Aberglaube oder Gottvertrauen? Das Erzbistum Berlin wird den Herzen Jesu und Mariens geweiht.

Ein Hinweis von Christian Modehn

Um den zentralen Gedanken deutlich zu machen (Nr.5.ff.), sind einige Hinweise zu Beginn wichtig:

1.
Es entspricht den Prinzipien des freiheitlichen Rechtsstaates, dass jede Glaubensgemeinschaft ihr Bekenntnis nach eigener Wahl ungehindert ausdrücken kann. Wer zum Beispiel aus religiöser Überzeugung sein Bekenntnis formuliert: „Im Himmel ist Jahrmarkt“ hat sein gutes Recht dazu, dies öffentlich zu sagen. Alle religiösen (oder atheistischen) Bekenntnisse dürfen nur nicht die Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates gefährden und die Anerkennung der universal geltenden Menschenrechte in der Praxis missachten.

2.
Nun erklärt der katholische Erzbischof von Berlin, Heiner Koch, er werde am 15.8. 2020 das Erzbistum Berlin den heiligen Herzen Jesu und Mariä „weihen“. Also kraft seiner bischöflichen Vollmacht das Erzbistum Berlin unter den Schutz der beiden genannten Herzen stellen.
Anlass ist das 90 jährige Bestehen des Bistums Berlin sowie auch, von Koch nur kurz angedeutet, dass „unsere ganze Gesellschaft mit der Corona-Pandemie vor einer (sehr großen) Herausforderung“ stehe.
Die Weihe des Erzbistums an die Herzen Jesu und Mariens ist also durchaus auch eine katholische Antwort auf die Corona-Krise.
Warum man, wenn man schon „weiht“, das Erzbistum Berlin nicht etwa auch dem heiligen Josef oder der heiligen Hedwig oder dem seligen Berliner Nazi-Widerstandsbewegten Prälat Lichtenberg „weiht“, ist des Erzbischofs Geheimnis. Wahrscheinlich sind die Herzen Jesu und Mariens im Himmel wirksamer, einflussreicher bei Gott, wer weiß es? Aber warum bloß die „Herzen“? Das erinnert mich so an die spezielle Herzgruft der Habsburger, die in der Wiener Augustinerkirche verehrt werden. Warum nicht die ganze Person dieses Propheten Jesus von Nazareth? Oder der jungen Frau Maria, die so eindringlich – aber wirkungslos – betete, dass Gott die Mächtigen vom Throne stürzt, siehe ihr wunderbares Gebet „Magnificat“.
Erzbischof Koch erinnert daran, dass derartige „Weihen“ des Bistums in anderen Krisenzeiten schon vollzogen wurden, im Juni 1934, dann noch einmal 1944 und „zur Zeit der Berlin-Blockade“ 1948. Nebenbei: Politisch, also auch spürbar, sichtbar, bewirkt haben diese Weihen offensichtlich gar nichts: 1934 blieben die Nazis an der Macht, 1944 ging der Krieg gerade auch in Berlin heftig weiter und die Krematorien in Auschwitz und anderswo wurden auch nicht zerbombt. Ob das materielle Überleben West-Berlins 1948 durch die us – amerikanische Hilfe oder auch – esoterisch gesehen – durch den Beitrag Mariens gelang, sei dahin gestellt.

3.
Der Sinn solcher globalen Weihehandlungen wird von Erzbischof Koch nur angedeutet: Es gehe um die Förderung des Gott-Vertrauens, um Gott, „dessen Herz größer ist als unser Herz“. Es gehe darum, „in der Krise sein Herz nicht von Angst, sondern vom Vertrauen leiten lassen“. Dazu soll die Weihe des Bistums an die Herzen Jesu und Mariens führen. Es geht um Gott-Vertrauen, um Vertrauen in den Lebenssinn. Das ist auch philosophisch und in einer kritischen Theologie nachvollziehbar. Warum aber dann diese anspruchsvolle, ins Mysteriöse abrutschende Weihehandlung? Und das dazugehörige Tam-Tam?

