ist, was sich die Zuhörer dabei so alles denken. Hauptsache: Sie erfreuen sich an der Musik und lassen sich je auf ihre Art seelisch, wie auch immer, „berühren“.

5. Eine theologische Schande bleibt aber der Satz von der „Profanisierung des Sakralen“ (Jan-Heiner Tück) durch das Impfen in einer Kirche, also in einem so genannten Gotteshaus. Impfen gegen das Virus aber ist heilendes Handeln für die Menschen, es rettet Leben. Ist dieses Geschehen theologisch betrachtet etwa “bloß” „profan“? Wenn Menschen wieder eine bessere, d.h. sehr wahrscheinlich gesunde Zukunft vor Augen haben, wenn ihnen also neuer Lebensmut und Lebenssinn erschlossen wird, dann wird Dankbarkeit geweckt, Dankbarkeit, dass die Wissenschaften diese Impfstoffe zur Verfügung stellen können. Dankbarkeit, dass man selbst, medizinisch gut versorgt ist, in einem Staat, der, zwar mit Mühe, Impfstoffe für alle zur Verfügung stellt. Im Unterschied zum “armen Süden” dieser Welt, der die reichen Staaten die Gratis-Impfstoffe vorenthalten, aus ökonomischen Gründen…. An wen soll ich aber meinen Dank für ein „gutes medizinisches Versorgtsein“ adressieren? Manche tun dies, indem sie sich auf das Göttliche, Gott, die Göttin, Jesus, beziehen oder einem guten „Schicksal“. Auch diese Haltung der Dankbarkeit ist alles andere als profan, wie der Dogmatiker Tück von der Wiener Uni behauptet.

Als Nebeneffekt, aber nur als Nebeneffekt, kann sich bei einigen Geimpften IM  Stephansdom die Idee durchsetzen: Eigentlich sollte ich als privilegierter Geimpfter alles tun, auch politisch tun, dass auch die Menschen im armen Süden dieser Welt endlich geimpft werden!

6. Heilendes Handeln, also auch Impfen gegen die Pandemie, hat in den Kirchen seinen richtigen Platz. Das Wichtige bei dieser Impfaktion in Kirchen ist: Dort wird eine heilende Wirkung durch ÄrztInnen und KrankenpflegeInnen bewirkt. Es ist nicht mehr der Priester, der da – als Kleriker – sakramental “heilend” handelt. Mit den Impfaktionen in den Kirchen wird dem männlichen Klerus die Allmacht des heilenden Handelns entzogen. Noch einmal, dies ist Stand der heutigen Theologie: Auch ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen wirken heilend- auch im christlichen Sinne. Kleriker allein sind niemals „Heilsvermittler“. Die Zeiten, als man das machtvoll behauptete, sind vorbei!

7. Noch eine theologische Entdeckung: Heilung im christlichen Sinne, auch im katholischen Sinne, kann niemals nur eine geistige, geistliche, also sakramentale Heilung sein. Das wurde oft selbst im Vatikan behauptet, ist aber falsch: Wenn die Menschen Wesen aus Geist, Seele und Leib sind, ist auch die Rettung des Leibes, also etwa die Bewahrung vor Krankheiten, etwas Heiliges, etwas Sakramentales, das eben selbstverständlich nicht vom Klerus allein initiiert wird!

8. Falls der Dogmatiker Tück schon von der Befreiungstheologie in Lateinamerika gehört hat: Die zentrale Aussage ist: Befreiung als christliche Erlösung hat immer einen leiblichen und gesellschaftlichen und politischen Aspekt. Die menschenfreundliche, deswegen „heilende“ Gemeinde der gleichberechtigten ChristInnen kann ein Vorzeichen sein des Ewigen. Bekanntlich sprechen Befreiungstheologen zurecht von den gesellschaftlich verfassten Strukturen der Sünde: Da hat sich sozusagen das leibliche und gesellschaftliche Elend in Strukturen und Gesetzen „versteinert“. Diese Strukturen als sündige aufzulösen ist der Kern christlichen Botschaft. Materielles Wohlergehen für die Ärmsten, also auch Gesundheit in einem demokratischen Staat der Menschenrechte, ist eine (!) Gestalt dessen, was Christen hochtrabend Erlösung nennen (gerade im Umfeld zu Weihnachten).

9. Und man möchte dem Dogmatiker mal vorschlagen, die Geschichte der Kathedralen und anderer großer Kirchen zu studieren: Diese wurden im Mittelalter und der frühen Neuzeit selbstverständlich als Treffpunkte der Menschen genutzt, als Orte des Gesprächs, der Beratung, auch des Handels. Und es wäre lohnend auf die Lebensbedingungen der alten (leider von deutschen und ukrainischen Nazis zerstörten) Synagogen etwa in Galizien zu achten: Sie waren Lehrhäuser und Unterkünfte, eben Orte der Menschlichkeit. Solche “Profanisierung” gilt auch für christliche Kirchen: Nicht-profan, also heilig, ist allein Gott bzw. das Göttliche. Alles und alle anderen n dieser Welt sind in je unterschiedlicher Weise profan. Auch ein Kleriker ist profan, auch ein Papst ist profan, selbst wenn er immer noch von einigen Unentwegten “Heiliger Vater” angesprochen wird.

10. Wer die Impfaktionen in den Kirchen als Profanisierung bezeichnet, sollte ehrlich sein: Er behauptet auch implizit, dass diese angeblich “sakralen” Räume dann naturgemäß schmutzig werden, dass es mit vielen unbekannten Menschen etwas lauter zugeht, und auch dies: Dass die Menschen vielleicht Toiletten suchen, die innerhalb der katholischen Kirchen so gut wie nie vorhanden sind. Toiletten könnte man – mit einigem Organisationstalent- neben dem Eingang platzieren. Das nur nebenbei.

