Beschneidung – Eine kritische Frage
Von Christian Modehn
Ein Hinweis vorweg, veröffentlicht am 5. Jui 2012:
Uns freut es, dass im Tagesspiegel vom 5. Juli 2012 auf Seite 8 ein vernünftiger und sehr lesenswerter Beitag von Georg Ehrmann, dem Vorsitzenden der Deutschen Kinderhilfe, publiziert wurde. Der Beitrag zeigt, dass der Religionsphilosophische Salon mit seinem Kommentar (vom 28.6.) in der Frage nicht allein steht. “Eine schmerzhafte und belastende Operation” ist der Titel des Kommentars, dem wir auch weite Verbreitung in religiösen Kreisen wünschen, die uralte Traditionen unbedingt für etwas Göttliches halten und höher einschätzen als Menschenrechte.
Am 12. Juli 2012 weisen wir darauf hin, dass in “DIE ZEIT” an diesem Tag auf Seite 54 ein sehr lesenswerter Beitrag des Strafrechtlers Prof. em. Rolf Dietrich Herzberg gedruckt ist, als Antwort auf die polemischen Ausführungen des Philosophen Robert Spaemann eine Woche zuvor. Herzberg schreibt u.a.: “Was die Kölner Richter verurteilen, ist allein die empathielose Bagatellisierung dessen, was man wehrlosen Kindern antut, und die darin liegende Mißachtung des Grundrechts auf körperliche Unversehrheit”. Herzberg zitiert außerdem den integrationspolitischen Sprecher der Grünen, Memet Kilic, der u.a. auf den Tatbestand einer merkwürdigen “multireligiösen Ökumene” in diesem Fall hinweist:” …bei mir kommt der Verdacht auf, sie (= die Vertreter von Judentum, Kirchen und Islam) verteidigten ihren eigenen Machtbereich. Die Glaubensgemeinschaften, die auf den Stammvater Abraham zurückgehen, fordern zum Gebrauch der Vernunft auf. Das heißt: Neue Einsichten erlauben es, alte Praktiken zu ändern”. Genau dies ist die begründete Meinung des religionsphilosophischen Salons. PS.: Leider ist der wichtige Beitrag von Rolf Dieitrich Herzberg nicht im Internet (bis jetzt) lesbar…
Am 14. 7. weisen wir hin auf einen neuen Link, eine weitere Marginalie, zum Thema Beschneidung im Religionsphilosophischen Salon. Dann verweisen wir auf ein Interview (20.7.2012) mit dem protestantischen Theologen Prof. Wilhelm Gräb, Humboldt Universität zu Berlin.
Am 28. Juni haben wir einen Kommentar publiziert, nach einigen Diskussionen im Religionsphilosophischen Salon, der sich auf das sogen. „Kölner Beschneidungsurteil“ bezieht. Aufgrund einiger Anfragen wollen wir noch einmal betonen, dass unser Kommentar lediglich anregen will, über den Zusammenhang von religiösen Traditionen und dem, was aufgeklärte Vernunft meint, nachzudenken. Selbst wenn man heute von einer Pluralität von „Vernunft“ ausgeht, bleibt doch die Frage, wie bestimmte Traditionen zur Vernunft in Beziehung gesetzt werden können. Das gilt nicht nur für die Beschneidungsproblematik. Die Frage, in welcher Weise sich religiöse Traditionen heute vernünftig ins Gespräch bringen lassen und wie diese Traditionen heute noch ohne weiteres gelten können, ist nach wie vor der Diskussion wert, gerade wenn diese religiösen Traditionen, mit Verweisen auf Heilige Schriften, als Rechtfertigung von Macht und Verfügung über andere Menschen verwendet werden.
Der Religionsphilosophische Salon kann die plötzlich aufgetretene Debatte über die religiös motivierte Beschneidung nicht ignorieren. Denn dabei handelt es um einen Konflikt zwischen religiösen Traditionen und Ansprüchen der Menschenrechte, also der allen zugänglichen und immer wieder neu zu debattierenden Vernunft.
Selbstverständlich muss eine Demokratie religiöse Traditionen respektieren und zulassen, dass diese sich auch rituell Ausdruck verschaffen in religiösen Räumen.