4.
Dabei ist der Weiheakt in Berlin und für das Erzbistum Berlin (also offenbar nur für die Katholiken oder die ganze bewohnte Fläche des Erzbistums?) am 15.8.2020 vom Ausmaß her offenbar doch recht bescheiden:
Bekanntlich weihte Papst Pius XII. am 8. Nov. 1941 tatsächlich die ganze Welt „dem unbefleckten Herzen Marias“. Diese universale Weihe wurde 1954 von Pius XII. wiederholt.
Auch der extreme Marien – Verehrer, der polnische Papst Johannes Paul II., fühlte sich berufen, die ganze Welt von Fatima aus 13. Mai 1991 zu weihen. Dabei wiederholte er in dieser Weihehandlung seine politische Kritik an der freiheitlichen liberalen Demokratie: Er sagte also kurz nach der „Wende“: „Es besteht die Gefahr, dass der Marxismus von einer anderen Form des Atheismus abgelöst wird, die der Freiheit schmeichelt und darauf aus ist, die Wurzeln der menschlichen und christlichen Moral zu zerstören“.
Und, „man“ glaubt es kaum bei diesem angeblich progressiven Papst Franziskus: Auch er weihte am 13. Okt. 2013 die Welt der Jungfrau Maria. Dann tat er das noch einmal am 26. April 2017. Ist die Welt seitdem besser geworden, mehr den göttlichen Geboten entsprechend?
5.
Was sollen diese Weihe-Handlungen? Was ist der katholisch-theologische Hintergrund: Die Erklärung muss man, wie in kritischer Theologie üblich, nachvollziehbar formulieren: Marias Herz bzw. das Herz Jesu, sollen ihre Macht im Himmel und ihren Einfluss bei Gott geltend machen, dass Gott-Vater den Bitten der Katholiken bzw. des Papstes bzw. des Bischofs folgt und zum Beispiel Frieden schafft.
Das war am 8. November 1941 im Falle des weihenden Papstes Pius XII. nur ein frommer, d.h. naiver Wunsch, nur ein hilfloser Spruch. Aber er passte in die (damalige) wundergläubige Welt des Katholizismus.
Religionskritiker würden sagen: Was Pius XII. da tat, war eine Art Opium – Lieferung, eine Beruhigung der erregten Katholiken und der Menschen überhaupt: Denn diese universalen Segnungen der Päpste wurden ja irgendwie zugunsten und im Namen „aller“ ausgesprochen. Eigentlich eine ziemliche Anmaßung, im Namen aller die Welt Maria zu weihen, in der theologischen Erwartung, diese würde vom Himmel Gott bewegen und dieser würde eingreifen.
Eine Weihe der Welt an Maria oder an das Herz Jesu bedeutet also immer auch der Glaube an ein wunderbares Eingreifen Gottes, der sich förmlich als Gott-Vater im Himmel von Maria bewegen lässt, etwa den 2. Weltkrieg zu stoppen. Das kann natürlich selbstverständlich jeder glauben, der will. Über das Gottesbild dieser Personen wäre an anderer Stelle zu diskutieren…
Es entspricht aber der Realität zu betonen: Diese Weihehandlung war Ausdruck der Unfähigkeit Pius XII., mit seiner Autorität für Friedensverhandlungen zu plädieren und die Nazis öffentlich als Verbrecher zu bezeichnen usw.: Diese Weihehandlung war Ausdruck eines von Ängsten umstellten Papstes, der an die Macht seines Amtes gar nicht glaubte: Es gab 1941 KZs, das Jahr 1941 war das entscheidende Kriegsjahr überhaupt. Was soll dann die Erwartung, Maria könnte vom Himmel aus für Ruhe und Ordnung sorgen? Das tat Maria aber, den sichtbaren Fakten folgend, nicht: Der Krieg ging weiter, Millionen kamen um, 6 Millionen Juden mussten ihr Leben lassen: Wenn denn ein Papst oder ein Bischof meint, mit einer Weihehandlung etwas zu bewirken, dann soll er resignierend sagen: Wer an das Herz Marias und das Herz Jesu glaubt, findet dort letzten Trost. Mehr nicht. Eine menschenfreundliche Theologie, ganzheitliche Theologie, sieht anders aus.

6.
Was hat das alles mit Berlin zu tun? Anstelle der mysteriösen, theologisch nicht nachvollziehbaren Weihehandlung an die Herzen Jesu und Mariens hätte gut ein Projekt gepasst, das selbstverständlich nicht wie diese Weihehandlung eine einsame Entscheidung des Erzbischofs ist, sondern gemeinsam beraten wurde: Etwa: Wie bilden wir die Gemeinden so weiter, dass sie endlich praktisch gegen Rassismus, gegen Flüchtlings – Feindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Neonazis aufstehen? Oder: Wie gelingt, dass die universal geltenden Menschenrechte von der Kirche und in der Kirche völlig bekannt gemacht und dann in der Kirche akzeptiert werden? Oder: Wie gelingt es uns, dass die Gemeinden denen beistehen, die von der Corona – Pandemie gesundheitlich, seelisch, ökonomisch stark betroffen sind? Oder: Wie bilden wir die Laien so aus, dass sie alsbald selbständig katholische Gottesdienste feiern können. Das wären „Weihe“-Handlungen gewesen, die der Menschheit „dienen“, um es einmal pathetisch zu sagen.

7.
Aber solche konkreten menschenfreundlichen und „jesuanischen“ Vorschläge werden nicht gemacht. Eine Weihehandlung ist einfacher zu vollziehen, ein paar Worte, das ist alles. Eine Weihehandlung kostet kein Geld, erst keine intellektuelle Phantasie, sie verlangt keinen Einsatz der eigenen Lebenszeit… Da wird halt die alte katholische Leier wieder aufgespielt und als Ausdruck von praktisch –theologischer Hilflosigkeit eben mal wieder eine WEIHE vollzogen: Und das „Erzbistum den Herzen Jesu und Mariä geweiht. Nebenbei: Der Generalvikar des Erzbistums Berlin ist Mitglied der Ordensgemeinschaft, die sich „Gesellschaft der Herzen Jesu und Mariä“, populär und weltweit auch „Picpus-Missionare“, nennt (Abkürzung SSCC). Vielleicht war er bei dieser esoterischen „Weihe-Idee“ behilflich?