11. Gegen die These der „Profanisierung des Sakralen“ (Tück) möchte ich unterstreichen: Wer solches sagt, degradiert die Kirchengebäude zu sterilen Museen, in denen der Klerus Messen zelebriert und predigt (Laien dürfen nicht „predigen“) … zumal so oft in Worten und Floskeln, die heute auch für religiöse Menschen kaum noch nachvollziehbar sind.

12. Es mag ja sein, dass der Wiener Dompfarrer im Eifer des Gefechts und im Angesicht der oft (rechts)extremen Impf-Gegner (FPÖ-Kreise sind bekanntlich unbelehrbar usw…) verbal ausgerutscht ist, als er, der vielfach verbreiteten Nachricht folgend, sagte, sagte: Er habe “mit Ungeimpften kein Mitleid mehr”. Aber diesen einen Satz gleich zum Anlass zu nehmen, beim Impfen IM Dom von einer „Profanisierung des Sakralen“ zu sprechen, ist übertrieben und theologisch falsch.

13. So führt also eine falsche theologische Aussage“ über die „Profanisierung des Sakralen“ durch die humane Aktion des Impfens in Kirchen erneut zu einem erweiterten Verständnis von „Erlösung“ und „christlichem Heils-Verständnis“.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Die Russisch-orthodoxe Putin-Kirche: 30 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion dem Herrscher ergeben.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 19.12.2021

1. Vor 30 Jahren, am 26. Dezember 1991, wurde offiziell die Sowjetunion beendet, die Rote Fahne wurde durch die Russische Flagge ersetzt. Verschwunden ist der Ungeist der Sowjetzeit bis heute nicht. Wie sollte auch Menschen so schnell Demokraten werden können, Menschen, die von der kommunistischen und stalinistischen Diktatur drangsaliert wurden und zuvor Jahrhunderte unter der Zarenherrschaft, als „Leibeigene“, galten. Die europäische Aufklärung hatte bekanntlich nur eine Minderheit der Russen geprägt. Selbst Dostojewski war im Alter ein Verteidiger der „russischen Idee“ zur Rettung Europas.

2. Über das offizielle Ende der UDSSR vor 30 Jahren wird viel veröffentlicht. Ein wichtiger, in Deutschland leider eher als marginal betrachteter Aspekt, ist die „Russisch-Orthodoxe Kirche“ mit dem Patriarchen von Moskau. Diese sich stolz „rechtgläubig“ nennende kirchliche Organisation hat seit 1992 eine rasante Entwicklung gestalten können: 30.000 Kirchen wurden im ganzen Land eröffnet, es gibt mehr als 50 theologische Seminare zur Ausbildung der Popen, sehr viele Russen nennen sich „russisch-orthodox“. Der Wunderglaube ist weit verbreitet. Die Reliquien des heiligen Nikolaus, als Leihgaben nach Moskau gebracht, wollten unbedingt zweieinhalb Millionen Menschen sehen. Allerdings ist der Anteil der regelmäßigen Teilnehmer an den Sonntags-Liturgien eher sehr gering (Fußnote 1, siehe unten). Kein Wunder, die weihrauch- geschwängerten Gesänge und Gebete werden in der heute kaum verständlichen  “Kirchenslawischen Sprache” vorgetragen, kaum jemand unter denGläubigen versteht das, so bleibt nur das permanente Rufen „Herr erbarme dich“ und das ständige demütige Sich-Bekreuzigen. Das Bekenntnis zur Kirche ist einerseits Folklore. Andererseits lässt sich die Russisch-orthodoxe Kirche sehr gern als ideologische- nationalistische Stütze von Putin und dem Putin-Regime gebrauchen. Zumindest die oberen Bischöfe und der Patriarch vor allem haben davon enorme finanzielle Vorteile, der Patriarch selbst gilt als Multi-Millionär (zu den Auseinandersetzungen darüber: https://g2w.eu/news/697-russland-russische-orthodoxe-kirche-weist-behauptungen-ueber-reichtum-von-patriarch-kirill-zurueck). Über die wirtschaftlichen “Akivitäten” der Russisch-Orthodoxen Kirchenführer berichtete schon im Frühjahr 2004 Aleksandr Soldatov in Lettre International, S. 78f. Von merkwürdigen kirchlichen Wirtschaftsunternehmen ist in dem wissenschaftlichen Beitrag die Rede, etwa vom kirchlchen Trinkwasser “Heiliger Quell”, es wedn Unmengen von sogen. Messwein produziert, auch habe sich ein weites Netz von “Milchkiosken”  und “orthodoxen Apotheken” in Moskau gebildet…

3. Die Russisch-Orthodoxe Kirche soll sozusagen die traditionellen Werte Russlands vertreten und verteidigen, das religiöse Opium liefern, von dem dann das Putin Regime sehr gern Gebrauch macht zur Festigung des eigenen Systems. Putin will in seiner zur Schau gestellten Nähe zur Kirche als Mann des russischen Volkes erscheinen. Darum nimmt er immer wieder an den Liturgien teil, etwa zu Ostern in “Christus Erlöser Kathedrale”. Die Freundschaft zwischen Patriarchen und Herrscher lohnen sich für die Kirche: Priester geben nun Kurse zur „Orthodoxen Kultur”  in den Schulen. Ganz sanfte Distanz deutet sich an, wenn nun der Patriarch doch davon absehen will, in Zukunft auch die Massenvernichtungswaffen Russlands zu segnen. Hingegen  sollen die Soldaten und ihre Herren Generäle den kirchlichen Segen nach wie vor erhalten.

Der Historiker Heinrich August Winkler betont den geschichtlichen Hintergrund für dieses “Kirche-Staat-Verhältnis”: “Anders als im europäischen Okzident des Mittealteres hatte es in Russland keine Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt gegeben. Vielmehr blieb die geistliche Gewalt der weltlichen stets untergeordnet, weshalb die orthodoxe Kirche nie zu einem Korrektiv der jeweiligen Staatsmacht wurde.” (“Werte und Mächte, C.H. Beck Verlag München 2019, S. 638).

Nebenbei: In Paris wurde 2016 die neue russische Kathedrale Sainte Trinité eröffnet, eine imposante Architektur mitten in Paris.

4. Leider ist die Kenntnis der aktuellen religiösen Zustände, also das Leben der Russisch-orthodoxen Kirche, in West-Europa, auch in Deutschland, sehr unterentwickelt. Diese Kirche ist Staatskirche, bzw. präziser, eine Art Putin-Kirche, ihm, dem Herrscher, fast völlig ergeben. Kürzlich wurde in Moskau eine monumentale neue Kathedrale für die Russische Armee eingeweiht. Ein riesiges Mosaik als Wandschmuck zeigt den Diktator Stalin, anlässlich der Militärparade zum Sieg der Armee über Nazi-Deutschland. Eigentlich hätte nach kirchlicher Vorstellung auch Putin auf diesem Gemälde „verewigt“ werden sollen, aber der fand dann doch diesen Ruhm im Augenblick für etwas übertrieben.(So im Artikel des Russland Spezialisten Emmanuel Grynszpan am 4. Mai 2020 für die Genfer Tageszeitung Le Temps: https://www.letemps.ch/monde/staline-va-orner-murs-dune-cathedrale-orthodoxe-moscou).

5. In jedem Fall zeigte das Moskauer Patriarchat durch die Komposition des Mosaiks eine gewisse Nähe ausgerechnet noch zum Stalinismus, was erstaunlich ist, wurden doch viele tauend Priester und Gläubige unter Stalin, dem ehemaligen Priester-Kandidaten aus Georgien, aufs übelste verfolgt und gequält und umgebracht. Aber Stalin ist bei der akuellen Verehrung seiner Person wieder „am Kommen“.

Und nebenbei: Einigen russisch-orthodoxen Kirchenführern (wie die Patriarchen Pimen I. oder Alexius II.) wurde nach 1989 mit guten Belegen eine Mitarbeit für den KGB-Agenten nachvollziehbar vorgeworfen. Die Sehnsucht der römisch-katholischen Kirche nach einer freundschaftlichen Ökumene mit “den” Orthodoxen, auch mit dem Moskauer Patriarchat, müsste hier ausfühlicher kritisch dargestellt werden. Die Führer der meisten orthodoxen Kirchen sind theologisch extrem konservativ, in der Sexual – Ethik schlicht und einfach verkalkt, sagen Beobachter. Mit diesen Herren eine tiefe, freundschaftliche und lernbereite Ökumene zu pflegen, führte die römisch-katholische Kirche noch weiter in konservative Positionen jenseits heutiger Lebenserfahrungen und Lebensdeutungen. Selbst Papst Franziskus sucht immer wieder die Nähe zum Moskauer Patriarchen. Franziskus trifft sich oft mit dem führenden Mitarbeiter des Patriarchen, mit Erzbischof Hilarion.

6. Aber “die Zeiten ändern sich”…Der Parteiführer der immer noch bedeutenden “Kommunistischen Partei Russlands”, Guennadi Ziouganov, nennt sich jetzt „gläubiger orthodoxer Christ“ und … treu ergebener Putin Oppositioneller. (Quelle: Emmanuel Grynszpan, 2020.)

7. Von Kritikern an diesem System einer regimefreundlichen orthodoxen Kirche wäre ausführlich zu berichten. Etwa von dem Diakon Andrei Kouraiev:“ Für den Patriarchen Kyrill zählt einzig sein Ansehen bei den Führern der Macht, der Sicherheit und den Ideologen des Patriotismus”. An den ermordeten oppositionellen Priester Alexander Men erinnern noch einige Oppositionelle…

8. HINWEISE AUF FRÜHERE, NACH WIE VOR RELEVANTE TEXTE des Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin zum Thema “Russische Orthodoxie”:

Der Moskauer Patriarch glaubt an Putin: Veröffentlicht 2012. Siehe: LINK

Wer sind die Gotteslästerer?, Veröffentlicht 2013: LINK

Fußnote 1: In der Zeitschrift “Archives de Sciences sociales des Religions” (juillet-septembre 2021) berichtet Kristina Kovalskaya zu der Frage: Wie genau ist die Russisch-orthodoxe Kirche Russlands heute statistisch erfasst?  Bis jetzt werden von der Kirchenleitung selbst nur die Anzahl der Priester, die Anzahl der Gemeinden und die Zahl der Riten bzw. Liturgien genannt. Die Politiker der Regierung sagen einfach nur wie üblich: “Die Orthodoxie ist die Religion der Mehrheit in Russland”. Die wirkliche „innere“ Verbundenheit dieser Mehrheit mit der Kirche wird dabei nicht erfasst. Fest steht wohl: Zwischen 63 und 69 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als „russisch – orthodox“, dabei sind unter diesen Leuten auch Nicht-Getaufte oder Menschen, die sich als Ungläubige verstehen. Man spricht unter Religionssoziologen dabei von „kulturellen Orthodoxen“. Wirklich verbunden mit dem kirchlichen Leben (d.h. wenigstens einmal pro Monat (!) Teilnahme an der Liturgie in der Kirche) sind hingegen nur 13 Prozent der Russisch-Orthodoxen. Quelle. Religioscope, 6 décembre 2021!

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

José Antonio Kast: Rechtsextrem, faschistoid, katholisch in der Schönstatt-Bewegung. Präsident in CHILE ?

Ein Hinweis von Christian Modehn. Wegen der Wahlen in Chile am 19.12. 2021 noch einmal aktualisiert mit einem Hinweis auf Frau von Storch, ihre religiöse Bindung und ihre Verbindungmit bestimmten Kreisen in Chile. In dem folgenden Link-Beitrag besonders zu beachten unter Nr.4. LINK.

1. Zu den Präsidentschaftswahlen in CHILE: Sie sind auch ein Thema der Religionskritik. Denn es muss betont werden: Der Sieger im ersten Wahlgang am 21. November 2021 ist der rechtsextreme Politiker José Antonio Kast, er erhielt 28 % der Stimmen, der Kandidat der Linken Gabriel Boric 25 %.  Beim 2. Wahlgang am 19. Dezember 2021 wird zwischen beiden entschieden.

2. In der Sicht der Religionskritik ist  es wichtig: José Antonio Kast ist nicht nur überzeugter Katholik (und als Vater von 9 Kindern verdient er sicher auch die traditionelle Wertung “ein guter Katholik”), Kast ist außerdem Mitglied der katholischen Schönstatt-Bewegung, einer internationalen konservativen geistlichen Bewegung für Priester und Laien, gegründet von Pater Kentenich, dem inzwischen sexueller Missbrauch nachgewiesen wird… Die Schönstatt-Bewegung (benannt nach einem Ort bei Koblenz) zeichnet sich durch extreme Marienverehrung aus, etwa in den weltweit üblichen Wallfahrten zur “Dreimal wunderbaren Mutter”…Diese geistliche Bewegung ist in Chile ein Sammelplatz der “guten Bürger “und der Oberschicht, wie kritische Schönstatt-Leute dort selber sagen, etwa Patricio Young, gelesen am 20.11.2021! LINK

3. José Antonio Kast jedenfalls ist wohl eher eine Schande für diese frommen und wohlhabenden Marien-Freunde, denn Kast ist bewiesenermaßen auch Freund vieler Diktatoren und Rechtsextremen, er ist ein Verteidiger des Diktators Pinochet usw, kein Freund der Menschenrechte. Man fragt sich. Was Marienfrömmigkeit so alles aus Politikern macht… Die Wochenzeitung FREITAG veröffentlichte im Heft 46/2021 einen Beitrag über den aktuellen Wahl-Kampf in Chile, daraus ein Auszug, der sich mit der rechtsexremen Position Kasts befasst und auch auf seine Bindung an Schönstatt hinweist.

4. KNA brachte auch am 21.11.2021 einen Beitrag über die Wahlen in Chile und den Präsidentschaftskandidaten Kast. Er wurde in dem Bericht nur als Katholik bezeichnet, seine Mitgiedschaft in der Schönstatt-Bewegung wurde hingegen verschwiegen, geschuldet wegen der “strengen Zeilenvorgabe für Agenturtexte”, so wörtlich die KNA Auslandsredakion in Bonn in ihrem Antwort-Schreiben an Christian Modehn. Für fünf wichtige Worte “Kast ist Mitglied der Schönstatt-Bewegung” gab es also keinen Platz??? Meine Journalisten-Kollegen haben gelacht, als sie das hörten und meinten: Diese Mitgliedschaft Kasts in der Schönstatt-Bewegung mitzuteilen, ist wohl für KNA peinlich…”

5. Ein Hinweis auf Schönstatt und die Schönstatt-Bewegung: Was glauben die Katholiken als Mitglieder in der „Schönstatt-Bewegung“?

– Er schwärmte vom „Liebesbündnis des Menschen mit Maria“: Der Gründer der Schönstatt-Bewegung Pater Josef Kentenich (1885-1968), Schönstatt ist ein Dorf bei Vallendar bzw. Koblenz. Kentenich behauptet: Maria führt zu Christus, „wir finden Christus durch Maria“. Daran glauben „Schönstatt-Katholiken“ in 130 Ländern der Erde, mit 3.000 Mitgliedern und vielen tausend Freunden von Schönstatt. Mysteriöses findet Zuspruch, wer Mysteriöses glaubt, neigt zu mysteriöser Politik, siehe den rechtsextremen Politiker José Antonio Kast in Chile, ein Schönstatt-Mitglied. Diese Marienverehrung ist konzentriert um eine winzige Kapelle in Schönstatt, sie wurde mindestens 200mal weltweit in denselben Maßen, derselbe Ausstattung errichtet, auch in Chile; eine gewisse Monotonie und europäische Dominanz also schon im Architektonischen. Was haben Chilenen mit dieser Kapelle in dem Dörfchen Schönstatt zu tun?

– Es geht Pater Kentenich und Schönstatt also zentral um ein Bündnis des Menschen mit Maria, dieses Bündnis wird dem biblischen, im Alten Testament bezeugten Bund mit Gott verglichen.

– Nebenbei: Selbst dem für mysteriöse Heiligen – und Marienverehrung aufgeschlossenen Vatikan war die Spiritualität von Pater Kentenich ein Graus, der Pater wurde aus Deutschland verbannt und erst unter Papst Paul VI „rehabilitiert“. Der Orden der Pallottiner, dem Pater Kentenich zunächst angehörte, trennte sich 1964 von ihm und dessen Marien-Kult. Jedenfalls sind die Orden und Gemeinschaften, die im Zusammenhang mit Schönstatt entstanden waren, inzwischen päpstlich anerkannt.

– Es breitet sich ein Personenkult um Kentenich aus, er wurde und wird ausdrücklich als VATER verehrt, dem man Gehorsam schuldet. Diese Bindung an einen autoritären Vater kann auch eine Erklärung dafür sein, dass sich Leute wie der Politiker Kast in Chile in autoritäres Denken versteigen. Mit anderen Worten: Diese Kentenich-Maria-Spiritualität kann zur Beeinträchtigung kritischen Denkens führen.

– Die starke Konzentration der Schönstatt Bewegung auf die klassische katholische Ehe-Lehre führt dann politisch zum Kampf gegen andere Formen des Zusammenlebens, etwa der so genannten „Homo-Ehe“, auch dagegen kämpft der Schönstatt-Katholik José Antonio Kast. Die so genannte „Schönstatt-Jugend“ ist eine nach Geschlechtern getrennte Jugendorganisation.

– Auch Bischöfe in Deutschland sind Mitglieder der Schönstatt Bewegung, wie der ehem. Chef der Bischofskonferenz, Erzbischof Zollitsch (Freiburg) oder der aktuelle Bischof von Fulda, der seine theologische Doktorarbeit an einer staatlichen deutschen Universität über das Thema schrieb: Michael Gerber: Zur Liebe berufen. Pastoraltheologische Kriterien für die Formung geistlicher Berufe in Auseinandersetzung mit Luigi M. Rulla und Josef Kentenich. Echter Verlag, Würzburg 2008, (Dissertation). Nebenbei: So erhält man einen kleinen Einblick, welche Dissertations -Themen die katholische Theologie als Wissenschaft so „durchwinkt“.

– Auch der inzwischen pensionierte Erzbischof von Santiago de Chile, Kardinal Errazuriz, ist Mitglied der Schönstattbewegung. Ihm wurde als Erzbischof von Santiago Errazuriz nachgewiesen, die Strafverfolgung eines später wegen Missbrauchs verurteilten Geistlichen (Fernando Karadima) jahrelang verhindert zu haben. Papst Franziskus entließ diesen Marienfreund und Kirchenführer aus demKardinalrat. Der Fall Karadima hat die chilenische und südamerikanische Öffentlichkeit sehr bewegt. (Siehe auch wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Karadima_case)

– Auch der Schönstatt Bischof Francisco Cox (La Serena, Chile) wurde des sexuellen Missbrauchs überführt, er flüchtete sich nach Deutschland, nach Schönstatt, verstarb dann aber im August 2020 in Chile.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

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Aus dem wichtigen und empfehlenswerten Beitrag in der Wochenzeitung FREITAG, Heft 46/2021, von Frederico Füllgraf:

José Antonio Kasts Vater Michael Kast-Schindele war Wehrmachtsoffizier aus Bayern fürchtete nach Kriegsende, von den Alliierten verfolgt zu werden, und begab sich auf die Fluchtrouten der „Rattenlinien“ nach Südamerika, wo er mit falschem Pass des Rotes Kreuzes in Chile ankam. Hier wurde er zum erfolgreichen Unternehmer in der Fleischbranche und Förderer der rechtsradikalen Szene. Nach dem Militärputsch vom 11. September 1973 verliehen die Kasts Lieferwagen an Pinochets Polizei und waren so am Massaker an 70 Landarbeitern im Regierungsbezirk Paine beteiligt, die dem Sozialisten Salvador Allende die Treue hielten. Einem davon wurde die Zunge abgeschnitten und ein Auge ausgestochen, bevor er mit den anderen 69 den Tod im Kugelhagel fand. Über Jahrzehnte hinweg gelang es der deutschen Kolonie, die Justiz so zu behindern, dass die nachweisbare Komplizenschaft ohne Strafe blieb. José Antonios Bruder Miquel Kast war von 1980 bis 1982 Pinochets Arbeitsminister und Zentralbankchef. Seither beschwört der Clan den Geist des Diktators.

Während dem linken Bewerber Boric ein „sanfter Sozialismus“ vorschwebt und er im Bündnis mit der reformistischen KP Chiles ein Regierungsprogramm der sozialökologischen Umverteilung anbietet, setzt Kandidat Kast auf Restauration. Hirnrissige, zehnprozentige Steuersenkungen sollen die Unternehmer für seine Agenda einnehmen, auch wenn die sich mit dem Vorwurf absetzen, Kast wolle dem Land eine prekäre Staatsverschuldung bescheren. Dessen 200-Seiten-Programm nennen sie das „Œuvre eines Dilettanten“. Darin ist neben ökonomischen Versprechen der restaurierte Polizeistaat eines Pinochet-Verehrers zu finden.21

Als Aktivist des Schönstatt-Ordens aus dem pfälzischen Vallendar kämpft Millionär Kast mit Ultrarechten aus den USA, mit Spaniens faschistischer Vox-Partei und seinem Freund, Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, gegen Abtreibung, gegen die Rechte für Homosexuelle und Indigene. Er droht, das Ministerium für Frauenrechte und das staatliche Institut für Menschenrechte abzuschaffen. Kast leugnet frech die schweren Menschenrechtsverbrechen der Pinochet-Junta und verspricht, die etwa hundert verurteilten Folterknechte und Mörder aus der Haft zu entlassen. Seine Regierung – sollte sie zustande kommen – will die Bürger überwachen und zurück zu einer „internationalen Koordination zur Bekämpfung radikaler Linker“. Das erinnert an den „Plan Cóndor“ von sechs Rechtsdiktaturen in Lateinamerika, in deren Auftrag während der 1970er- und 1980er-Jahre Hunderte von Oppositionellen ermordet wurden”.

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Falls der doch etwas kritische Beitrag über die Einseitigkeiten der Schönstatt-Bewegung in Chile wieder aus der website dort verschwindet, hier der Text von Patricio Young: Man beachte, wer da “Vater” genannt wird, nicht etwa “Gott-Vater”, sondern Pater Kentenich, der als überhöhte Vater-Firgur (trotz allen Missbrauchs) verehrt wird. Und Maria, die Mutter Jesu vn Nazareth, wird als Gottes-Mutter bezeichnet.CM.

Veröffentlicht am 2019-10-28:

Proteste in Chile: Wo ist Schönstatt in all dem?  Von Patricio Young.

“Wir befinden uns in Chile in einem entscheidenden Moment unserer nationalen Geschichte. Der Boden ist uns unter den Füßen weggebrochen, wir stehen fassungslos vor dem, was auf den Straßen unseres Landes geschieht. Wir haben gesehen, wie die Forderungen von allen Seiten gestellt werden, auch mit der ausgeprägten Solidarität der jungen Menschen aus den oberen Sektoren, die vom Fernsehen interviewt, erklärten, dass ihre Privilegien ihnen weh tun und sie deshalb auf die Straße gehen. Heute scheint es einen großen Konsens darüber zu geben, dass die Ursache in der großen sozialen Ungleichheit liegt, die wir aufgebaut haben und die sich in vielerlei Hinsicht manifestiert.

Aber wo ist Schönstatt in all dem? Wir sagen, dass wir uns wegen der Mission des 31. Mai um Bindungen kümmern sollen; mit Gott, mit der Natur, mit der Gesellschaft. Das Thema der Bindungen scheint sich bei uns aber hauptsächlich auf den persönlichen und sehr wenig auf den sozialen Bereich zu konzentrieren.

Lassen Sie uns die Dinge klar sagen. Es ist notwendig, sich unserer Realität zu stellen, egal wie hart sie auch sein mag. Aber es gibt dabei keine Zeit mehr für Euphemismen, beruhigende Worte oder einfache Ausflüchte.

Wo stehen wir und was tun wir?

Wir sind eine Oberklassenbewegung. Wir bestehen hauptsächlich aus Familien aus der mittleren, oberen und höchsten Schicht. Abgesehen von Carrascal befinden sich unsere Heiligtümer in privilegierten Stadtteilen. Unser Vater hätte nur in der Pater-Kentenich-Schule in Puente Alto (sozialer Brennpunkt) zur Schule gehen können, der einzigen, die völlig kostenlos ist. Es gibt in unseren anderen Schulen einige wenige Schüler, die subventioniert werden, aber die große Mehrheit ist für Kinder der Oberschicht, obwohl das dem einen oder anderen Pater, den ich dazu öffentlich hinterfagt habe, nicht gefällt – abgestritten hat es aber auch keiner.

Trotz der finanziellen Ressourcen der Familie schwimmt Maria Ayuda nicht im Geld, sondern muss Wunder wirken, um zu überleben.

Vor einigen Jahren sagte mir ein Mitglied unserer Familie, der seit mehr als 50 Jahren bei uns ist, als wir über die Situation des Familienbundes in den Regionen Santiagos sprachen, dass es schwierig sei, Leutezu finden, die zu Führungsaufgaben bereit seien, weil dies Kosten verursche. Wir mussten schließlich hart arbeiten, um ein durchschnittliches Einkommen von 6 Millionen Pesos pro Monat zu erzielen (u$s 8245 oder € 7450 ungefähr), sagte er.

Nach diesem Gespräch kam eine tiefe Depression über mich. Wo ist unser Herz?

Solange Schönstatt sich nicht als Familie konkret sozial engagiert…

Solange Schönstatt als Familie sich nicht konkret sozial engagiert (nicht nur in der Kampagne der Pilgernden Gottesmutter oder bei den Madrugadores), sehen wir die Realität nicht in all ihren Dimensionen. Es gibt ein Chile, das wir nicht kennen und mit dem wir im Innern der Familie nicht im Dialog stehen. Einige von uns besuchen dieses andere Chile gelegentlich, zum Beispiel in den Familienmissionen. Aber dfas reicht nicht. Wir müssen für Heiligtümer in La Pintana, Chimba, Valparaiso arbeiten und nicht für noch eines in den Vierteln der Oberschicht. Wenn die Schönstätter von dort eines bauen wollen, dann sollen sie es in einem einfachen Stadtteil tun, nicht vor der Haustür.

Es ist notwendig, dieses andere Chile in die Familie zu integrieren. Andernfalls werden wir weiterhin in einer Blase leben. Wir werden weiterhin ein Ghetto sein, genau das, was unser Vater so sehr verabscheute.

Hier müssen unsere Solidarität und die Wertschätzung der Bindungen in all ihren Dimensionen gezeigt werden. Dies ist die Zeit, in der wir unseren Blick bereichern und helfen müssen, eine Gesellschaft der Solidarität aufzubauen, wie es unser Vater wollte.

Das Problem Chiles ist nicht das der anderen, es ist unseres

Lange Zeit haben wir die Probleme der Kirche vom hohen Ross aus betrachtet. Heute können wir das mit unserem Land nicht tun. Das Problem Chiles ist nicht nur das der anderen, es ist auch unseres.

Es gibt eine große Chance! Hilfe beim Aufbau einer anderen Gesellschaft, die alles, was fortgeschritten ist, schätzt, aber ihren Reichtum besser verteilt. Denn ein Land, in dem 1% der Bevölkerung ein Drittel des Reichtums besitzt, ist nicht lebensfähig.

Diese harte Realität, die wir leben, erfordert eine tiefgreifende Revision. Es reicht nicht aus zu beten, so wichtig es auch sein mag, aber wir müssen sehen, inwieweit wir Teil des Problems waren und wie wir helfen, Teil der Lösung zu sein.
Es ist der Moment der Wahrheit.

Es ist die Stunde der Wahrheit

Entschuldigen Sie die Offenheit und Härte, aber das ist die Stunde der Wahrheit. Wenn wir jetzt nicht aufwachen, wird Schönstatt kein Morgen haben, und auch kein Übermorgen.

Vater, erleuchte uns wie nie zuvor! Gottesmutter, gekommen ist die Stunde der Treue!

Patricio Young gehört zum Schönstatt-Familienbund. Er ist Sozialarbeiter an der Universität von Chile mit einem Master-Abschluss in Entwicklungswissenschaften, mit einer Nennung in Soziologie der Kommunikation. Er arbeitet als Berater im Bereich Marketing und Kommunikation.

Original: Spanisch, 25.10.2019. Übersetzung: Maria Fischer @schoenstatt.org

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Die katholische Nachrichtenagentur ACI Prensa schreibt über den sehr katholischen José Antonio Kast un Schönstatt-Mitglied:

21 de noviembre de 2021 – 10:10 PM | ÚLTIMA ACTUALIZACIÓN 21 de noviembre de 2021 11:57 pm

Católico provida y padre de 9 hijos pasa a segunda vuelta presidencial en Chile

POR DIEGO LÓPEZ MARINA | ACI Prensa

El candidato presidencial de Chile, José Antonio Kast Rist, quien es un abogado y político católico, provida y padre de nueve hijos, se disputará la segunda vuelta con Gabriel Boric, de ideología izquierdista, luego de ser los más votados en las elecciones de este domingo.

Kast, fundador y líder del Partido Republicano, lideraba la elección presidencial con un 28.02 % de los votos, seguido por Boric del Partido Convergencia Social, con un 25.60 % tras escrutarse un 90.19 % de los votos, informó el Servicio Electoral.

Ambos se disputarán la presidencia el próximo 19 de diciembre.

José Antonio Kast Rist, de ascendencia alemana, nació el 18 de enero de 1966 en Santiago de Chile. Actualmente tiene 55 años, es casado y padre de nueve hijos.

Fue diputado nacional entre 2002 y 2018 y candidato presidencial en las elecciones de 2017 y de 2021. Es fundador del movimiento social Acción Republicana y Partido Republicano.

Kast es católico practicante,​ perteneciente al movimiento Schönstatt.

En un artículo escrito por él en el 2011 para el diario La Tercera, reveló: “Antes de quedarme dormido, rezo. Soy católico practicante. Mi familia es del sur de Alemania, la zona católica de ese país”.

También escribió: “Me jugaría el pellejo porque no se aprobara la ley de aborto”.

En su plan de gobierno para las elecciones presidenciales de 2021, se indica: “Defendemos la vida desde la concepción hasta la muerte natural. Todos los seres humanos tenemos derechos inalienables que ninguna persona o mayoría pueden quitar”.

“Derogaremos la ley que posibilita el aborto, dictada durante el gobierno de la Expresidente Bachelet. En el intertanto, reivindicamos el derecho de personas naturales y jurídicas a la objeción de conciencia”, añade.

En un tuit de mayo de 2019, Kast escribió: “Derogar la Ley de Aborto: No importa que no tengamos la mayoría, pero el compromiso con la vida tiene que ser una acción, no solo palabras. No podemos permanecer indiferentes a que el aborto esté vigente en Chile. #Salvemoslas2vidas”.

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Die “Tagespost”  Würzburg, katholisch und sehr konservativ,  jubelt: Endlich ein praktizierender Katholik als Präsident.

https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/chile-praktizierender-katholik-in-stichwahl-um-praesidentenamt-art-223122

 

 

 

In Galizien und der Bukowina: Jüdisches Leben und Leiden.

Zu einem neuen Buch von Marc Sagnol.

Ein Hinweis von Christian Modehn.

Warum sollte man sich erneut mit dem vernichteten jüdischen Leben in Galizien, Lodomerien und der Bukowina beschäftigen?

1. Es waren Deutsche, SS-Leute, Militärs, in enger Zusammenarbeit mit ukrainischen Faschisten, die Juden in den genannten Gebieten töteten.

2. Autoren, oft gelesen in Deutschland, wie Joseph Roth, Bruno Schulz, Soma Morgenstern, Stanislaw Lem, Paul Celan, Simeon Wiesenthal, Rose Ausländer und viele andere stammen aus Galizien und der Bukowia. Wer diese AutorInnen schätzt, sollte sich für deren Herkunft interessieren.

3. Es gab einst in Berlin ein Viertel im Zentrum, zwischen dem Hackeschen Markt und dem heutigen Rosa-Luxemburg-Platz (damals „Bülowplatz“), in dem, seit 1900 , viele Juden Zuflucht fanden vor den Pogromen in ihrer Heimat Galizien. Berlin ist mit Menschen aus Galizien eng verbunden, mit den früheren Bewohnern muss man sagen: Denn Juden suchten Zuflucht und fanden letztlich Vernichtung.

4. Im Dezember 2021 ist ein neues Buch über jüdisches Leben, über Verfolgung und Auslöschung der Juden in Galizien sowie in der Bukowina erschienen. Es handelt sich natürlich nicht um eine „bunte Reisereportage“ mit den üblichen Ausblicken auf Natur und Geschichte dieser Region, es handelt sich auch nicht um einen Guide für Touristen etwa durch die angeblich noch vorhandenen „Schtetlt“.Es ist auch keine erschütternde Foto-Dokumentation, selbst wenn das Buch etliche beachtliche Schwarz-Weiß-Fotos, vom Autor realisiert, enthält: MARC SAGNOL hat über viele Jahre dieses Gebiet immer wieder besucht, er hat die Städte und Dörfer, intensiv studiert, mit Menschen gesprochen in dem Gebiet, das einst zur österreichischen Monarchie gehörte. Und dann zu Polen und zur Ukraine, ab 1945 zu Polen und der Sowjetunion. Nach 1989 gehört es wieder zu Polen und der Ukraine.

Marc Sagnol,1956 in Lyon geboren, hatte nach Studien der Germanistik und Philosophie auch Kenntnisse des Polnischen und Russischen erworben, er war u.a. als Kulturattaché in Moskau tätig und später auch als französischer Kulturbeauftragter in Erfurt. Sagnols Interesse fürs jüdische Leben in dieser Region ist auch durch die Geschichte der eigenen Familie motiviert. Sein Großvater z.B. hat seine Kindheit in Czernowitz und Kossow verbracht.

5. Der Autor beschreibt (und kommentiert zurückhaltend) das jüdische Leben in den Städten und Dörfern, er nimmt die LeserInnen mit auf seine ausführlichen Rundgänge dort. Sie beginnen in Ostgalizien, führen über Grodek und Lemberg sowie viele andere Ortschaften dann nach Brody und Kossow, er erreicht die südlicher gelegene Bukowina mit Iwano-Frankiwsk, Czernowitz und Sadagora, um dann noch einmal nach Lemberg bzw. Lwow, Lwiw oder auch Leopolis, der „Löwenstadt“ zurückzukehren (S. 185-235, wiederum mit zahlreichen Fotos).

6. Die Rundgänge des Autors sind alles andere als unterhaltsam. Sie informieren in nüchterner Sprache und wecken dennoch Erschütterung, Zorn, Trauer im Angesicht der ausführlich beschriebenen Untaten, der grausamsten Quälereien und Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung. An diesem Massenmord waren nicht nur Deutsche beteiligt: Die Nazis fanden willigste und grausamste Helfer in Kreisen der ukrainischen Nationalisten und Faschisten. Sagnol erwähnt, dass noch heute an den ukrainischen Nazi Stepan Bandera öffentlich sichtbar erinnert wird, seine Statuen und Denkmäler sind nicht zu übersehen. Man tut so, als handle es bei Bandera um eine Art unbescholtenes Vorbild (vgl. S. 40, S. 230, dort zeigt ein Wandgemälde Bandera, das Foto hat Sagnol 2018 aufgenommen).

Von den vielen Informationen des Buches nur diese: Man liest etwa, dass es im Lager Janowska ein Lagerorchester gab, „das von Leonid Stricks geleitet wurde. Das Lagerorchester musste Operettenmelodien wie „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar oder Werke von Mozart und Beethoven spielen, um das Geräusch der Schüsse und Scheie während der Exekutionen zu übertönen“ (S: 218).

In Lemberg entfesselten die Deutsche gemeinsam mit dem ukrainisch-natonalistischen Bataillon Nachtigall sowie der OUN (der Ukraininisch-Nationalistischen Organisation) ein Pogron vom 30. Juni bis 3.Juli 1941, „in dessen Verlauf die Lemberger Juden dem besinnungslosen Hass einer entfesselten Bevölkerung ausgesetzt waren (S. 206). Von den ukrainischen Nationalisten wurden die Juden als Sündenböcke hingestellt, für schuldig erklärt, mit den Sowjets zu kollaborieren“. Eine Überlebende erinnert sich. “Wir sind mit ihnen (also den so genannten Christen, CM) zur Schule gegangen, tanzen gegangen und mit einem Mal waren wir für sie keine Menschen mehr“ ( S. 211)

Das antisemitische Nationalist Bandera konnte sich nach dem Krieg bis 1959 in München unter dem Namen Stefan Popel verstecken, vom KGB wurde er dort entdeckt und erschossen.

7. Und heute? Das Interesse der ukrainischen Bevölkerung (und des Staates) am Erhalt wichtiger jüdischer Gebäude als Erinnerung an jüdisches Leben einst, ist alles andere als bedeutend. Man liest mit Entsetzen, dass kulturell und architektonisch bedeutende Synagogen dem systematischen Verfall überlassen werden, so etwa in Brody (S.124 f.) oder Berezhany (S. 61). Besonders schlimm ist er Verfall der einst prachtvollen Synagoge aus dem 17. Jahrhundert in Zolkiew bzw. Schowkwa bei Lemberg (S. 44). Marc Sagnol bemerkt treffend: „Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass die Verschleppung der Restaurierung dieser Synagoge nichts anderes ist als eine stillschweigende Fortsetzung der Endlösung durch Nichtstun, eine gewaltsame Shoah der Erinnerung“. Mit Hilfe von Juden aus dem Ausland konnte die große chassidische Synagoge in Sadagora im Jahr 2016 in alter Pracht wieder eröffnet werden, in der Sowjetzeit wurde sie als Metallfabrik genutzt.

8. Von den Chassidim (also den Mitgliedern einer mystischen Strömung, die oft als ultra-orthodox bezeichnet wird), ist auch die Rede, etwa beim Besuch in dem geradezu von Legenden umwobenen Städtchen Bels. Interessant auch die Darstellungen zum Leben der Chassidim in Sadagora, Bukowina: Hier hatten die Rabbis (bzw. Rebben ode Zaddik) ihre Zentren für Gebet, Beratung, Belehrung und auch überschwängliche Verehrung des Rabbis (S.180).

9. Was Sagnol über das verbliebene jüdische Getto in Lemberg schreibt, gilt für die Region dort: „Außer den wenigen Überresten von Gebäuden der Vergangenheit gibt es kein jüdisches Leben mehr“. Der Tötungswahn der Deutschen, der Nazis, des Militärs sowie der ukrainischen Faschisten war total und hat sich total durchgesetzt. In Polen leben jetzt noch etwa 12.000 Juden, in der Ukraine wird der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung prozentual angegeben mit 0,05 Prozent! Viele Juden, die in die Ukraine als Touristen reisen, berichten von einem für sie immer noch gefährlichen Land.

Das Buch bietet in zahlreichen Fußnoten Hinweise zu spezielleren Studien.

Leider fehlt in Marc Sagnols wichtigem Buch ein Namens-Register.

Das Buch verdient weite Beachtung.

Marc Sagnol, Galizien und Lodomerien. Kulturverlag Kadmos, Berlin, 2021, 238 Seite, 24,90 Euro.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.