Es muss aber in einer Demokratie immer gefragt werden: Sind bestimmte religiöse Traditionen und Überzeugungen möglicherweise auch Ausdruck einer fundamentalistischen Haltung: Ist die Beschneidung von Knaben – so alt und vielleicht auch ehrwürdig diese Tradition auch sein mag – tatsächlich in Religionen noch vertretbar, die wirklich im Heute leben wollen, also durchaus argumentativ religiöse Bräuche verdeutlichen wollen? Oder will man gar nicht im Heute leben und lieber argumentationsfern einfach alte Bräuche fortsetzen, weil man glaubt, sie stifteten Identität? Kann Religion – im allgemeinen gesagt – bestehen, die argumentationsfern Bräuche heilig findet, bloß weil sie uralt sind? Also: Welche vernünftigen, allen zugänglich zu machenden Argumente sprechen für die Beschneidung der Babies und Jungen? Wir sehen kein Argument. Es ist, wie so oft im religiösen Feld, immer nur dieselbe Antwort: Es ist halt lange, lange … Tradition.
Das wäre ohne weiteres zu respektieren, wenn mit dieser langen Tradition nicht über andere Menschen verfügt würde: Über Kinder wird bestimmt, sie können die Entscheidung ihrer Eltern nicht mehr rückgängig machen, Beschneidung bleibt auf ewig Beschneidung.
Da stoßen sich tatsächlich Vorstellungen von der unantastbaren Würde des Menschen, also Menschenrechte, mit der langen religiösen Tradition. Gegen die doch bisher kaum ein Beschnittener aufbegehrt hat, wie zu hören ist. Also sind alle Beschnittenen als Beschnitte rundum glücklich? Wer will das wissen? Wurde jemals danach gefragt? Wurde jemals dokumentiert, wie viele alte Männer mit ihrem Messer auf den Dörfern die Kinder und Jungs verletzten? Wer hat das alles dokumentiert an Grausamkeit?
Die Debatte darüber jetzt ist also durchaus sinnvoll, weil sie nach der Vernunft religiöser Traditionen fragt. Und da werden weitere Fragen berührt: Etwa im Katholizismus: Dort beruft sich das Papsttum gern zur Rechtfertigung der eigenen Macht auf das Wort, das im Neuen Testament Jesus zugeschrieben wird: „Du bist Petrus der Fels“, soll Jesus gesagt haben, offenbar den künftigen Vatikan vor Augen, „und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen“. Erstens wollte und konnte Jesus von Nazareth – vom ganz nahen Kommen des Gottesreiches überzeugt – keine Kirche bauen. Und außerdem: Er sagte – wenn überhaupt – dieses Wort zum Fischer Petrus. Aber benutzt wird dieses Wort bis heute, um das Papsttum und den Vatikan zu rechtfertigen. Darf man das Ideologie statt Theologie nennen?
Was hat das mit der Beschneidung zu tun? Sehr viel: In beiden Fällen handelt es sich um das Festhalten an sehr alten religiösen Traditionen und Überlieferungen. Um Ideologien. Die aber – so scheint uns – vor der kritischen Vernunft kein Bestand mehr haben. Vor wem oder was sollten denn auch religiöse Traditionen Bestand haben, wenn nicht vor der Vernunft? Oder will man prinzipiell Religion als unvernünftig etablieren? Wer das tut, und das tun heute viele, wird zum Totengräber des Religiösen, weil sich das Religiöse jeglicher Argumentation entzieht..
Wobei es im Falle des Streites um die Beschneidung so enden wird: Eine Einschränkung oder gar ein Verbot der Beschneidung sei politisch und praktisch nicht durchsetzbar. Also: Ende der Debatte um des so genannten lieben Friedens willens… Schließlich haben sich die Leiter und Führer der Juden, Muslime und Katholiken zusammengeschlossen: Sie verteidigen gemeinsam die langen, langen Traditionen. Wenn eine Tradition fällt, fallen auch andere. Deswegen ist interreligiöse Einheit angesagt.
copyright:christian modehn, berlin.