8.
Dass sich dabei Erzbischof Koch bei seiner Weihehandlung eher von den Gebäuden als den Menschen leiten lässt, wird in seiner Formulierung deutlich, wenn er sich an die Mitglieder seiner Kirche, also die Menschen, wendet. Und die nennt er tatsächlich Steine: „Sie, die lebendigen Steine, die dieses Bistum sind….“ Früher sprach man von Seelen, jetzt von Steinen.

9.
Warum macht man sich als Journalist noch so viel Mühe mit diesem mysteriösen Thema? Weil es zur Aufgabe eines kritischen theologischen Journalismus gehört, die Öffentlichkeit aufzuklären, was in den Religionen so alles passiert, weil Hintergründe erklärt werden müssen, die sich nicht in zwei Zeilen sagen lassen. Und weil der geistige Zustand des römischen Katholizismus irgendwie ahnbar wird…

10.
Ich kann mich als Theologe und Religionsphilosoph am Schluss nicht des Urteils enthalten: Diese Weihehandlungen mit der Idee, Maria oder as Herz Jesu könnten im Himmel sozusagen Gott beeinflussen, sind schlicht und einfach Aberglauben. Sie widersprechen den humanen Weisungen Jesu von Nazareth im Neuen Testament: Jesus wollte bekanntlich eine brüderliche Welt ohne viel religiöses Tam-Tam und ohne besserwisserische „Meister“ (Päpste, Bischöfe etc.).

11.
Auch diese Weihehandlung stört das ökumenische Zusammensein mit den Protestanten. Es ist die machtvolle Demonstration des alten römischen Katholizismus, der sich auch heute zeigt im selbstverständlichen Festhalten an Ablässen, am Kult der Reliquien usw. Die Protestanten schweigen dazu und sprechen trotzdem vonÖkumene. Sie sagen nicht öffentlich, wie deplatziert für heutiges theologisches und ökumenisches Denken solche esoterischen katholischen Weihehandlungen sind. Ökumene lebt vom gegenseitigen Lernen, auch vom Verzicht auf mittelalterliche abergläubische Traditionen durch die bömische Kirche.
Und solche Weihehandlung verstört auch viele skeptische, atheistische Mitbürger nicht nur in Berlin, die sich vielleicht noch schmunzelnd fragen: Spinnen sie, die Katholiken, haben sie wirklich keine anderen Sorgen?
Ein heute vertretbarer, einfacher, vernünftiger christlicher Glaube erhält durch diesen Weihe-Aberglauben also noch mal eine Niederlage.

12.
Und man möchte gern wissen, wer denn die „Gläubigen waren“, die die „Anregung für diese Weihehandlung“, wie Koch schreibt, gegeben haben: Man ahnt es: Waren es die Neokatechumenalen, das Opus Dei (mit seiner Villa „Feldmark“ in Berlin – Grunewald), die polnischen Gemeinden in Berlin, die Legio Mariens, das Schönstatt-Werk mit der Kapelle Zur dreimal wunderbaren Mutter, die „Missionare Identes“ oder das „Institut des inkarnierten Wortes“ (IVE), die Laienbewegung der Legionäre Christi, das „Regnum Christi“ usw.?
Erstaunlich ist es aber eigentlich nicht, wenn die Vermutung stimmt, dass solchen Kreisen der Erzbischof in seinem “Weihe-Vorhaben” folgt. Diese konservativen Kreise sind vielleicht der tatsächlich verbliebene „Restbestand“ von Katholiken (in Berlin), die noch offen sind für diese Formen des Esoterischen und des Aberglaubens. Und für dieses Gottesbild!
Und diese Kreise wollen nicht anerkennen, dass für Menschen, auch für Christen, allein das Vertrauen genügt, in Gott, in dem Göttlichen, dem Ewigen… geborgen zu sein. Oder, weltlich gesprochen, in einem Sinn-Zusammenhang zu leben, der den Menschen ein humanes Lebens ermöglicht. Diese so einfache und nachvollziehbare Erkenntnis sollte man besprechen in Gruppen und Kreisen und Gemeinden. Und nicht die Zeit verschwenden, sich mit Weihehandlungen an die unbefleckten Herzen etc. zu befassen.

13.
Darum ist auch hier Schluss mit meinen Hinweisen. Denn, wie gesagt: Es gibt sehr viel Wichtigeres, als diesen klerikalen Egozentrismus, der da meint, zur Weihe der Welt oder auch nur eines Bistums an (unbefleckte) Herzen (etwa Mariens) berufen zu sein.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin